Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg
Alkoholabhängigkeit ist Ursache für vielfältige psychische, somatische und psychosoziale Probleme. Die Kosten, die durch alkoholabhängige Menschen verursacht werden, liegen bei über 1% des Bruttosozialprodukts von Industrienationen. Von den schätzungsweise 8,5 Millionen alkoholabhängigen US-Amerikanern erhalten etwa 720000 ein Arzneimittel, das von der Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung einer Alkoholabhängigkeit zugelassen ist.
Klinische Symptome der Abstinenz, die auch langfristig bestehen bleiben können, umfassen vor allem Craving sowie Stimmungs- und Schlafstörungen. Diese Störungen gelten wiederum als Risikofaktoren für einen Rückfall.
Gabapentin ist von der FDA und EMA zugelassen für die Behandlung von epileptischen Anfällen sowie von neuropathischen Schmerzen. Vermutlich blockiert die Substanz die alpha-2d-Untereinheit der spannungsgesteuerten präsynaptischen Calciumkanäle und moduliert dadurch indirekt die Gamma-Aminobuttersäure(GABA)-Neurotransmission. In präklinischen Studien normalisierte sich durch Gabapentin die stressinduzierte GABA-Aktivierung in der Amygdala – ein Vorgang, der vermutlich im Entzug eine wichtige Rolle spielt. Einige kleinere klinische Studien ergaben Hinweise auf eine gute Verträglichkeit und Wirksamkeit von Gabapentin bei Alkoholkrankheit. In einer neuen, größeren Studie sollte die dosisabhängige Wirksamkeit von Gabapentin in den ersten Abstinenzwochen noch differenzierter untersucht werden.
Methodik
In die 12-wöchige randomisierte, doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie waren 150 aktuell alkoholabhängige Männer und Frauen über 18 Jahre einbezogen. Die Studie wurde von 2004 bis 2010 in einer ambulanten US-amerikanischen Forschungseinrichtung durchgeführt. Es wurden nur Patienten aufgenommen, die den Wunsch nach einer Entzugsbehandlung hatten und lediglich alkohol- und gegebenenfalls nicotinabhängig waren. Zusätzliche Abhängigkeiten beispielsweise von Benzodiazepinen, Cocain, Tetrahydrocannabinol oder Methamphetamin wurden (inkl. per Urintest) ausgeschlossen. Die Patienten erhielten entweder Plazebo oder Gabapentin oral 900 mg/Tag oder 1800 mg/Tag. Zusätzlich wurde eine strukturierte Beratung angeboten. Primäres Studienziel war die Rate kompletter Abstinenz, koprimäre Zielvariable das Fehlen von „schwerem Trinken“ (mehr als 4 alkoholische Getränke/Tag bei Frauen und mehr als 5 alkoholische Getränke/Tag bei Männern; ein alkoholisches Getränk entspricht 14 g reinem Ethanol).
Ergebnisse
Durch Gabapentin verbesserten sich nach zwölf Wochen sowohl die Raten für Abstinenz (p=0,04) als auch für schweres Trinken (p=0,02) signifikant (Tab. 1). Die größte Wirkung zeigte eine Behandlung mit der höheren Gabapentin-Dosis. Die Number needed to treat (NNT) lag in der 1800-mg-Gruppe für Abstinenz bei acht, für die Reduktion des schweren Trinkens bei fünf. Vergleichbare dosisabhängige Effekte erzielte man bei den Scores für die Stimmung (erfasst mit Beck Depression Inventory II, F2-Wert=7,37; p=0,001) sowie Schlaf (erfasst mit Pittsburgh Sleep Quality Index, F2 für Schlaf=136; p<0,001) und Craving (F2 für Craving=3,56; p=0,03). Schwere unerwünschte Wirkungen traten nicht auf. Die Abbruchraten aufgrund von unerwünschten Ereignissen und die Raten der Teilnehmer, die die Studie beendeten, waren in allen drei Behandlungsgruppen gleich.
Tab. 1. Wirkung von Gabapentin zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit (nach 12 Wochen)
Abstinenz [%] (95%-KI) |
Nicht-schweres-Trinken [%] (95%-KI) |
|
Plazebo |
4,1 (1,1–13,7) |
22,5 (13,6–37,2) |
Gabapentin 900 mg/Tag |
11,1 (5,2–22,2) |
29,6 (19,1–42,8) |
Gabapentin 1800 mg/Tag |
17,0 (8,9–30,1) |
44,7 (31,4–58,8) |
KI: Konfidenzintervall
Zusammenfassung
Gabapentin erleichtert dosisabhängig den Entzug bei Alkoholikern in den Einzelaspekten Tage in Abstinenz, Tage mit schwerem Trinken sowie Stimmung, Schlaf und Craving. Die größte Wirkung wurde bei einer täglichen Dosis von 1800 mg Gabapentin erzielt. Die Trinkmengen wurden von den Studienteilnehmern angegeben und durch die Bestimmung der Gamma-Glutamyltransferase (GGT) überprüft. Das Sicherheitsprofil war gut. Somnolenz – von den Patienten in den Gabapentin-Studien zur Epilepsie und zum neuropathischen Schmerz häufig angegeben – trat bei den alkoholabhängigen Studienteilnehmern nur selten auf. Hinweise auf einen Gabapentin-Missbrauch oder den Einsatz als Alkoholersatzmittel ergaben sich nicht.
Fazit
Interpretiert werden sollte die Studie vor dem Hintergrund, dass die Studienabbruchquote wie bei allen Studien mit Substanzabhängigen relativ hoch ausfiel. Trotzdem war die durchschnittliche Zeit des Verbleibs in der Studie mit 9,1 Wochen ausreichend hoch, um noch klinisch relevante Aussagen über den Therapieeffekt machen zu können. Der typische Studienteilnehmer trank an durchschnittlich fünf Tagen pro Woche und war in der Lage, die für die Studienaufnahme geforderte Abstinenz über drei Tage einzuhalten. Bei diesen nicht sehr schwer alkoholabhängigen Patienten kann Gabapentin helfen, die ersten Wochen der Entwöhnung besser durchzuhalten.
Quelle
Mason BJ, et al. Gabapentin treatment for alcohol dependence. A randomized clinical trial. JAMA Intern Med 2013; e-pub 4. November 2013.
Psychopharmakotherapie 2014; 21(01)