Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie

Schmerzlinderung durch Duloxetin


Dr. Dr. Tanja Neuvians, Ladenburg

Chemotherapien können schmerzhafte periphere Neuropathien nach sich ziehen. Bisher gibt es keine durch Studien belegte wirksame Therapie. Eine klinische Studie hat nun für Duloxetin stärkere schmerzsenkende Effekte nachgewiesen als für Plazebo und eröffnet damit eine neue Therapieoption.

Etwa 20 bis 40% der Patienten, die eine Chemotherapie mit neurotoxischen Wirkstoffen wie Taxanen, Platinen, Vinca-Alkaloiden oder Bortezomib erhalten, entwickeln eine schmerzhafte periphere Neuropathie. Diese kann Monate bis Jahre nach der Therapie andauern und hat enorme Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der Patienten. Die Behandlung ist schwierig, da es bisher für diese Indikation kein speziell zugelassenes wirksames Arzneimittel gibt.

Duloxetin (z.B. Ariclaim®) ist ein dualer Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der zur Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Neuropathie zugelassen ist. In einer randomisierten, Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurde seine Wirkung bei Chemotherapie-induzierten neuropathischen Schmerzen untersucht.

Studiendesign

Die Phase-III-Studie wurde zwischen April 2008 und Juli 2012 von der CALGB/Alliance (Cancer and leukemia group B) an acht verschiedenen Tumorzentren in den USA durchgeführt. Eingeschlossen wurden Patienten mit einer Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie (CIPN) Grad 1 und mehr (NCI CTCAE v3.0, Common terminology criteria for adverse events des National Cancer Institute), die seit mindestens drei Monaten anhaltende Schmerzen mit einem durchschnittlichen Schmerzscore von 4 und höher aufwiesen (0–10; BPI-SF, Brief pain inventory short form). Die Studie wurde in zwei Phasen durchgeführt:

  • Gruppe A bekam zuerst Duloxetin, dann Plazebo (n=115)
  • Gruppe B erhielt zunächst Plazebo, dann Duloxetin (n=116)

Behandelt wurde jeweils über fünf Wochen, in der ersten Woche mit einer Kapsel Plazebo/Duloxetin (30 mg) oral, in der 2. bis 5. Woche mit zwei Kapseln Plazebo/Duloxetin (60 mg). Dazwischen war zwei Wochen Therapiepause. Die Patienten hatten unterschiedliche Tumorerkrankungen und waren mit verschiedenen Chemotherapeutika (Paclitaxel, Nanopartikel-gebundenem Paclitaxel, Docetaxel, Oxaliplatin oder Cisplatin) behandelt worden. Mit standardisierten Fragebögen wurden regelmäßig Schmerzgrad, Neuropathiegrad und Lebensqualität ermittelt.

Primärer Endpunkt der Studie war die durchschnittliche Schmerzabnahme am Ende der ersten Behandlungsperiode, basierend auf dem BPI-SF. Das Cross-over-Design wurde vor allem gewählt, um allen Patienten eine Behandlung mit dem Verum gewährleisten zu können. Bei der Auswertung stand die erste Behandlungsperiode im Vordergrund, unter anderem wegen der Vergleichbarkeit mit einer Studie zum Wirksamkeitsnachweis für Duloxetin bei diabetischer Polyneuropathie. Sekundäre Endpunkte waren Lebensqualität, schmerzbedingte Beeinträchtigungen der täglichen Aktivitäten und Nebenwirkungen. Die Ergebnisse wurden stratifiziert nach Chemotherapie-Substanz und Schmerzrisiko. Eine zusätzliche Schmerzmedikation war erlaubt, musste aber stabil sein.

Studienergebnisse

Die Patienten in Gruppe A hatten zu Beginn einen etwas höheren durchschnittlichen Schmerz-Score als die Patienten in Gruppe B (6,1 vs. 5,6; p=0,02). Die durchschnittliche Schmerzabnahme bis zum Ende der Initialbehandlung betrug in Gruppe A 1,06 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,72–1,40) gegenüber 0,34 (95%-KI 0,01–0,66) in Gruppe B (p=0,003), der durchschnittliche Unterschied zwischen den Gruppen betrug 0,73 (95%-KI 0,26–1,20). 59% der Studienteilnehmer, die zuerst Duloxetin bekamen, berichteten über eine Abnahme des Schmerzes, in der Plazebo-Gruppe waren es nur 38%. Fast doppelt so viele Patienten der Duloxetin-Gruppe verspürten eine 30%ige Schmerzreduktion, etwa 2,4-mal so viele Patienten eine 50%ige Schmerzreduktion verglichen mit Plazebo.

Der Behandlungseffekt blieb auch nach dem Cross-over erhalten. In Gruppe A (jetzt Plazebo) betrug die durchschnittliche Schmerzabnahme 0,41 (95%-KI 0,06–0,89), in Gruppe B (jetzt Duloxetin) hingegegen 1,42 (95%-KI 0,97–1,87), der Unterschied zwischen den Gruppen lag somit bei 1,01 (95%-KI 0,36–1,65).

Patienten, die Platin-basierte Wirkstoffe als chemotherapeutische Substanzen erhalten hatten, schienen stärker von Duloxetin zu profitieren, als jene, die mit Taxanen behandelt worden waren, mit einer Verum-Plazebo-Differenz der Schmerzabnahme von 1,06 vs. 0,19 Punkten (p=0,13). Die Wirksamkeit war dagegen unabhängig davon, ob ein hohes Risiko für eine CIPN bestand oder nicht.

Schmerzbedingte Beeinträchtigungen täglicher Aktivitäten nahmen unter Duloxetin signifikant ab, ebenso besserte sich die Lebensqualität. Das Nebenwirkungsprofil war unter Duloxetin ähnlich wie unter Plazebo, dennoch brachen 11% der Studienteilnehmer aus Gruppe A (zuerst Duloxetin) gegenüber 1% aus Gruppe B (zuerst Plazebo) die Studie wegen Nebenwirkungen ab.

Diskussion

Die vorliegende Studie ist die erste Phase-III-Studie, die eine wirksame Therapie bei schmerzhafter CIPN nachweist. Im Vergleich zu anderen Schmerztherapeutika, die bei diabetischer Neuropathie, Fibromyalgie und Arthrose eingesetzt werden, liegt die durchschnittliche Schmerzabnahme von 0,73 im mittleren Bereich (Spanne 0,60–0,98). Klinisch bedeutsam ist außerdem, dass Duloxetin die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität deutlich bessert, darüber hinaus ist es relativ sicher und gut verträglich.

Je nachdem, ob Diabetes, Taxane oder Platinverbindungen die Ursache für eine Neuropathie sind, kann der Verletzungsmechanismus am Nerv sehr unterschiedlich sein. Das könnte erklären, warum Duloxetin bei verschiedenen Chemotherapie-Substanzen unterschiedlich wirkt. Ob Duloxetin auch bei anderen Chemotherapeutika wirkt, muss erst noch untersucht werden, ebenso, wie sich eine längerfristige Anwendung von mehr als fünf Wochen auswirkt.

Weshalb trotz eines ähnlichen Nebenwirkungsprofils deutlich mehr Patienten in Gruppe A (11%) die Studie abgebrochen haben als in Gruppe B (1%), erklären sich die Autoren damit, dass unter Duloxetin mehr mittelschwere Nebenwirkungen auftraten als unter Plazebo. So haben die Patienten der Gruppe A möglicherweise geahnt, welches Arzneimittel sie bekommen, und die Studie schneller abgebrochen, wenn die Schmerzabnahme geringer ausfiel als erwartet.

Fazit

Duloxetin senkt die Schmerzen bei Patienten mit Chemotherapie-induzierter peripherer Neuropathie besser als Plazebo und ist mit einer Verbesserung der Lebensqualität verbunden. Explorative Analysen weisen darauf hin, dass Duloxetin bei Platin-induzierter CIPN besser wirkt als bei Taxan-induzierter CIPN.

Quelle

Smith EM, et al. Effect of duloxetine on pain, function, and quality of life among patients with chemotherapy-induced painful peripheral neuropathy: a randomized clinical trial. JAMA 2013;309:1359–67.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(06)