Sara Bienentreu, Christian Jost, Zülpich, Gabriel Eckermann, Kaufbeuren, und Christoph Hiemke, Mainz
Fallbericht
Frau S. wurde in geordneten sozialen Verhältnissen als 5. Kind ihrer Eltern geboren. Die frühkindliche Entwicklung gestaltete sich unauffällig. Es sind keine kompliziert verlaufenen Kinderkrankheiten erinnerlich. Die Patientin besuchte zunächst die Grundschule, anschließend wegen Lernschwierigkeiten die Sonderschule. Später arbeitete sie ohne Schulabschluss als ungelernte Verkäuferin. Im Alter von 18 Jahren heiratete die Patientin erstmalig und bekam im Jahre 1985 ihre erste Tochter, welche, inzwischen 26-jährig, selbst schon ein Kind hat.
Im Jahre 2000 schloss die Patientin ihre 2. Ehe, aus welcher keine Kinder hervorgegangen sind.
2002 erkrankte die Patientin im Alter von 36 Jahren erstmalig unter dem Bild einer paranoiden Schizophrenie mit imperativen Stimmen, welche sie zum Suizid aufforderten. Die Patientin wurde aufgrund eines Suizidversuchs mit Pulsaderschnitt erstmalig stationär behandelt. Zum zweiten stationären Aufenthalt kam es im Jahre 2006 mit einer Einstellung auf Risperidon 6 mg in der Universitätsklinik Köln. Im Jahre 2008 wurde die Patientin stationär in die LVR-Klinik Düren aufgrund einer erneuten Exazerbation der Psychose aufgenommen. Im Aufnahmebefund wird bereits von chronischen akustischen Halluzinationen, einer erheblichen Denkverlangsamung und zunehmenden Negativsymptomatik im Sinne eines sich entwickelnden Residuums berichtet. Die Einstellung erfolgte zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Non-Compliance in der Vorgeschichte sowie einer notwendigen Akutbehandlung mit Haloperidol und anschließend Benperidol auf ein Depot-Flupentixol, 1 ml 10% 14-tägig.
Ab diesem Zeitpunkt konnte die Patientin nicht mehr ihrer Tätigkeit als Verkäuferin nachgehen und lehnte die angebotene sozialpsychiatrische Intervention in einer Werkstätte für Behinderte ab.
Im Jahre 2011 wurde die Patientin erstmalig in unserem Haus stationär aufgenommen, nachdem sich ein Rezidiv unter konstanter Depotmedikation eingestellt hatte. Die Patientin zeigte zum Aufnahmezeitpunkt tardive Dyskinesien, aufgrund derer eine Umstellung auf Quetiapin, aufdosiert bis 800 mg, erfolgte. Unter dieser Medikation traten die akustischen Halluzinationen etwas in den Hintergrund, blieben jedoch stets vorhanden.
Im weiteren Verlauf der ambulanten Behandlung erfolgte eine Augmentation der Quetiapin-Medikation mit Haloperidol, da die Stimmen in Belastungssituationen deutlicher in den Vordergrund traten und bei Suizidaufforderung durch dieselben die Gefahr einer Handlungsleitung bestand. Weiterhin bestanden sowohl die Stimmen wie auch Gedankenbeeinflussungserlebnisse fort und es entwickelten sich eine fortschreitende Abulie, Denkverarmung und Antriebsstörung.
Unter diesem Bild erfolgte die erneute Aufnahme in unser Haus im Juli 2012. Aufgrund des chronisch produktiven Bildes und der bislang unzureichenden medikamentösen Wirksamkeit entschlossen wir uns trotz bereits deutlich bestehender Adipositas der Patientin nach Aufklärung, EKG- sowie EEG-Kontrolle unter regelmäßigen Blutbildkontrollen zu einer Eindosierung von Clozapin. Nach drei Wochen erreichten wir eine Tagesdosis von 400 mg Clozapin, worunter ein Spiegel von 595 ng/ml gemessen wurde. Da bei Rauchern von einem bis zu 40% niedrigeren Plasmaspiegel von Clozapin auszugehen ist als bei Nichtrauchern, lag der Erwartungswert bei einer Tagesdosis von 400 mg unter Berücksichtigung des Raucherstatus der Patientin mit rund 20 Zigaretten/Tag bei etwa 250 bis 300 ng/ml und zeigte sich somit um den Faktor 2 bis 2,5 über dem Erwartungswert [1]. Als Ursache hierfür diskutierten wir einen Cytochrom-2C19-Poor-Metabolizer-Status, da Clozapin zu relevanten 30% über dieses Cytochrom-P450-Isoenzym verstoffwechselt wird und ein Cytochrom-1A2-Poor-Metabolizer-Status bislang nicht beschrieben ist.
Psychopathologisch zeigte sich ein deutlicher Rückgang bis hin zum Sistieren der Stimmen, und auch die Gedankeneingebungsphänomene waren einer Wahnstimmung gewichen. Insgesamt lag jedoch weiterhin ein deutlich residuales Bild mit im Vordergrund stehenden Negativsymptomen vor.
Fünf Wochen nach Einstellung auf Clozapin entwickelte die Patientin eine erhebliche Diarrhö und zeigte drei Tage später ein schweres Krankheitsbild mit abdominellen Beschwerden (CRP 21,1 mg/dl; GOT-Anstieg auf 291 U/l, GPT 318 U/l, Lipase 74 U/l, Amylase 24 U/l). Eine Temperaturerhöhung trat nicht auf. In der Stuhlkultur konnte kein Erregernachweis geführt werden.
Aufgrund der Bettlägerigkeit der Patientin und daraus resultierender Rauchkarenz seit drei Tagen sowie der bestehenden Infektion halbierten wir die Clozapin-Dosis auf 200 mg täglich.
Zusätzlich wurde nach weiteren zwei Tagen Cotrimoxazol angesetzt. Bei einer bestehenden Clozapin-Therapie stellte dies die Kombination zweier blutbildschädigender Substanzen dar und machte engmaschige, im vorliegenden Fall bei steigenden Infektparametern tägliche, Blutbildkontrollen notwendig.
Weitere zwei Tage später, also nach insgesamt sieben Tagen Rauchkarenz, zeigte sich die Patientin deutlich somnolent bis soporös und musste in der Folge nach Blutentnahme zur Messung der Medikamentenspiegel in die Innere Abteilung eines benachbarten Krankenhauses verlegt werden.
Die Spiegelbestimmung von Clozapin ergab zu diesem Zeitpunkt einen toxischen Wert von 1935 ng/ml.
In den regelmäßig durchgeführten EKG-Kontrollen hatte sich im Vorfeld eine QTc-Zeit um 400 ms bei einer durchschnittlichen Frequenz von 100 bpm gezeigt. Ein EKG hatte 10 Tage nach Aufnahme eine QTc-Zeit von 421 ms ergeben, allerdings bei einer Frequenz von 71 bpm. Das drei Tage vor Verlegung durchgeführte EKG offenbarte bei einer Frequenz von 116 bpm eine QT-Dauer von 334 ms bzw. QTc-Zeit von 403 ms. Während der Phase der erheblichen Intoxikation wurde im Kreiskrankenhaus Mechernich eine EKG-Kontrolle durchgeführt, die eine Erhöhung der QTc-Zeit auf 450 ms bei einer bestehenden Sinustachykardie von 103 bpm zeigte; dies bedeutet eine mittelgradige Erhöhung der QTc-Zeit.
Der relativ geringe Effekt von Clozapin auf die QTc-Zeit ist bereits in der Übersichtsarbeit von Wenzel-Seifert et al. beschrieben [2] und wird im Mittel höchstens um die 10 ms in therapeutischen Spiegelbereichen angegeben, bei allerdings nur 77 diesbezüglich untersuchten Fällen. In der Literatur sind, nach dieser Arbeit, lediglich zwei Fälle von Torsade de pointes unter Clozapin bekannt, wobei in beiden Fällen eine Komedikation mit QTc-verlängernden Substanzen bestand [2].
Im vorliegenden Fall führen wir die Clozapin-Intoxikation zum einen auf eine Deinduktion durch Rauchkarenz der Patientin und zum anderen auf die Zytokinwirkung im Rahmen des bestehenden Infekts zurück. Die Maßnahme, die Clozapin-Dosis zu halbieren, was nach Berichten in der Literatur als ausreichend eingeschätzt wurde [3, 4], um eine Überdosierung und einen Wirkverlust zu vermeiden, war hier nicht ausreichend und offensichtlich nach drei Tagen Rauchkarenz auch zu spät.
Diskussion
Es ist gut belegt, dass Clozapin-Spiegel durch Rauchen (Benzpyrene) abfallen, da insbesondere das Hauptenzym des Clozapin-Abbaus, das Cytochrom-P450-(CYP-)Isoenzym CYP1A2, induziert wird [5] und unter Rauchkarenz die Spiegel wieder steigen (Deinduktion) [5–8]. Diese Deinduktion, welche zu einem erheblichen Anstieg des Clozapin-Plasmaspiegels führen kann, tritt mit einer leichten zeitlichen Verzögerung von wenigen Tagen ein und erreicht nach etwa einer Woche einen neuen Steady State [5]. Ebenso ist berichtet, dass bei Infektionen mit einem Anstieg der Clozapin-Spiegel zu rechnen ist [9–16]. Dies beruht wahrscheinlich auf einem inhibitorischen Effekt von Zytokinen oder anderen Infektionsmediatoren auf CYP-Enzyme, wie sie auch für andere Substanzen wie etwa Theophyllin (ebenfalls CYP1A2-Substrat) beschrieben sind [12]. Ein zusätzlicher inhibitorischer Effekt des Antibiotikums Cotrimoxazol, das die Wirkstoffe Sulfamethoxazol und Trimethoprim enthält, ist unwahrscheinlich. Diese beiden Wirkstoffe hemmen CYP2C8 und CYP2C9 [17], die nicht relevant am Metabolismus von Clozapin beteiligt sind [18]. Der berichtete Fall macht deutlich, dass es bei Patienten, die stabil auf Clozapin eingestellt sind, wichtig ist, den Blutspiegel von Clozapin zeitnah, das heißt innerhalb weniger Tage, zu überprüfen und gegebenenfalls die Dosis anzupassen, wenn die Patienten ihre Rauchgewohnheiten ändern und/oder eine Infektion auftritt. Hingewiesen werden soll noch auf den Umstand, dass eine erneute Plasmaspiegelbestimmung nach Dosisänderung erst nach fünf Halbwertszeiten, also im Falle von Clozapin nach etwa vier Tagen, wieder einen Plasmaspiegel im Steady-State ergibt.
Zusammenfassung
Im berichteten Fall addierten sich die beiden Effekte, Deinduktion bei Rauchstopp und Zytokin-Hemmung von CYP-Enzymen, die den Abbau von Clozapin katalysieren, sodass es zu einer schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkung (ausgeprägte Clozapin-Intoxikation mit bedrohlichen Folgen) kam.
Interessenkonflikte
Sara Bienentreu erhielt Honorare für Vortrags- und Beratertätigkeiten der Firmen Pfizer Pharma, Lilly, Janssen-Cilag, Wyeth Pharma und Lundbeck.
Christian Jost erhielt Vortragshonorare der Firmen Bristol-Meyers Squibb, BiogenIdec und Novartis Pharma.
Christoph Hiemke hat ohne persönliche Honorierung Vorträge auf Veranstaltungen gehalten, die von den Firmen AstraZeneca, Bristol-Meyers Squibb, Pfizer, Lilly oder Servier unterstützt wurden, und die Firma Servier beraten. Er ist Geschäftsführer der psiac GmbH, die ein Internet-basiertes Programm für Arzneimittewechselwirkungen entwickelt hat und über den Springer-Verlag vertrieben wird.
Gabriel Eckermann erhielt Vortragshonorare der Firmen AstraZeneca, Bristol Myers Squibb, GlaxoSmithKline, Hexal, Janssen-Cilag, Lilly, Lundbeck, Merz Pharmaceuticals, Novartis Pharma, Nycomed, ORION Pharma, Otsuka Pharma, Pfizer Pharma, Roche Diagnostics, SANDOZ Pharmaceuticals, SANOFI Aventis, Servier, Temmler Pharma, UCB und Wyeth Pharma.
Literatur
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18. Hiemke C, Baumann P, Bergemann N, Conca A, et al. AGNP consensus guidelines for therapeutic drug monitoring in psychiatry: update 2011. Pharmacopsychiatry 2011;44:195–235.
Dr. Sara Bienentreu, Dr. Christian Jost, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, MARIENBORN gGmbH, Luxemburger Straße 1, 53909 Zülpich, E-Mail: s.bienentreu@marienborn-zuelpich.de
Dr. Gabriel Eckermann, Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren, Kemnater Straße 16, 87600 Kaufbeuren
Prof. Dr. Christoph Hiemke, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz, Untere Zahlbacher Straße 8, 55131 Mainz
Severe clozapine intoxication in spite of dose reduction due to infection and smoking cessation
Here, we report about a 46 years old female inpatient whose chronic productive psychotic symptoms were treated with clozapine (400 mg/day). She was intoxicated with clozapine due to an infection with increased production of cytokines and after cessation of smoking which had lead to toxic plasma concentrations (1935 ng/ml) in spite of dose reduction to 200 mg/day.
Key words: Clozapine, intoxication, cytochrome P450, cytokines, deinduction, smoking cessation
Psychopharmakotherapie 2013; 20(03)