Welches Diuretikum bei Lithium-Therapie?


Julia Ortlieb, Monika Baier, Josefine Röder-Aigner, Regensburg, Bruno Müller-Oerlinghausen, Berlin, und Ekkehard Haen, Regensburg*

* Ein Beitrag des Arzneimittelinformationsdienstes der AGATE (Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen) unter Berücksichtigung von Diskussionsbeiträgen von Monika Baier, Julia Ortlieb, Dr.med. Josefine Röder-Aigner (Regensburg), Prof. Dr.med. Bruno Müller-Oerlinghausen (Berlin), Günter Winkler (Bad Tölz) und Dr.med. Monika Singer (Agatharied)

Korrespondenzautor:

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ekkehard Haen, Klinische Pharmakologie, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg, Universitätsstraße 84, 93053 Regensburg, E-Mail: ekkehard.haen@klinik. uni-regensburg.de

Fallbeschreibung

Bei einem Patienten mit rezidivierender psychotischer Depression soll Lithium zur Augmentation eingesetzt werden. Auf Grund eines Bluthochdrucks nimmt der Patient seit längerer Zeit sowohl ein Schleifendiuretikum als auch ein Kombinationspräparat aus einem Thiaziddiuretikum und einem ACE-Hemmer ein.

Eine solche Wirkstoffkombination birgt ein bekanntes Risiko für schwere Arzneimittelinteraktionen, die zu einem Anstieg der Lithium-Konzentration im Körper mit der Gefahr einer Lithium-Intoxikation führen können [2, 5]. Aus diesem Grund wurde das Schleifendiuretikum bereits abgesetzt und nur noch die Gabe des Kombinationspräparats fortgeführt. Seitdem sind jetzt drei Wochen vergangen, die Lithium-Konzentration beträgt 0,6 mmol/l.

Nun stellt sich die Frage, wenn diese Arzneimittelkombination nicht zu vermeiden ist, ob unter den vielen verfügbaren Diuretika solche vorhanden sind, die eher mit Lithium kombiniert werden können.

Lithium-Intoxikation

Da die Lithium-Konzentration leider häufig nicht mit der erforderlichen Regelmäßigkeit bestimmt wird, wird eine Lithium-Intoxikation oft erst bei dem Auftreten klinischer Symptome diagnostiziert. Im BKK Regensburg gilt für die Lithium-Konzentration im Blut ein therapeutischer Referenzbereich von 0,6 bis 1,2 mmol/l, in der Regel treten Lithium-Intoxikationen bei Konzentrationen oberhalb von 1,5 mmol/l auf [7]. Für die Langzeitprophylaxe werden im Allgemeinen Lithium-Konzentrationen zwischen 0,6 und 0,8 mmol/l empfohlen. Zu den Anzeichen einer Lithium-Intoxikation zählen zum einen gastrointestinale Beschwerden, wie (wässriger) Durchfall, Erbrechen und Dehydratation, zum anderen neurologische Beschwerden, wie Ataxie, grobschlägiger Tremor, Hypertonie, Sprachstörungen, Verwirrtheit und Schläfrigkeit [1, 4, 9]. Die Gefahr einer schweren Lithium-Intoxikation liegt darin, dass Schädigungen der Niere und des Kleinhirns unter Umständen nicht mehr reversibel sind.

Die therapeutische Breite von Lithium gilt als klein. Neben Situationen, in denen es zu einem Wasser- und Elektrolytverlust kommt (Infekte, Durchfälle, Erbrechen, Exsikkose) sollte vor allem der Verschreibung von Arzneimitteln besondere Beachtung geschenkt werden, die über eine Ausscheidung von Natriumionen (Diuretika, ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten [Sartane]) bzw. durch eine Reduktion der Nierendurchblutung (nichtsteroidale Antiphlogistika, NSAP) zu höheren Lithium-Konzentrationen führen (Arzneimittelinteraktionen).

Verfügbare Diuretika

Prinzipiell stehen Wirkstoffe aus vier Gruppen von Diuretika zur Verfügung:

Carboanhydrase-Hemmstoffe sind im proximalen Tubulus wirksam. Sie werden normalerweise nicht mehr als Diuretika verwendet. Der Vertreter Acetazolamid wird peroral oder parenteral zur Behandlung des Glaukoms eingesetzt und die Carboanhydrase-Hemmer Brinzolamid und Dorzolamid zur lokalen Behandlung direkt am Auge [6].

Die kaliumsparenden Diuretika unterteilen sich in die Aldosteronantagonisten und die zyklischen Amidine. Die Aldosteronantagonisten (Spironolacton, Eplerenon und Kaliumcanrenoat) greifen am spätdistalen Tubulus und am Sammelrohr an und hemmen dort die Expression aldosteroninduzierter Proteine wie den Na+-Kanal und die Na+/K+-ATPase. Die zyklischen Amidine, Amilorid und Triamteren, blockieren Na+-Kanäle im spätdistalen Tubulus und im Sammelrohr.

Hinsichtlich ihrer Wirkstärke werden kaliumsparende Diuretika als schwach wirksam eingeteilt. Sie beeinflussen etwa 1 bis 5% des Glomerulumfiltrats [12], indem sie die Ausscheidung von Natrium- und Chloridionen fördern. Kalium- und Magnesiumionen halten sie hingegen zurück [10].

Schleifendiuretika (z.B. Furosemid, Torasemid, Azosemid und Etacrynsäure) hemmen den Na+/K+/2Cl-Carrier an der Henle’schen Schleife des Nierentubulus. Dadurch wird die Natriumrückresorption verhindert, die Natriumausscheidung also gefördert. Außerdem wird der tubuloglomeruläre Rückkopplungsmechanismus unterbrochen, das heißt, es kommt nicht zu einem kompensatorischen Anstieg der Aktivität des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, die glomeruläre Filtrationsrate sinkt also nicht kompensatorisch. Somit steigt die Ausscheidung von Natrium- und Kaliumionen, und das Urinvolumen nimmt zu. Ebenso werden Calcium-, Magnesium- und Chloridionen vermehrt eliminiert [10]. Schleifendiuretika bringen etwa 20 bis 25% des Glomerulumfiltrats zur Ausscheidung [13].

Thiazide blockieren den Na+/Cl-Transporter im frühdistalen Tubulus und zeigen zusätzlich eine schwache Carboanhydrase-hemmende Wirkung. Unter dem Einfluss von Thiaziden werden etwa 5 bis 8% des Glomerulumfiltrats zur Ausscheidung gebracht [14]. Dies geschieht vor allem durch die Zunahme der Exkretion von Natrium- und Kaliumionen. Außerdem werden vermehrt Magnesium- und Chloridionen aus dem Körper entfernt. Charakteristisch für Thiazide ist die Anreicherung von Calciumionen im Körper [10].

Unter Berücksichtigung der Wirkstärke kommen für die Behandlung des vorstehenden Patienten in erster Linie Wirkstoffe aus den starkwirksamen Gruppen der Schleifendiuretika oder der Thiazide in Frage.

Wie wird Lithium ausgeschieden?

Lithium ist chemisch gesehen dem Natrium sehr nahe verwandt, das Molekül ist nur etwas kleiner. Lithium benutzt bei seiner Wanderung durch den Körper und bei seiner Ausscheidung dieselben Kanäle bzw. Transportmechanismen wie Natrium. So wird es ebenso wie Natrium in den Glomeruli frei filtriert. Etwa 80% des filtrierten Lithiums werden im proximalen Tubulus, ein geringer Anteil im distalen Nephron rückresorbiert. Lithium benutzt den epithelialen Natriumkanal (ENaC), welcher in der apikalen Membran lokalisiert ist. Die Durchlässigkeit des ENaC ist für Lithium 1,5- bis 2-mal größer als für Natrium. Natrium wird über die Na+/K+-ATPase wieder aus der Zelle herausgepumpt, wohingegen Lithium kein Substrat der Na+/K+-ATPase ist und so in der Zelle, und zwar insbesondere in den Zellen des Sammelrohrs, angereichert wird [7]. Über die Hemmung des Enzyms GSK3β (Glykogensynthetase-Kinase 3β) reduziert Lithium außerdem die Wasserrückresorption in den Sammelrohren [7] mit der Folge einer unter Umständen ausgeprägten Polyurie.

Da die Therapie mit Diuretika zu Natriumverlusten führt, steigt kompensatorisch die Natriumresorption im proximalen Tubulus, was auch eine erhöhte Lithiumresorption im proximalen Tubulus zur Folge hat; wegen des fehlenden Lithiumtransports in Richtung Lumen wird Lithium im Blut und in der Niere angereichert. Über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen stellt sich ein neues Gleichgewicht der Natrium- und Wasserausscheidung ein, wobei die Natrium- und Wasserrückresorption kompensatorisch stimuliert ist. Mit diesem Mechanismus wird erklärt, warum unter allen Situationen, bei denen es zu einem Natriumverlust des Körpers kommt, Lithiumionen im Körper zurückgehalten werden und die Lithium-Konzentration im Blut steigt.

Schleifendiuretika und Lithium

Für die Behandlung mit Schleifendiuretika spricht, dass es Publikationen gibt, die ein Absinken der Lithium-Konzentration im Blut unter Anwendung von Schleifendiuretika beschreiben. Dies geschieht vermutlich über die Hemmung der Natriumrückresorption und somit passiv auch der Lithium-Resorption im dicken aufsteigenden Ast der Henle-Schleife, indem das positive elektrische Potenzial vermindert wird, welches den passiven Kationentransport in das Interstitium abschwächt [11].

Es wird aber auch berichtet, dass unter der Gabe von Schleifendiuretika die Lithium-Konzentrationen je nach Patient sowohl sinken als auch steigen können, eine sichere Voraussage also nicht möglich ist [7].

Eine große kanadische Fall-Kontroll-Studie mit 10065 älteren Patienten, die über einen längeren Zeitraum Lithium einnahmen, zeigte aber innerhalb von 28 Tagen nach Beginn der Therapie mit Schleifendiuretika oder mit ACE-Hemmern ein massiv erhöhtes Risiko einer Lithium-Intoxikation. Ein vergleichbarer Effekt wurde unter Thiaziddiuretika nicht beobachtet [8].

Thiazide und Lithium

Eine Kasuistik beschreibt eine 62-jährige Frau, die über mehrere Jahre hinweg Lithium und Hydrochlorothiazid in aufeinander angepasster Dosierung ohne Intoxikationsreaktionen vertragen hatte. Erst durch die zusätzliche Behandlung mit dem ACE-Hemmer Lisinopril entwickelte sich innerhalb von sechs Wochen eine Lithium-Intoxikation [5].

Fazit

Die Komedikation von Lithium mit Diuretika ist keine absolute Kontraindikation. Die Frage, welches Diuretikum als Komedikation zu einer Lithium-Therapie am besten geeignet ist, ist aber nicht ganz einfach zu beantworten. Die Literatur erweckt den Eindruck, dass Thiaziddiuretika am besten geeignet sind. Thiazide werden sogar gelegentlich zur Therapie einer exzessiven Lithium-induzierten Polyurie (Diabetes insipidus renalis) eingesetzt. Jedoch kann auch unter Thiaziden ein Anstieg der Lithium-Konzentration und damit eine Lithium-Intoxikation nicht ausgeschlossen werden. Auf jeden Fall lässt die Zugabe eines ACE-Hemmers bzw. eines Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten (Sartans) das Risiko für eine Lithium-Intoxikation erheblich steigen. Sollte die Komedikation von Lithium mit einem Diuretikum unvermeidbar sein, muss die Lithium-Konzentration engmaschig kontrolliert und die Dosis gegebenenfalls angepasst werden. Mit dem Anstieg der Lithium-Konzentration muss über einen Zeitraum von mindestens einem bis zwei Monaten gerechnet werden. Es findet sich auch die Empfehlung, die Lithium-Dosis mit dem Beginn der Diuretikabehandlung gleich um 40% zu senken. Aber auch in diesem Fall, sollte die Therapieumstellung zur Sicherheit unter Kontrollen der Lithium-Konzentration erfolgen [5].

Hierbei sind die gültigen Empfehlungen der Fachinformationen zu berücksichtigen und auszudehnen, unabhängig davon, ob Lithium zusätzlich zu einer bestehenden Diuretika-Therapie verordnet wird oder ein Diuretikum zu einer bestehenden Lithium-Therapie: „Die Bestimmung der Lithium-Konzentration sollte in den ersten vier (bei Diuretika-Komedikation empfehlen wir acht) Wochen wöchentlich vorgenommen werden, danach im ersten halben Jahr einmal monatlich und später in vierteljährlichem Abstand“ [3]. Der Patient muss darüber informiert werden, dass bei jeder Änderung der Diuretika-Dosis, bei jedem Präparatewechsel oder bei Verordnung zusätzlicher Medikamente seine Lithium-Konzentration zeitnah überprüft werden sollte.

Literatur

1. Berghöfer A, Grof P, Müller-Oerlinghausen B. Recommendations for the safe use of lithium. In: Bauer M, Grof P, Müller-Oerlinghausen B (Hrsg.). Lithium in Neuropsychiatry. The Comprehensive Guide. Informa Healthcare UK Ltd. 2006:443–65.

2. Fachinformation Hypnorex® retard, Stand Juli 2010.

3. Fachinformation Quilonum®, Stand Oktober 2010.

4. Göthert M, Bönisch E, Schlicker E, Maier W. Psychopharmaka – Pharmakotherapie psychischer Erkrankungen. In: Aktories K, Förstermann U, Hofmann F, Starke K. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie (begründet von Forth W, Henschler D, Rummel W). 9. Auflage. München: Urban & Fischer, 2005:330–2.

5. Handler J. Lithium and antihypertensive medication: A potentially dangerous interaction. J Clin Hypertens 2009;11:738–42.

6. Hirneiß C. Glaukom – Druck und Durchblutung in Balance bringen. Pharm Ztg 2007, zugänglich über PZonline www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=2885 (Zugriff am 22.10.2012).

7. Ibbeken C, Becker JU, Baumgärtel MW. Nephrologische Nebenwirkungen einer Langzeittherapie mit Lithium. Dtsch Med Wochenschr 2012;137:143–8.

8. Juurlink DN, Mamdani MM, Kopp A, Rochon PA, et al. Drug-induced lithium toxicity in the elderly: A population-based study. J Am Geriatr Soc 2004;52:794–8.

9. Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer HK, Ruth P, et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen – Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, 2008:184 und 1079.

10. Mutschler E, a.a.O., Seite 699.

11. Stokke ES, Østensen J, Hartmann A, Kill F. Loop diuretics reduce lithium reabsorption without affecting bicarbonate and phosphate reabsorption. Acta Physiol Scan 1990:140:111–8. doi: 10.1111/j.1748–1716. 1990.tb08981.

12. Turnheim K. Diuretika. In: Aktories K, Förstermann U, Hofmann F, Starke K. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie (begründet von Forth W, Henschler D, Rummel W). 9. Auflage. München: Urban & Fischer, 2005:517.

13. Turnheim K. a.a.O., Seite 513.

14. Turnheim K. a.a.O. Seite 516.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(06)