Dimethylfumarat (BG-12)

Orale Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose


Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Oral verabreichtes Dimethylfumarat reduzierte bei Patienten mit schubförmiger MS die Schubrate, das Ausmaß der Behinderungsprogression und die Zahl der Läsionen im Kernspintomogramm (MRT). Dies ergaben zwei Phase-III-Studien, die Ende September 2012 publiziert und deren Daten bei einem Satellitensymposium von Biogen Idec während des DGN-Kongresses 2012 in Hamburg vorgestellt wurden [1].

Dimethylfumarat (BG-12) ist ein oral applizierbares Fumarsäure-Derivat in magensaftresistenter Zubereitung. BG-12 und sein wichtigster Metabolit Monomethylfumarat aktivieren den Nrf2(Nuclear factor E2-related)-Transkriptionsweg. Dieser ist für oxidative Stressreaktionen und die Immunhomöostase wichtig. Die Aktivierung des Nrf2-Stoffwechselwegs schützt Oligodendrozyten und Neuronen vor entzündlichen und metabolischen Schäden. Zusätzlich kann Dimethylfumarat die Entzündung verringern oder beseitigen, indem es die Expression von Zytokinen und Adhäsionsmolekülen hemmt.

In zwei Phase-III-Studien wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von BG-12 bei Patienten mit schubförmiger („relapsing-remitting“) multipler Sklerose untersucht.

DEFINE-Studie

In der doppelblind durchgeführten Phase-III-Studie DEFINE (Determination of the efficacy and safety of oral fumarate in relapsing-remitting MS) erhielten 1234 Patienten mit schubförmiger MS randomisiert

  • BG-12 zweimal täglich 240 mg (n=410),
  • BG-12 dreimal täglich 240 mg (n=416) oder
  • Plazebo (n=408).

Die Patienten hatten in den vorangegangenen 12 Monaten im Mittel 1,3 Schübe gehabt. Etwa 40% der Patienten hatten schon einmal eine MS-spezifische Pharmakotherapie (meist ein Interferon) erhalten.

Primärer Endpunkt war der Anteil der Patienten mit erneutem Schub innerhalb von zwei Jahren gemäß Schätzung aus der Kaplan-Meier-Analyse. Zu den weiteren Endpunkten gehörten die jährliche Schubrate, die Zeit bis zur bestätigten Progression der Behinderung und MRT-Befunde.

In den beiden BG-12-Gruppen kam es mit 27 bzw. 26% bei signifikant weniger Patienten innerhalb von zwei Jahren zu einem Schub als in der Plazebo-Gruppe mit 46% (Abb. 1). Das Hazard-Ratio (95%-Konfidenzintervall) betrug

  • bei zweimal täglicher Gabe (480 mg) 0,51 (0,40–0,66); p<0,001,
  • bei dreimal täglicher Gabe (720 mg) 0,50 (0,39–0,65); p<0,001.

Abb. 1. Primärer Endpunkt der DEFINE-Studie: Die Schubrate wurde durch BG-12 im Vergleich zu Plazebo signifikant verringert [nach 2]

BG-12 reduzierte somit das Schubrisiko im Vergleich zu Plazebo um 49% bzw. um 50%. In beiden Verum-Gruppen wurde die Zeit bis zum ersten Schub mit 87 bzw. 91 Wochen im Vergleich zu Plazebo (38 Wochen) signifikant verlängert. Die jährliche Schubrate betrug unter zweimal täglich BG-12 0,17, unter dreimal täglich BG-12 0,19 und unter Plazebo 0,36, wurde also durch die BG-12-Behandlung um 53% bzw. 48% verringert (p<0,001).

Eine Progression der Behinderung erfuhren in der Plazebo-Gruppe 27% der Patienten. Durch BG-12 wurde das Risiko der Behinderungsprogression um 38% (2-mal täglich; p=0,005) bzw. um 34% (3-mal täglich; p=0,01) gesenkt.

CONFIRM-Studie

In der Phase-III-Studie CONFIRM (Comparator and an oral fumarate in relapsing-remitting multiple sclerosis) erhielten 1417 Patienten mit schubförmiger MS randomisiert

  • BG-12 zweimal täglich 240 mg (n=359),
  • BG-12 dreimal täglich 240 mg (n=345),
  • Glatirameracetat 20 mg/Tag s.c. (n=350; verblindet für das Studienpersonal, nicht für die Patienten) oder
  • Plazebo (n=363).

Die Patienten hatten in den vorangegangenen 12 Monaten im Mittel 1,4 Schübe gehabt. Etwa 30% der Patienten waren vorbehandelt.

Primärer Endpunkt war die jährliche Schubrate. Der Anteil der Patienten mit erneutem Schub innerhalb von zwei Jahren wurde als sekundärer Endpunkt erfasst; auch die weiteren Endpunkte waren ähnlich wie in der DEFINE-Studie.

Die jährliche Schubrate betrug 0,22 unter zweimal täglich und 0,20 unter dreimal täglich BG-12 sowie 0,40 unter Plazebo, was einer Verringerung durch BG-12 um 44 bzw. 51% entsprach (p<0,001). Glatirameracetat senkte die jährliche Schubrate um 29% im Vergleich zu Plazebo (p=0,01). In einer Post-hoc-Analyse zeigte sich auch ein signifikanter Vorteil von dreimal täglich 240 mg BG-12 im Vergleich mit Glatirameracetat (p=0,02).

Die Gabe von 480 mg/Tag BG-12 reduzierte das Schubrisiko um 34% (p=0,002), mit 720 mg/Tag sank es um 45% (p<0,001) und mit Glatirameracetat um 29% (p=0,01) im Vergleich zu Plazebo.

Das Risiko der Behinderungsprogression wurde in allen drei Verum-Gruppen im Vergleich zu Plazebo (Progression bei 17% der Patienten) nicht signifikant verringert.

Gute Verträglichkeit

Die Substanz war gut verträglich. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse in beiden Studien waren gastrointestinale Beschwerden (ca. 40%), Gesichtsrötung und Flush (ca. 35%) sowie eine leichte Lymphopenie.

Fazit

Die Befunde der beiden Studien weisen darauf hin, dass BG-12 eine geeignete orale Initialtherapie für Patienten mit schubförmig remittierender MS und eine Alternative zu den derzeit verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten sein könnte.

Quellen

1. Prof.Dr. Bernhard Hemmer, München, Satellitensymposium „Ziele der MS-Therapie: Illusion oder Realität?“, veranstaltet von Biogen Idec beim DGN-Kongress 2012, Hamburg, 27. September 2012.

2. Gold R, et al. Placebo-controlled phase 3 study of oral BG-12 for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2012;367:1098–107.

3. Fox RJ, et al. Placebo-controlled phase 3 study of oral BG-12 or glatiramer in multiple sclerosis. N Engl J Med 2012;367:1087–97.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(06)