Generalisierte Angststörung

Quetiapin XR verzögert das Wiederauftreten von Angstsymptomen


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurde die prophylaktische Wirksamkeit und die Verträglichkeit von retardiertem Quetiapinhemifumarat (Quetiapin XR) bei Patienten mit generalisierter Angststörung (GAS) untersucht. Die Responder einer offenen Akutbehandlung mit Quetiapin XR wurden randomisiert einer doppelblinden Erhaltungstherapie mit Quetiapin XR (50 bis 300 mg/Tag) oder Plazebo über maximal 52 Wochen zugeteilt. Primärer Messparameter war die Zeit bis zu einem Rückfall. Das Risiko des Wiederauftretens von Angstsymptomen war unter Quetiapin XR im Vergleich zu Plazebo um 81% verringert (p<0,001). Signifikante Vorteile von Quetiapin XR zeigten sich auch im Gesamtscore der Hamilton-Angstskala (HAM-A) und den Scores der psychischen und physischen Angstfaktoren der HAM-A (jeweils p<0,001).

Die generalisierte Angststörung (GAS) ist eine Störung, die chronisch verläuft und schwer zu behandeln ist. Bei der pharmakologischen Behandlung werden vorwiegend Antidepressiva eingesetzt, beispielsweise selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Die Responseraten waren in verschiedenen Studien mit 40 bis 70% der behandelten Patienten eher niedrig und nur etwa ein Drittel der Patienten erreichte Remission. Viele der Patienten mit anfänglicher Response erlitten einen Rückfall. Es besteht also weiterhin ein Bedarf an wirksamen und verträglichen anxiolytischen Therapien.

Für die anxiolytische Wirksamkeit von Quetiapin (Seroquel®) als Mono- und als Zusatztherapie gibt es Hinweise aus mehreren Studien. Die Wirksamkeit dieser Substanz wird auf ihre Interaktion mit mehreren Neurotransmittersystemen zurückgeführt. Quetiapin und sein aktiver Metabolit N-Desalkylquetiapin sind Antagonisten der zerebralen serotonergen 5-HT2- und dopaminergen D1- und D2-Rezeptoren. Sie haben zudem eine hohe Affinität für histaminerge und für alpha1-adrenerge Rezeptoren, und N-Desalkylquetiapin ist ein potenter Hemmer des Noradrenalin-Transporters.

Das Ziel der Studie von Katzman et al. war es, die Wirksamkeit von Quetiapin XR in der Verhinderung/Verzögerung des Wiederauftretens von Angstsymptomen bei Patienten mit einer GAS zu untersuchen [1]. Die Patienten wurden von März 2006 bis März 2007 von 128 Zentren in Kanada, den USA, Europa, Asien und Australien eingeschlossen.

Methoden

Studiendesign und Behandlung. Die Studie bestand aus vier Behandlungsperioden: i) Einschluss- und Auswaschphase, ii) Startperiode mit offener Behandlung über 4 bis 8 Wochen), iii) Stabilisierungsperiode mit offener Behandlung über 12 Wochen und iv) randomisierte Periode mit doppelblinder Behandlung (bis zu 52 Wochen oder bis zum Auftreten von Angstsymptomen). Der Sponsor hatte die Möglichkeit, die Studie nach Auftreten von 46 späten Angstereignissen (14 Tage nach Randomisierung) zu beenden. In der Startperiode wurde die Behandlung mit einer Dosis von 50 mg/Tag Quetiapin XR (Seroquel Prolong®) begonnen, die nach Verträglichkeit innerhalb von fünf Tagen auf 300 mg/Tag gesteigert werden konnte. Die erlaubten Dosen von Quetiapin XR waren 50, 150 und 300 mg/Tag.

Patienten. Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren mit der Diagnose einer GAS nach DSM-IV-TR. Weitere Einschlusskriterien waren: HAM-A-Gesamtscore von 20, Scores der HAM-A-Items 1 und 2 („ängstliche Stimmung“ und „innere Anspannung“) 2 („mäßig“ bis „sehr stark“) und Score des klinischen Gesamteindrucks, Teil Schweregrad (CGI-S) 4 („mäßig krank“ bis „extrem schwer krank“).

Ausschlusskriterien waren: 17 Punkte auf der Montgomery-Åsberg-Depressions-Skala (MADRS) sowie andere Achse-I-Störungen innerhalb der letzten sechs Monate vor Einschluss. Für den Übertritt von der Stabilisierungsperiode in die randomisierte Periode waren ein HAM-A-Gesamtscore von 12, ein CGI-S-Score von 3 und ein MADRS-Score von 16 erforderlich.

Wirksamkeitsanalysen. Primärer Wirksamkeitsparameter war die Zeit von der Randomisierung bis zum Auftreten eines Angstereignisses. Dieses Ereignis lag vor, wenn eine der folgenden Bedingungen festgestellt wurde: HAM-A-Score von 15, CGI-Score von 5 („deutlich krank“), stationäre Aufnahme wegen Angstsymptomen und Beginn einer zusätzlichen anxiolytischen Behandlung.

Sekundäre Wirksamkeitsparameter waren unter anderen: HAM-A-Gesamtscore, HAM-A-Subscores für psychische und physische Angst und der CGI-S-Score.

Verträglichkeitsanalysen. Folgende Parameter wurden unter anderen ausgewertet: Anzahl und Schweregrad unerwünschter Ereignisse, Suizidalität, EKG und andere Vitalparameter, Körpergewicht und extrapyramidal-motorische Störungen (EPMS).

Ergebnisse

Patienten. Insgesamt wurden 1248 Patienten in die Phase mit offener Behandlung eingeschlossen. Von ihnen erhielten 432 Patienten in der Doppelblindphase Quetiapin (n=216) oder Plazebo (n=216). Als die festgelegte Quote der späten Angstereignisse erreicht war und die Studie beendet wurde, befanden sich 259 Patienten in der randomisierten Phase (162 in der Quetiapin-Gruppe und 97 in der Plazebo-Gruppe) und 200 Patienten noch in der offenen Behandlungsphase.

Der HAM-A-Gesamtscore aller Patienten bei Beginn der offenen Behandlungsphase war 24,9 (±4,8) Punkte. Die randomisierte Phase begannen die Quetiapin-Patienten im Mittel mit 5,9 (±3,3) und die Plazebo-Patienten mit 6,2 (±3,3) Scorepunkten. Die mittlere Quetiapin-Dosis in der randomisierten Phase betrug 162,8±88,3 mg/Tag.

Wirksamkeit. Quetiapin verlängerte die Zeit bis zu einem Rückfall gegenüber Plazebo signifikant (Abb. 1). Das Hazard-Ratio für ein Angstereignis betrug im Vergleich mit Plazebo- bei Quetiapin-Behandlung 0,19 (95%-Konfidenzintervall 0,12–0,32 (p<0,001). Bei Beendigung der Studie hatten 38,9% der Plazebo- und 10,2% der Quetiapin-Patienten ein Angstereignis.

Abb.1. Kaplan-Meier-Überlebenskurven für die Zeit bis zum Auftreten eines Angstereignisses (p<0,001) [1]

Darüber hinaus war in der Quetiapin-Gruppe im Vergleich zu Plazebo die Zahl der Abbrüche aus jeglichem Grund signifikant geringer; in der Quetiapin-Gruppe brachen 25% der Patienten die Behandlung ab, in der Plazebo-Gruppe 55,1% (p<0,001).

Bei allen sekundären Wirksamkeitsparametern war Quetiapin signifikant wirksamer als Plazebo, so in der Verminderung des HAM-A-Gesamtscores vom Einschluss bis Studienende (p<0,001), der Verringerung der HAM-A-Subscores für physische und psychische Angst (jeweils p<0,001) und der Verbesserung des CGI-S-Scores (p<0,001).

Verträglichkeit. In der offenen Behandlungsphase berichteten 86,9% der Patienten unerwünschte Ereignisse, am häufigsten Mundtrockenheit (30,5%), Somnolenz (29,7%), Sedierung (26,6%), Schwindel (13,9%), Müdigkeit (13,6%) und Verstopfung (10,6%).

Bei 15 Patienten (1,2%) traten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf, die aber alle nicht im Zusammenhang mit der Studie gesehen wurden. Bei 19,4% der Patienten führten unerwünschte Ereignisse zum Studienabbruch. Die häufigsten Ursachen waren Sedierung (6,6%), Somnolenz (3,4%), Müdigkeit (1,6%) und Schwindel (1,4%). Bei 7,4% der Patienten entwickelten sich EPMS, von denen die häufigsten Ruhelosigkeit (2,6%), Akathisie (2,4%) und Tremor (1,9%) waren. In der randomisierten Periode waren die unerwünschten Ereignisse unter Quetiapin (51,9%) und Plazebo (51,4%) etwa gleich häufig. Eine Gewichtszunahme von 7% wurde bei 8,8% der mit Quetiapin behandelten Patienten gefunden. Im Mittel betrug die Gewichtszunahme 1,4 kg. Vitalparameter, EKG und Laborwerte waren unauffällig. Nach Ansicht der Autoren war Quetiapin XR wirksam in der Verhütung/Verzögerung von Rückfällen und zudem gut verträglich.

Kommentar

Eine Limitierung dieser Studie ist das Fehlen eines dritten Arms mit einer aktiven Vergleichssubstanz, so dass es nicht möglich ist, die hier ermittelten zweifellos positiven Wirksamkeits- und Verträglichkeitsdaten im Vergleich mit zugelassenen Substanzen einzuordnen. In den aktuellen Leitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) von 2008 wird Quetiapin (50–300 mg/Tag) ebenso wie einige SSRI und SSNRI sowie Pregabalin mit dem Empfehlungsgrad 1 als Therapieoption bei GAS genannt, wenngleich die Datenbasis für Quetiapin dort noch als vorläufig bezeichnet wird [2]. Quetiapin ist bislang nicht zur Behandlung der generalisierten Angststörung zugelassen, so dass es nur dann eine Behandlungsoption sein dürfte, wenn die Standardsubstanzen nicht wirken oder nicht vertragen werden.

Quellen

1. Katzman MA, et al. Extended release quetiapine fumarate (quetiapin XR) monotherapy as maintenance treatment for generalized anxiety disorder: a long-term, randomised, placebo-controlled trial. Int Clin Psychopharmacol 2011;26:11–24.

2. Bandelow B, et al. World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) Guidelines for the Pharmacological Treatment of Anxiety, Obsessive-Compulsive and Post-Traumatic Stress Disorders First Revision. World J Biol Psychiat 2008;9:248–312.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(04)