Arzneiverordnungen im Fokus


Prof. Dr. Walter E. Müller, Frankfurt/M.

Die Verordnung von Arzneimitteln in Klinik bzw. niedergelassener Praxis orientiert sich nicht nur an rationalen Vorgaben (Leitlinien, Lehrbuchartikeln, Therapiehandbüchern), sondern auch stark an der individuellen Einschätzung des verordnenden Arztes. Dies kann positiv und nützlich im Sinne einer Therapieoptimierung sein, kann aber auch zu Problemen, gegebenenfalls sogar Behandlungsfehlern führen. Daher sollte Verordnungsverhalten in praxisrelevanten Settings überprüft werden. Dieser wichtige Bereich wird in drei Schwerpunktartikeln im vorliegenden Heft der PPT bearbeitet.

In der Arbeit von Sander und Laux (Wasserburg) wurde das Verordnungsmuster für Psychopharmaka an knapp 50000 Patienten im Rahmen stationärer psychiatrischer Versorgung untersucht, wobei die Daten im Rahmen des AGATE Netzwerkes erhoben wurden, in das viele, meist bayerische Versorgungskliniken eingebunden sind. Die Daten beziehen sich auf sechs Stichtagserhebungen in den Jahren 2008 bis 2010. Während sich die Diagnoseverteilungen in den drei Jahren nicht wesentlich veränderten, gab es bei den verordneten Medikamenten gewisse, allerdings keine grundlegenden Veränderungen. Erfreulich ist, dass die am meisten verordneten Antidepressiva Citalopram, Escitalopram, Mirtazapin und Venlafaxin sind, alles neuere, nebenwirkungsärmere und besser verträgliche Substanzen. Auch bei den Antipsychotika dominieren inzwischen atypische Substanzen wie Olanzapin, Quetiapin und Risperidon, während Haloperidol als Vertreter der alten typischen Antipsychotika über die drei Jahre hinweg deutlich weniger verordnet wurde. Erfreulich ist auch, dass die Dosen stets in dem zugelassenen Rahmen blieben, so dass als Gesamteindruck dieser Erfassung das Signal einer sehr rationalen und auch empfehlungskonformen Psychopharmakotherapie in den teilnehmenden Kliniken entsteht.

Die Arbeit von Laux et al. (Wasserburg) hat einen anderen Ansatz. Hier wurden insgesamt 30 an Ärzte gerichtete Fragebögen zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Alzheimer-Demenz in den jeweiligen Einrichtungen ausgewertet. Auch hier waren es im Wesentlichen Versorgungskliniken in Bayern. Die Befunde decken sich mit anderen und zeigen, dass nur ein Teil der dementen Patienten medikamentös gehandelt wird, dass bei den leichter Dementen eine Besserung von Kognition und Alltagsfähigkeit im Vordergrund steht, bei den schwerer Erkrankten Verhaltensauffälligkeiten. Die Einschätzung deckt sich auch hier mit den Empfehlungen: Die Cholinesterasehemmer liegen an erster Stelle, besonders für leichte bis mittelschwere Verläufe, gefolgt von Memantin für leichte bis zu schweren Fällen, und an dritter Stelle Ginkgo-Präparaten mit deutlich geringerer positiver Einschätzung für schwere Verläufe.

Lange konnten Ärzte ihren Patienten ein bestimmtes Fertigarzneimittel verordnen, das vom Aussehen der Packung, Aussehen der Tabletten und deren Zusammensetzung auch im Hinblick auf die Hilfsmittel für den Verlauf der Einnahme identisch war und damit für Arzt und Patienten einen stabilisierenden Faktor darstellte. Durch die vor einigen Jahren geschaffenen Rabattverträge wurde dies grundlegend verändert. Während die Befürworter dieses Systems immer wieder darauf pochen, dass dies keine Probleme bereitet, gibt es doch vermehrt Hinweise aus der Praxis, dass dies eben nicht so ist und dass gerade im Bereich der Compliance und Adhärenz stetige Präparatewechsel Probleme bereiten können.

Meid (Mannheim) ist in einem Simulationsansatz dieser Frage nachgegangen und hat unter Einbeziehung einer Reihe von aus der Praxis kommenden Annahmen diese Situation für zwei kritische Indikationen (Depression, Epilepsie) simuliert. Als wesentliches Ergebnis wäre aufzuführen, dass der Arzneimittelaustausch, wie er im Rahmen der Rabattverträge stattfindet, in beiden Indikationen mehrheitlich nicht äquivalent war.

In einem angeschließenden Kommentar weist Vauth (Bremen) als Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen darauf hin, dass die Simulation auf einer Reihe von Annahmen beruht, über die man diskutieren müsste. Als Hauptargument pro Rabattverträge führt er die Einsparungen der Arzneimittelkosten für die gesetzlichen Krankenkassen auf, was Meid dahingehend diskutiert, dass ökonomischer Zwang nicht über Arzneimittelsicherheit und Patientensicherheit dominieren dürfte. Vauth konzediert, dass die von Meid simulierte Situation durchaus sein könnte, er fordert allerdings Studien, die dies belegen. Hier wäre kritisch anzumerken, dass bei der Annnahme von möglichen Problemen mit der Arzneimittelsicherheit die Beweislast, dass es eben nicht so ist, bei den Einführern der Rabattverträge gelegen hätte und dies im Vorfeld hätte geklärt werden müssen. Die Diskussion bleibt also offen und spannend.

Unter den Literaturberichten imponiert insbesondere das Referat über eine Metaanalyse von Leucht et al., in der noch einmal die extrem gute Effektstärke der antipsychotischen Rezidivprophylaxe der Schizophrenie bestätigt wurde.

Psychopharmakotherapie 2012; 19(04)