Thomas Messer, Pfaffenhofen, Jörg Schnitker, Bielefeld, und Michael Friede, Hamburg
Depression ist eine schwere Erkrankung, die weitreichende Konsequenzen für den Erkrankten hat. Sie führt zu vermehrtem Bedarf an medizinischen Hilfsleistungen, verminderter Lebensqualität und erhöhtem Risiko für Invalidität und Suizid. Gleichzeitig ist Depression eine häufige Krankheit. Eine epidemiologische Studie von Alonso et al., die in mehreren westeuropäischen Ländern durchgeführt wurde, fand eine Lebenszeit-Prävalenz der majoren Depression von 12,8% und eine 12-Monats-Prävalenz von 3,9% [1]. Ähnliche Werte wurden aus den USA berichtet, mit der zusätzlichen Beobachtung, dass nur 21,7% der Fälle der 12-Monats-Prävalenz adäquat behandelt wurden [13].
Häufige Ursache unzureichender Behandlung von Depressionen sind Therapieabbrüche aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Dies war und ist insbesondere bei den älteren trizyklischen Antidepressiva der Fall. Mit der Einführung der sehr viel besser verträglichen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wurde bei der Compliance ein großer Fortschritt erzielt [7].
Alle SSRI wirken, indem sie an den Serotonin-Transporter binden und so die Serotonin-Wiederaufnahme in das präsynaptische Neuron hemmen. Unterschiede in Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil ergeben sich hauptsächlich aus der unterschiedlichen Selektivität und unterschiedlichen Bindungseigenschaften an den Serotoninrezeptor. Heute sind SSRI die erste Wahl bei der Behandlung von Depressionen und haben die älteren trizyklischen Antidepressiva weitgehend abgelöst [18]. Allerdings haben auch die SSRI einige für sie typische Nebenwirkungen.
Potenziell bietet die Chiralität der Wirkstoffmoleküle eine Möglichkeit, Wirksamkeit und Verträglichkeit der SSRI weiter zu verbessern [10]. Citalopram, das seit langem erfolgreich zur Therapie von Depressionen eingesetzt wird, ist eine racemische Mischung von S- und R-Citalopram. Für die Wirksamkeit ist dabei nur das S-Enantiomer verantwortlich, während das R-Enantiomer nicht zur therapeutischen Wirkung beiträgt, sondern sogar geringfügig die Wirksamkeit des S-Enantiomers mindert [11, 24]. Escitalopram ist das S-Enantiomer von Citalopram und ist dadurch erheblich selektiver in seiner Wirkung und kann mit weit geringeren Dosierungen eingesetzt werden. Mit 10 bis 20 mg/Tag Escitalopram wurde eine höhere Wirksamkeit und schnellere Symptomverbesserung erzielt als mit 20 bis 40 mg/Tag Citalopram [6, 15].
Eine andere Möglichkeit, die Therapie von Depressionen verträglicher zu machen, ist die Entwicklung alternativer Wirkstoffe mit neuen Wirkungsmechanismen. Als eine solche Substanz wurde Agomelatin auf den Markt gebracht. Störungen zirkadianer Rhythmen unter dem Einfluss von Melatonin, insbesondere auch Schlafstörungen, sind mit der Entstehung von Depressionen in Verbindung gebracht worden [17]. Agomelatin ist ein synthetisches Melatonin-Analogon. Es wirkt als Melatoninrezeptor-Agonist, der an die Melatoninrezeptoren MT1 und MT2 bindet und diese stimuliert [9]. Darüber hinaus ist Agomelatin ein Serotoninrezeptor-Antagonist. Es bindet an 5-HT2C-Rezeptoren, die ebenfalls als mögliche Angriffspunkte für die antidepressive Therapie gelten, und inhibiert diese [4, 8, 19].
Da es nur wenige Head-to-Head-Studien zum Vergleich von Agomelatin mit SSRI gibt und keine zum Vergleich von Agomelatin mit Escitalopram, wird die vorliegende Metaanalyse als indirekter Vergleich durchgeführt. Beide Substanzen sind in randomisierten Plazebo-kontrollierten Studien untersucht worden, so dass das Plazebo als gemeinsamer Komparator für einen indirekten Vergleich genutzt werden kann.
Randomisierte Plazebo-kontrollierte Head-to-Head-Studien, die Therapien direkt miteinander vergleichen, gelten als Goldstandard für den Wirksamkeitsvergleich. Solche Studien stehen jedoch nur begrenzt zur Verfügung, so dass indirekte Vergleiche als zusätzliches Instrument im Wirksamkeitsvergleich eingesetzt werden. Die Validität solcher indirekter Vergleiche ist ausführlich untersucht und diskutiert worden [5, 25, 26]. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass indirekte Vergleiche unter bestimmten strengen Voraussetzungen als Ersatz für Head-to-Head-Studien zulässig sind. Ein zentrales Kriterium hierfür ist die Auswahl eines Pools von homogenen, qualitativ hochwertigen randomisierten kontrollierten Studien und der Einsatz eines adjustierten Verfahrens bei der statistischen Auswertung.
Methoden
Identifizierung relevanter Studien
Die wesentlichen Einschlusskriterien für die vorliegende Metaanalyse waren: randomisierte, Plazebo-kontrollierte Doppelblindstudien zur Akuttherapie der majoren Depression (MDD), bei Diagnosestellung basierend auf DSM-IV. Die Studiendauer betrug maximal acht Wochen, das Alter der Patienten lag zwischen 18 und 65 Jahren. Die Therapie erfolgte mit Escitalopram 10 mg/Tag beziehungsweise 20 mg/Tag oder mit Agomelatin 25 mg/Tag beziehungsweise 50 mg/Tag. Zur Quantifizierung der Depression wurden die Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) oder Hamilton Rating Scale for Depression (HAM-D) eingesetzt.
Geeignete Studien wurden mithilfe einer Literaturrecherche durch einen Report der European Medicines Agency (EMA) zu Agomelatin identifiziert [23]. Die Literaturrecherche, durchgeführt am 22. März 2009, umfasste die Datenbanken Medline (ab 1960), Embase (ab 1974), PsycInfo (ab 1967), Biosis (ab 1970), Derwent Drugfile (ab 1983) und SciSearch (ab 1974) über den Host Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) und verwendete eine Kombination aus Schlagwort- und Freitextsuche. Mit dieser Strategie wurde nach Plazebo-kontrollierten klinischen Studien mit Escitalopram oder Agomelatin zur Behandlung der Depression gesucht. Die Suche war bewusst weit angelegt, um möglichst alle relevanten Studien zu erfassen. Das Ergebnis der Recherche wurde dann anhand der Abstracts und/oder Volltexte der gefundenen Zitate weiter eingeschränkt.
Statistische Methoden
Die Wirksamkeit wurde anhand der standardisierten Mittelwertsdifferenz (SMD), die sich aus den Punktwerten der verwendeten Depressionsskalen vor und nach der Behandlung ergab (primäre Endpunkte), analysiert. Die jeweils verwendeten psychometrischen Skalen waren HAM-D oder MADRS. Dabei lag die Präferenz bei der HAM-D-Skala; fehlende HAM-D-Scores wurden durch MADRS-Scores ersetzt. Wenn keine unmittelbare Dokumentation der Zielparameter vorlag, wurde die Differenz aus den Kenndaten der Verteilung vor und nach der Behandlung oder aus grafischen Darstellungen abgeschätzt. Für die niedrigen und die höheren Dosierungen wurden getrennte Metaanalysen durchgeführt.
Die Verträglichkeit wurde anhand der Abbruchraten wegen unerwünschter Ereignisse analysiert.
Die indirekte Metaanalyse einer Gruppe von Studien kann mithilfe eines „fixed effects model“ oder eines „random effects model“ durchgeführt werden. Das „fixed effects model“ nimmt an, dass alle ausgewerteten Studien denselben Effekt abschätzen und dass Unterschiede nur durch zufällige Abweichungen bedingt sind. Zum Einsatz kommt das „fixed effects model“ bei der Analyse von Studien mit sehr homogenem Design. Das „random effects model“ berücksichtigt dagegen Effektunterschiede zwischen den ausgewerteten Studien. Bei der vorliegenden Metaanalyse hing die Wahl des verwendeten Modells von einem Heterogenitätstest der Studiengruppen „Escitalopram versus Plazebo“ und „Agomelatin versus Plazebo“ ab. Dieser Test wurde im Rahmen der Metaanalyse nach einer Methode von Whitehead operationalisiert [28].
Ergebnisse
Identifizierung der eingeschlossenen Studien
Da die Literaturrecherche sehr weit angelegt war, ergab sich eine große Treffermenge. Das Ergebnis der Recherche wurde deshalb auf Basis der Abstracts und/oder des Volltextes der gefundenen Zitate weiter eingeschränkt. Bei vielen der gefundenen Zitate handelte es sich nicht um klinische Studien, sondern um allgemeine Artikel, zum Beispiel Reviews, sowie Duplikate. Auch die meisten Publikationen zu klinischen Studien schieden aus, da nicht alle Einschlusskriterien erfüllt waren.
Die Literaturrecherche für Escitalopram ergab 302 Treffer, davon waren 81 Publikationen klinische Studien, von denen lediglich fünf die Einschlusskriterien erfüllten. Für Agomelatin wurden 74 Treffer gefunden, davon waren 21 Publikationen klinische Studien, von denen drei die Einschlusskriterien erfüllten. Drei weitere Studien mit Agomelatin sind nicht publiziert, sondern ausschließlich in einem EMA-Report beschrieben [23]. Der EMA-Report basiert auf acht Plazebo-kontrollierten Studien zur Wirksamkeit von Agomelatin, darunter auch die drei publizierten Studien. Zwei der acht Studien erfüllen allerdings die Einschlusskriterien dieser Metaanalyse nicht, so dass nur sechs Studien für die vorliegende Metaanalyse verwendet werden konnten.
Charakteristika der eingeschlossenen Studien
Insgesamt erfüllten elf Studien die Einschlusskriterien. Einen Überblick über das Design der eingeschlossenen Studien gibt Tabelle 1. Fünf Publikationen beschreiben Doppelblindstudien mit Escitalopram versus Plazebo [2, 14, 20, 21, 27]. Dabei handelt es sich bei den Publikationen [14] und [20] um die 8- beziehungsweise 4-Wochen-Ergebnisse derselben Studie. Sechs Doppelblindstudien Agomelatin versus Plazebo wurden in einem Report der EMA vorgestellt [23]. Allerdings muss beachtet werden, dass drei der Studien Mängel aufweisen, die in einem späteren Zulassungsschritt behoben wurden. Diese drei Studien liegen zusätzlich als Publikationen vor [12, 16, 22]. Diese Publikationen wurden in der vorliegenden Metaanalyse berücksichtigt.
Tab. 1. Design der Plazebo-kontrollierten Studien mit Escitalopram bzw. Agomelatin
Autor |
Diagnose |
Depressionsskalen |
Alter |
Schweregrad |
Dauer |
Dosierung |
Escitalopram-Studien |
||||||
Burke 2002 |
MDD DSM-IV |
MADRS, HAM-D24, CGI-S, CGI-I, CES-D |
18–65 |
MADRS ≥22 HAM-D-Item 1 ≥2 |
8 Wochen |
1. Gruppe: 10 mg 2. Gruppe: 20 mg |
Lepola 2003 |
MDD DSM-IV |
MADRS CGI-S, CGI-I |
18–65 |
MADRS ≥22, MADRS ≤40 MADRS-Item 10 <5 |
8 Wochen |
10 mg–20 mg |
Montgomery 2001 [20] |
MDD DSM-IV |
MADRS (CGI-S), (CGI-I) |
18–65 |
MADRS ≥22, MADRS ≤40 MADRS-Item 10 <5 |
4 Wochen |
10 mg |
Ninan 2003 |
MDD |
MADRS, HAM-D24 CGI-S, CGI-I, CES-D |
18–65 |
HAM-D24 ≥25 |
8 Wochen |
10 mg–20 mg |
Wade 2002 |
MDD DSM-IV |
MADRS CGI-S, CGI-I |
18–65 |
MADRS ≥22, MADRS ≤40 MADRS-Item 10 <5 |
8 Wochen |
10 mg |
Agomelatin-Studien |
||||||
CL2-014 Lôo 2002 [16] |
MDD DSM-IV oder Bipolar-II-Depression |
MADRS, HAM-D17 CGI-S |
18–65 |
HAM-D17 ≥22 |
8 Wochen |
1. Gruppe: 1 mg 2. Gruppe: 5 mg 3. Gruppe: 25 mg |
CL3-022 (CHMP-Report) |
MDD DSM-IV |
HAM-D17 |
19–60 |
HAM-D17 ≥22 |
6 Wochen Erweiterung 18 Wochen |
25 mg |
CL3-023 (CHMP-Report) |
MDD DSM-IV |
HAM-D17 |
18–60 |
HAM-D17 ≥22 |
6 Wochen Erweiterung 18 Wochen |
25 mg |
CL3-024 (CHMP-Report) |
MDD DSM-IV |
HAM-D17 |
18–65 |
HAM-D17 ≥22 |
6 Wochen Erweiterung 18 Wochen |
1. Gruppe: 25 mg 2. Gruppe: 50 mg |
CL3-042 Olié 2007 [22] |
MDD DSM-IV |
HAM-D17 CGI-S, CGI-I |
18–65 |
HAM-D17 ≥22 |
6 Wochen |
25 mg–50 mg |
CL3-043 Kennedy 2006 [12] |
MDD DSM-IV |
HAM-D17 CGI-S, CGI-I |
18–65 |
HAM-D17 ≥22 |
6 Wochen |
25 mg–50 mg |
MDD: Major depressive disorder; MADRS: Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale; HAM-D: Hamilton Rating Scale for Depression (17- oder 24-Item-Version); CGI-S: Clinical Global Impression – Severity; CGI-I: Clinical Global Impression – Improvement; CES-D: Center for Epidemiologic Studies Depression Scale
Zwei der Escitalopram-Studien, Ninan et al. und Wade et al., sind Zweiarmstudien Escitalopram versus Plazebo [21, 27]. In den Studien von Lepola et al. und Montgomery et al. wurde Citalopram als positiver Standard mitgeführt [14, 20] und in der Studie von Burke et al. wurden zwei fixe Dosisstufen von Escitalopram mit Plazebo verglichen [2].
Zu Agomelatin gibt es ebenfalls zwei Zweiarmstudien mit Vergleich gegenüber Plazebo, CL3-042 und CL3-043 [12, 22, 23]. Bei der Agomelatin-Studie CL2-014 handelt es sich um eine Fünfarmstudie mit den drei Agomelatin-Dosen 1 mg, 5 mg und 25 mg sowie Paroxetin und Plazebo [16, 23]. Die Studien CL3-022 und CL3-024 führen Fluoxetin, die Studie CL3-023 Paroxetin als positiven Standard mit [23]. Darüber hinaus kommen in CL3-024 zwei Dosierungen von Agomelatin, 25 mg und 50 mg, zum Einsatz.
Der Schweregrad der Depression zu Beginn der Studie wurde durch untere Grenzen auf der MADRS- oder der HAM-D-Skala charakterisiert. Bei vier Studien wurde als Einschlusskriterium MADRS ≥22 verwendet [2, 14, 20, 27], bei sechs Studien HAM-D17 ≥22 [12, 16, 22, 23], bei einer Studie HAM-D24 ≥25 [21]. Zusätzlich wurde bei drei Studien eine obere Grenze definiert, nämlich MADRS ≤ 40 [14, 20, 27].
Die Studien begannen in der Regel mit einer einwöchigen Run-in-Phase mit einfachblinder Plazebo-Gabe oder ohne Medikation. Sie wurden überwiegend ambulant durchgeführt. Hinweise auf eine zulässige stationäre Behandlung finden sich bei fünf der Studien mit Agomelatin [16, 22, 23]. Die Dauer der Doppelblindphase betrug bei den meisten Studien sechs oder acht Wochen. Über die Durchführung von Wash-out-Phasen wurden keine Angaben gefunden.
Die Metaanalyse der Studien zu Escitalopram und Agomelatin wurde getrennt jeweils für eine niedrige und eine hohe Dosierung durchgeführt: Escitalopram 10 mg/Tag versus Agomelatin 25 mg/Tag und Escitalopram 20 mg/Tag versus Agomelatin 50 mg/Tag. In jeweils einer der eingeschlossenen Studien mit Escitalopram und Agomelatin wurden diese beiden Dosierungen auch im randomisierten Vergleich gegenübergestellt 2, 16]. In je zwei der Studien zu den beiden Präparaten war eine Dosissteigerung bei unzureichender Wirkung zulässig [12, 14, 21, 22]. In den übrigen Studien wurde jeweils eine der Dosierungen mit Plazebo verglichen. Insgesamt ergeben sich so sechs Vergleiche Escitalopram versus Plazebo und sieben Vergleiche Agomelatin versus Plazebo.
Ergebnisse der Metaanalyse
In der vorliegenden Metaanalyse wurde die Wirksamkeit auf der Basis standardisierter mittlerer Differenzen (SMD) der primären Endpunkte aus den eingeschlossenen klinischen Studien analysiert. Primärer Endpunkt war die Differenz zwischen den Werten vor und nach der Behandlung der jeweils verwendeten psychometrischen Skalen, HAM-D oder MADRS. Insgesamt zeigt dieser indirekte Vergleich, dass die Wirksamkeit von Escitalopram gegenüber Plazebo signifikant höher ist als die von Agomelatin gegenüber Plazebo. Bei der Verträglichkeit fanden sich keine signifikanten Unterschiede.
Für die Metaanalyse der Wirksamkeit der niedrigen Dosierungen von Escitalopram (10 mg/Tag) im Vergleich mit Plazebo wurden die Studien von Wade et al., Montgomery et al. und Burke et al. ausgewertet [2, 20, 27]; für Agomelatin (25 mg/Tag) die Studien CL2-014 (25-mg-Gruppe), CL3-022, CL3-023 und CL3-024 (25-mg-Gruppe) [16, 23]. In keiner der beiden Gruppen wurden heterogene Bedingungen festgestellt, so dass das „fixed effects model“ angewendet werden konnte. Die Auswertung ergab eine deutliche Überlegenheit von Escitalopram versus Plazebo gegenüber Agomelatin versus Plazebo (Abb. 1).
Abb. 1. Metaanalyse der Studien mit niedriger Dosierung von Escitalopram (10 mg) bzw. Agomelatin (25 mg) bei Präferenz der HAM-D-Skala. SMD: standardisierte Mittelwertdifferenz; 95%-KI: 95%-Konfidenzintervall
Der Heterogenitätstest der Gruppen Escitalopram und Agomelatin ergab einen Unterschied in den standardisierten Mittelwertdifferenzen mit einem p-Wert von 0,065 (Tab. 2).
Tab. 2. Heterogenitätstest der Gruppen Escitalopram (10 mg) und Agomelatin (25 mg) zur Bewertung des Unterschieds in den standardisierten Mittelwertdifferenzen (SMD)
Wirkstoff |
SMD |
95%-KI |
p-Wert |
Escitalopram |
0,319 |
0,19–0,45 |
<0,0001 |
Agomelatin |
0,154 |
0,04–0,27 |
0,0098 |
Heterogenitätstest |
0,065 |
95%-KI: 95%-Konfidenzintervall
Bei den höheren Dosierungen von Escitalopram (20 mg/Tag) und Agomelatin (50 mg/Tag) wurden die Studien von Burke et al. (20-mg-Gruppe), Ninan et al. (optionale Dosiserhöhung von 10 mg auf 20 mg) und Lepola et al. (optionale Dosiserhöhung von 10 mg auf 20 mg) ausgewertet [2, 14, 21]. Für die höhere Agomelatin-Dosis standen die Studien CL3-024 (50-mg-Gruppe), CL3-042 (optionale Dosiserhöhung von 25 mg auf 50 mg) und CL3-043 (optionale Dosiserhöhung von 25 mg auf 50 mg) zur Verfügung [12, 22, 23]. In der Gruppe der Agomelatin-Studien ergab die statistische Auswertung eine Heterogenität, so dass folglich für die gesamte Metaanalyse der höheren Dosierungen das „random effects model“ eingesetzt werden musste. Die Überlegenheit von Escitalopram gegenüber Agomelatin, die bei Auswertung mit dem „fixed effects model“ signifikant ist (p=0,016), fällt bei Verwendung des „random effects models“ (p=0,233) nicht so deutlich aus (Abb. 2 und Tab. 3).
Abb. 2. Metaanalyse der Studien mit hoher Dosierung von Escitalopram (20 mg) bzw. Agomelatin (50 mg) bei Präferenz der HAM-D-Skala. SMD: standardisierte Mittelwertdifferenz; 95%-KI: 95%-Konfidenzintervall
Tab. 3. Heterogenitätstest der Gruppen Escitalopram (20 mg) und Agomelatin (50 mg) zur Bewertung des Unterschieds der standardisierten Mittelwertdifferenzen (SMD)
Wirkstoff |
SMD |
95%-KI |
p-Wert |
Escitalopram |
0,459 |
0,32–0,60 |
<0,0001 |
Agomelatin |
0,242 |
–0,09–0,57 |
0,1488 |
Heterogenitätstest |
0,233 |
95%-KI: 95%-Konfidenzintervall
Die Verträglichkeit wurde anhand der Abbruchraten wegen unerwünschter Ereignisse bewertet. Diese Angaben standen für fünf Therapievergleiche Escitalopram versus Plazebo zur Verfügung [2, 14, 20] und für drei Studien von Agomelatin versus Plazebo [16]. Für die Escitalopram-Studien liegen hier heterogene Bedingungen vor, so dass das „random effects model“ für die Metaanalyse verwendet werden musste. Das Ergebnis zeigt keine statistisch signifikanten Unterschiede (p=0,154) (Abb. 3 und Tab. 4).
Abb. 3. Metaanalyse der Abbruchraten wegen unerwünschter Ereignisse. OR: Odds-Ratio; 95%-KI: 95%-Konfidenzintervall
Tab. 4. Wirksamkeitsparameter der Gruppen Escitalopram und Agomelatin zur Bewertung des Unterschieds in den Abbruchraten aufgrund unerwünschter Ereignisse
Wirkstoff |
OR |
95%-KI |
p-Wert |
Escitalopram |
2,9 |
1,28–6,54 |
0,0104 |
Agomelatin |
1,34 |
0,69–2,63 |
0,3893 |
Heterogenitätstest |
0,154 |
OR: Odds-Ratio; 95%-KI: 95%-Konfidenzintervall
Diskussion
Randomisierte Plazebo-kontrollierte Head-to-Head-Studien, die Therapien direkt miteinander vergleichen, gelten als Goldstandard für den Wirksamkeitsvergleich. Die Ergebnisse von indirekten Vergleichen müssen daher mit Vorsicht interpretiert werden. Ob solche indirekten Vergleiche überhaupt zulässig sind und einen Beitrag zum Therapievergleich leisten können, wird kontrovers beurteilt. Aktuelle Publikationen unterstützen aber zunehmend die Auffassung, dass indirekte Vergleiche unter bestimmten Bedingungen einen wichtigen Beitrag zum Therapievergleich leisten können [5, 25, 26].
Eine umfassende Darstellung der Problematik indirekter Metaanalysen veröffentlichten Glenny et al. [5]. Die Autoren untersuchten und bewerteten verschiedene Methoden indirekter Vergleiche in einem Health Technology Assessment (HTA) Report für den National Health Service (NHS) in Großbritannien, der Publikationen bis 1999 einschloss. Aufgrund des damaligen Kenntnisstandes kamen Glenny und Kollegen zu dem Schluss, dass es deutliche Diskrepanzen zwischen direkten und indirekten Vergleichen gibt. Allerdings zeigten adjustierte indirekte Vergleiche und Metaregressionen eine deutlich höhere Validität als nichtadjustierte. Diese Analyse diente als Basis des aktuellen HTA-Reports von Schöttker et al., der die Validität indirekter Vergleiche unter Berücksichtigung von Publikationen bis 2008 kritisch untersuchte [2, 25]. Dieser aktuelle Bericht kommt zu dem Schluss, dass indirekte Vergleiche eine wertvolle Ergänzung zur Beurteilung von Therapieverfahren sein können, wenn keine Head-to-Head-Studien zur Verfügung stehen. Voraussetzung ist, dass die ausgewerteten Studien homogen sind und ein adjustiertes Verfahren bei der statistischen Auswertung eingesetzt wird.
Diese Bedingungen werden durch die vorliegende Metaanalyse erfüllt. Schon bei der Auswahl der Studien wurde großer Wert auf Homogenität des Designs gelegt. Zusätzlich entschied ein Heterogenitätstest darüber, ob das „fixed effects model“ oder das „random effects model“ bei der statistischen Auswertung eingesetzt wurde. Das „random effects model“ ist eine Auswertungsmethode, die Wirksamkeitsunterschiede zwischen den ausgewerteten Studien berücksichtigt, während das „fixed effects model“ bei der Analyse eines Pools homogener Studien zum Einsatz kommt.
Für die niedrigere Dosierung beider Arzneistoffe wurde keine Heterogenität festgestellt, so dass das „fixed effects model“ angewendet werden konnte. Es ergab sich eine statistisch signifikante Überlegenheit von Escitalopram. Für die höhere Dosierung ergab sich eine leichte Heterogenität. Hier fällt bei Anwendung des „random effects models“ die Überlegenheit von Escitalopram weniger deutlich aus. Die Analyse der Abbruchraten wegen unerwünschter Ereignisse zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Substanzen.
Insgesamt bestätigen die Ergebnisse dieses Vergleichs die Beurteilung von Agomelatin durch die EMA [3]: Agomelatin erscheint weniger wirksam bei der akuten Behandlung von majorer Depression als SSRI. In den beiden nur Plazebo-kontrollierten Studien, CL3-042 und CL3-043 war Agomelatin signifikant wirksamer als Plazebo [12, 22, 23]. In den Studien CL2-014 und CL3-023 wurde Agomelatin direkt mit Paroxetin verglichen, in den Studien CL3-022 und CL3-024 mit Fluoxetin [16, 23]. In diesen Studien mit einem aktiven Komparator hingegen zeigte Agomelatin keine bessere Wirkung als Plazebo. Allerdings lag in einer der Studien auch die Wirksamkeit von Paroxetin und Fluoxetin im Plazebo-Bereich, was die Auswertung der Ergebnisse erschwert.
Durch seinen neuartigen Wirkungsmechanismus und ein von SSRI beziehungsweise selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) unterschiedliches Nebenwirkungsspektrum könnte Agomelatin für einzelne Patienten eine Alternative darstellen. Die erste Wahl bei der akuten Behandlung von majorer Depression bleiben jedoch weiterhin die SSRI. Unter diesen nimmt Escitalopram eine besondere Stellung ein, da es nur aus dem aktiven S-Enantiomer von Citalopram besteht und damit besonders selektiv und schon bei geringer Dosierung wirksam ist.
Interessenkonflikte
TM hat im Jahr 2011 Vortragshonorare von Bristol-Myers Squibb/Otsuka, Janssen, Lundbeck und Novartis erhalten.
MF ist Angestellter der Firma Lundbeck.
Die statistische Auswertung der Daten wurde von Dr. Jörg Schnitker durchgeführt.
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Priv.-Doz. Dr. Thomas Messer, Danuviusklinik Pfaffenhofen, Krankenhausstraße 68, 85276 Pfaffenhofen, E-Mail: thomas.messer@danuviusklinik.de
Dr. Jörg Schnitker, Institut für Angewandte Statistik GmbH, Artur-Ladebeck-Straße 155, 33647 Bielefeld
Dr. Michael Friede, Lundbeck GmbH, Karnapp 25, 21079 Hamburg
Meta-analysis of placebo-controlled clinical trials with escitalopram and agomelatine
Agomelatine is an antidepressant with a novel mechanism of action, which is expected to have fewer side effects than the selective serotonin re-uptake inhibitors (SSRIs), which are at present the first-line treatment for major depression. So far there are few head-to-head studies comparing efficacy and safety of agomelatine and SSRIs and none comparing agomelatine and escitalopram. Therefore this meta-analysis provides an indirect comparison between the two drugs, with placebo as the common comparator. A literature search in medical databases of the Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) and an EMA report identified 11 studies conforming to the following inclusion criteria: randomised, placebo-controlled, double-blind studies of the acute therapy of major depression, maximum study duration 8 weeks, therapy with escitalopram 10 mg/day or 20 mg/day or with agomelatine 25 mg/day or 50 mg/day, age of patients between 18 and 65 years, severity of depression measured with Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) or Hamilton Rating Scale for Depression (HAM-D). Primary outcome in this meta-analysis was the difference between post- and pre-treatment ratings on the psychometric rating scale used. To judge tolerability the numbers of therapy discontinuations due to adverse events were compared. Overall the indirect meta-analysis showed that the effect of escitalopram compared to placebo was significantly higher than the effect of agomelatine compared to placebo. There were no significant differences in the tolerability.
Key words: Escitalopram, agomelatine, major depression, meta-analysis
Psychopharmakotherapie 2012; 19(01)