Dr. Ulrike Röper, Fürstenfeldbruck
Typisches klinisches Symptom einer multifokalen motorischen Neuropathie (MMN) ist eine asymmetrische, langsam schubweise auftretende Muskelschwäche bevorzugt an Händen und Armen, seltener an Beinen, ohne Sensibilitätsstörungen. Lassen sich Leitungsblockaden außerhalb der physiologischen Engstellen sowie positive Gangliosid-GM1-Antikörper-Titer nachweisen, gilt eine MMN als gesichert. Doch bei dieser seltenen Erkrankung, die bevorzugt im frühen Erwachsenenalter auftritt und mehr Männer als Frauen betrifft, kommen die unterschiedlichsten Spielarten vor. Und es gibt keinen einzelnen beweisenden Test, der Sicherheit geben könnte.
Die GM1-Antikörper sind nur ein Hinweis unter vielen. Bei rund der Hälfte der Patienten fehlen sie, wobei die Angaben zur Häufigkeit eines positiven Nachweises stark schwanken (von 30 bis 80%). Der alleinige Nachweis von Leitungsblockaden an physiologischen Engstellen schließt eine MMN ebenso wenig aus wie deren völliges Fehlen.
Die Abgrenzung zum Guillain-Barré-Syndrom ist wegen des langsamen, keineswegs akuten Verlaufs der MMN noch relativ einfach. Schwieriger fällt die Unterscheidung zur chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) aus, die symmetrischer auftritt, mit Hypo- und Areflexie einhergeht und auch die Sensorik betrifft. Mitunter wird die MMN aber auch als amyotrophe Lateralsklerose fehlgedeutet.
Therapie mit intravenösem Immunglobulin
Die korrekte Diagnose ist von erheblicher Bedeutung, da bei MMN im Wesentlichen nur eine Therapie in Frage kommt: intravenöse Immunglobuline (IVIg). Vor diesem Hintergrund kann in unklaren Fällen auch das Ansprechen auf die Behandlung mit IVIg einen wichtigen diagnostischen Hinweis geben. Anders als bei der CIDP sollten Glucocorticoide bei MMN nicht eingesetzt werden, da sie wirkungslos sind und sogar zu einer Verschlechterung führen können. Andere echte Therapieoptionen stehen nicht zur Verfügung. Wenn IVIg nicht wirken, kann allenfalls ein Therapieversuch mit Cyclophosphamid unternommen werden.
Bereits 2005 wurde in einem Cochrane-Review von vier bis dahin veröffentlichten Studien (mit insgesamt nur 34 Patienten) der Stellenwert der IVIg-Therapie betont. Eine Verbesserung der Muskelkraft erreichten 78% der IVIg-behandelten, aber nur 4% der Plazebo-behandelten Patienten. Die resultierende NNT (Number needed to treat; erforderliche Patientenzahl, um einen der Therapie zuzuschreibenden Therapieerfolg zu erreichen) von 1,4 wird von kaum einem anderen Medikament in irgendeiner Indikation erreicht. In besagter Cochrane-Analyse wurde auf einen erheblichen Forschungsbedarf hingewiesen, denn noch sind viele Fragen zur MMN offen.
10%iges IVIg für MMN-Therapie zugelassen
Zwei aktuelle Studien waren Grundlage für die europäische Zulassung des 10%igen IVIg-Präparats Kiovig® für die immunmodulatorische Therapie bei MMN [2]. In einer Studie wurden 20 Patienten von einer stabilen Behandlung mit 5%igem IVIg auf das 10%ige Präparat umgestellt; in der anderen Studie wurden acht Patienten erstmals auf eine IVIg-Behandlung eingestellt. Die Patienten wurden bis zu drei Jahren beobachtet.
Die beiden offenen Studien zeigen die Wirksamkeit wiederholter IVIg-Gaben in Bezug auf den Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung der Muskelkraft und der Funktionalität. Der maximale Effekt stellt sich nach vier bis sechs Wochen ein. Die Wirkungsdauer ist individuell unterschiedlich.
Die Behandlung sollte mit 2 g/kg Körpergewicht, verteilt auf zwei bis fünf Tage, eingeleitet werden. Die Erhaltungsdosis beträgt 1 g/kg alle zwei bis vier Wochen oder 2 g/kg alle vier bis acht Wochen.
Subkutane Gabe als Alternative?
Eine interessante Alternative zur intravenösen Gabe ist die subkutane Anwendung, die zurzeit vor allem von Prof. Dr. Johannes Jakobsen, Aarhus, erprobt wird [1], aber noch off Label erfolgt. Durch die Möglichkeit, sich die Immunglobuline selbst zu verabreichen, werden die Patienten in ihrem Alltag deutlich flexibler. Subkutane Immunglobulin-Therapie ist nach den Erfahrungen von Jakobsen mindestens ebenso effektiv wie die intravenöse und geht mit deutlich weniger Nebenwirkungen einher.
Quellen
1. Prof. Dr. med. Claudia Sommer, Würzburg; Prof. Dr. med. Johannes Jakobsen, Aarhus (Dänemark); Prof. Dr. med. Martin Stangel, Hannover; Symposium „Die multifokale motorische Neuropathie (MMN) erkennen und erstattungssicher therapieren mit KIOVIG“, veranstaltet von Baxter Deutschland im Rahmen des 84. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) 2011, Wiesbaden, 30. September 2011.
2. CHMP. Assessment Report Kiovig (23. Juni 2011). EMEA/H/C/000628/II/0037. www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Assessment_Report_-_Variation/human/000628/WC500111843.pdf
Psychopharmakotherapie 2012; 19(01)