Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
In mehreren Studien wurde gezeigt, dass Lithium die Glykogensynthase-Kinase 3 (GSK3) in kultivierten Zellen und in Neuronen hemmt. Dieses Enzym steuert unter anderem die Phosphorylierung von Tau-Protein im Gehirn. Hyperphosphoryliertes Tau-Protein bildet die typischen helikalen Filamente in Neuronen des Gehirns von Alzheimer-Patienten. Die Zunahme von phosphoryliertem Tau und eine Abnahme von Amyloid beta 42 (Ab42) in der Zerebrospinalflüssigkeit sind die wichtigsten Marker für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz. Lithium könnte über eine Hemmung der GSK3 einen Mechanismus stören, der zur Bildung von amyloiden Plaques und der Einlagerung neurofibrillärer Strukturen führt, und damit das Fortschreiten der Erkrankung verringern oder verhindern.
In einigen Studien war die Demenzrate bei Patienten mit einer bipolaren Störung unter einer Behandlung mit Lithium geringer als unter einer anderen Therapie (mit Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Antipsychotika). In Studien mit Alzheimer-Patienten hatte Lithium dagegen keine signifikanten Effekte auf die kognitiven Funktionen. Die Autoren der vorliegenden Studie nahmen an, dass die protektiven Effekte von Lithium bei Patienten mit einer klinisch manifesten Alzheimer-Erkrankung nicht mehr zum Tragen kommen und dass sich diese Effekte bei Personen mit einer leichten amnestischen kognitiven Störung (mild cognitive impairment, MCI), also bei Personen mit erhöhtem Risiko einer Alzheimer-Erkrankung, am deutlichsten nachweisen lassen. Das primäre Ziel der vorliegenden Studie war daher die Untersuchung der Auswirkungen einer Langzeitbehandlung mit Lithium auf die Progression kognitiver Defizite bei Personen mit einer amnestischen MCI. Sekundäre Ziele waren die Veränderungen der Konzentration der Biomarker einer Alzheimer-Erkrankung T-Tau, P-Tau und Ab42.
Studiendesign
Die Einschlusskriterien waren Alter von mindestens 60 Jahren und Diagnose einer amnestischen MCI nach den Kriterien der Mayo-Klinik (z.B. Klagen über Gedächtnisschwäche, die von einem Informanten bestätigt werden, sowie Vorliegen einer für das betreffende Alter objektiven Gedächtnisstörung bei weitgehend erhaltener Kognition und normalen Alltagsaktivitäten). Ausschlusskriterium waren anhaltende psychiatrische Störungen.
Der Gesamtscore im Cambridge Cognitive Test (CAMCOG) der eingeschlossenen Personen war mit 88,4±5,9 für die Altersgruppe normal und unterschied sich nicht von dem einer Kontrollgruppe mit Personen ohne Hinweis auf eine MCI (90,3±3,6; p=0,3). Der CAMCOG besteht aus acht Bereichen (Orientierung, Sprache, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, praktische Fähigkeiten, Abstraktion und Kalkulation) mit insgesamt 60 Items, der Gesamtscore kann zwischen 0 und 107 liegen.
Die Patienten erhielten randomisiert und doppelblind entweder Lithium oder Plazebo. Lithium wurde unter wöchentlichen Kontrollen auf Blutspiegel zwischen 0,25 und 0,5 mmol/l eingestellt. Bei diesen Lithiumspiegeln sank die GSK3-Aktivität in den Leukozyten gesunder Probanden nach 14-tägiger Behandlung um 50%. Nach Erreichen eines stabilen Lithiumspiegels wurden die weiteren Visiten in 3-monatigen Intervallen durchgeführt.
Die kognitiven Fähigkeiten wurden mithilfe der Clinical Dementia Rating Scale (CDR) und der kognitiven Subskala der Alzheimer’s Disease Assessment Scale (ADAS-Cog) beurteilt. Gedächtnis, Aufmerksamkeit und ausführende Fähigkeiten wurden gemäß Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease (CERAD), mit der Sequence of Letters and Numbers (SLN) und dem Trail Making Test (TMT) kontrolliert.
Die Zerebrospinalflüssigkeit wurde durch eine Lumbalpunktion zwischen den Lendenwirbeln L3/L4 oder L4/L5 entnommen.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 45 Personen randomisiert (Lithium: n=23; Plazebo: n=22), von denen 41 die Studie nach 12 Monaten abschlossen (Lithium: n=21; Plazebo: n=20).
Bei 11 Teilnehmern war die MCI bis zum Studienende zu einer Alzheimer-Erkrankung fortgeschritten (Lithium: n=4; Plazebo: n=7; p=0,2). Bei diesen Personen waren die Konzentrationen von P-Tau und T-Tau in der Zerebrospinalflüssigkeit bereits beim Einschluss höher und die von Ab42 niedriger als bei den Patienten, die stabil blieben.
Alle Teilnehmer zusammengenommen (stabil gebliebene und an Alzheimer erkrankte Personen) zeigten eine leichte, aber signifikante kognitive und funktionelle Verschlechterung (p<0,04). Sie war jedoch unter Lithium geringer als unter Plazebo. Die Scores von CDR, ADAS-Cog und SLN unterschieden sich signifikant zwischen beiden Behandlungsgruppen (p=0,04; p=0,03; p=0,04).
Bei den mit Lithium behandelten Patienten nahm die P-Tau-Konzentration im Mittel ab (–8,9 pg/ml), während sie unter der Plazebo-Behandlung zunahm (+5,6 pg/ml; p=0,02). Die Reduktion von P-Tau war nur bei den Teilnehmern signifikant, die stabil geblieben waren (p=0,006). Bei den an Alzheimer Erkrankten nahm die Konzentration von P-Tau nur geringfügig ab (p=0,9). Die Konzentrationen von T-Tau und Ab42 änderten sich in keiner der beiden Gruppen signifikant.
Die hohe Abschlussrate (91%) spricht für die gute Verträglichkeit der Behandlung. Unerwünschte Wirkungen traten in beiden Gruppen etwa gleich häufig auf (bei 58% der Lithium- und 42% der Plazebo-Patienten; p=0,13). Meist handelte es sich um leichte gastrointestinale Beschwerden, die keine Behandlung erforderten.
Die Autoren schlossen aus ihrer Studie, dass Lithium bei Personen einen protektiven Effekt hat, die ein erhöhtes Risiko haben, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken (also bei Vorliegen einer amnestischen MCI). Die Behandlung sollte möglichst frühzeitig begonnen werden, denn sie scheint am aussichtsreichsten zu sein, wenn die Biomarker für die Erkrankung noch wenig verändert sind.
Kommentar
Trotz der geringen Kohortenstärke sprechen die Ergebnisse dafür, dass eine Lithium-Behandlung den Übergang von einer noch leichten Gedächtnisschwäche in eine Alzheimer-Demenz hemmen kann. Die Reduktion von P-Tau deutet darauf hin, dass nicht nur (vorübergehende) symptomatische Effekte eintreten, sondern dass Lithium den Krankheitsverlauf beeinflussen kann.
Es erscheint allerdings schwierig, die Erkenntnisse dieser Untersuchung im Praxisalltag umzusetzen, denn die geeigneten Patienten klagen zwar über leichte Gedächtnisstörungen, sind aber sonst im Alltagsleben kaum behindert. Der überwiegende Teil dieser Personen wird sich vermutlich noch nicht als behandlungsbedürftig betrachten und auch nicht wissen, dass eine amnestische MCI oft die Vorstufe einer Alzheimer-Erkrankung ist. Leider beschreiben die Autoren dieser Studie nicht, wie sie selbst die geeigneten Teilnehmer gefunden haben.
Quelle
Forlenza OV, et al. Disease-modifying properties of long-term lithium treatment for amnestic mild cognitive impairment: randomised controlled trial. Br J Psychiatry 2011;198:351–6.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(06)