Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg
Schätzungsweise 20 % der Patienten mit einer Demenz haben zusätzlich eine Depression. Die Depressionen können die kognitive Leistungsfähigkeit der Demenzpatienten weiter einschränken, zu psychischen Belastungen und einer Verminderung der Lebensqualität führen. Bei Pflegepersonen erhöht sich durch die Depression beim Demenzpatienten die Gefahr, ebenfalls eine Depression zu entwickeln.
Trotz der großen Bedeutung der Komorbidität Depression bei Demenz ist die Evidenz der zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen eher gering. Dies gilt auch für Behandlung mit Antidepressiva, bei denen die Ergebnisse verschiedener Studien widersprüchlich sind. In einem aktuellen Cochrane-Review ergab sich in der Zusammenschau der Ergebnisse von sechs wichtigen Studien nur eine schwache Evidenz für die Wirksamkeit von Antidepressiva bei Demenzpatienten. Dabei wurden in zwei Studien trizyklische Antidepressiva eingesetzt, die bei Demenzerkrankten aufgrund der kognitionsverschlechternden anticholinergen Effekte eigentlich nicht verordnet werden sollten.
Doch auch für die Wirksamkeit von modernen Antidepressiva ist die Evidenz aus klinischen Studien noch nicht hoch. Aufgrund dieser Unsicherheit wurde in Großbritannien eine dreiarmige Studie zum Einsatz von Antidepressiva gegen Depressionen bei Demenz (Health technology assessment study of the use of antidepressants for depressionin dementia [HTA-SADD]) aufgelegt, in der die antidepressive Wirksamkeit des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers Sertralin (z.B. Zoloft®) und des noradrenergen und spezifisch serotonergen Antidepressivums Mirtazapin (z.B. Remergil®) mit Plazebo verglichen werden sollte.
Methodik
In die randomisierte Doppelblindstudie wurden Patienten aus neun gerontopsychiatrischen Einrichtungen in Zentren in Großbritannien aufgenommen. Die Patienten hatten eine vermutete oder mögliche Demenz vom Alzheimer-Typ (Diagnose u.a. anhand der Kriterien der Alzheimer’s Disease and Related Disorders Association [ADRDA]), eine mindestens vier Wochen anhaltende Depression und einen Score von 8 oder mehr in der Cornell Scale for Depression in Dementia (CSDD). Ausgeschlossen waren unter anderem suizidale Patienten und Patienten, die keine Pflegeperson hatten. Stratifiziert nach Zentrum wurden die Patienten im Verhältnis 1:1:1 der Sertralin-Gruppe (Zieldosis 150 mg/Tag), der Mirtazapin-Gruppe (45 mg) oder der Plazebo-Gruppe zugewiesen. Alle Patienten erhielten die Standardpflege.
Primäre Zielgröße war der Rückgang der Depression, gemessen anhand des CSDD-Scores in Woche 13; eine zusätzliche Datenerhebung erfolgte in Woche 39.
Ergebnisse
Die Abnahme der Depressions-Scores (CSDD) in Woche 13 unterschied sich nicht zwischen den Kontrollpatienten und den Patienten unter Sertralin oder den Patienten unter Mirtazapin (Tab. 1). Auch zwischen den Patienten der Mirtazapin- und der Sertralin-Gruppe war kein Unterschied nachweisbar (durchschnittliche Differenz 1,16; 95%-KI –0,25 bis 2,57, p=0,11). Diese Ergebnisse veränderten sich bis in Woche 39 nicht.
Tab. 1. Wirksamkeit von Sertralin und Mirtazapin versus Plazebo bei Patienten mit Alzheimer-Demenz und komorbider Depression [Banerjee et al.]
Plazebo |
Sertralin |
Mirtazapin |
||||||
n |
CSDD-Score* |
n |
CSDD-Score* |
n |
CSDD-Score* |
|||
Baseline |
111 |
13,6 |
108 |
12,8 |
108 |
12,5 |
||
Woche 13 |
95 |
7,7 |
78 |
8,6 |
85 |
7,6 |
||
Woche 39 |
82 |
8,5 |
68 |
8,5 |
76 |
7,7 |
||
Differenz zu Plazebo |
||||||||
Woche 13 |
173 |
1,17 |
180 |
0,01 |
||||
Woche 39 |
150 |
0,37 |
158 |
–0,66 |
*Mittelwert; KI: Konfidenzintervall
In der Plazebo-Gruppe traten deutlich weniger Nebenwirkungen (29 von 111 [26%]) auf als in der Sertralin-Gruppe (46 von 107 [43%]; p=0,010) oder in der Mirtazapin-Gruppe (44 von 108 [41%], p=0,031). Bei Sertralin herrschten gastrointestinale Nebenwirkungen (v.a. Übelkeit) vor, bei Mirtazapin Benommenheit und Sedierung. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten bei Antidepressiva-Behandlung häufiger auf als mit Plazebo (p=0,003). In jeder Gruppe verstarben fünf der durchschnittlich 80-jährigen Patienten bis Woche 39.
Diskussion
Bei Patienten mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ und zusätzlicher Depression haben diesen Ergebnissen zufolge die modernen Antidepressiva Sertralin und Mirtazapin keine über Plazebo hinausgehende Wirksamkeit, aber mehr Nebenwirkungen. Die Studie ist die größte bisher durchgeführte randomisierte Studie zur Wirksamkeit von Antidepressiva bei Demenz, weshalb ihr Ergebnis einen wichtigen Beitrag für zukünftige Empfehlungen in Leitlinien leisten wird. Schon jetzt sollte aber die häufig gegebene Empfehlung von Sertralin als Mittel der Wahl in der Behandlung von Depressionen bei Alzheimer-Patienten überdacht werden.
Was sagt die deutsche Leitlinie?
„Medikamentöse antidepressive Therapie bei Patienten mit Demenz und Depression ist wirksam und wird empfohlen. Bei der Ersteinstellung und Umstellung sollen trizyklische Antidepressiva aufgrund des Nebenwirkungsprofils nicht eingesetzt werden. (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib)“ [S3-Leitlinie „Demenzen“. www.awmf.org/uploads/tx_ szleitlinien/038-013_S3_Demenzen_lang_11-2009_11-2011.pdf]
Die in der Studienpublikation anklingende Bevorzugung von Sertralin in Großbritannien ist in der deutschen Leitlinie nicht zu finden.
Allerdings können die Studienergebnisse nicht ohne weiteres auf Patienten mit einer sehr schweren Depression, auf Patienten mit anderen Demenzformen wie beispielsweise vaskulärer oder frontotemporaler Demenz und auf Antidepressiva aus anderen Wirkstoffgruppen übertragen werden. Auch macht die Studie keine Angaben zu den Responderquoten oder zu Patienten-Subgruppen, die möglicherweise von den Antidepressiva doch profitieren. Im Einzelfall wird man wohl in der täglichen Praxis nach wie vor individuell gute Erfahrungen mit modernen Antidepressiva bei Alzheimer-Patienten machen.
Als Alternative zu Antidepressiva raten die Autoren zu einem abgestuften Pflegemanagement, bei dem zunächst bis zu 13 Wochen aufmerksam beobachtet werden kann – in dieser Zeit ging in der vorliegenden Studie auch in der Plazebo-Gruppe der CSDD-Score um 43% zurück. Sollte das Zuwarten für Patienten, Pflegende bzw. Angehörige zu belastend sein oder hat sich der Zustand nach 13 Wochen nicht stabilisiert, kann psychosozial interveniert werden. In Frage kommen problemlösende Ansätze, das Anbieten von Veranstaltungen mit erfreulichen und erheiternden Inhalten, Bewegungsübungen oder das Erlernen kompensatorischer Strategien zusammen mit einer kognitiven Verhaltenstherapie.
Quellen
Banerjee S, et al. Sertraline or mirtazapine for depression in dementia (HTA-SADD): a randomised, multicentre, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2011;378:403–11.
Brodaty H. Antidepressant treatment in Alzheimer’s disease. Lancet 2011;378:375–6.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(06)