Dr. Dr. Tanja Neuvians, Ladenburg
Die Behandlung einer Epilepsie während der Schwangerschaft ist eine Herausforderung, da insbesondere Antiepileptika der älteren Generation mit einem bis zu 3-fachen Anstieg kongenitaler Schäden verbunden sind. Insgesamt nehmen 0,2 bis 0,5% der schwangeren Frauen antiepileptische Medikamente ein. Die Hauptindikation für solche Medikamente ist zwar die Epilepsie, sie werden aber zunehmend auch bei bipolaren Störungen, Migräne und neuropathischen Schmerzsyndromen verschrieben. Für die meisten der neu zugelassenen Antiepileptika liegen bisher nur spärliche Informationen über teratogene Effekte vor. Das am häufigsten verschriebene Antiepileptikum bei Schwangeren ist Lamotrigin. Beobachtungsstudien zu Lamotrigin liefern allerdings zum Teil widersprüchliche und potenziell verzerrte Ergebnisse.
Studiendesign
In der vorliegenden Kohortenstudie wurde eine mögliche Assoziation zwischen der Einnahme neuerer Antiepileptika während des ersten Trimenons und dem Risiko schwerwiegender Fehlbildungen untersucht. Dazu wurden Daten von allen Lebendgeburten in Dänemark von Januar 1996 bis September 2008 gesammelt. Die Erfassung der Antiepileptika-Einnahme beschränkte sich auf das erste Trimenon, weil in diesem Zeitraum die meisten Fehlbildungen verursacht werden. Als schwere Fehlbildungen gelten alle kongenitalen Schäden, die zu Entwicklungsstörungen führen oder eine medizinische oder chirurgische Behandlung erfordern. Kinder mit chromosomalen Aberrationen, genetischen Störungen und Fehlbildungen mit bekannter Ursache, zum Beispiel fetalem Alkoholsyndrom, wurden von der Studienkohorte ausgeschlossen.
Basis der Datenerhebung waren das dänische Geburtenregister, das nationale Patientenregister für stationäre und ambulante Krankenhauspatienten und das Register für Arzneimittel-Statistik, in dem alle Rezepte, die in dänischen Apotheken eingelöst werden, registriert werden. Die Neugeborenen wurden bis zur Vollendung des ersten Lebensjahrs nachbeobachtet.
Aufgrund der ausführlichen Registerdaten konnten zahlreiche Störfaktoren, die einen Einfluss auf die statistische Auswertung haben könnten, berücksichtigt werden, zum Beispiel Alter, Herkunft, sozioökonomischer Status, Rauchen, Ausbildungsniveau, Wohnort, mütterliche Diagnosen und weitere Medikamenteneinnahme. Primärer Endpunkt der Studie waren schwerwiegende Fehlbildungen. Als sekundäre Endpunkte wurden verschiedene Subgruppen analysiert, zum Beispiel nach Organsystemen geordnete Fehlbildungen oder verschiedene Lamotrigin-Dosen (bis 250 mg, über 250 mg).
Studienergebnisse
Unter 836263 nichtexponierten Schwangerschaften traten in 19911 Fällen (2,4%) schwerwiegende Fehlbildungen auf. Bei 1532 Schwangerschaften mit Einnahme neuerer Antiepileptika waren 49 Neugeborene von schwerwiegenden Fehlbildungen (3,2%) betroffen. Der Unterschied dieser unkorrigierten Werte war signifikant (Odds-Ratio 1,35; 95%-Konfidenzintervall 1,02–1,80).
Die statistische Auswertung zeigte aber, dass zwei Störvariablen einen relevanten Einfluss auf die Risikowahrscheinlichkeit hatten: die Einnahme älterer Antiepileptika im ersten Trimenon und die Erstdiagnose einer Epilepsie vor dem zweiten Trimenon. Einige Frauen erhielten im ersten Trimenon nicht nur neuere, sondern auch ältere Antiepileptika oder wechselten von älteren auf neuere Medikamente, nachdem die Schwangerschaft bestätigt worden war. Da ältere Antiepileptika das Risiko für Fehlbildungen nachweislich 2- bis 3-fach erhöhen, wurden die Effekte durch ältere Antiepileptika in der korrigierten Auswertung herausgerechnet. In der vorliegenden Studie war, entgegen dem Ergebnis einer früheren Metaanalyse, das Risiko für Fehlbildungen bei unbehandelter Epilepsie leicht erhöht, weshalb eine unbehandelte Epilepsie als mögliche Störgröße ebenfalls herausgerechnet wurde.
Nach Bereinigung der Ergebnisse zeigte sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang mehr zwischen der Einnahme von Antiepileptika der neueren Generation und dem Auftreten schwerwiegender Fehlbildungen: Das Odds-Ratio sank auf 0,99 (0,72–1,36). Für Lamotrigin und Oxcarbazepin konnte eine mäßige bis starke Risikoerhöhung für Fehlbildungen ausgeschlossen werden (Tab. 1). Topiramat und Gabapentin wurden von relativ wenig Schwangeren eingenommen. Der statistischen Berechnung zufolge ist aber mit einiger Sicherheit ein höheres Risiko als 3,58 für Topiramat, bzw. 3,85 für Gabapentin nicht anzunehmen. Levetiracetam wurde ebenfalls wenig verschrieben. Hier traten gar keine Fehlbildungen auf, weshalb weitere statistische Berechnungen nicht möglich waren. Ein dosisabhängiger Effekt für Lamotrigin konnte nicht nachgewiesen werden.
Tab. 1. Zusammenhang zwischen der Einnahme neuerer Antiepileptika im ersten Trimenon und schwerwiegenden Fehlbildungen beim Kind [Molgaard-Nielsen et al.]
Antiepileptikum |
Frauen |
Geburtsschäden [n] |
Prävalenz-Odds-Ratio* |
|
Rohwert |
Adjustierter Wert** |
|||
Lamotrigin |
1019 |
38 |
1,59 (1,15–2,2) |
1,18 (0,83–1,68) |
|
766 |
31 |
1,73 (1,21–2,48) |
1,29 (0,88–1,90) |
|
253 |
7 |
1,17 (0,55–2,47) |
0,84 (0,39–1,82) |
Oxcarbazepin |
393 |
11 |
1,18 (0,65–2,15) |
0,86 (0,46–1,59) |
Topiramat |
108 |
5 |
1,99 (0,81–4,88) |
1,44 (0,58–3,58) |
Gabapentin |
59 |
1 |
0,71 (0,10–5,10) |
0,53 (0,07–3,85) |
Levetiracetam |
58 |
0 |
n.a. |
n.a. |
*Referenz (1,0): Frauen ohne Einnahme von Antiepileptika im ersten Trimenon
**Korrigiert für Einnahme von Antiepileptika der älteren Generation im ersten Trimenon und Diagnose einer Epilepsie vor dem zweiten Trimenon
n.a.: Angabe nicht möglich
Nach Analyse der Fehlbildungen, geordnet nach Organsystemen, ließ sich nur für Lamotrigin ein signifikanter Anstieg (4,11-fach) für das Risiko von Augenmissbildungen feststellen. Die Subgruppenanalysen sind allerdings aufgrund der geringen Fallzahlen nur begrenzt verwertbar. Bei den beobachteten Augenfehlbildungen handelte es sich um 4 Fälle mit ätiologisch unterschiedlichen Augendefekten, weshalb ein kausaler Zusammenhang eher unwahrscheinlich ist.
Diskussion
Die dänische Studie zeichnet sich durch einen langen Beobachtungszeitraum (13 Jahre), eine unabhängige Datenerhebung, ein komplettes Follow-up über 1 Jahr und robuste Daten aus. Die Registerdaten zu den verschriebenen Medikamenten sind sehr genau und komplett, berücksichtigen allerdings nicht eine mögliche Non-Compliance. Dadurch wird die Medikamenten-Exposition potenziell überschätzt und die Resultate werden in Richtung „kein Effekt“ verschoben. Frauen mit Epilepsie oder bipolaren Störungen unterbrechen vermutlich eher selten die Medikamenteneinnahme, weil Krampfanfälle und Depressionen das Kind gefährden könnten. Bei Frauen mit Migräne oder neuropathischem Schmerz wird es wohl auf die Stärke der Symptome ankommen, ob sie die Medikamenteneinnahme nach Eintritt einer Schwangerschaft fortsetzen.
Die Studie erfasst viele Störgrößen, allerdings keine mütterlichen Diagnosen aus dem ambulanten Bereich und keine Aborte. Fehlbildungen, die Aborte verursachen, fließen also nicht in die Auswertungen ein. Fehlbildungen, die bei einer ambulanten Geburt nicht registriert wurden, sind sehr wahrscheinlich innerhalb des ersten Lebensjahrs in einem Krankenhaus erfasst worden und somit ebenfalls berücksichtigt. Um valide Aussagen zu den seltener verwendeten Medikamenten und den Analysen nach Organsystemen machen zu können, benötigt man eine größere Studienpopulation.
Fazit
Diese Studie ist die bisher größte analytische Kohortenstudie und liefert umfangreiche Sicherheitsdaten zu häufig in der Schwangerschaft angewandten Antiepileptika der neueren Generation.
Lamotrigin und Oxcarbazepin sind nicht mit einem mäßig oder stark erhöhten Risiko für schwerwiegende Fehlbildungen assoziiert. Ein erhöhtes Risiko für Augenmissbildungen durch Lamotrigin ist vermutlich nicht kausal bedingt. Für die Beurteilung einer geringen Risikoerhöhung oder spezifischer Fehlbildungen müsste die Studienpopulation größer sein. Die Auswertungen zu Topiramat, Gabapentin und Levetiracetam sind aufgrund der geringen Fallzahl nur eingeschränkt möglich; diese Wirkstoffe scheinen aber keine schwerwiegenden Teratogene zu sein.
Quelle
Molgaard-Nielsen D, et al. Newer generation antiepileptic drugs and the risk of major birth defects. JAMA 2011;305:1996–2002.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(05)