Marco Weiergräber und Karl Broich, Bonn
Vigilanz, Kognition und Emotion im philosophisch-wissenschaftlichen Licht
In der Medizingeschichte tritt das für die evolutionäre und kulturelle Entwicklung des Menschen essenzielle Zentralnervensystem (ZNS) erst vergleichsweise spät in das Bewusstsein der Menschheit. So stellte im Altertum die altägyptische und mesopotamische Kultur zwar eine der fortschrittlichsten auf dem Gebiet der medizinischen Entwicklung dar, dennoch wurde die Rolle des ZNS lange verkannt. Während beispielsweise die inneren Organe eines Verstorbenen im Rahmen des Mumifizierungsprozesses entfernt und in sogenannten Kanopen-Krügen aufbewahrt wurden, entfernte man das Gehirn im Alten Reich und verwarf es; später verblieb es dann im Neurokranium, allerdings ohne tiefere Bedeutung. Das Herz hingegen ließ man im Thorax zurück. Es war der Sitz der Seele und wurde nach dem Tod gegen die ma’at, das heißt Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit, aufgewogen. Erst um etwa 500 v. Chr. trat ein erster Wandel in der funktionellen Gewichtung des ZNS ein: Hippokrates und seine Schüler klassifizierten die Ätiopathogenese der Epilepsien als eine Funktionsstörung des ZNS und stellten sich gegen die damals gängige Auffassung eines von Göttern oder Dämonen mediierten morbus sacer oder morbus daemonicus. Damit rückte das ZNS stärker in das Bewusstsein der Menschen und auch das Interesse am Verständnis kognitiver Prozesse nahm stetig zu. Sowohl wissenschaftliche als auch philosophische Betrachtungen sind hierbei für den Erkenntnisprozess von zentraler Bedeutung und sollen in unsere aktuelle Beurteilung des Hirndopings als artifizielle Form der Augmentation zentralnervöser Funktionen mit einfließen.
Empirismus – Wissen als Resultat von Erfahrungen
Aristoteles (384–322 v. Chr.), ein Schüler Platons, gilt als Vater des sogenannten Assoziationismus. Diese Urform des Empirismus enthält als Kernelemente die sogenannte räumliche und zeitliche Kontiguität von Ereignissen oder Objekten, deren Häufigkeit und Ähnlichkeit (sog. Assoziationsgesetze), auf deren Basis Informationen gespeichert werden. Diese philosophische Denkrichtung des Empirismus warf erstmalig die Frage auf, inwieweit Lernen und Gedächtnis auf Anlage oder postpartalen, umweltbedingten Faktoren sowie Prozessen der Individuation beruht.
John Locke (1632–1704) führte diese These fort, indem er den Geist eines Neugeborenen als ein unbeschriebenes Blatt, eine tabula rasa definierte. Alles Wissen geht demnach auf Erfahrung zurück, und das individuelle „unbeschriebene Blatt“ füllt sich im Laufe des Lebens kontinuierlich. Dieser Ansatz hatte weitreichende gesellschaftspolitische Konsequenzen, da nun die Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen nicht mehr durch seine Anlagen, sondern durch seine Lernprozesse (mit)bestimmt werden.
Lockes Theorien hatten unter anderem Auswirkungen auf die Aufklärung und die amerikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen. William James (1842–1910) baute die Theorien des Empirismus weiter aus, indem er auch komplexe Lernvorgänge als Verknüpfung angeborener Reflexe interpretierte, die letztlich in sogenannten Assoziationsnetzwerken mündeten. Es folgte der behavioristische Ansatz, der durch die Forschung Iwan Pawlows (1849–1936), Edward Thorndikes (1874–1949), John Watsons (1878–1958) und nicht zuletzt B.F. Skinners (1904–1990) geprägt wurde.
Nativismus – Wissen ist angeboren
Der nativistische Ansatz geht auf Platon (427–347 v. Chr.) zurück. Wissen ist demnach zum Großteil angeboren und geht auf die unsterbliche Seele zurück. René Descartes (1596–1650), ein vehementer Vertreter des sogenannten Körper-Geist-Dualismus, war der Auffassung, dass Körper und Geist getrennte Entitäten darstellen und der Körper gleich einer Maschine funktioniere. So kann ein externer Stimulus über hydraulische Systeme des Körpers reflektorische Reaktionen hervorrufen. Auch Descartes war der Auffassung, dass Wissen mehrheitlich angeboren ist. Gestärkt wurde der Nativismus durch die Arbeiten von Erasmus Darwin (1731–1802) und Charles Darwin (1809–1882) zur natürlichen Selektion, die auch auf kognitive Prozesse applizierbar schien. Noch für Francis Galton (1822–1911) waren die natürlichen Talente des Menschen ausschließlich vererbbar.
Anthropogene Kategorisierungen wie die des Empirismus und Nativismus spiegeln die wissenschaftliche Realität jeweils nur fragmentarisch wider. Schon Gottfried Leibniz (1646–1716) konstatierte, dass drei Viertel des menschlichen Wissens durch Lernen erworben wird und ein Viertel angeboren ist. Auch wenn diese Quantifizierung keine valide wissenschaftliche Grundlage hatte, kann man heute festhalten, dass das „geistige Blatt des Menschen“ zwar schon bei Geburt einige Lettern trägt, aber noch enorme Kapazitäten zum Ausbau des Wissens und zur Ausgestaltung der Individuation in sich birgt. Die „Schreibgeschwindigkeit“, die „Stilistik“ und den „Kontext“ dieser bei Geburt noch offenen Inhalte zu modulieren, ist Gegenstand von Neuroenhancement, Mood-Enhancement und Hirndoping, das hier näher betrachtet werden soll.
Gesellschaftliche Präsenz des Hirndopings
Neuroenhancement, Mood-Enhancement und Hirndoping sind gesellschaftliche Phänomene, die zunehmend Bedeutung erlangen [8]. Wie die Anglizismen widerspiegeln, handelt es sich um ein Phänomen, dass vor allem in den USA bereits eine weite Verbreitung gefunden hat. Aber auch in Europa und Deutschland ist die Thematik hochaktuell und beschäftigt die unterschiedlichen Medienformate sowie die Öffentlichkeit. Hieraus resultieren, zum Teil auch motivational bedingt, ganz unterschiedliche Begrifflichkeiten, welche bereits viel über mögliche Einstellungen, Hoffnungen und Vorurteile offenbaren. Paraphrasien sind beispielsweise „kosmetische Pharmakologie, kognitives Enhancement, Nootropika, Neuroenhancement, Gehirndoping, Wettrüsten im Kopf, Smart Drugs, Mind-Doping, Neuropusher, Brainbooster, Viagra for the Brain oder Botox for the Brain“. Es ist zu erwarten, dass die vielfältigen gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüche sowie die neuen medizinischen Entwicklungen die Frage der artifiziellen Verbesserungen der kognitiven Leistungsfähigkeit des Menschen sowie seiner Emotionalität und Motivation in der Zukunft noch mehr in den Vordergrund rücken werden.
Begriffsdefinition – Hirndoping, Neuroenhancement und Mood-Enhancement
Eine allseits anerkannte, allgemeingültige Definition für die Begrifflichkeiten Hirndoping, Neuroenhancement und Mood-Enhancement ist in der Literatur noch nicht zu finden, obwohl es durchaus Harmonisierungstendenzen gibt [16, 27]. Konsens ist, dass Hirndoping eine direkte pharmakologische Modulation von Gehirnfunktionen bedingt. Ihre Applikation ist nicht therapieindiziert, nicht ärztlich verordnet und es gibt auch keinen primär- oder sekundärpräventiven Ansatz. Prinzipiell muss sie als Form des Medikamentenmissbrauchs klar vom Drogenkonsum differenziert werden.
Hieraus resultiert folgende Definition: Hirndoping ist das Bestreben gesunder Menschen ohne Krankheitskorrelat und ohne medizinisch-präventiven Ansatz, die zentralnervöse Leistungsfähigkeit im Bereich Aufmerksamkeit, Vigilanz, Konzentration, Lernen und Gedächtnis sowie Emotionalität und Motivation durch die Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente zu verbessern [27]. Wichtig ist die Abgrenzung des Konsums aus Genussgründen. Viele gesellschaftlich-traditionell legitimierte Produkte, die Methylxanthin-Derivate wie Coffein, Theophyllin und Theobromin oder pflanzliche Extrakte, beispielsweise aus Ginkgo biloba, enthalten und mit dem Vorsatz einer geistigen Leistungssteigerung eingenommen werden, sind frei verkäuflich (sogenannte OTC-Produkte).
Neben diesem pharmakologischen Ansatz auf Basis synthetisch hergestellter sowie natürlicher aktiver Substanzen muss man heutzutage auch physikalisch-technische Verfahren als Mittel zum Neuroenhancement mit einbeziehen. Hierzu gehören unter anderen die transkranielle Magnetstimulation oder auch Stimulationsprozesse über oberflächliche und tiefe Hirnelektroden. Auf Letztere wird im Rahmen dieser Darstellung nicht eingegangen.
Motivation und Zielsetzung bei Neuroenhancement, Mood-Enhancement und Hirndoping
Motivational stehen für das Individuum zunächst die apparenten Aspekte der Steigerung der Aufmerksamkeit, Vigilanz und Konzentration, weiterhin von Lernen und Gedächtnis sowie die Modulation von Emotionalität und Motivation im Vordergrund. Die Positionierung des Menschen in der modernen Wissens- und Leistungsgesellschaft und der damit einhergehende Anpassungsdruck sind eine entscheidende Triebkraft dieses Prozesses. Gerade im Bereich des emotionalen Enhancement ist aber auch die Vorstellung der Selbstverwirklichung ein zentraler Motivationspunkt. Es mag verlockend erscheinen, Angst- und Erregungszustände oder auch melancholische Grundstimmungen, die Teil eines Individuationsprozesses jedes einzelnen Menschen sein können, medikamentös zu reduzieren, um so die beruflichen Chancen und sozialen Kompatibilitäten in einer Wissens- und Leistungsgesellschaft zu erhöhen. Neben diesem ambivalent zu bewertenden Aspekt sind einige der zu charakterisierenden Substanzen auch in der Lage, die Extinktion traumatischer Ereignisse zu fördern – sie könnten somit therapeutisch relevant sein (siehe unten). Ebenfalls potenziell bedeutsam ist Hirndoping für gesellschaftlich relevante Berufsgruppen, beispielsweise das Militär oder die Ärzteschaft.
Epidemiologie des Hirndopings
Dezidierte Informationen zur Epidemiologie sowie der dynamischen Entwicklung des Phänomens des genuinen Neuroenhancement, Mood-Enhancement und Hirndopings sind essenziell für die medizinische und gesellschaftspolitische Einschätzung dieses neuen Phänomens. Es sollen an dieser Stelle die Ergebnisse einiger nationaler und internationaler Erhebungen vorgestellt werden.
Der Gesundheitsreport der DAK (2009) [11] führt aus, dass im Rahmen einer E-Mail-Befragung von 20000 Berufstätigen im Alter von 20 bis 50 Jahren verschiedene Angaben zur Einnahme und zum Konsum von Neuroenhancern erhoben wurden. Insgesamt gingen rund 3000 Antworten ein, wobei jedoch keine Trennung nach aktiven Substanzen und der Häufigkeit ihrer Einnahme gemacht wurde. Es zeigte sich, dass 5% schon einmal Medikamente zum Zwecke des Hirndopings eingenommen hatten, 50% zur Verbesserung ihrer Stimmungslage sowie 43% zur Bekämpfung von Angstsymptomen. 2% der Antwortenden gaben an, regelmäßig zu dopen. Hieraus wurde in diversen Medien für Deutschland eine Zahl von 800000 bis 2000000 Menschen, die Hirndoping bzw. Neuroenhancement betreiben, extrapoliert. Interessanterweise bezogen 12% die Medikamente aus dem Internet.
Etwa ein Viertel der Befragten hielten Hirndoping für vertretbar. 50% befürchten, die Risiken könnten den Nutzen überwiegen (negatives Nutzen-Risiken-Verhältnis), während 20% den Nutzen höher einschätzen. Dennoch schließen 60% Hirndoping für sich aus, von diesen jedoch nur 3% wegen eines unverdienten Vorteils.
In einer Umfrage der Zeitschrift Nature 2008 machten 1400 Menschen aus 60 Ländern Angaben zur Einnahme von Methylphenidat, Modafinil und Betablockern. Es zeigte sich, dass 20% der Umfrageteilnehmer bereits entsprechende Substanzen konsumiert hatten, und zwar 62% Methylphenidat, 44% Modafinil, 15% Betablocker sowie in geringerer Anzahl verschiedene andere Amfetaminderivate. Interessanterweise befürworteten 80% die Anwendung von Hirndoping und in einem kontrovers diskutierten Nature-Artikel [18] sprachen sich die Autoren für eine verantwortungsbewusste Liberalisierung im Umgang mit kognitiven Enhancern aus. Auffallend ist auch bei dieser Erhebung, dass 34% der Umfrageteilnehmer die verschreibungspflichtigen Medikamente aus dem Internet, 14% aus der Apotheke und 52% unmittelbar von einem Arzt bezogen.
Einer US-Studie aus dem Jahr 2006 zufolge haben im Jahr 2003 von 19278 befragten Studierenden im 1. Semester bei 9161 Antworten insgesamt 8,1% in ihrem bisherigen Leben und 5,4% im vorausgehenden Jahr verschreibungspflichtige Substanzen zum Zwecke der geistigen Leistungssteigerung eingenommen [18]. Die sogenannte Mainzer Studie um Franke und Lieb führt diesen Ansatz weiter aus. Von den 1000 Schülern und 500 Studenten, die befragt wurden, zeigen die bisher 600 ausgewerteten Befragungen, dass 1 bis 2% mindestens einmal bereits Hirndoping betrieben haben, 10% würden unter keinen Umständen Hirndoping betreiben und 80% sahen als Voraussetzung an, dass Hirndoping keine unerwarteten Arzneimittelwirkungen (UAW) hat, Langzeitschäden oder Abhängigkeit bewirkt, also insgesamt ein positives Nutzen-Risiken-Verhältnis aufweist [27].
In einer Online-Umfrage der Zeitschrift Gehirn & Geist (2008) gaben 60% eine positive Einstellung zu Hirndoping an. In diesem Forum brachte auch 2009 ein deutsches Autorenteam seine liberale Auffassung zum Thema Neuroenhancement zum Ausdruck [17]. Weitere Erhebungen aus den USA zeigen, dass 17 bis 25% der US-Studenten Psychostimulanzien, vor allem Methylphenidat konsumieren [18], 7 bis 25% der Amerikaner nehmen regelmäßig Antidepressiva ein und 20 Millionen Amerikaner konsumieren regelmäßig Fluoxetin [16, 27, 32–34]. Leider fehlen derzeit spezifische Untersuchungen, in welchen Alters- und Berufsgruppen welche aktiven Substanzen bevorzugt zum Hirndoping eingesetzt werden. Hier zeigt sich die Notwendigkeit breiterer Erhebungen in der Zukunft.
Der evolutionäre Nährboden des Hirndopings – warum ist es heutzutage vergleichsweise einfach praktizierbar?
Das Vorliegen eines potenziell gesellschaftlichen oder individuellen Bedarfs zum kognitiven und emotionalen Enhancement impliziert nicht unverzüglich auch dessen Satisfizierung. Es ist daher zu hinterfragen, wie dieser Bedarf derzeit konkret befriedigt wird, zumal per definitionem die im Rahmen von Hirndoping angewandten Substanzen der Verschreibungspflicht unterliegen. Wichtig ist zunächst die Verfügbarkeit und Präsenz der Arzneimittel. Beispielhaft seien an dieser Stelle Daten aus dem Arzneimittelverordnungsreport 2009 von Schwabe und Paffrath angeführt. Hier zeigt sich, dass die Verordnungszahlen der SSRI-Antidepressiva (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) von 1998 bis 2008 auf das 7-Fache gestiegen sind (1998: 59 Mio. Tagesdosen – 2008: 426 Mio. Tagesdosen). Für Methylphenidat stiegen die Verordnungszahlen im selben Beobachtungszeitraum um das 10-Fache von 5 Mio. Tagesdosen auf 53 Mio. Tagesdosen [40]. Diese Entwicklung deutet unter anderem auf einen nicht unerheblichen Off-Label-Use hin.
Eine weitere wichtige Triebkraft ist die Alterung der Gesellschaft und die zunehmende Bedeutung neurodegenerativer Erkrankungen per se. Die damit assoziierte Forschungstätigkeit legt die Entwicklung neuer Pharmaka mit positiv-vigilatorischer und kognitiver Wirksamkeit nahe, was einen Off-Label-Use derartiger neuer aktiver Substanzen bei Gesunden im Sinne des Hirndopings fazilitieren könnte.
Zentraler Aspekt derzeit sind jedoch die Modalitäten der Arzneimittelbeschaffung selbst. Vor allem in den USA spielen sogenannte Abzweigungsstrategien eine nicht unerhebliche Rolle. Ritalin® wird hierbei als „Vitamin R“ oder „Intelligenzpillen“ auf den Schulhöfen und den Campi gehandelt [27]. Am bedeutsamsten ist heutzutage jedoch der Internethandel: Nach Erhebungen der European Alliance for Access of Safe Medicines (EAASM, www.eaasm.eu) boten im Jahr 2008 auf europäischer Ebene 102 von 106, also 90% der Internetapotheken den Versand von verschreibungspflichtigen Medikamenten ohne Rezept an. Studien in den USA durch die CASA (US National Center on Addition and Substance Abuse, www.casacolumbia.org) von 2008 bestätigen dies: 85% von 1959 Internetapothekenanbietern ignorierten demnach die Rezeptpflicht. Durch das systematische Unterlaufen der Verschreibungspflicht würde sich auch in Zukunft die individuelle Akquise entsprechender aktiver Substanzen jeglicher regulatorischen Kontrolle entziehen. Der zusätzliche Wegfall der gesellschaftlichen Kontrolle, da anonymisiert betrieben, fördert diesen Vorgang. Eine Kontrolle des Internethandels ist ein vorrangiges, aber unter realistischer Betrachtung auch schwer zu verwirklichendes Ziel.
Physiologische Grundlagen von Aufmerksamkeit, Vigilanz, Konzentration, Lernen und Gedächtnis sowie Emotion
Aufmerksamkeit und Vigilanz
Sensorische und sensible Informationen werden in spezifischen Thalamuskernen als „Tor zur Großhirnrinde“ verschaltet und zum Kortex projiziert, und zwar in primäre, sekundäre und höhere kortikale Assoziationsareale, die eine komplexe Informationsverarbeitung vermitteln [38]. In den Kortex eingehende Information wird aber auch an den Thalamus redelegiert. Man spricht neuroanatomisch vom sogenannten thalamokortikalen-kortikothalamischen Netzwerk, das auf thalamischer wie kortikaler Ebene Glutamat als Neurotransmitter verwendet. Eine wichtige zwischengeschaltete Struktur ist der GABAerge Nucleus reticularis thalami (NRT).
Die thalamischen Neuronen können zellulär-elektrophysiologisch zwischen drei unterschiedlichen Funktionsmodi wechseln. Hohe Vigilanzstufen und Aufmerksamkeitsniveaus sind auf thalamischer Ebene durch den sogenannten tonischen Funktionsmodus gekennzeichnet, in welchem die kortikal gerichteten Aktionspotenzialmuster den eingegangenen sensorisch-sensiblen Stimulus kodieren. Die Thalamusneurone sind hierbei geringgradig depolarisiert (circa –50 mV). Kommt es zur Hyperpolarisation, durchlaufen die Zellen zunächst den intermediären Modus, bevor sie den sogenannten rebound burst-Modus erreichen (circa –70 mV), in welchem repetitiv sogenannte niederspannungsaktivierte Ca2+-Spikes mit superpositionierten Na+-Spikes zusammenfinden. Dieser Modus korreliert mit niedrigen Vigilanzstadien und ist typisch für den sogenannten Schlaf mit langsamen Wellen (slow-wave sleep, SWS) [28]. Fehlfunktionen dieses Systems spielen als thalamokortikale Dysrhythmien, beispielsweise im Rahmen von Absencen, Depressionen und neurodegenerativen Erkrankungen, eine wichtige Rolle.
Das evolutionär vergleichsweise junge thalamokortikale System, welches dem Transfer externer Information zum Kortex, dessen Bewusstwerdung und weiteren Verbreitung dient, wird wie bereits oben angeführt, durch evolutionär ältere Systeme in seiner Aktivität moduliert. Hierbei kommt vor allem der Formatio reticularis mesencephali mit den assoziierten Kernstrukturen eine entscheidende Rolle zu. Bei niedriger Vigilanz ist der exzitatorische Input dieser Strukturen auf das thalamokortikale System gering. Im EEG zeigen sich höheramplitudige und niederfrequente Wellen im Alpha-, Theta-, Delta-Bereich. Im Gegenzug erhöht sich bei hoher Vigilanz der exzitatorische Output der Formatio reticularis mit konsekutiv niedriger Amplitude und höherer Frequenz im EEG im Rahmen von Beta- und Gamma-Aktivität. Weitere extrathalamokortikale Strukturen sind der cholinerge pedunkulopontine und laterodorsale tegmentale Kern sowie der Nucleus basalis Meynert. Der Locus coeruleus projiziert noradrenerg sowie der Raphe-Kern serotonerg.
Neben diesen Strukturen müssen noch zwei Aufmerksamkeitszentren differenziert werden, ein vorderes, präfrontales sowie ein hinteres, posterior-parietal lokalisiertes Zentrum. Das frontale Aufmerksamkeitszentrum wird hierbei vor allem durch das dopaminerge System der ventralen tegmentalen Region (Area tegmentalis ventralis) moduliert, und zwar über D1-Rezeptorinhibition exzitatorischer NMDA-(N-Methyl-D-Aspartat-)Inputs aus anderen kortikalen Regionen. Das hintere Aufmerksamkeitszentrum wird vor allem durch den noradrenergen Input des Locus coeruleus beeinflusst, welcher in das thalamokortikale System projiziert und das Signal-Rausch-Verhältnis der Zielzellen im Thalamus und Kortex verbessert, indem die basale neuronale Feuerrate gemindert wird [19]. Beide oben angeführten Systeme sind Bestandteil des sogenannten mesenzephal-limbischen oder mesolimbischen Systems (des sog. Belohnungssystems), auf das weiter unten nochmals eingegangen wird.
Lernen und Gedächtnis
Physiologisch differenziert man nach Larry Squire (1987) und Endel Tulving (1995) zwei unterschiedliche Gedächtnissysteme, das implizite (prozedurale, nichtdeklarative) Verhaltensgedächtnis auf der einen Seite sowie das explizite (deklarative, relationale, bewusste, noetische, kognitive) Gedächtnis auf der anderen Seite. Das implizite Gedächtnis umfasst unter anderem „einfache“ Formen wie die Habituation und Sensitivierung, welche wahrscheinlich auf synaptischer Depression bzw. Augmentation beruhen. Auch die von führenden Behavioristen des 20. Jahrhunderts beschriebenen Prozesse der klassischen und instrumentellen (operanten) Konditionierung bedingen Konsolidierungsprozesse des impliziten Gedächtnisses. Ebenfalls in diese Gruppe gehört das sogenannte skills- oder habit-Lernen, bei dem es sich vor allem um das Erlernen und die Speicherung motorischer Fähigkeiten handelt. Zuletzt sei noch das sogenannte Erfahrungslernen oder priming angeführt, ein Ansatz, auf den unter anderem zu Werbezwecken häufig zurückgegriffen wird.
Das explizite Gedächtnis umfasst zwei Hauptkategorien: das biographische (episodische) Gedächtnis sowie das semantische Gedächtnis, das vorwiegend dem Fakten-Lernen dient. Das explizite, deklarative Gedächtnis beinhaltet neuroanatomische Strukturen zur Konsolidierung der Gedächtnisengramme, weiterhin den eigentlichen Speicherort der Gedächtnisinhalte sowie Strukturen zu deren Abrufung, der sogenannten Ekphorie. Die anatomischen Korrelate stellen hierbei das limbische System mit dem Hippocampus, der Kortex als großer assoziativer Speicher (Neokortex, Assoziationskortizes) sowie der linke temporofrontale Kortex als zentraler Ort ekphorischer Prozesse dar. Nach Schätzungen von Stevens (1996) kann 1 mm3 kortikales Volumen unter der Vorausetzung einer binären Informationskodierung rund 100 Mega-Byte Informationen abspeichern [42]. Bei einem geschätzten Gesamt-Kortexvolumen des Menschen von 440 cm3 beliefe sich die Gesamtspeicherkapazität auf 44 Tera-Byte. Inwiefern dies der Realität nahekommt, bleibt offen.
Unter zeitlichen Gesichtspunkten der Informationsspeicherung kann man zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis differenzieren. Das Kurzzeitgedächtnis umfasst das sensorische Gedächtnis (Informationsretentionsdauer <1 s) sowie das primäre Gedächtnis (Sekunden bis Minuten). Das Langzeitgedächtnis dagegen beinhaltet das sekundäre Gedächtnis (Minuten bis Jahre) sowie das tertiäre Gedächtnis (lebenslange Konsolidierung). Der Prozess des Vergessens, das Verlustiggehen von Gedächtnisengrammen, erfolgt durch sogenannte proaktive und retroaktive Interferenz.
Die physiologischen und biochemischen Grundlagen lern- und gedächtnisbezogener Prozesse, auf denen jede pharmakodynamische Interferenz beruhen muss, sind zu einem großen Teil aufgeklärt. Bereits 1946 formulierte Donald Hebb das sogenannte Hebb’sche Prinzip, wonach Lernprozesse auf strukturellen und funktionellen synaptischen Modulationen beruhen. Der seit der Mitte des 20. Jahrhunderts eingeschlagene Weg des „Reduktionismus“ in der Gedächtnisforschung, vor allem durch Studien von Eric Kandel an den Synapsen der Meeresschnecke Aplysia, haben unserem Wissen um die zugrunde liegenden Mechanismen neue Horizonte eröffnet. So zeigte sich, dass für die kurzfristige Konsolidierung von Gedächtnisengrammen die Aktivierung intrazellulärer Signaltransduktionskaskaden eine essenzielle Rolle spielt, beispielsweise mittels zyklischem Adenosinmonophosphat und Proteinkinase A (cAMP, PKA), Phospholipase C und Inositoltriphosphat (PLC, InsP3) sowie Diacylglycerol und Proteinkinase C (DAG, PKC). Die so vermittelte Modulation vor allem spannungs- und ligandengesteuerter Ionenkanäle über sogenannte Interkonversion, das heißt Phosphorylierung und Dephosphorylierung spezifischer Zielproteine, ermöglicht die räumliche und zeitliche Depression oder Augmentation synaptischer Aktivität. Für langfristige Konsolidierung von Gedächtnisengrammen sind Interkonversionsprozesse allein jedoch nicht ausreichend. Es sind dann längerfristige biochemische Veränderungen auf Transkriptions- und Translationsebene notwendig. Eine zentrale Komponente in diesem Zusammenhang ist das CREB(cAMP reponse element binding)-Protein, welches ein positives intra- wie extrazelluläres Gedächtnis-Feedback als auch synaptische Reorganisation vermitteln kann. Das ZNS stellt somit insgesamt eine Struktur von enormer funktioneller und struktureller Plastizität dar. Informationen, das heißt spezifische immaterielle Energiezustände von Raum und Zeit, werden im Rahmen von Lern- und Gedächtnisprozessen auf materieller, synaptisch-neuronaler Ebene kodiert. In eben diese Prozesse soll Hirndoping eingreifen.
Emotionen, Stimmungen und Gefühle
Der phrenologische Ansatz des frühen 19. Jahrhunderts unter Franz Joseph Gall (1758–1828) suggerierte ein zentralisiert strukturiertes Nervensystem, in dem einzelne Funktionen und Modalitäten definierten und umschriebenen Hirnarealen zugeordnet sind. Heute wissen wir, dass dieser Ansatz nicht haltbar ist. Das ZNS ist dezentral aufgebaut und einzelne Funktionen basieren auf komplexen neurophysiologisch-anatomischen Korrelaten. Dies gilt in ganz besonderer Weise für die sogenannten Fundamental- oder Basisemotionen. Derartige Emotionen lassen sich in ihrer Ausprägung durch intrinsische und extrinsische Faktoren modulieren und entäußern sich über drei Antwortkanäle: das Vegetativum, das Neuroendokrinium sowie das motorische System. Die Bewusstwerdung der Emotionen, also die Gefühlsbildung impliziert dagegen die Miteinbeziehung auch höherer kortikaler Areale. Besonders die Fundamentalemotionen Furcht (gerichtet) und Angst (ungerichtet) sind für das Individuum im gesellschaftlichen Kontext von großer Bedeutung. Physiologisch sind bei der Generierung von Furcht und Angst neben den kortikalen Arealen, die eher modifizierenden oder abschwächenden Charakter auf Furcht- und Angstverhalten haben können, vor allem subkortikale Strukturen, wie die beiden Corpora amygdaloidea zu nennen. Während der basolaterale Anteil der Amygdala eine Schnittstellenstruktur (Interface) darstellt, die mit anderen Hirnstrukturen kommuniziert, generiert der zentrale Abschnitt der Amygdala das Antwortverhalten. So steuert der zentrale Abschnitt unter anderem die Area ventralis tegmentalis, den Locus coeruleus sowie den Nucleus tegmentalis dorsolateralis und führt über Aktivierung des dopaminergen, noradrenergen und cholinergen Systems auch zu behavioralem und EEG-Arousal sowie erhöhter Vigilanz. Furcht und Angstreaktionen sind auch lerngebundene Prozesse. So ist es nicht verwunderlich, dass sowohl der Papez-Neuronenkreis mit Hippocampus, Corpora mammilaria, Fornix und Gyrus cinguli zur Verwaltung kognitiver Gedächtnisinhalte als auch das basolaterale limbische System mit Amygdala, amygdalafugaler Bahn, mediodorsalem Thalamus, thalamokortikalen Fasern, vorderem Basalhirn inklusive Septum und Bandeletta diagonalis zur Verwaltung emotionaler Gedächtnisinhalte den Hippocampus als zentrale kontextuell-integrierende Komponente beinhalten. Gelerntes Furcht- und Angstverhalten lässt sich über eine Extinktion entsprechender Gedächtnisengramme durchaus wieder verlernen, ein Prozess, der vor allem im medialen präfrontalen Kortex lokalisiert ist und für das emotionale Neuroenhancement als bedeutsam erachtet werden kann.
Neuroenhancement und Mood-Enhancement – Substanzgruppen, Pharmakologie und Regulatorik
Purine und Methyxanthinderivate
Zu den zentralwirksamen stimulierenden Psychopharmaka oder Psychostimulanzien zählt man unter anderem die Purine oder Methylxanthinderivate. Hierzu gehören eine Vielzahl von Genussmitteln, die Coffein (Caffein), Theophyllin und Theobromin beinhalten. Coffein findet sich in variierenden Konzentrationen in Kaffeebohnen (Coffea arabica, 0,96–2%), Blättern des Schwarzen Tees (Thea sinensis, 3–5%), Mate (Lex paraguarensis, 1,63%), Kolanuss (Cola niida, 1–2%), Kakaobohnen (Theobroma cacao, 0,05–0,36%) sowie Guarana (Paullinia-Arten, circa 10%). Theophyllin ist zu circa 0,1% in Teeblättern, Theobromin zu 1,5 bis 3% als Hauptalkaloid in der Kakaobohne enthalten. Pharmakodynamisch ging man lange Zeit davon aus, dass eine Hemmung der cAMP-Phosphodiesterase (cAMP-PDE-Inhibition) mit konsekutivem Anstieg des intrazellulären cAMP die Methylxanthinderivat-Effekte im ZNS vermittelt. Heute weiß man, dass die zentralnervösen Methylxanthinkonzentrationen unter Konsum in der Regel nicht ausreichen, einen relevanten cAMP-PDE-inhibitorischen Effekt zu bewirken. Dieser wird für die peripheren Effekte dieser Stoffgruppe verantwortlich gemacht. In die zentralen Effekte sind P1-Purinorezeptoren, im speziellen A1- sowie A2A-Rezeptoren involviert, an welchen Methylxanthine antagonistische Effekte vermitteln. Aufgrund der inhibitorischen Wirkung prä- und postsynaptischer A1-Rezeptoren vermittelt Coffein eine Rezeptor-Disinhibition, welche im intralaminären mediothalamischen Thalamus wie auch im Striatum und der Formatio reticularis zu einer Akzeleration zentralnervöser Prozesse führt [16]. Coffein fördert im Gegensatz zu anderen Psychostimulanzien (siehe unten) die Dopaminfreisetzung präferenziell im präfrontalen Kortex, während die Dopaminliberation im ventralen Striatum als einem Kernbereich des mesolimbischen Belohnungssystems ausbleibt [12, 13]. Damit unterscheidet sich die Pharmakodynamik entscheidend von der direkten pharmakologischen Interaktion anderer Psychostimulanzien mit dem dopaminergen System, die eine viel geringere Habituation aufweist [14, 20, 37].
Pharmakodynamisch wird darüber hinaus auch von einer rezeptorvermittelten Mobilisation intrazellulärer Calciumionen ausgegangen. Die unerwarteten Arzneimittelwirkungen, wie Unruhe, Reizbarkeit, Tremor, Schmerzen in der Herzgegend, Pulsunregelmäßigkeiten, Extrasystolen, Palpitationen, Emesis, gastrointestinale Beschwerden, Appetitverlust und Dyspepsien resultieren unmittelbar aus der Physiologie sowie der beschriebenen Pharmakodynamik. Dementsprechend stellen Hypertonie, Hyperthyreose, Epilepsie, Manie, Schizophrenie sowie Ulcus ventriculi et duodeni Kontraindikationen für die Applikation dar. Studien haben gezeigt, dass 1 bis 3 Tassen Kaffee/Tag (entsprechend circa 50 bis 200 mg Coffein) einen schnelleren Gedankenfluss, eine Unterdrückung von Schläfrigkeit und Müdigkeit, wirkungsvollere Ideenassoziationen sowie verbesserte Wahrnehmung sensorischer Reize zur Folge haben. In höheren Dosen treten dagegen Fahrigkeit und Konzentrationsverlust, Logorrhö und Schlafinhibition auf.
Es existieren einige Methylxanthinderivate, beispielsweise Bromtheophyllin, Chlortheophyllin, Aminophyllin, Dipropylcyclopentylxanthine, Doxofyllin oder Paraxanthin, die unter regulatorischen Gesichtspunkten nur von untergeordneter Bedeutung sind. Viele haben theoretischen bzw. grundlagenwissenschaftlichen Wert, für Aminophyllin (Theophyllin und Diethylamin) existieren jedoch vier Zulassungen für die Indikation Asthma bronchiale. Coffein findet sich in Kombination mit anderen Wirkstoffen bei 89 Zulassungen. Bei diesen Kombinationspräparaten handelt es sich vor allem um Analgetika mit dem Indikationsfeld Kopfschmerzen. Insgesamt muss man konstatieren, dass die Methylxanthinderivate in pivotalen Studien ihre Wirksamkeit im Sinne einer Verbesserung der Aufmerksamkeit sowie einer Reduktion von Reaktionszeit und Müdigkeit belegt haben. Gedächtnisleistungen und Stimmungen blieben jedoch unbeeinflusst [16].
Phenylethylaminderivate (Weckamine)
Eine weitere Gruppe der Psychostimulanzien sind die Phenylethylaminderivate (Weckamine), zum Beispiel Amfetamin, Dexamfetamin, Metamfetamin, Ephedrin, Phenmetrazin, Norpseudoephedrin, Fenetyllin, Levopropylhexedrin, Amfepramon, Mefenorex, Fenfluramin, Pemolin und Fenproporex. Methylphenidat, auf das weiter unten noch im Detail eingegangen wird, weist zwar strukturelle Abweichungen vom Phenylethylamin-Grundgerüst auf, es wird aber aufgrund seiner Pharmakodynamik hier ebenfalls behandelt. Pharmakodynamisch üben Weckamine dopaminerge und adrenerge Wirkungen aus. Sie können die Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin aus präsynaptischen Nervenendigungen fazilitieren, zum anderen aber auch eine Hemmung der Wiederaufnahme (reuptake inhibition) in die Nervenendigungen bewirken [15, 16]. Charakteristisch für diese Pharmakodynamik ist das Tachyphylaxie-Phänomen.
Der Indikationsbereich dieser Substanzgruppe ist mittlerweile stark eingeschränkt: Weckamine fungieren als Psychoanaleptika und als Appetitzügler (Anorektika). In der Therapie sind sie, mit Ausnahmen, weitgehend obsolet. Das Nebenwirkungsprofil umfasst Euphorie, gesteigertes Selbstvertrauen, erhöhte Aktivität bzw. verminderte Müdigkeit und Schläfrigkeit, motorische Unruhe, Logorrhö, eventuell dysphorische Angst- und Spannungszustände sowie vegetative Symptomatik.
Unter regulatorischen Gesichtspunkten sind die meisten Vertreter der Weckamine obsolet. In den USA ist Amfetamin für die Indikation Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie Narkolepsie zugelassen, Methylphenidat ebenfalls bei ADHS. In Deutschland stehen für Methylphenidat bei ADHS insgesamt 51 verkehrsfähige Arzneimittel zur Verfügung, die sich mit 33 Verfahren zum überwiegenden Teil aus gegenseitigen Anerkennungsverfahren (MRP; n=25) oder dezentralen Verfahren (DCP; n=8) und in 18 Verfahren aus nationalen Anträgen rekrutieren. Eine zentrale europäische Zulassung gibt es nicht. Der Einsatz von Methylphenidat ist im Sinne einer therapeutischen Gesamtstrategie zu sehen, wenn andere Maßnahmen allein sich als unzureichend herausstellen. Wichtig ist, dass die Behandlung unter der Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern erfolgt (zur Erwachsenenindikation siehe unten). Alternativ steht bei Kindern und Jugendlichen ab dem 6. Lebensjahr der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) Atomoxetin mit 22 verkehrsfähigen Arzneimitteln zur Verfügung. Bei Jugendlichen, bei denen die Symptomatik ins Erwachsenenalter fortbesteht und die eindeutig von der Behandlung profitierten, kann es angemessen sein, die Behandlung ins Erwachsenenalter hinein fortzuführen. Ein Beginn der Behandlung mit Atomoxetin im Erwachsenenalter (De-novo-Applikation) wird jedoch nicht als angemessen betrachtet. Auch Atomoxetin kann nur Teil eines therapeutischen Gesamtkonzepts bei der Therapie der ADHS sein.
Einige Vertreter der Phenylethylamine haben Zulassungen als Anorektika. So gibt es derzeit zwei Zulassungen für Ephedrin-haltige Kombinationspräparate, vier Zulassungen für Amfepramon- sowie zwei Zulassungen für Sibutramin-haltige Präparate.
Die Phenylethylamine zeigten bei gesunden Probanden eine belegbare Wirksamkeit auf Vigilanz, Aufmerksamkeit, Reaktionszeit und Müdigkeit. Wie bei den Methylxanthinderivaten wurden Gedächtnisleistung und Stimmung aber nicht tangiert [16, 27].
Methylphenidat
Methylphenidat nimmt pharmakologisch, regulatorisch und gesellschaftlich derzeit eine besondere Stellung ein. Methylphenidat ist zur Behandlung der ADHS bei Kindern ab sechs Jahren und Jugendlichen nach Ausschöpfung anderer Therapiealternativen unter der Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern indiziert. Als Spezialist können ein Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Facharzt für Nervenheilkunde, für Neurologie und/oder Psychiatrie oder für Psychiatrie und Psychotherapie oder ärztliche Psychotherapeuten mit einer Zusatzqualifikation zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen nach §5 Abs. 4 der Psychotherapie-Vereinbarungen fungieren. Im Jahre 2009 stiegen die Verordnungszahlen Methylphenidat-haltiger Arzneimittel im Vergleich zu 2008 um 5,1% (von 53 Mio. auf 55,3 Mio. Tagesdosen), was die Notwendigkeit einer strikt indikationskonformen Verschreibung durch den Spezialisten nochmals unterstreicht. Im April 2011 stimmte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach intensiver Prüfung einem Antrag auf Indikationserweiterung des Methylphenidat für Erwachsene zu, was zum einen eine Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten betroffener ADHS-Patienten darstellt, zum anderen aber auch mehr Handlungssicherheit bei der Verordnung durch den behandelnden Arzt mit sich bringt.
Ätiopathogenetisch spielen bei ADHS neben vielen weiteren extrinsischen und intrinsischen Faktoren auch hereditäre Komponenten eine Rolle. So finden sich bei ADHS-Patienten genetische Polymorphismen, beispielsweise bei Dopamintransportern, D4- und D5-Rezeptoren, der Dopamin-β-hydroxylase, SNAP-25 und 5-HT-Rezeptoren. Diese Veränderungen gehen konsekutiv mit Funktionsstörungen des Dopamin-, Noradrenalin- und Serotonin-Haushalts einher. Erstaunlicherweise zeigte sich, dass ADHS hinsichtlich der Suszeptibilität molekulargenetische Überschneidungen mit der Genese von Suchterkrankungen aufweist. Bei Letzteren finden sich Polymorphismen der Alkoholdehydrogenase, der Aldehyddehydrogenase, des Cytochrom P450, der D1-, D2-, D4- und D5-Rezeptoren, der Dopamintransporter sowie der Monoaminoxidase A (MAO A) [19]. Klinisch-epidemiologisch äußern sich diese Überschneidungen in der Beobachtung, dass die Lebenszeitprävalenz für komorbide Suchterkrankungen in der Allgemeinbevölkerung bei 15%, bei ADHS-Patienten dagegen bei 50% liegt; für komorbiden Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit bei 17 bis 45%, für komorbiden Drogenmissbrauch/-abhängigkeit bei 9 bis 30%. Keine Präferenz einzelner Suchtmittel bei ADHS-Patienten gegenüber Kontrollpersonen fand sich dagegen für Cannabis (76% vs. 72%), Cocain (23% vs. 21%), Psychostimulanzien (18% vs. 10%), und Sedativa (14% vs. 10%). Der Konsum von Opioiden (16% vs. 3%), Halluzinogenen (18% vs. 7%) und Nicotin (40% vs. 19%) war dagegen bei ADHS-Patienten höher als in der Kontrollgruppe [34]. Hieraus lässt sich deduzieren, dass ADHS mit einem früheren Beginn einer Suchterkrankung, einer rascheren Progression von Substanzmissbrauch sowie intensiverem Konsum einhergeht.
Das mesolimbische Belohnungssystem, auf das bereits eingegangen wurde, ist Teil des Motivationssystems und spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen [10, 29]. Die wichtigsten involvierten Strukturen sind das ventrale Tegmentum, der Präfrontalkortex, Nucleus caudatus, Putamen, Nucleus accumbens, Hippocampus und die Corpora amygdaloidea. Die Präsentation drogenassoziierter Reize wie auch die Substanzeinnahme bewirkt eine erhöhte Aktivität im Striatum und der Amygdala. Die striatale Aktivität weist eine negative Korrelation mit Hyperaktivität und Impulsivität auf. So scheint eine bei ADHS-Patienten zu beobachtende verminderte Aktivität im Striatum mit einer erhöhten Impulsivität und einer höheren Vulnerabilität gegenüber Suchterkrankungen zu korrelieren [19]. Das verminderte Ansprechen auf Belohnung impliziert ein kompensatorisches Neugierverhalten (sensation seeking), welches mit einer erhöhten Komorbidität von Suchterkrankungen assoziiert ist [19].
Wissenschaftlich, aber auch medizinisch-gesellschaftlich stehen die Aspekte eines möglichen Missbrauchspotenzials von Methylphenidat, sein potenziell protektiver Effekt bezüglich späteren Substanzkonsums sowie die Frage der Behandlung suchtkranker Patienten mit Methylphenidat im Zentrum des Interesses. Die Resultate zum Missbrauchspotenzial sind inkonsistent [34]. Kollins et al. (2001) [24] beschreiben bei i.v. appliziertem Methylphenidat bei Ratten und Rhesusaffen ein Suchtpotenzial. Andere tierexperimentelle Studien lieferten jedoch widersprüchliche Ergebnisse. So fanden Brandon et al. (2001) [6] bei Ratten nach Methylphenidat-Behandlung eine erhöhte Neigung zu Cocainkonsum, andere Studien dagegen sprachen deutlich gegen eine suchterzeugende Wirkung von Methylphenidat [1, 9]. Kollins et al. (2001, 2003) [22, 24] kommen in einer Metaanalyse von 32 klinischen Studien sowie unter Berücksichtigung von pharmakokinetischen Eigenschaften zu dem Schluss, dass bei Vorliegen von ADHS und oraler Methylphenidat-Applikation keine Hinweise für ein Missbrauchspotenzial vorliegen. Es existieren zwar auffallende Komorbiditäten von Abhängigkeitserkrankungen und ADHS-Diagnose, diese beruhen allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem gestörten Dopaminhaushalt bei ADHS-Patienten selbst [7, 23, 43]. Aufgrund der Darreichungsform (Tablettenform) und der dadurch bedingten langsamen zentralnervösen Anflutung kommt es weiterhin nicht zu pulsartigen Dopaminfreisetzungen, was das Abhängigkeitspotenzial deutlich reduziert oder nivelliert [3, 4].
Die Pathoneurophysiologie und Pharmakodynamik des Methylphenidat erlauben die Spekulation, dass die Applikation zum einen suchtpräventiven Charakter haben kann und zum anderen auch bei der Behandlung Suchtkranker Wirksamkeit zeigen könnte. Insgesamt ist die Datenlage heterogen [34]. Während Wilson and Levin (2005) einen potenziell protektiven Effekt im Jugendalter finden, zeigte die amerikanische MTA-Studie (MTA Cooperative Group, 1999) keinen eindeutig protektiven Effekt in den Nachuntersuchungen. Zwei aktuelle Studien konnten weder einen positiven noch einen negativen Einfluss einer Methylphenidat-Medikation von Kindern mit ADHS auf die Entstehung einer Suchterkrankung im späteren Erwachsenenalter belegen [5, 30]. Noch schwieriger gestaltet sich derzeit die Beurteilung eines möglichen Benefits Suchtkranker durch eine Methylphenidat-Therapie. Das Studiendesign umfasst bislang häufig nur Einzelfallberichte oder Studien mit geringem Stichprobenumfang [34]. Dennoch muss man konstatieren, dass es Hinweise auf eine Reduktion von Substanzkonsum gibt, wie auch zwei kleinere Studien mit reduziertem Cocainkonsum unter Methylphenidat-Gabe nahelegen [26, 41]. Andere Plazebo-kontrollierte Studien ergaben weniger eindeutige Resultate [39]. Die Studienlage ist derzeit noch uneinheitlich und aufgrund der Bedeutungsschwere dieses Aspekts sind pivotale doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studien in der Zukunft wünschenswert.
Cocain
Ebenfalls zur Gruppe der Psychostimulanzien gehört das Cocain. Seit über 2000 Jahren kauen amerikanische Indianer Blätter der Koka-Pflanze (Erythroxylon coca), die das Alkaloid Cocain enthalten. Es hat sich gezeigt, dass die erhöhte körperliche Leistungsfähigkeit nach Aufnahme allerdings auch mit einer reduzierten Lebenserwartung der Indianer vergesellschaftet ist. Regulatorisch ist Cocain derzeit ohne Bedeutung. Während es früher zur Oberflächenanästhesie am Auge verwandt wurde, findet sich derzeit keine therapeutische Anwendung. Als Rauschgift hat es ein starkes Abhängigkeitspotenzial. Ähnlich wie die Weckamine greift auch Cocain in den Dopamin- und Noradrenalin-Haushalt ein. Es hemmt die Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme in präsynaptischen Nervenendigungen und vermittelt auf diese Weise die psychomotorisch stimulierenden und euphorisierenden Effekte.
Modafinil
Pharmakodynamisch entfaltet auch Modafinil seine Wirkung über eine präsynaptische Wiederaufnahmehemmung von Dopamin und Noradrenalin. Weiterhin scheint eine Modulation GABAerger und glutamaterger Neurotransmissionssysteme eine Rolle zu spielen.
In den USA ist Modafinil für die Narkolepsie mit Kataplexie, imperativem Schlafdrang und hypnagogen Halluzinationen zugelassen, außerdem für das chronische Schichtarbeitersyndrom sowie das Schlafapnoe-Syndrom mit exzessiver Tagesschläfrigkeit, wenn andere Maßnahmen, beispielsweise CPAP-Beatmung (CPAP: continuous positive airway pressure) nicht ausreichend wirksam sind [2]. In Europa wurde im Rahmen eines Risikobewertungsverfahrens (nach Direktive 2001/83/EC, Art. 31) das Indikationsspektrum im November 2010 einzig auf die Narkolepsie eingeschränkt. In den USA finden Untersuchungen zur Wirksamkeit von Modafinil bei ADHS statt. In Deutschland existieren neun Zulassungen, aus sieben dezentralen (MRP, DCP) sowie zwei nationalen Verfahren.
Nebenwirkungen von Modafinil sind Tachykardien, Hypertonie, Palpitationen, Tremor, Unruhe, Kopfschmerzen, Vertigo, Mundtrockenheit, gastrointestinale Symptome (Vomitus, Diarrhö), Visuseinschränkungen, Benommenheit, Schlaflosigkeit. Berichte über Abusus und schwerwiegende Nebenwirkungen, wie das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS), toxisch-epidermale Nekrolyse (TEN) oder Drug Rash with Eosinophilia and systemic Symptoms (DRESS) sind vorhanden [31, 35]. Die Ergebnisse pivotaler Studien zur Wirksamkeit von Modafinil bei Gesunden sind indifferent [16, 33]. Einzig für die Reaktionszeit zeigte sich eine deutliche Reduktion. Daher wird Modafinil derzeit als eine der wenigen Substanzen angesehen, die ansatzweise den Ansprüchen eines Neuroenhancement genügen [17].
Nootropika (Antidementiva, Psychoenergetika)
Zu dieser Gruppe gehören unter anderem Donepezil (151 Zulassungen, davon 98 dezentral, DCP, MRP), Rivastigmin (354 Zulassungen, davon 332 zentral oder dezentral), Galantamin und Tacrin. Alle genannten aktiven Substanzen sind Acetylcholinesteraseinhibitoren, Rivastigmin zusätzlich auch ein Butyrylcholinesterasehemmer sowie Galantamin ein allosterischer Modulator des nikotinischen Acetylcholinrezeptors. Indikationsgebiet sind vor allem die leichte bis mittelschwere Form der Alzheimer-Demenz sowie die leichte bis mittelschwere Demenz im Rahmen eines Parkinson-Syndroms. Als Nebenwirkungen können gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Vomitus, Diarrhö), Kopfschmerzen, Tremor, Appetitlosigkeit, Harninkontinenz, dosisabhängig auch Halluzinationen, Erregungszustände und aggressives Verhalten auftreten.
Obwohl Donepezil in einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie, in der die Leistungsfähigkeit von Piloten im Flugsimulator evaluiert wurde, in einigen Parametern Verbesserungen bewirkte, ist die Gesamtdatenlage für Donepezil wie für die übrigen Nootropika bei gesunden Probanden als indifferent einzustufen [33]. Valide Hinweise auf eine Wirksamkeit im Rahmen eines Hirndopings finden sich nicht [16].
Dies gilt auch für Memantin, den aktiven Metaboliten von Amantadin (Adamantan-Derivat) [36]. Pharmakodynamisch handelt es sich um einen partiellen Antagonisten an NMDA-Rezeptoren. Indiziert ist Memantin bei der mittelgradigen bis schweren Alzheimer-Demenz. Derzeit existieren 82 zentrale Zulassungen. Das Nebenwirkungsprofil umfasst Hypertonie, Kopfschmerzen, Schwindel, Schläfrigkeit, Obstipation, bei Überdosierung auch Müdigkeit, Benommenheit, Schwächegefühl, Schwindel, Agitiertheit und gastroinstestinale Symptome.
Antidepressiva – Mood-Enhancers
Pharmakodynamisch handelt es sich bei den Mood-Enhancers vor allem um selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI). Beispiele sind Fluoxetin (64 Zulassungen, 14 dezentral), Fluvoxamin (31 Zulassungen, 8 dezentral), Citalopram (181 Zulassungen, 107 dezentral), Escitalopram (62 Zulassungen, 36 dezentral), Paroxetin (81 Zulassungen, 60 dezentral) und Sertralin (114 Zulassungen, 65 dezentral).
Bei Gesunden sollen sie insbesondere der Verbesserung der Stimmung und sozialen Funktionstüchtigkeit dienen, soziale Ängste mindern und ein sicheres Auftreten fördern. Das Nebenwirkungsprofil umfasst gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Vomitus, Diarrhö, Obstipation), Nervosität, Schlaflosigkeit und Benommenheit. Bei Überdosierung kann es zum sogenannten serotonergen Syndrom mit Tachykardie, Hypertonie, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Unruhe, Halluzinationen, Tremor, Hyperreflexie und Krampfanfällen kommen. Hinsichtlich der Wirksamkeit der SSRI und SSNRI als Mood-Enhancer auf kognitive und Stimmungsparameter zeigten sich bei Gesunden keine positiven Effekte, eventuell muss sogar eine negative Beeinflussung kognitiver Funktionen in Betracht gezogen werden [16, 33].
Neuere Entwicklungen
Während die Wirksamkeit der oben angeführten Substanzen in Hinblick auf eine Steigerung kognitiver Leistungsfähigkeit und der Gedächtnisleistung bei Gesunden gering beziehungsweise nicht belegbar ist, gibt es neuere Substanzen, die durchaus vielversprechend erscheinen. Hierzu gehört Rolipram, ein Phosphodiesterase-4-Inhibitor, der einen Anstieg des intrazellulären cAMP bewirkt. cAMP kann über eine Aktivierung des CREB-Proteins zur Modulation von Transkription und Translation führen, ein Prozess, der gerade bei der lang andauernden Konsolidierung von Gedächtnisengrammen von entscheidender Bedeutung ist [33]. Einige PDE-Inhibitoren sind bereits in frühen Phasen klinischer Prüfungen. Es handelt sich hierbei auch pharmakodynamisch um kognitive Enhancer im eigentlichen Sinne. Weitere Ansätze sind Agonisten an der Alpha7-Untereinheit des nikotinischen Acetylcholinrezeptors. Eine interessante Komponente stellt das D-Cycloserin dar [33]. Eigentlich als Antituberkulotikum bekannt, hat D-Cycloserin als partieller Agonist an NMDA-Rezeptoren einen positiven Effekt auf LTP(long-term potentiation)-Enhancement sowie die Extinktion von Furcht. So konnte seine Effektivität bei Höhenphobikern und in Studien zur Augmentation expositionsbasierter Psychotherapieverfahren gezeigt werden.
Zu den neuartigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Gedächtnis-Enhancer gehören auch die Vertreter der Ampakin-Familie. Pharmakodynamisch üben sie eine allosterische Modulation von AMPA-(Non-NMDA-)Rezeptoren durch. Neben der Verstärkung der glutamatergen Aktivität im Gehirn kommt es auch zu einer Erhöhung von Wachstumsfaktoren, beispielsweise BDNF (brain-derived neurotrophic factor). Aufgrund neurophysiologischer Untersuchungen geht man von einem positiven Effekt auf Lern- und Gedächtnisprozesse aus. Mittlerweile werden auch Phase-II-Studien mit Ampakinen durchgeführt. Ein Gefahrenpotenzial bei Langzeitapplikation könnte unter Berücksichtigung der Pharmakodynamik in einer Verschlechterung psychischer Erkrankungen, beispielsweise Zwangserkrankungen, Angststörungen sowie posttraumatischer Stressreaktionen liegen.
Synopsis
Auf der Basis randomisierter kontrollierter Studien bei gesunden Probanden ist die Wirksamkeit der heute zum Hirndoping und Mood-Enhancement zur Verfügung stehenden Präparate deutlich zurückhaltend einzustufen. Während Vertreter der Methylxanthine und Phenylethylamine deutliche Effekte auf Vigilanz, Aufmerksamkeit und Reaktionszeit haben, ist eine Wirksamkeit der anderen Substanzgruppen in den übrigen Bereichen nicht belegbar oder von fragwürdiger Ausprägung. Während eine Wirksamkeit bei Patienten in den entsprechenden Indikationen also erwiesen ist, finden sich bei Gesunden bislang nur in Ausnahmefällen sogenannte „On-Top“-Effekte. Mit der Entwicklung neuer Wirkstoffe ist zu erwarten, dass sich dies in Zukunft ändert. Für die gegenwärtige Situation muss man aber konstatieren, dass zur geistigen Leistungssteigerung ein traditionell-gesellschaftliches Konsumgut wie Kaffee mindestens ebenso effizient ist wie Psychostimulanzien vom Phenylethylamintyp oder Modafinil.
Neuroethik und Perspektiven
Die ethischen Aspekte des Hirndopings können an dieser Stelle nicht allumfassend erläutert werden. Ihnen soll aber an dieser Stelle der ihnen gebührende Platz eingeräumt werden, vor allem als Ausgleich zu einer stark biomedizinisch-pharmakologisch geführten Debatte [5, 8, 25]. Neuroenhancement und Hirndoping können für das Individuum Nutzen und Vorteile mit sich bringen. Beispiele sind die Aufmerksamkeitssteigerung, potenzielle kognitive Leistungssteigerung und Schlafreduktion, die sich positiv auf Beruf, Karriere und die gesamte familiär-gesellschaftliche Planung auswirken können. Auch Mood-Enhancer mit stimmungsaufhellender und antriebssteigernder Wirksamkeit könnten hier unterstützend wirken. Auch stressassoziierte psychosomatische Begleiterscheinungen mögen durch die Einnahme entsprechender Präparate reduzierbar sein. Die Verbesserung exekutiver Funktionen, die Effizienzsteigerung mentaler Prozesse wird durch Hirndoping pharmakologisch kontrollierbar. Unter der Annahme eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses kann diese Argumentation im Sinne des gesellschaftlichen Allgemeinwohls durchaus nachvollzogen werden. Beispielhaft kann hier die Anwendung bei medizinischem Personal, Rettungskräften und Militärangehörigen in Ausnahmesituationen angeführt werden.
Hirndoping verändert aber auch auf molekularer und neurophysiologischer Ebene die Struktur und Funktion des Gehirns, affiziert dessen Plastizität und greift somit in die Prozesse der Individuation sowie Ich-Bildung und Ich-Entwicklung ein. Dieser Sachverhalt ist umso schwerer zu gewichten, als die Einnahme entsprechender Präparate ohne medizinische Indikation erfolgt, also bei einem nach medizinischen Kriterien gesunden Menschen. Es muss deshalb kritisch hinterfragt werden, inwieweit die Motivation der Einnahme eher einer Erleichterung von Lebensumständen („Ersetzen der Mühsal des Lernens“) oder hedonistischen Gesichtspunkten („Glück ohne Umwege“) genügt und inwieweit sich dies mit einem Nutzen-Risiko-Begriff im regulatorischen Sinne überhaupt vertragen kann. Die Motivation des Hirndopings ist also eine zentrale ethische Kategorie, über deren Bedeutung man sich im Rahmen der Entwicklung des Einzelnen, seiner Charakterformation und seines Bestandteils einer Solidargemeinschaft bewusst werden muss.
Die Risiken und Nachteile des Hirndopings konzentrieren sich vornehmlich auf die medizinisch-pharmakologisch-regulatorische Ebene. Pivotale Studien an Gesunden zeigen deutlich, dass mit wenigen Ausnahmen die Beeinflussung vor allem kognitiver Fähigkeiten gering bis nicht vorhanden ist. Es resultiert mehrheitlich ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis für die genannten aktiven Substanzen, die Studienzahlen sind vergleichsweise gering und Informationen im Rahmen von Langzeitbehandlungen spärlich. Hinzu kommt, dass es keine ärztliche Indikation gibt, sondern eher eine Tendenz zur Indikationsaufweichung resultieren könnte. Bereits jetzt zeigen epidemiologische Erhebungen den Off-Label-Gebrauch deutlich an. Neuroethisch ist dem Hirndoping anzulasten, dass es die Subjektqualität des Menschen, das „Selbst“ und dessen Authentizität in Frage zu stellen scheint. Gerade diesen nicht materialisierbaren und quantifizierbaren Aspekt scheinen wir in einer rein biomedizinisch geführten Argumentation des potenziell „Machbaren“ in unserer Leistungsgesellschaft aus den Augen zu verlieren. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass Hirndoping auch Implikationen auf den freien Willen des Einzelnen haben kann. Neben gruppendynamischen (virtuellen) Zwängen und Ausweichstrategien stehen Fragen der Gerechtigkeit, Fairness und der Verteilungs- und Zugangsmöglichkeiten zu entsprechenden Präparaten im Vordergrund einer integrativen Debatte.
Obwohl die Sinnhaftigkeit von Forschung im Bereich des Neuroenhancement teilweise infrage gestellt wird [21] und derzeit wenige bis keine Substanzen eine positive Wirksamkeit auf Kognition und Gedächtnis ausüben, wird die Forschung zur Verbesserung kognitiver Vorgänge bei demenziellen Erkrankungen weiter voranschreiten und indirekt einen Nährboden für exzessiven Off-Label-Use darstellen können. Eine zeitnahe Klärung unseres Umgangs mit Neuroenhancement, Mood-Enhancement und Hirndoping erscheint sinnvoll, um für die Entwicklungen der Zukunft gerüstet zu sein. Dies impliziert eine Fortsetzung der ethischen und gesellschaftlichen Debatte mit Konsensbildung und Einbindung von Experten, die Expansion von Studien sowie internationale Regulierungen.
Anmerkung der Autoren
Die Zulassungsdaten spiegeln den Stand vom 27.6.2011 wider.
Interessenkonflikt
Die Autoren bestätigen, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Priv.-Doz. Dr. nat. med. Dr. med. Marco Weiergräber (MD, PhD), Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Abteilung Zulassung 4, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn, E-Mail: Marco.Weiergraeber@bfarm.de
Dr. med. Karl Broich (MD), Vizepräsident, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn, E-Mail: Karl.Broich@bfarm.de
Neuroenhancement, mood enhancement and mind doping
Neuroenhancement, mood enhancement and mind-doping are part of a complex social development of the 21st century, demanding for a careful and integrative medicinal discussion. The goal of this overview is to illustrate the various aspects of mind-doping, its medical history, epidemiology, the underlying motivations, the neurophysiological background and pharmacological and regulatory issues related to active substances involved. A specific focus is put on the ethical implications of neuro- and mood enhancement. The pros and cons of mind-doping need to be balanced carefully and a social consensus is clearly inevitable for a responsible handling of cognitive and mood enhancers in the future.
Key words: Cognition, emotion, ethics, regulation, vigilance
Psychopharmakotherapie 2011; 18(05)