Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen
Zu den wichtigsten Therapiemaßnahmen bei Opioidabhängigkeit gehören derzeit die Erhaltungspharmakotherapie (Substitutionstherapie) und die Medikamenten-freie psychosoziale Therapie. Obwohl die Abstinenz das primäre Behandlungsziel ist, liegt die Rückfallrate insbesondere der Medikamenten-freien Behandlungsmethoden hoch.
In der Erhaltungspharmakotherapie werden in erster Linie der µ-Opioidrezeptor-Agonist Methadon (z.B. Methaddict®) beziehungsweise Levomethadon (L-Polamidon®) oder der partielle Agonist Buprenorphin (z.B. Subutex®) eingesetzt. Der Nutzen der Substitutionstherapie konnte in zahlreichen Studien belegt werden. Allerdings ist in 122 von 192 UN-Mitgliedsstaaten eine Substitutionstherapie aus politischen oder finanziellen Gründen nicht oder nur begrenzt verfügbar. Auch für bestimmte Patientensubgruppen, wie junge Menschen, Patienten mit einer kurzen Abhängigkeitsgeschichte oder solche, für die aus beruflichen Gründen die Anwendung von Opioiden nicht in Frage kommt (z.B. Polizei, Gesundheits- und Notfallpersonal), könnte die Substitutionstherapie weniger geeignet sein.
Als alternative Pharmakotherapie, die eine Abstinenz unterstützt, kann der µ-Opioidrezeptor-Antagonist Naltrexon fungieren. Naltrexon ruft keine Euphorie oder Sedierung hervor und ist nicht suchterzeugend. Ein Absetzen von Naltrexon verursacht keine Entzugssymptome, weil die Patienten physisch nicht opioidabhängig sind. Oral verfügbare Naltrexon-Präparate sind bereits in vielen Ländern zur Unterstützung einer Entwöhungsbehandlung Opioidabhängiger verfügbar (z.B. Nemexin®). Der Therapieerfolg setzt allerdings eine regelmäßige Einnahme voraus. Um Therapieversagen durch mangelnde Adhärenz vorzubeugen, wurde nach langwirksamen, injizierbaren Formulierungen gesucht. Das Depot-Präparat XR-NTX ist ein Naltrexon mit retardierter Wirkung (Bindung an Microspheres), das für die intramuskuläre Injektion geeignet ist und einmal im Monat verabreicht wird. Diese injizierbare Depot-Formulierung von Naltrexon ist inzwischen in mehreren Ländern zur Rückfallprophylaxe bei bekannter Alkoholabhängigkeit zugelassen (Vivitrol®).
Studienziel und -design
In einer multizentrischen, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit einer Behandlung mit Naltrexon-Depot bei Opioidabhängigkeit untersucht.
An der Studie nahmen 250 volljährige Patienten teil, die sich in den letzten 30 Tagen einer stationären Entgiftung unterzogen hatten und seit mindestens 7 Tagen keine Opioide mehr konsumiert hatten. Sie wurden randomisiert in zwei Studienarme aufgeteilt:
- Naltrexon-Depot 380 mg (n=126)
- Plazebo (n=124).
Die Studienmedikationen wurden einmal monatlich intramuskulär injiziert; insgesamt wurden 6 Injektionen über 24 Wochen verabreicht. Zweiwöchentlich wurden insgesamt 12 Beratungssitzungen für die Patienten durchgeführt.
Primärer Studienendpunkt war die Abstinenz während der Wochen 5 bis 24. Die Abstinenz wurde anhand von Urinproben und Selbstauskünften zum Drogenverzicht bewertet. Sekundäre Studienendpunkte umfassten selbst berichtete opioidfreie Tage, Punktewerte auf einer Skala des Opioidverlangens, Verweildauer in der Studie und Rückfall in die körperliche Opioidabhängigkeit.
Studienergebnis
In der Naltrexon-Depot-Gruppe schlossen 67 Patienten (53%) und in der Plazebo-Gruppe 47 Patienten (38%) die Studie protokollgemäß ab. Wesentliche Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Der Anteil der Wochen mit bestätigter Opioidabstinenz lag in der Naltrexon-Depot-Gruppe im Median bei 90,0% gegenüber 35,0% im Plazebo-Arm (p=0,0002). Die Patienten, die mit Naltrexon-Depot behandelt wurden, berichteten selbst von durchschnittlich 99,2% opioidfreien Tagen, verglichen mit 60,4% unter Plazebo (p=0,0004). Das Opioidverlangen war in der Naltrexon-Gruppe deutlich geringer als in der Plazebo-Gruppe und die Patienten blieben deutlich länger in der Studie. Ein Rückfall in eine physiologische Opioidabhängigkeit wurde mithilfe des Naltrexon-Provokationstests bei 17 Patienten im Plazebo-Arm, aber nur bei einem unter Naltrexon-Depot bestätigt (p<0,0001).
Tab. 1. Klinische Ergebnisse der XR-NTX-Therapie [Krupitsky et al.]
Endpunkt |
XR-NTX (n=126) |
Plazebo |
Behandlungseffekt |
p-Wert |
Primäre Endpunkte |
||||
Anteil der Wochen mit bestätigter Abstinenz |
90,0% |
35,0% |
55,0 |
0,0002 |
Patienten mit vollständig bestätigter Abstinenz [n] |
45 (35,7%; 27,4–44,1) |
28 |
1,58 |
0,0224 |
Sekundäre Endpunkte |
||||
Anteil der selbst berichteten opioidfreien Tage über 24 Wochen |
99,2% |
60,4% |
38,7 |
0,0004 |
Verlangen: mittlere Veränderung auf der VAS-Skala vom Ausgangswert |
–10,1 |
0,7 |
–10,7 |
<0,0001 |
Verweildauer [Tage] |
>168 |
96 (63–165) |
0,61 (0,44–0,86) |
0,0042 |
Teilnehmer mit positivem Naloxon-Provokationstest [n] |
1 |
17 |
17,3 |
<0,0001 |
Medianwerte (95%-Konfidenzintervall [KI]) oder Anzahl (%, 95%-KI); Intention-to-treat-Analyse. XR-NTX: retardiertes Naltrexon; VAS-Skala: visuelle Analogskala (Skala von 0 bis 100)
Die retardierte, intramuskulär verabreichte Naltrexon-Formulierung wurde insgesamt gut vertragen. Zwei Patienten aus jedem Studienarm brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen ab. Schwerwiegende Nebenwirkungen (z.B. Infektionen) traten bei vier Naltrexon- und fünf Plazebo-Patienten auf. Es gab keine Überdosierungsereignisse, Suizidversuche oder Todesfälle.
Fazit
In der vorliegenden Studie zeigte sich einmal monatlich injiziertes Naltrexon mit retardierter Wirkung bezüglich der vordefinierten Studienendpunkte bestätigte Abstinenz, Verlangen nach Opioiden, Studienverweildauer und Vermeidung eines Rückfalls dem Plazebo-Präparat signifikant überlegen. Insbesondere in Ländern, in denen eine Substitutionstherapie nicht zur Verfügung steht, könnte Naltrexon-Depot eine neue Behandlungsoption zur Prophylaxe des Rückfalls in eine Opioidabhängigkeit sein, die körperlich nicht abhängig macht und legal erworben werden kann. Die Anwendung setzt eine erfolgreiche Entzugsbehandlung voraus.
In einem Kommentar zu diesem Artikel, der von mehreren Experten verfasst wurde, wird allerdings massive Kritik an der Studie und der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) geübt, die das Depot-Naltrexon aufgrund der damals unveröffentlichten Ergebnisse für den amerikanischen Markt zur Behandlung der Opioidabhängigkeit zugelassen hat. Sie werfen der Behörde vor, die wissenschaftlichen, behördlichen und ethischen Standards während der Zulassung von Naltrexon-Depot für die Opioidabhängigkeit gesenkt zu haben. Die Kommentatoren stellen die Frage, warum die USA ausgerechnet Russland, ein Land, in dem eine Methadon- oder Buprenorphin-Therapie nicht erlaubt ist, zur Erprobung eines Medikaments ausgewählt haben, dessen US-amerikanische Zulassung angestrebt wurde. Damit sei gegen die Helsinki-Konvention verstoßen worden, nach der Nutzen, Risiko, Belastung und Wirksamkeit eines neuen Präparats gegenüber der bestverfügbaren Therapie getestet werden sollte und die eine Plazebo-Gruppe nur erlaubt, wenn kein anerkannter Behandlungsstandard vorliegt. Auch das Risiko für eine Opioid-Überdosis nach der Behandlung mit injizierbarem Naltrexon ist nach Meinung der Kommentatoren in der russischen Studie nicht ausreichend untersucht worden. Die Ergebnisse aus früheren Untersuchungen mit oralem Naltrexon ergaben nämlich ein dreifach höheres Risiko für eine Opioid-Überdosis im Vergleich zu einer Methadon- oder Buprenorphin-Therapie.
Quellen
Krupitsky E, et al. Injectable extended-release for opioid dependence: a double-blind, placebo-controlled, multicentre randomised trial. Lancet 2011;377:1506–13.
Wolfe D, et al. Concerns about injectable naltrexone for opioid dependence. Lancet 2011;377:1468–9.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(05)