Multiple Sklerose

Fingolimod verlangsamt den Verlust des Hirnvolumens


Gabriele Blaeser-Kiel, Hamburg

Das Therapiespektrum für Patienten mit multipler Sklerose (MS) ist seit Kurzem um eine Alternative reicher: Fingolimod unterscheidet sich gegenüber den etablierten MS-Medikamenten in puncto Wirkprinzip (S1P-Rezeptor-Modulation) und Applikationsmodus (oral statt parenteral). Dass es nicht nur über ein vorteilhaftes Nutzen-Risiko-Profil verfügt, sondern möglicherweise auch neuroprotektive Eigenschaften besitzt, wurde beim Kongress der European Neurological Society (ENS) in Lissabon deutlich.

Fingolimod (Gilenya®) ist in Europa seit März 2011 als Zweitlinientherapie zugelassen. Voraussetzung für den Einsatz ist eine hochaktive schubförmig-remittierende multiple Sklerose trotz eines angemessen langen Behandlungsversuchs mit einem Beta-Interferon beziehungsweise ein bereits initial schwerer und rasch progredienter Krankheitsverlauf. Im Gegensatz dazu kann Fingolimod in den USA sowie in der Schweiz, Australien und Russland bereits heute uneingeschränkt zur Basistherapie der MS verordnet werden.

Eine sicherlich erhebliche Erleichterung bedeutet für viele Betroffene, dass zur Therapie mit Fingolimod die nur einmal tägliche Einnahme einer Hartkapsel erforderlich ist. In den Zulassungsstudien FREEDOMS und TRANSFORMS hat sich die Behandlung mit Fingolimod in der zugelassenen Tagesdosis von 0,5 mg in allen Endpunkten nicht nur gegenüber Plazebo als signifikant überlegen erwiesen [1], sondern auch gegenüber der etablierten Basistherapie mit einem Betainterferon: Unter Fingolimod war im Vergleich zu Interferon beta-1a (Avonex®) innerhalb des zwölfmonatigen Beobachtungszeitraums die jährliche Schubrate um 52% geringer und die Zeit bis zur Behinderungsprogression um 29% länger. Bestätigt wurden die klinischen Daten durch den kernspintomographischen Nachweis einer um 35% geringeren Läsionslast [2].

Differenzierte Auswertungen der TRANSFORMS-Studie lassen erkennen, dass Basistherapie-Nonresponder überproportional vom Wechsel auf Fingolimod profitieren (Tab. 1). In der Gesamtgruppe war ein Jahr nach Therapiemodifikation im Fingolimod-Arm der Anteil der Patienten mit hoher Krankheitsaktivität von 30,4 auf 1,6% zurückgegangen, im Interferon-beta-1a-Arm dagegen nur von 34,1 auf 12,1% [3].

Tab. 1. Patienten mit aktiver MS trotz Behandlung mit einem Betainterferon, Glatirameracetat oder Natalizumab profitieren mehr von der Umstellung auf Fingolimod als auf Interferon beta-1a i.m.; besonders ausgeprägt ist der Vorteil von Fingolimod bei Patienten mit hochaktiver MS (Subgruppenanalyse der TRANSFORMS-Studie) [3]

Patientengruppe

Jährliche Schubrate (ARR)

ARR-Verhältnis*

Fingolimod (0,5 mg/Tag)

Interferon beta-1a (30 µg/Woche)

Gesamtpopulation

0,201 (n=429)

0,432 (n=431)

0,48

Patienten mit hochaktiver MS (Schubrate)

0,200 (n=166)

0,514 (n=138)

0,39

Patienten mit hochaktiver MS
(Schubrate + MRT-Nachweis)

0,201 (n=160)

0,514 (n=149)

0,39

* alle p<0,001

Als ein sehr aussagefähiges Maß für die MS-typische destruktive Aktivität gilt der kernspintomographisch ermittelte prozentuale Verlust an Hirnvolumen. In der FREEDOMS-Studie konnte mithilfe des SIENA-Programms (Structural image evaluation of normalised athropy) dokumentiert werden, dass unter der zweijährigen Behandlung mit Fingolimod die zerebrale Atrophie signifikant langsamer verlaufen war als unter Einnahme von Plazebo. Der Vergleich der Patienten mit und ohne kontrastmittelanreichernde Läsionen vor Studienbeginn ergab, dass das Vorhandensein von Entzündungsaktivität zwar die Abnahme des Gehirnvolumens beschleunigt, die Wirksamkeit von Fingolimod davon aber nicht beeinträchtigt wird (Abb. 1). Bei Patienten mit kontrastmittelanreichernden Herden war der Unterschied zwischen Verum- und Plazebo-Gabe allerdings nicht schon nach sechs, sondern erst nach 24 Monaten signifikant [4].

Abb. 1. Fingolimod hält den Verlust des Hirnvolumens auf, unabhängig davon, ob bei den Patienten vor Therapiebeginn kontrastmittelanreichende Herde im MRT vorhanden waren oder nicht (Subgruppenanalyse der FREEDOMS-Studie) [4]

Quellen

1. Kappos L, et al. A placebo-controlled trial of oral fingolimod in relapsing multiple sclerosis. N Eng J Med 2010;362;387–402.

2. Cohen JA et al. Oral fingolimod or intramuscular interferon for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2010;362;402–15.

3. Cohen JA et al. The benefits of fingolimod in multiple sclerosis patients experiencing persisten disease activity despite previous treatment with disease-modifying therapies: results from the phase III TRANSFORMS study and its extension [Poster] 21st ENS Meeting, Lissabon, 28.–31. Mai 2011:P901.

4. Kappos L et al. Fingolimod reduces the brain volume loss in relapsing-remitting multiple sclerosis irrespective of baseline inflammatory activity: results from FREEDOMS phase III study. 21st ENS Meeting, Lissabon, 28.–31. Mai 2011:O280.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(05)