Simone Reisdorf, Erfurt-Linderbach
Eine Alzheimer-Demenz wird keineswegs nur durch extrazelluläre Beta-Amyloid-Plaques und neurofibrilläre Tangles ausgelöst. Auch schon kleine intra- und extrazelluläre Beta-Amyloid-Oligomere, oxidativer Stress, neuronale Entzündungsprozesse und Schädigungen der Mitochondrien sowie der nachfolgende gesteigerte Verlust von Neuriten und ganzen Neuronen spielen bei der Entstehung der Alzheimer-Demenz eine wichtige Rolle. Einige dieser Prozesse sind auch für die physiologische Hirnalterung von Bedeutung.
Die meisten dieser Pathomechanismen werden durch die wirksamen Inhaltsstoffe von Ginkgo biloba positiv beeinflusst, also durch Flavonolglykoside (Flavonoide) und Terpenlactone (Ginkgolide, Bilobalid). Verschiedene Wirkungen dieser Inhaltsstoffe wurden in vitro nachgewiesen: sie inhibieren die Oligomerbildung von Beta-Amyloid, vermindern oxidativen Stress – auch in den Mitochondrien –, wirken der Apoptose entgegen und fördern die Verfügbarkeit von Brain-derived neurotrophic Factor (BDNF) sowie die Neuentstehung von Neuriten und Synapsen [1–7].
Die vielfältigen Wirkungen basieren im Wesentlichen auf einer Verbesserung der Mitochondrienfunktion und einem Schutz vor freien Radikalen.
Auf die Inhaltsstoffe kommt es an
Das Europäische Arzneibuch verlangt bei quantifizierten, raffinierten Ginkgotrockenextrakten (Ph. Eur 6.3) einen Gehalt von
- 22–27% Flavonoiden, berechnet als Flavonolglykoside,
- 2,6–3,2% Bilobalid,
- 2,8–3,4% Ginkgoliden (A, B und C) und
- maximal 5 ppm Ginkgolsäuren
im getrockneten Extrakt. Doch zahlreiche Ginkgo-Produkte aus dem Internet, Nahrungsergänzungsmittel oder Ginkgo-Tees erfüllen diese Anforderungen bei weitem nicht. In diesen Produkten ist der Gehalt an Ginkgolsäuren häufig zu hoch; diese können zytotoxisch wirken und Allergien verursachen. Viele dieser Produkte enthalten zu wenig Flavonoide, Ginkgolide und/oder Bilobalid. Es kommt auch vor, dass Flavonoide wie Quercetin aus Kostengründen aus anderen Pflanzen gewonnen und beigemengt werden [8, 9]. In Deutschland als Arzneimittel zugelassene Präparate (z.B. Tebonin®) sind dagegen von hoher Qualität und Reinheit; die darin enthaltenen Ginkgoextrakte entsprechen den hohen Anforderungen des Arzneibuchs.
In aufwendigen Messungen konnte nachgewiesen werden, dass die im Spezialextrakt EGb 761® enthaltenen Flavonolglykoside und Terpenlactone in relevanten Konzentrationen in Hippocampus, Striatum, Frontal- und Kleinhirn ankommen [10, 11].
Prävention von Alzheimer-Demenz
An der kürzlich abgeschlossenen GuidAge-Studie, einer doppelblinden, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Studie über fünf Jahre, nahmen 2854 Probanden teil. Die europäische Studie ist damit eine der bislang größten Studien zur Prävention einer Alzheimer-Demenz. Die Teilnehmer waren mindestens 70 Jahre alt (Durchschnitt 76,8 Jahre), zwei Drittel waren weiblich. Sie hatten beim Hausarzt über beginnende Gedächtnisstörungen geklagt, aber zu Studienbeginn noch durchschnittlich 27,8 von 30 Punkten im Mini-Mental-Status-Test erzielt. Sie erhielten entweder den Ginkgoextrakt EGb 761® (2-mal täglich 120 mg) oder Plazebo. Primärer Endpunkt war die Dauer bis zur Entwicklung einer Alzheimer-Demenz, die gegebenenfalls bei den jährlichen Untersuchungen diagnostiziert wurde [12, 13].
Über den fünfjährigen Beobachtungszeitraum war in der Verum-Gruppe eine Tendenz zu einer verringerten Alzheimer-Inzidenz zu beobachten (4,3% vs. 5,2%; p=0,31). In der Subgruppe derjenigen, die die Studienmedikation über mindestens vier Jahre regelmäßig eingenommen hatten, wurde die Inzidenz sogar fast halbiert (1,6% vs. 3,0%; p=0,03) [13].
Insgesamt lag die Compliance bei 93%. Diese hohe Therapietreue wurde wahrscheinlich zumindest teilweise dadurch erreicht, dass die beteiligten Kliniken sehr eng mit einer großen Zahl von Hausärzten, die in klinischer Forschung geschult waren, zusammenarbeiteten [13].
Nach diesen Ergebnissen, die allerdings noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurden, ist der Ginkgo-Spezialextrakt ein vielversprechender Kandidat für die Prävention einer Alzheimer-Demenz. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Extrakt lange genug und in ausreichend hoher Dosis eingenommen wird. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum in mehreren klinischen Studien keine Wirksamkeit von Ginkgo-Extrakten nachgewiesen werden konnte, beispielsweise in der Plazebo-kontrollierten, randomisierten, doppelblinden Ginkgo-Evaluation-of-Memory(GEM)-Studie, an der über 3000 Senioren teilgenommen hatten [14]. Trotz der großen Zahl der Teilnehmer und einer mittleren Beobachtungsdauer von über 6 Jahren konnte in dieser Studie keine Wirksamkeit des Ginkgo-Extrakts EGb 761® (2-mal täglich 120 mg) in der Prävention oder der Verzögerung einer Demenz festgestellt werden. Allerdings nahmen am Ende der GEM-Studie nur noch rund 60% der Teilnehmer die Studienmedikation ein.
Nach einer Metaanalyse der Cochrane-Collaboration zur Wirksamkeit von Ginkgo-biloba-Extrakten waren die meisten der bis 2009 durchgeführten Studien zu klein und mit einer Dauer von wenigen Monaten zu kurz, um eine Wirksamkeit belegen zu können, und die Ergebnisse der größeren, längeren Studien waren widersprüchlich, so dass bis dahin ein Wirksamkeitsnachweis ausstand [15].
Wirksamkeit bei kognitiven und neuropsychiatrischen Symptomen
Bei vielen Demenz-Patienten treten neben kognitiven Symptomen auch neuropsychiatrische Symptome auf. Die Wirksamkeit eines Ginkgo-Extrakts auf diese beiden Symptomkomplexe wurde in der GOTADAY-Studie untersucht. Eingeschlossen waren 410 Patienten mit leichter bis mäßiger Demenz (Alzheimer-Demenz, vaskuläre Demenz oder Mischform) und neuropsychiatrischen Symptomen. Sie erhielten randomisiert und doppelblind über 24 Wochen entweder den Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761® (1-mal täglich 240 mg) oder Plazebo. Primäres Studienziel waren die Veränderungen im Gesamtscore des Syndromkurztests (SKT), einer neuropsychologischen Testbatterie, mit der die Wirksamkeit von Antidementiva überprüft werden kann, und im Gesamtscore des neuropsychiatrischen Inventars (Neuropsychiatric Inventory, NPI) gegenüber den jeweiligen Ausgangswerten.
Nach 24 Wochen unterschieden sich die Ergebnisse sowohl im Syndromkurztest als auch im neuropsychiatrischen Inventar hochsignifikant zwischen den beiden Gruppen (jeweils p<0,0001) [16].
Bei einer nachträglichen Analyse der Studiendaten fanden sich Korrelationen zwischen dem Schweregrad neuropsychiatrischer Symptome zu Beginn und den kognitiven sowie funktionalen Ergebnissen. Die Patienten sprachen also trotz neuropsychiatrischer Begleitsymptomatik auf die Behandlung an und hatten sogar bei schwerer Symptomatik den größeren Nutzen von der Therapie.
Quelle
Prof. Dr. Walter E. Müller, Frankfurt/M. Prof. Dr. Siegfried Kasper, Wien, Prof. Dr. Manfres Schubert-Zsilavecz, Frankfurt/M. Dr. Kristina Leuner, Frankfurt/M., Prof. Dr. Anne Eckert, Basel, Prof. Dr. Ralf Ihl, Krefeld. Symposium und Journalisten-Dialog „Neues aus der Wissenschaft: EGb 761® im Blickpunkt der ZNS-Forschung“, Frankfurt/Main, 22. und 23. Oktober 2010, veranstaltet von Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG.
Literatur
1. Luo Y, et al. Inhibition of amyloid-beta aggregation and caspase-3 activation by the Ginkgo biloba extract EGb761. Proc Natl Acad Sci USA 2002;99:12197–202.
2. Eckert A, et al. Effects of EGb 761 Ginkgo biloba extract on mitochondrial function and oxidative stress. Pharmacopsychiatry 2003;36 (Suppl 1):S15–23.
3. Xu Y, et al. Restoration of impaired phosphorylation of cyclic AMP response element-binding protein (CREB) by EGb 761 and its constituents in Ab-expressing neuroblastoma cells. Eur J Neurosci 2007;26:2931–9.
4. Hou Y, et al. Anti-depressant natural flavonols modulate BDNF and beta amyloid in neurons and hippocampus of double TgAD mice. Neuropharmacology 2010;58:911–20. Epub 2009 Nov 14.
5. Tchantchou F, et al. Stimulation of neurogenesis and synaptogenesis by bilobalide and quercetin via common final pathway in hippocampal neurons. J Alzheimers Dis 2009;18:787–98.
6. Smith JV, et al. Anti-apoptotic properties of Ginkgo biloba extract EGb 761 in differentiated PC12 cells. Cell Mol Biol 2002;48:699–707.
7. Abdel-Kader R, et al. Stabilization of mitochondrial function by Ginkgo biloba extract (EGb 761). Pharmacol Res 2007;56: 493–502.
8. Krzywon M, et al. Ginkgohaltige Teeprodukte nicht ohne Risiko. Zu viel Ginkgosäuren im Aufguss. Dtsch Apo Ztg 2008;46:62–5.
9. Tawab M, et al. Nahrungsergänzungsmittel mit Ginkgo unter der Lupe. Pharm Ztg 2010;20:62–7.
10. Ude C, et al. Plasma and brain levels of terpene trilactones in rats after an oral single dose of standardized Ginkgo biloba extract EGb 761(R). Planta medica 2011;77: 259–64.
11. Rangel-Ordóñez L, et al. Plasma levels and distribution of flavonoids in rat brain after single and repeated doses of standardized Ginkgo biloba extract EGb 761®. Planta medica 2010;15:1683–90.
12. Andrieu S, et al. GuidAge study: a 5-year double blind, randomised trial of EGb 761 for the prevention of Alzheimer’s disease in elderly subjects with memory complaints. i. rationale, design and baseline data. Curr Alzheimer Res 2008;5:406–15.
13. Pressemitteilung Ipsen, Paris, 22.06.2010.
14. Snitz BE, et al. Ginkgo biloba for preventing cognitive decline in older adults. A randomized trial. JAMA 2009;302:2663–70.
15. Birks J, et al. Ginkgo biloba for cognitive impairment and dementia. Cochrane Database Syst Rev 2009;(1):CD003120.
16. Ihl R, et al. Efficacy and safety of a once-daily formulation of Ginkgo biloba extract EGb 761 in dementia with neuropsychiatric features: a randomized controlled trial. Int J Geriatr Psychiatry 2010 Dec 7 [Epub ahead of print].
Psychopharmakotherapie 2011; 18(02)