Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
In Leitlinien zur Therapie der unipolaren Depression wird empfohlen, die antidepressive Therapie nach Abklingen der depressiven Episode über mindestens sechs weitere Monate fortzuführen.
Von einer längerfristigen Fortsetzung der antidepressiven Behandlung nach einer depressiven Episode einer bipolaren Störung wird dagegen abgeraten: viele Fachgremien raten, die Behandlung etwa 12 Wochen nach Erholung zu beenden. Diese Empfehlung resultiert aus Erfahrungen in klinischen Studien mit Patienten mit Bipolar-I- und Bipolar-II-Störungen, in denen bei Teilnehmern, die auf eine antidepressive Behandlung gut ansprachen, vermehrt Switchs in die Manie oder Hypomanie beobachtet wurden. In derartigen Studien wurde aber auch deutlich, dass diese Ereignisse unter einigen Antidepressiva seltener auftraten als unter anderen: sie waren beispielsweise unter selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmen (SSRI) seltener als unter einigen trizyklischen Antidepressiva. Außerdem traten sie bevorzugt bei Patienten auf, die in der Vorgeschichte bereits Stimmungsumschwünge hatten. Untersuchungen mit Bipolar-II-Patienten ergaben, dass eine antidepressive Langzeittherapie Rückfälle auch ohne ein vermehrtes Auftreten von Stimmungsumschwüngen verhindern kann.
In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob eine Fluoxetin-Monotherapie einer Lithium-Monotherapie in der Prävention depressiver Episoden bei einer Bipolar-II-Störung überlegen ist [1].
Studiendesign
Eingeschlossen waren erwachsene ambulante Patienten mit der Diagnose einer Bipolar-II-Störung nach DSM-IV-TR (Diagnostic and statistical manual of mental disorders, 4th edition, text revision), die akut eine depressive Episode mit einem Score von mindestens 16 auf der Hamilton Depression Rating Scale, 17-Item-Version (HAMD17), hatten. Ausschlusskriterien waren unter anderen frühere Manie oder Psychose, Non-Response gegenüber Fluoxetin und gegenwärtige Einnahme von Antidepressiva oder Stimmungsstabilisatoren.
Die Patienten erhielten zunächst eine offene Monotherapie mit Fluoxetin (20–80 mg/Tag, abhängig von Wirksamkeit und Verträglichkeit) über maximal 12 Wochen. Alle Patienten, die auf diese Behandlung ansprachen und in Woche 12 einen HAMD17-Score ≤8 hatten, wurden anschließend randomisiert einer 50-wöchigen doppelblinden Erhaltungstherapie mit Fluoxetin (10–40 mg/Tag), Lithium oder Plazebo zugeteilt. Bei den Patienten der Lithium-Gruppe wurde Fluoxetin abgesetzt und die Lithium-Therapie mit einer Dosis von 600 mg/Tag begonnen. Die Dosis wurde in der zweiten Woche auf 900 mg/Tag erhöht und in der folgenden Woche nach Verträglichkeit und Lithium-Serumspiegel weiter gesteigert, so dass in Woche 4 Serumspiegel zwischen 0,5 und 1,5 mmol/l erreicht waren. In der Plazebo-Gruppe wurde Fluoxetin durch Plazebo ersetzt.
Primärer Endpunkt war die Zeit bis zu einem Rückfall in eine depressive Episode. Sekundäre Endpunkte waren unter anderen der Anteil der Patienten ohne Rückfall und die Häufigkeit hypomaner Symptome. Messinstrumente waren die HAMD17-Skala und die Young Mania Rating Scale (YMRS). Ein voller syndromaler Rückfall war definiert als ein Anstieg des HAMD17-Scores auf ≥14 mit Vorhandensein der Kriterien für eine depressive Episode nach DSM-IV-TR. Eine Hypomanie war nach DSM-IV-Kriterien definiert als eine Episode mit einer Dauer von ≥4 Tagen mit ≥4 Symptomen. Eine subsyndromale Hypomanie war eine Episode von ≤3 Tagen mit ≥4 Symptomen oder von ≥4 Tagen mit ≤3 Symptomen. Beurteilungen erfolgten nach 1, 2, 4, 6, 8, 12, 20, 28, 36, 44 und 50 Wochen.
Ergebnisse
Patienten. Eine offene Fluoxetin-Therapie erhielten 148 Patienten mit einem mittleren Alter von 36,9 Jahren. 81 von ihnen wurden in die Doppelblindphase eingeschlossen und erhielten Fluoxetin (n=28), Lithium (n=26) oder Plazebo (n=27).
Wirksamkeit. Die mittlere Zeit bis zu einem vollen syndromalen Rückfall betrug in der Fluoxetin-Gruppe 249,9 Tage, in der Lithium-Gruppe 156,4 Tage und in der Plazebo-Gruppe 186,9 Tage. Dabei war Fluoxetin signifikant besser wirksam als Lithium und Plazebo (jeweils p=0,03; Abb. 1). Von den Patienten unter Fluoxetin beendeten 11 (39,3%) die Studie ohne einen Rückfall, unter Lithium waren es 5 Patienten (19,2%) und unter Plazebo 7 Patienten (25,9%).
Abb. 1. Kaplan-Meier-Überlebenskurven für einen Rückfall in eine Depression während einer Langzeittherapie mit Fluoxetin (10–40 mg/Tag), Lithium (300-1200 mg/Tag, nach Plasmaspiegel) oder Plazebo im Anschluss an eine Akuttherapie mit Fluoxetin (20–80 mg/Tag) bei Patienten mit einer Bipolar-II-Störung [1]
Im Auftreten hypomaner Symptome gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede. Eine hypomane Episode hatten 3 Patienten in der Fluoxetin-Gruppe, 2 Patienten in der Lithium-Gruppe und 5 Patienten in der Plazebo-Gruppe. Sie dauerten im Mittel 9,6 Tage. Subsyndromale Episoden traten bei 10 Patienten unter Fluoxetin, bei 7 Patienten unter Lithium und bei 4 Patienten unter Plazebo auf; im Mittel hielten diese Episoden 10,7 Tage an.
Sicherheit. In jeder Gruppe brach jeweils ein Patient die Studie wegen unerwünschter Ereignisse ab. Es traten keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse auf. Am häufigsten (≥10%) wurden Kopfschmerz, Polyurie, Polydipsie, Tremor, Gewichtszunahme, Agitation und leichte depressive Symptome gemeldet. Weitere häufige psychiatrische Ereignisse waren Somnolenz, Insomnie und kognitive Störungen. Es gab keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen.
Die Autoren sehen Übereinstimmungen zwischen diesen Ergebnissen und denen anderer randomisierter und nicht randomisierter Studien mit Fluoxetin oder anderen SSRI. Sie weisen aber auch auf mehrere Schwächen ihrer Untersuchung hin. Dazu zählen sie das Fehlen eines Fluoxetin-plus-Lithium-Arms, einen möglichen Fluoxetin-Absetzeffekt, der vermehrt zu Rückfällen im Lithium- und Plazebo-Arm geführt haben könnte, sowie die Möglichkeit, dass aufgrund methodischer Schwierigkeiten nicht alle hypomanen Episoden oder Symptome erfasst wurden.
Kommentar
Trotz der niedrigen Patientenzahlen sprechen die Ergebnisse der Studie dafür, dass Fluoxetin eine Option für die Rückfallprophylaxe bei Patienten mit einer Bipolar-II-Störung ist. Allerdings überrascht die völlige Wirkungslosigkeit von Lithium im Vergleich zu Plazebo. Es ist zwar bekannt, dass Lithium sowohl in der Akutbehandlung als auch in der Prävention stärker antimanisch als antidepressiv wirkt, dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Lithium auch das Auftreten depressiver Episoden bei Patienten mit einer Bipolar-II-Störung verringert. In einer Studie von Tondo et al., in der die Wirksamkeit einer Erhaltungstherapie mit Lithium bei Patienten mit Bipolar-I- und Bipolar-II-Störungen über einen mehrjährigen Beobachtungszeitraum untersucht wurde, traten im ersten Jahr der Behandlung erheblich mehr Rückfälle auf als in den nachfolgenden Jahren [2]. Das deutet darauf hin, dass die Wirksamkeit von Lithium zu Beginn eher schwach ist, aber bei langfristiger Therapie zunimmt.
In der vorliegenden Studie könnten die Unterschiede in der Wirksamkeit von Fluoxetin und Lithium auch noch dadurch vergrößert worden sein, dass nur Fluoxetin-Responder eingeschlossen waren und dass Rückfälle – wie die Autoren diskutieren – durch das abrupte Absetzen des Antidepressivums provoziert wurden.
Quellen
1. Amsterdam JD, et al. Efficacy and safety of long-term fluoxetine versus lithium monotherapy of bipolar II disorder: A randomized, double-blind, placebo-substitution study. Am J Psychiatry 2010;167:792–800.
2. Tondo L, et al. Lithium maintenance treatment of depression and mania in bipolar I and bipolar II disorders. Am J Psychiatry 1998;155:638–45.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(02)