Abdol A. Ameri, Weidenstetten
Depressive Verstimmungen sind mehr als nur ein zerebrales Defizit von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin. Mittlerweile weiß man, dass Depressionen auch als zirkadiane Störungen aufgefasst werden müssen. Der aktigraphisch gemessene Aktivitätslevel zeigt bei gesunden Menschen über einen Zeitraum von 24 Stunden einen biphasischen Verlauf mit hoher Aktivität am Tag und niedriger in der Nacht. Bei Patienten mit Depressionen ist diese klare Trennung von Aktivität am Tag und Ruhe in der Nacht aufgehoben. Die Desorganisation des zirkadianen Rhythmus spiegelt sich auch in den klinischen Symptomen der Depression wider, wie Schlafstörungen, affektives Morgentief mit Besserung am Abend, Vigilanz- und Antriebsstörungen, Appetitverlust auch zu physiologischen Esszeiten. Die Schwere der Depression korreliert neuen Untersuchungen zufolge mit der zirkadianen Dysregulation [2].
Depressive Patienten, die sehr ausgeprägte Störungen der Zirkadianrhythmik aufweisen, können im Sinne einer individualisierten Therapie von einer rhythmusstabilisierenden melatonergen Therapie profitieren. Mit dem Melatonin-MT1- und MT2-Rezeptoragonisten Agomelatin (Valdoxan®) steht ein Antidepressivum zur Verfügung, das die Funktion von Melatonin im Organismus verstärkt. Gleichzeitig wirkt die Substanz antagonistisch auf serotonerge 5-HT2c-Rezeptoren [3].
Agomelatin – wirksam unter Alltagsbedingungen
Agomelatin hat seine antidepressive Wirksamkeit und gute Verträglichkeit in randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudien sowohl gegenüber Plazebo als auch gegenüber Venlafaxin unter Beweis gestellt [z.B. 4–6]. Eine Bestätigung für den Einsatz unter Alltagsbedingungen geben die Interimsergebnisse der nichtinterventionellen Studie VIVALDI (Valdoxan improves depressive symptoms and normalized circadian rhythms). An der 12-wöchigen Anwendungsbeobachtung hatten 606 depressive Patienten in Facharztpraxen teilgenommen (Durchschnittsalter 49,5 Jahre). 77,6% der Patienten waren bereits mit anderen Antidepressiva vorbehandelt. Jeder zweite von ihnen wurde entweder aufgrund von mangelnder Wirksamkeit (80%) oder mangelnder Verträglichkeit (31%) auf Agomelatin umgestellt. Die depressive Symptomatik ging unter Agomelatin (25 bis 50 mg/Tag) deutlich und kontinuierlich zurück. Bei Studienende hatte jeder zweite Patient eine Remission erreicht (Tab. 1). Mithilfe eines Patientenfragebogens wurden außerdem die subjektiven Schlafparameter erhoben. Fast 80% der Patienten gaben zu Therapiebeginn Schlafstörungen an. Nach der Behandlung sank diese Rate auf 12%. Auch die Tagesschläfrigkeit konnte unter Agomelatin deutlich reduziert werden. Das Verträglichkeitsprofil entsprach den Ergebnissen der kontrollierten Studien.
Tab. 1. Interimsergebnisse der nichtinterventionellen Studie VIVALDI mit Agomelatin [nach Laux]
Parameter |
Studienzeitpunkt |
|||
Beginn |
Woche 2 |
Woche 6 |
Woche 12 |
|
svMADRS-Score |
30,2 |
23,5 |
17,8 |
14,0 |
Responder |
– |
14,1% |
42,0% |
61,2% |
Remitter |
– |
14,7% |
33,7% |
52,3% |
Agomelatin-Tagesdosis |
25 mg: 100% |
25 mg: 67% 50 mg: 33% |
– |
25 mg: 56% 50 mg: 44% |
svMADRS: Kurzform der Montgomery-Asberg Depression Rating Scale; Responder: Verbesserung des svMARDS-Scores um mindestens 50%; Remitter: svMARDS-Gesamtscore ≤12
Quellen
1. Prof. Dr. Göran Hajak, Regensburg, Prof. Dr. Gerd Laux, Wasserburg/Inn, Satellitensymposium „Individualisierte Arzneimitteltherapie der Depression – the right drug for the right patient“, veranstaltet von Servier anlässlich des DGPPN-Kongresses, Berlin, 26. November 2009.
2. Emens J, et al. Circadian misalignement in major depressive disorder. Psychiatry Res 2009;168:259–61.
3. Millan MJ, et al. The novel melatonin agonist agomelatine (S20098) is an antagonist at 5-hydroxytryptamine-2C-receptors, blockade of which enhances the activity of frontocortical dopaminergic and adrenergic pathways. J Pharmacol Exp Ther 2003;306:954–64.
4. Olié JP, Kasper S. Efficacy of agomelatine, a MT1/MT2 receptor agonist with 5-HT2C antagonistic properties, in major depressive disorder. Int J Neuropsychopharmacol 2007;10:661–73.
5. Lemoine P, et al. Improvement in subjective sleep in major depressive disorder with a novel antidepressant, agomelatine: randomized, double-blind comparison with venlafaxine. J Clin Psychiatry 2007;68:1723–32.
6. Kennedy SH, et al. A double-blind comparison of sexual functioning, antidepressant efficacy, and tolerability between agomelatine and venlafaxine XR. J Clin Psychopharmacol 2008;28:329–33.
Psychopharmakotherapie 2010; 17(02)