Missbrauch von Venlafaxin mit Induktion eines manischen Syndroms


Roxana Armion, Jan Pönisch, Berit Wenda, Saalfeld, Detlef Degner, Göttingen, und Thomas Sobanski, Saalfeld

Bei einem 33-jährigen Patienten mit einer undifferenzierten Schizophrenie (ICD-10: F20.3) entwickelte sich ein ausgeprägter Missbrauch von Venlafaxin mit Craving-artigem Verlangen zur Substanzeinnahme und deutlichen Absetzsymptomen. Im Verlauf kam es zu einer maniformen Symptomatik und Venlafaxin wurde abgesetzt. Später setzte der Patient ohne Rücksprache mit den Therapeuten alle anderen Medikamente ab und ließ sich Venlafaxin von anderer Seite verschreiben. Der vorliegende Fall weist auf die Möglichkeit der Entwicklung eines schweren Venlafaxin-Missbrauchs hin. Sicherlich spielten jedoch auch krankheitsbezogene Aspekte für das Verhalten des Patienten eine erhebliche Rolle.
Schlüsselwörter: Venlafaxin, Missbrauch, Absetzsymptome, AMSP, UAW
Psychopharmakotherapie 2010;17:93–6.

Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass Antidepressiva keine Abhängigkeit erzeugen, da ihnen unter anderem eine akute euphorisierende Wirkung fehlt. Auch sind keine schwerwiegenden Entzugssymptome wie Krampfanfälle, Delirien oder ausgeprägte vegetative Dekompensationen bekannt [14]. Die Entwicklung einer Abhängigkeit als unerwünschte Arzneimittelwirkung nach längerer Einnahme, beispielsweise von Benzodiazepinen, wird seit langem beobachtet. Unter Venlafaxin wurden solche Effekte bisher nicht berichtet. Bei dem vorgestellten Patienten kam es jedoch zu einem ausgeprägten und hartnäckigen Missbrauch von Venlafaxin, der durch die Therapeuten nicht mehr beendet werden konnte. Der Fall wurde im Rahmen des Projekts „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) erfasst und bewertet.

Kasuistik

Der vorgestellte 33-jährige Patient wurde während eines Zeitraums von drei Jahren insgesamt viermal stationär in unserer Klinik behandelt. Zwischenzeitlich erfolgte jeweils eine ambulante Therapie in unserer psychiatrischen Institutsambulanz (PIA). Zum Zeitpunkt der ersten stationären Aufnahme präsentierte sich ein uneinheitliches klinisches Bild mit ausgeprägter Antriebsstörung, subdepressivem Affekt, starker Unruhe, ausgeprägten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, formalen Denkstörungen, Zwangssymptomen und einer Desintegration von Handlungsabläufen mit Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung. Anamnestisch fanden sich keine Hinweise auf das Vorliegen eines schädlichen Substanzgebrauchs oder einer Abhängigkeitserkrankung. Der internistisch-neurologische Status war unauffällig. Routinelabor, EEG und kranielles MRT zeigten keine pathologischen Befunde.

Wir gingen vom Vorliegen einer undifferenzierten Schizophrenie (ICD-10: F20.3) aus und behandelten mit Quetiapin, worunter sich die Unruhe deutlich besserte. Die formalen Denkstörungen besserten sich nur geringfügig. Bei guter Verträglichkeit wurde die Quetiapin-Dosis allmählich bis auf maximal 1200 mg pro Tag gesteigert. Da der Patient weiterhin unter einer starken Antriebsschwäche sowie unter Zwangshandlungen in Form von Wasch- und Kontrollzwängen litt (keine Zunahme unter Quetiapin), entschieden wir uns für einen Off-Label-Therapieversuch mit Venlafaxin. Diese zusätzliche Medikation ging mit einer Linderung der Antriebsschwäche sowie der Zwänge einher. Bei guter Verträglichkeit wurde die Dosis behutsam bis auf 300 mg pro Tag gesteigert. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), insbesondere mit Hinblick auf eine Exazerbation der psychotischen Symptomatik, traten nicht auf. Der Patient konnte schließlich in teilremittiertem Zustand entlassen werden.

Während der anschließenden PIA-Behandlung kam es aufgrund unzuverlässiger Medikamenteneinnahme zu einer Exazerbation, die eine stationäre Wiederaufnahme erforderlich machte. Bei ähnlicher Symptomatik wurde erneut vergleichsweise hoch dosiert mit Quetiapin und Venlafaxin behandelt; es kam zu einer deutlichen Befundbesserung.

In der anschließenden ambulanten Behandlung zeigte sich der Patient erneut incompliant. So setzte er Quetiapin mehrfach selbstständig ab. Venlafaxin wurde hingegen kontinuierlich eingenommen, es zeigte sich sogar zunehmend eine Fixierung auf dieses Präparat. Als wir vorschlugen, die Dosis etwas zu reduzieren, wollte der Patient dies nicht mittragen, und es entstand der Eindruck, dass er Venlafaxin nunmehr eigenmächtig höher dosierte. So riefen mehrere Apotheken in unserer Klinik an und teilten mit, dass der Patient ohne gültiges Rezept Venlafaxin erhalten wollte. Auch stellte er sich mehrfach nachts in unserer Klinik vor und verlangte nach Venlafaxin. Zu diesem Zeitpunkt wies der Patient bereits eine maniforme Symptomatik auf, so dass eine Beendigung der Venlafaxin-Gabe indiziert war. Trotz wiederholter und intensiver ärztlicher Aufklärung des Patienten bezüglich einer nun erforderlichen Reduktion, besser noch des Absetzens von Venlafaxin nahm er das Präparat unverändert weiter ein.

Der dritte Aufenthalt erfolgte wegen einer ausgeprägten maniformen Symptomatik mit Antriebssteigerung, alternierend gehobenem und dysphorischem Affekt, Konzentrationsstörung, assoziativer Lockerung, Ideenflüchtigkeit, Logorrhö, Distanzminderung sowie Größenideen mit überschwänglichen Plänen. In Anbetracht dieser Symptomatik wurde Venlafaxin abgesetzt, woraufhin sich zusätzlich Absetzsymptome in Form einer quälenden psychomotorischen Unruhe einstellten. Diese Unruhe besserte sich schrittweise binnen etwa zehn Tagen. Sie konnte klinisch relativ gut von dem weiterhin bestehenden manischen Syndrom abgegrenzt werden. In der Folgezeit trat nun ein vermehrtes „Betteln“ und dranghaftes Verlangen des Patienten nach dem Medikament auf. Der jetzt im Rahmen der maniformen Symptomatik unkooperative und kaum absprachefähige Patient wurde nach wenigen Tagen auf eigenen Wunsch gegen ärztlichen Rat nach Hause entlassen. Er verlangte seine umgehende Klinikentlassung, nachdem wir seinem dringenden Wunsch nach Weiterverordnung von Venlafaxin nicht entsprechen konnten. Während der nachfolgenden PIA-Behandlung bildete sich das manische Syndrom rasch zurück.

Die vierte stationäre Aufnahme erfolgte wegen einer Symptomatik, die stark der Psychopathologie während der ersten beiden Aufenthalte ähnelte. Erneut bestand ein atypisches depressives Syndrom mit im Vordergrund stehender Antriebsstörung und Unruhe bei gleichzeitigen formalen Denkstörungen, angedeutetem Beeinträchtigungs- und Verfolgungserleben sowie Zwangshandlungen. Wieder drängte der Patient weiterhin auf eine Venlafaxin-Gabe. Die erneute Einstellung auf ein Antipsychotikum wurde mit ihm täglich diskutiert, erst nach langwieriger Psychoedukation ließ er schließlich die erneute Gabe von Quetiapin (bis maximal 700 mg pro Tag) zu. In Anbetracht des hierunter nicht hinreichend zu bessernden Antriebsdefizits und der bestehenden Zwänge entschieden wir uns schließlich für die Initiierung einer Clomipramin-Therapie. Die Applikation erfolgte einschleichend und unter sorgfältiger klinischer Beobachtung. Zur Vermeidung einer erneuten Induktion manischer Symptome wurde zusätzlich der Stimmungsstabilisator Valproinsäure verabfolgt. Unter Clomipramin 150 mg pro Tag und Valproinsäure 900 mg pro Tag traten keine UAW in Erscheinung. Wie bei den ersten beiden Aufenthalten kam es zu einer stabilen Teilremission, wobei insbesondere die Antriebsstörung, die Unruhe und die Zwänge gebessert waren, während die Konzentrationseinbußen und die formalen Denkstörungen zum erheblichen Teil persistierten.

Nach der Entlassung aus der vierten stationären Behandlung gab der Patient anlässlich von ambulanten Wiedervorstellungsterminen nach mehrfachem Befragen schließlich an, die zuletzt verordneten Medikamente allesamt abgesetzt zu haben und erneut Venlafaxin einzunehmen. Obwohl Venlafaxin ärztlich seit Monaten nicht mehr verordnet wurde, erbrachte das therapeutische Drug-Monitoring folgende Befunde: Venlafaxin im Serum 143 µg/l (therapeutischer Bereich 30–175 µg/l), O-Desmethylvenlafaxin im Serum 233 µg/l (therapeutischer Bereich 60–325 µg/l), Quetiapin im Serum <5 µg/l (therapeutischer Bereich 70–170 µg/l) und Valproinsäure im Serum <2,4 µg/ml (therapeutischer Bereich 50,0–100,0 µg/l). Der Patient wollte nun keine weiteren Termine mehr in unserer PIA vereinbaren, da wir uns hier auf seine eigenmächtige Medikamentenauswahl und -dosierung nicht einlassen konnten. Stattdessen erklärte er, einen niedergelassenen Kollegen aufsuchen zu wollen in der Hoffnung, dass dieser ihm weiterhin Venlafaxin verschreibe.

Diskussion

Der beschriebene Fall ist unseres Erachtens vor allem unter den folgenden drei Gesichtspunkten von Interesse:

1. Besitzt Venlafaxin ein Missbrauchs- oder sogar Abhängigkeitspotenzial?

2. Welche Rolle spielen Absetz- oder Entzugssymptome unter Venlafaxin?

3. Bei welchen Erkrankungen kann Venlafaxin eine manische Symptomatik induzieren?

Diagnostisch gingen wir in Anbetracht der vorliegenden vielgestaltigen Symptomatik von einer undifferenzierten Schizophrenie aus. Das Krankheitsbild war gekennzeichnet durch ausgeprägte Störungen von Konzentration, Aufmerksamkeit und formalem Denken. Auch inhaltliche Denkstörungen bestanden in leichter Form. Zudem wirkte der Patient durch eine starke psychomotorische Agitiertheit und eine ausgeprägte Antriebsschwäche sehr gequält und es bestand eine Zwangssymtomatik. Bei starkem Leidensdruck imponierte die Antriebsschwäche als depressives Symptom, der Affekt war nicht verflacht. Andererseits bestand auch keine klassische depressive Symptomatik, so war die Stimmung nur subdepressiv ausgelenkt. Wegen fehlender Prägnanz der depressiven Symptomatik verwarfen wir differenzialdiagnostisch eine schizoaffektive Störung. Diese Einschätzung änderte sich auch nicht durch das spätere Auftreten eines euphorischen Zustandsbildes. Dieses verhielt sich nach Absetzen des Antidepressivums selbstlimitierend und wurde von uns als Venlafaxin-induziertes maniformes Syndrom (ICD-10: F06.8) klassifiziert. Die bestehende Zwangssymptomatik ordneten wir demgegenüber diagnostisch der bestehenden Psychose zu.

Therapeutisch verabfolgten wir Quetiapin bis zu einer Dosis von 1200 mg pro Tag. Diese Hochdosistherapie stellt eine Off-Label-Behandlung dar, mit der allerdings umfangreiche Erfahrungen vorliegen [7]. Wir entschieden uns für diesen Weg, da die im Vordergrund der Symptomatik stehende Unruhe unter geringeren Dosierungen nicht sistierte, der Patient sehr leidend war, zudem die Gabe anderer Neuroleptika ablehnte und die hohe Quetiapin-Dosis ohne relevante UAW vertrug. Insbesondere kam es nicht zu einer Zunahme der Zwänge. In einem zweiten Schritt behandelten wir die hartnäckige Antriebsstörung sowie die Zwänge mit Venlafaxin, das ebenfalls gut vertragen wurde. In der Literatur finden sich positive Berichte über die Behandlung depressiver Syndrome bei der Schizophrenie mit Venlafaxin [16] wie auch zur Behandlung von Zwängen bei Psychosen mit serotonergen oder noradrenerg-serotonergen Antidepressiva [20]. Venlafaxin ist zwar für die Behandlung von Zwängen nicht zugelassen, seine Wirksamkeit ist jedoch in zahlreichen Publikationen gut belegt [9]. In der Tat kam es unter der eingeleiteten Pharmakotherapie zu einer deutlichen Besserung der Unruhe, der Antriebsstörung und der Zwänge.

Das Verhalten des Patienten ab dem zweiten stationären Aufenthalt lässt unseres Erachtens durchaus zunächst an eine Abhängigkeitsentwicklung denken. So fiel bereits im stationären Bereich eine starke Fixierung des Patienten hinsichtlich des verordneten Venlafaxins auf: Unser Vorschlag einer Dosisreduktion stieß bei ihm auf heftige Ablehnung. In der anschließenden PIA-Behandlung gestaltete er die Dosierung offenbar eigenmächtig, und er versuchte, von Apotheken oder auch vom Nachtdienst unserer Klinik, zusätzliches Venlafaxin zu bekommen. Offenbar bestand bereits zu diesem Zeitpunkt, also vor dem Auftreten einer maniformen Symptomatik, ein starkes Verlangen nach der Substanz. Dies ist für die Interpretation von erheblicher Bedeutung, denn nach Eintreten der manischen Symptomatik könnten verstärkt krankheitsbedingte Faktoren auf das Verhalten eingewirkt haben.

Diagnostisch ist die Symptomatik unseres Patienten gemäß der ICD-10 [10] im Kapitel F5 als Missbrauch von Substanzen, die keine Abhängigkeit hervorrufen, Antidepressiva (F55.0), einzuordnen. Die explizite Benennung der Antidepressiva an dieser Stelle lässt keine andere Einordnung zu. Allerdings fehlen im Kapitel F5 definitorische Kriterien, unter welchen Umständen vom Vorliegen eines Antidepressiva-Missbrauchs auszugehen ist. Da wir jedoch genau dieser Frage nachgehen wollten, beziehungsweise den Fragen, ob das besonders auffällige Verhalten unseres Patienten auch Kennzeichen des Missbrauchs oder der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen in sich tragen könnte, haben wir uns erlaubt, zur Klärung auch die im Kapitel F1 verwendete Operationalisierung heranzuziehen. Bei dieser Prüfung wurde deutlich, dass im Falle unseres Patienten grundsätzlich auch die Kriterien für das Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs psychotroper Substanzen erfüllt wären. Sogar die Kriterien für eine Substanzabhängigkeit träfen mit gewissen Einschränkungen (bezüglich des Merkmals „Entzugssyndrom“, s. u.) zu. So sind bei unserem Patienten die geforderten drei von insgesamt sechs Merkmalen hierzu erfüllt: Er zeigte ein starkes Verlangen, die Substanz zu konsumieren; er reagierte auf das Absetzen mit einem körperlichen Entzugssyndrom, und er setzte den Konsum trotz des Eintritts eindeutig schädlicher Folgen fort. Unter alleiniger Berufung auf die Kriterien des Kapitels F1 könnte somit im vorliegenden Kasus das Vorliegen eines Missbrauchs oder cum grano salis sogar einer Abhängigkeit erwogen werden. In der ICD-10 wird allerdings eine solche Zuordnung durch den Verweis auf das Kapitel F5 inhibiert, verbunden mit der definitorischen Anmerkung, dass Antidepressiva „keine Abhängigkeit hervorrufen“.

In den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden von verschiedenen Autoren Befürchtungen über ein Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial der Antidepressiva geäußert [5], in etwas übersteigernder Form wurde sogar das Menetekel der Benzodiazepine beschworen, die erst im Rahmen breiter klinischer Anwendung ihr Suchtpotenzial offenbarten [2]. In der Tat finden sich in der Literatur einzelne Fallberichte über das Auftreten einer Abhängigkeit unter Tranylcypromin [3], Amineptin [4] und Fluoxetin [15]. Im letztgenannten Fall kam es sogar zu einer Toleranzentwicklung mit einer Dosissteigerung von 20 mg bis auf 280 mg pro Tag. Allerdings litt die dort beschriebene Patientin zuvor unter einer multiplen Substanzabhängigkeit, so dass sie möglicherweise ihre von dort herrührenden Verhaltensmuster nur in unspezifischer Form auf die Antidepressiva-Einnahme übertragen hatte. Eine Tendenz Suchtkranker zur missbräuchlichen Antidepressiva-Einnahme wurde auch von anderen Autoren beschrieben [23, 24].

Insgesamt bleibt festzustellen, dass Antidepressiva bislang nur selten mit der Entwicklung einer Abhängigkeit in Verbindung gebracht wurden. Hier mag es eine Rolle spielen, dass akute Substanzwirkungen unmittelbar nach der Einnahme weitgehend fehlen. Dies unterscheidet die Antidepressiva von allen im Kapitel F1 der ICD-10 genannten Substanzen. Craving, Dosissteigerungen und Toleranzentwicklung fehlen in aller Regel. Die Entzugssymptome sind vergleichsweise leicht ausgeprägt. Zur Abgrenzung vom deutlich schwereren Entzug der klassisch abhängigkeitserzeugenden Substanzen erscheint es uns, gestützt auf frühere Arbeiten hierzu [8, 14], zweckmäßiger, bei den Antidepressiva nur von Absetzsymptomen zu sprechen.

Für den oben vorgestellten Patienten folgt aus dieser Betrachtungsweise, dass nur ein Missbrauch, nicht jedoch eine Abhängigkeit vorgelegen hat. Selbst bei Anwendung der Kriterien des Kapitels F1 (welche die ICD-10 hier nicht vorsieht) wären nur zwei von drei notwendigen Merkmalen für das Vorliegen einer Abhängigkeit erfüllt. Das dritte Kriterium, die Entwicklung eines Entzugssyndroms, ist nach obigen Überlegungen nicht mehr als erfüllt zu betrachten. Auffällig bleibt jedoch ein überstarkes Verlangen nach der Substanz, welches in dieser Form nur selten beobachtet werden kann.

Nach Beendigung der Venlafaxin-Therapie entwickelte der Patient eine Absetzsymptomatik in Form einer starken psychomotorischen Unruhe, die binnen etwa eineinhalb Wochen allmählich abklang. Diese Symptomatik war so prägnant, dass sie von den Therapeuten auch vor dem Hintergrund der jetzt bestehenden maniformen Symptomatik erfasst werden konnte. Dennoch soll hier kritisch angemerkt werden, dass die beobachtete Unruhe und ihre Besserung im Zeitverlauf letztlich nicht völlig sicher von Krankheitssymptomen und Therapieeffekten abgegrenzt werden konnten.

In der Literatur sind Absetzsymptome besonders häufig unter selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) beschrieben worden. Die Betroffenen litten nach Beendigung der Behandlung unter Symptomen wie Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen und Parästhesien [14]. Auch unter dem selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin wurden Absetzphänomene beobachtet, die überwiegend den bei SSRI beobachteten Symptomen glichen [1, 11, 13, 19]. Andere Autoren berichten über das Auftreten von stromschlagähnlichen Parästhesien [8, 22]. Absetzeffekte wurden auch unter dem SSNRI Duloxetin beschrieben [17]. Auch in der Literatur werden die Absetzphänomene häufig als „Entzugssyndrom“ bezeichnet, dieser Terminus sollte jedoch – wie oben ausgeführt – besser für den Entzug bei abhängigkeitserzeugenden Substanzen reserviert bleiben.

Der vorgestellte Patient entwickelte unter Venlafaxin nach missbräuchlicher, möglicherweise überhöhter Einnahme ein maniformes Syndrom. Wahrscheinlich wurde diese Entwicklung auch dadurch begünstigt, dass er die neuroleptische Therapie mit Quetiapin absetzte. Nach Absetzen des Venlafaxins klang die euphorische Symptomatik rasch ab. Diagnostisch ordneten wir diesen Zustand als medikamenteninduziertes maniformes Syndrom (ICD-10: F06.8) bei undifferenzierter Schizophrenie ein.

Die Literatur enthält zahlreiche Berichte über Switch-Phänomene unter Venlafaxin bei uni- und bipolaren depressiven Erkrankungen [z.B. 6, 12, 21]. Unseres Wissens liegen jedoch bislang keine Arbeiten über Venlafaxin-induzierte euphorische Zustände bei der Schizophrenie vor. In einer aktuellen Übersichtsarbeit wurde die Literatur zu Switch-Phänomenen unter SSNRI zusammengestellt und bewertet [18]. Die SSNRI erwiesen sich demnach gegenüber den SSRI als wirksamer, seien jedoch wahrscheinlich mit einem höheren Switch-Risiko behaftet. Das Switch-Risiko steige mit der applizierten Dosis, ein enger zeitlicher Bezug zum Ansetzen des Medikaments oder zur Erhöhung der Dosis bestehe hingegen nicht.

Der vorliegende Fall unterstreicht die besonderen Risiken einer antidepressiven Behandlung schizophrener Patienten. Neben dem wohlbekannten Risiko einer psychotischen Exazerbation sind auch die Möglichkeiten der missbräuchlichen Einnahme oder der Induktion maniformer Zustandsbilder zu erwägen. Venlafaxin könnte diesbezüglich – analog zu den Erfahrungen bei der bipolaren affektiven Störung – mit einem erhöhten Risiko behaftet sein. Aus unserer Sicht empfiehlt sich daher eine solche Behandlung nur bei strenger Indikationsstellung sowie engster Einbindung in ein therapeutisches Setting.

Literatur

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Dr. med. Thomas Sobanski, Roxana Armion, Jan Pönisch, Berit Wenda, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, THÜRINGEN-Kliniken „Georgius Agricola“ GmbH, Rainweg 68, 07318 Saalfeld/Saale, E-Mail: mtheiler@thueringen-kliniken.de Dr. med. Detlef Degner, Psychiatrische Klinik der Universität, Von-Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen

Case report: Venlafaxine abuse with induction of a mania-like syndrome

A 33 year-old patient suffering from undifferentiated schizophrenia developed severe venlafaxine abuse with craving-like behaviour and discontinuation symptoms. In the course of the disease venlafaxine abuse resulted in the induction of a mania-like syndrome. Venlafaxine therapy was terminated. Nevertheless, after some weeks the patient discontinued the prescribed drug therapy and put himself again on venlafaxine – without letting us know. This case report shall call attention to the possible adverse drug reaction (ADR) of severe venlafaxine abuse. However, in this patient illness-related factors may have contributed considerably to the development of substance abuse behaviour.

Key words: Venlafaxine, substance abuse, discontinuation symptoms, AMSP, ADR

Psychopharmakotherapie 2010; 17(02)