Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg
Seit rund 40 Jahren ist die erhöhte Rate kongenitaler Missbildungen von Kindern epilepsiekranker Mütter bekannt. Ursachen für die erhöhte Missbildungsrate im Vergleich zu Gesunden sind zum einen epileptische Anfälle während der Schwangerschaft, vor allem aber die In-utero-Exposition gegenüber antiepileptisch wirksamen Medikamenten. Besonders gefährdet sind die Feten durch die mütterliche Einnahme von Valproinsäure. Valproinsäure führt doppelt bis vierfach so häufig zu Missbildungen wie andere Antiepileptika, beispielsweise Carbamazepin oder Lamotrigin. Bisher weniger untersucht sind die Einflüsse von während der Schwangerschaft eingenommenen Antiepileptika auf die kognitive Entwicklung der Kinder. Auch hier scheint kleineren Humanstudien zufolge ein besonders hohes Risiko von Valproinsäure auszugehen. In einer prospektiven Kohortenstudie wird die kognitive Entwicklung bei Kindern untersucht werden, die während der Schwangerschaft Antiepileptika ausgesetzt waren.
Methodik
In die prospektive NEAD(Neurodevelopmental effects of antiepileptic drugs)-Beobachtungsstudie wurden zwischen 1999 und 2004 Frauen mit Epilepsie aufgenommen, die während der Schwangerschaft eine Monotherapie mit Carbamazepin, Lamotrigin, Phenytoin oder Valproinsäure erhielten. Primärer Studienendpunkt sind verschiedene Marker der kognitiven Entwicklung der Kinder im Alter von sechs Jahren. Eine geplante Interimsanalyse untersuchte die Daten der Kinder im Alter von drei Jahren.
Ergebnisse
In die Interimsanalyse wurden die Daten von 309 Kindern einbezogen. Im Alter von drei Jahren hatten die Kinder, die in utero Valproinsäure ausgesetzt waren, signifikant niedrigere IQ-Scores als Kinder unter anderen Antiepileptika. Nach Adjustierung auf den mütterlichen IQ, das mütterliche Alter, die applizierte Dosis, Gestationsalter bei Geburt und präkonzeptionelle Folsäure-Einnahme der Mutter betrug der durchschnittliche IQ für Kinder mit Lamotrigin-Exposition 101, für Kinder mit Phenytoin-Exposition 99, für Kinder mit Carbamazepin-Exposition 98 und für Kinder mit Valproinsäure-Exposition 92. Durchschnittlich war der IQ der Valproinsäure-exponierten
- um 9 Punkte niedriger als bei Lamotrigin-exponierten Kindern (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 3,1–14,6; p=0,009),
- um 7 Punkte niedriger als bei Phenytoin-exponierten Kinder (95%-KI 0,2–14,0; p=0,04) und
- um 6 Punkte niedriger als bei Carbamazepin-exponierten Kinder (95%-KI 0,6–12,0; p=0,04).
Die Assoziation zwischen der Intelligenzminderung und der Valproinsäure-Einnahme war dosisabhängig. Der IQ von Kindern und Müttern war signifikant korreliert in den Gruppen der Lamotrigin-, Carbamazepin- und Phenytoin-exponierten Kinder, nicht aber von Kindern aus der Valproinsäure-Gruppe.
Diskussion
Die In-utero-Exposition gegenüber Valproinsäure führt bei den Kindern im Alter von drei Jahren zu einem stärkeren kognitiven Defizit als andere Antiepileptika. Die Ergebnisse der größten prospektiven Studie zum kognitiven Langzeit-Outcome bei Kindern mit In-utero-Exposition gegenüber Antiepileptika decken sich mit den Ergebnissen von kleineren retrospektiven Untersuchungen.
Trotzdem sollten die Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden. Die Studie war nicht randomisiert, weshalb die Wahl des jeweiligen Antiepileptikums mit mütterlichen Prädiktoren assoziiert gewesen sein könnte, die per se eine schlechtere kognitive Entwicklung des Nachwuchses beinhalten. Auch ist die Zahl der gegenüber Valproinsäure exponierten Kinder immer noch sehr klein, so dass weitere Studien ein mögliches Risiko verifizieren müssen.
Wie die Erkenntnisse dieser Interimsanalyse in der Praxis umgesetzt werden sollen, ist immer noch nicht ganz klar. Denn schon vor der Publikation dieser Studie war Valproinsäure wegen der bekannten Missbildungsgefahr nicht das Mittel der ersten Wahl für schwangere Epileptikerinnen. Bei fokalen Epilepsien wird für Schwangere Carbamazepin empfohlen, ein erhöhtes Risiko für Missbildungen oder kognitive Defizite ist für diesen Wirkstoff nicht bekannt. Problematisch ist die Wahl des Antiepileptikums bei Schwangeren mit generalisierten Epilepsien, bei denen Valproinsäure oftmals besser wirkt als Lamotrigin oder Topimarat. Möglicherweise ist eine Reduktion der Valproinsäure-Dosis unter 800 mg/Tag ein Weg, die Risiken für das Ungeborene zu minimieren. Valproinsäure-Tagesdosen unter 800 mg sind vermutlich mit einer den übrigen Antiepileptika vergleichbaren Missbildungsrate verbunden. Ideal wäre auf jeden Fall das klärende Gespräch mit der Patientin noch vor der Konzeption und eine eventuelle Umstellung der Medikation. Eine Umstellung der Antiepileptika nach Vorliegen eines positiven Schwangerschaftstests ist immer problematisch und häufig auch vergeblich, da möglicherweise schon eine Schädigung des Feten eingetreten ist.
Quellen
Meador KJ, et al. Cognitive function at 3 years of age after fetal exposure to antiepileptic drugs. N Engl J Med 2009;360:1597–605.
Tomson T. Which drug for pregnant woman with epilepsy? N Engl J Med 2009;360:1667–9.
Psychopharmakotherapie 2009; 16(06)