Harald Riedl und Hendrik Faure, Göttingen
Ein Serotoninsyndrom stellt die Extremform möglicher Nebenwirkungen unter selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern dar und kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen [1]. Serotonintoxizität tritt in der Regel dosisabhängig auf, ist gekennzeichnet durch neuromuskuläre Hyperaktivität, autonome Hyperaktivität sowie neurologische und psychiatrische Auffälligkeiten [2]. Ein erhöhtes Risiko besteht unter einer Kombinationsbehandlung mit mehreren Substanzen, die den Serotoninspiegel beeinflussen [3, 4].
Wir berichten über einen Patienten, der unter einer Behandlung mit Fluoxetin nach zusätzlicher Verordnung von Sibutramin ein Serotoninsyndrom entwickelte. Es scheint sich um eine unerwünschte Arzneimittelwirkung durch eine pharmakokinetisch bedingte Interaktion zu handeln. Unseres Wissens existiert bisher kein Fallbericht über eine Interaktion zwischen Fluoxetin und Sibutramin.
Fallbericht
Der 58-jährige Patient wurde wegen einer Agoraphobie mit Panikstörung seit zehn Jahren erfolgreich mit Fluoxetinin einer Dosierung zwischen 80 und 120 mg täglich behandelt. Acht Wochen vor Aufnahme erhielt er von seinem Hausarzt zur Gewichtsabnahme 15 mg/d Sibutramin (Reductil®) verordnet. Nach einer Woche entwickelte er eine zunehmende innere Unruhe, Nervosität, einen Händetremor und eine Verschlechterung seiner Blutdruckwerte bei vorbestehendem, medikamentös gut eingestelltem, arteriellem Hypertonus. Der Patient erhielt daher zu seiner bestehenden antihypertensiven Zweierkombination bestehend aus Enalapril 20 mg täglich und Hydrochlorothiazid 25 mg täglich zusätzlich Amlodipin 2-mal 5 mg täglich. Es kam zu Durchschlafstörungen und einer Exazerbation seiner Angsterkrankung in Form von Panikattacken.
Der Patient lehnte eine Benzodiazepin-Medikation wegen früherer Abhängigkeit ab und erhielt 4-mal 50 mg Promethazin täglich. Nachdem dies keine Besserung ergab, erfolgte die stationäre Einweisung.
Der auswärts gemessene Fluoxetin-Spiegel lag bei 1283 nmol/l, der Desmethylfluoxetin-Spiegel lag bei 1870 nmol/l (ther. Bereich: 289–1 156 nmol/l).
Bei Aufnahme sahen wir einen bewusstseinsklaren, voll orientierten, ängstlich-agitierten, psychomotorisch sehr unruhigen, konzentrationsgeminderten Patienten. Der formale Gedankengang war umständlich, Auffassung und Merkfähigkeit schienen ebenfalls leicht beeinträchtigt.
Bei der körperlichen Untersuchung des 173 cm großen und 100 kg schweren Mannes fielen eine leichte Tachykardie mit 96/min sowie grenzwertig hypertone Blutdruckwerte mit 160 mmHg systolisch und 90 mmHg diastolisch sowie ein seitengleicher lebhafter Reflexstatus auf.
Die von uns durchgeführten Routinelaboruntersuchungen zeigten eine leichte Hypertriglyzeridämie (196 mg/dl) und einen leicht erhöhten Harnstoffwert (56 mg/dl). Die restlichen Parameter einschließlich basalem TSH lagen im Normbereich. Der Urinstatus war unauffällig, das abgeleitete EKG zeigte keinen pathologischen Befund.
Nach Reduktion von Fluoxetin auf 40 mg täglich kam es binnen 14 Tagen zu einer vollständigen Remission. Die ergänzend verordnete Promethazin-Medikation konnte in dem Zeitraum auf 4-mal 25 mg täglich reduziert werden. Zum Zeitpunkt der Entlassung lagen die Blutdruck- und Pulswert im Normbereich (125/70 mm Hg, Pulsfrequenz 84).
Diskussion
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer („selective serotonin reuptake inhibitor“, SSRI) wie Fluoxetin werden in der Therapie von Depressionen und Angststörungen häufig angewendet. Sie gelten üblicherweise als relativ sicher im Hinblick auf Überdosierungen, da kaum Wechselwirkungen mit adrenergen, cholinergen, histaminergen oder dopaminergen Rezeptoren bestehen. Eine Überdosierung kann in bis zu 15% der Fälle zu leichten Symptomen der Serotonintoxizität führen [5]. Eine zeitgleiche Einnahme von Medikamenten oder Substanzen, die als Serotoninagonisten wirken (Lithiumsalze, Sumatriptan, Pethidin), die Serotonin freisetzen (Amphetamine, Cocain, Levodopa), von Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (Venlafaxin, Duloxetin, trizyklischen Antidepressiva, Tramadol, Cocain), Monoaminoxidase-(MAO-)Hemmern und verschiedenen Phytopharmaka (Ginseng, Johanniskraut) kann zu schweren serotonergen Reaktionen führen.
Sibutramin ist ein selektiver Serotonin-, Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer [6]. Es findet seine Anwendung in der unterstützenden Therapie im Rahmen eines Gewichtsmanagements bei Patienten mit einer ernährungsbedingten Adipositas und einem Körpermassenindex (BMI = Body Mass Index) von 30 kg/m² oder höher oder bei Patienten mit ernährungsbedingtem Übergewicht und einem BMI von 27 kg/m² oder höher, bei denen adipositasbedingte Risikofaktoren wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Dyslipidämie vorliegen. Es liegen Hinweise vor, dass in etwa der Hälfte der Behandlungen Sibutramin nicht gemäß den Indikationen verwendet wird [7]. Kardiale Nebenwirkungen sind beschrieben [8], es existieren auch Hinweise auf psychische Störungen bei der Anwendung von Sibutramin [9]. Der Hersteller von Sibutramin warnt in der Fachinformation ausdrücklich vor der gleichzeitigen Einnahme von Sibutramin mit serotonerg wirkenden Arzneimitteln, wobei explizit serotonerge Antidepressiva benannt werden [6].
Unser Patient entwickelte eine Woche nach Einnahme von 15 mg Sibutramin zusätzlich zu einer hochdosierten Fluoxetin-Therapie (80 mg/d) eine ängstliche Agitiertheit, einen Tremor und zeigte im Rahmen der klinisch-neurologischen Untersuchung ein lebhaftes Reflexniveau, zusätzlich kam es zur Verschlechterung eines vorbestehenden, medikamentös gut eingestellten arteriellen Hypertonus und zu Durchschlafstörungen. Die unmittelbar vor Aufnahme, auswärtig bestimmten Fluoxetin-und Desmethylfluoxetin-Spiegel lagen oberhalb des therapeutischen Bereichs.
Weder klinisch noch anamnestisch fanden sich Hinweise auf ein malignes neuroleptisches Syndrom, auf ein zentrales anticholinerges Syndrom, auf eine fieberhafte Infektion, eine Enzephalopathie oder ein Delir.
Desmethylfluoxetin (Norfluoxetin), ein Metabolit des Fluoxetins, ist ein Inhibitor von Cytochrom P450-3A4 (CYP3A4) [10]. Sibutramin ist ein Substrat von Cytochrom CYP3A4 [6]. Wir gehen daher davon aus, dass die Kombination beider Medikamente zu einem Anstieg des Sibutramin-Spiegels führte. Die hohe Dosierung des Fluoxetins kann dabei als Risikofaktor gewertet werden. Nach Absetzen von Sibutramin und Reduktion der Fluoxetin-Tagesdosis auf 40 mg kam es binnen drei Wochen zu einem vollständigen Rückgang der Symptomatik.
Literatur
1. Cassens S, Nickel EA, Quintel M, Neumann P. Das Serotoninsyndrom. Aneasthesist 2006;55:1189–96.
2. Sternbach H. The serotonin syndrom. Am J Psychiatrie 1991;148:705–13.
3. Mittino D, Mula M, Monaco F. Serotonin syndrom associated with tramadol-sertralin coadministration. Clin Neuropharmacol 2004;27:150–1.
4. John L, Perrecault MM, Tao T, Blew PG. Serotonin syndrom associated with nefazodone and paroxetin. Am J Emergency Med 1997;29:287–9.
5. Gillman PK. The serotonin syndrome. N Engl J Med 2005;352:2454–5.
6. Abbott. Fachinformation Reductil (Stand: September 2007)
7. Dahlin A, Beermann B. Incorrect use of orlistat and sibutramin in clinical practice. Eur J Clin Pharmacol 2007;63:205–9.
8. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Kardiale Nebenwirkungen bei Anwendung von Sibutramin. Dtsch Ärztebl 2002;99:A-1779,B-1503,C-1403.
9. Psychische Störungen unter Appetithemmer Sibutramin (Reductil). Arznei-Telegramm 2001;32:56.
10. Flockhart DA. Drug interactions: Cytochrome P450 drug interaction table. Indiana: University School of Medicine, 2007.
Harald Riedl, Hendrik Faure, Abteilung Akutpsychiatrie (FB III), Asklepios Fachklinikum Göttingen, Rosdorfer Weg 70, 37081 Göttingen, E-Mail: h.riedl@asklepios.com
Case report: Serotonin syndrome associated with a co-medication from fluoxetine and sibutramine
We report about a 58 year old man, who was successfully treated with a daily dose of 80 mg of fluoxetine for ten years because of a agoraphobia wih panic disorder. Under this treatment he had been free of symptoms. Eight weeks before admission to our hospital he took 15 mg of sibutramine a day for weight loss. One week later he developped symptoms like increasing restlessness, tremor, worsening of his blood pressure readings, an exacerbation of his anxieties and sleep disorders. One week before admission he decided to discontinue sibutramine. After reduction of fluoxetine to 40mg a day he remitted completely within 14 days. We assume a serotonin syndrome associated with a co-medication of fluoxetine and sibutramine.
Keywords: Fluoxetin, interaction, serotonin syndrome, sibutramin
Psychopharmakotherapie 2009; 16(06)