Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
Bipolare Störungen treten relativ häufig auf (≥1%), verlaufen meist chronisch und mit dem Risiko einer erhöhten Mortalität durch Suizid und andere Begleiterkrankungen. Eine prophylaktische Therapie mit einem Stimmungsstabilisierer ist daher die Grundlage der Behandlung.
Für Frauen mit einer bipolaren Störung stellt sich bei Beginn einer Schwangerschaft die Frage, ob sie die stimmungsstabilisierenden Medikamente weiter einnehmen oder besser absetzen sollten. Meist entscheiden sich Patientin und Arzt dafür, das Medikament wegen vermuteter negativer Auswirkungen auf die Kindesentwicklung, wegen befürchteter teratogener Effekte und Zweifeln an der Wirksamkeit in der Schwangerschaft abzusetzen. Eine verbreitete Annahme ist zudem, eine Schwangerschaft verringere das Risiko von Rückfällen.
In die prospektive Beobachtungsstudie wurden 89 schwangere Frauen mit einer bipolaren Störung (bipolar I: n=61; bipolar II: n=28) eingeschlossen, die einen Stimmungsstabilisierer einnahmen oder das Medikament innerhalb von 6 Monaten vor bis 12 Wochen nach der Konzeption absetzten. Es lag in der Entscheidung der Patientinnen und der behandelnden Ärzte, die Therapie fortzuführen oder abzubrechen. Die Studienvisiten wurden einmal pro Trimester sowie in den Wochen 6, 12, 24 und 52 nach der Geburt in den Praxen der betreuenden Psychiater vorgenommen.
Die primären Zielparameter waren bipolare Episoden und die Zeit bis zum Auftreten der Episoden (Manie, Hypomanie, Depression oder gemischte Episode).
Die Patientinnen wurden in zwei Gruppen eingeteilt:
● Patientinnen, die den Stimmungsstabilisierer von der Konzeption bis wenigstens zum Ende des ersten Trimenons einnahmen
● Patientinnen, die den Stimmungsstabilisierer in der Zeit von 6 Monaten vor Empfängnis bis zur 12. Schwangerschaftswoche absetzten
Primäre Stimmungsstabilisierer waren Lithiumsalze (61,8%) oder ein Antikonvulsivum (36%).
Die Häufigkeit der Rückfälle während der Schwangerschaft war hoch. Insgesamt erlitten 63 der 89 Patientinnen (70,8%) wenigstens eine Episode einer bipolaren Störung. Insgesamt traten 81 Episoden auf.
Das Rückfallrisiko nach Behandlungsabbruch war 2,3fach höher als bei Fortführung der Prophylaxe. Nach Behandlungsabbruch erlitten 85,5% der Patientinnen (53 von 62) einen Rückfall, während es bei Fortführung nur 37% (10 von 27) waren.
Ebenso dramatisch waren die Unterschiede in der Länge der Episoden. Die Patientinnen, die abbrachen, verbrachten im Mittel 40% der Schwangerschaft in einer bipolaren Episode, im Vergleich zu 8,8% der Schwangerschaftsdauer bei den weiterbehandelten Patientinnen.
Wie die Kaplan-Meier-Überlebensanalyse zeigt (Abb. 1), lag die mediane Zeit bis zum Eintritt der ersten Episode bei Abbruch der Prophylaxe bei 9 Wochen und bei Weiterbehandlung bei > 40 Wochen.
Abb. 1. Kaplan-Meier-Überlebensfunktionen für schwangere Patientinnen mit einer bipolaren Störung, die ihre prophylaktische Behandlung weiterführten oder abbrachen [nach Viguera et al. 2007]
Im Hinblick auf die Polarität der Episoden dominierten die depressiven und gemischten Episoden. In beiden Gruppen zusammen waren 79,4% der Episoden depressive/gemischte im Vergleich zu 20,6% hypomane/manische Episoden. Noch größer waren die Unterschiede nach einem Behandlungsabbruch (88,7% vs. 19,3%).
In der Studie wurden unter anderen folgende weiteren Risikofaktoren für einen Rückfall identifiziert:
● ≥5 Jahre Krankheitsdauer
● Beginn der Erkrankung in jungen Jahren
● Bipolar-II-Störung
● Rapid Cycling
● Kurze stabile Phase vor der Konzeption
● Einnahme eines Antidepressivums
Trotz dieser zusätzlichen Faktoren zeigte eine risikofaktorbereinigte Analyse, dass der Abbruch der prophylaktischen Therapie ein sehr bedeutender Risikofaktor ist.
Die Ergebnisse der Studie stellen daher die häufige Praxis eines abrupten Abbruchs der prophylaktischen Behandlung bei eintretender Schwangerschaft infrage und sie unterstreichen den Nutzen einer Fortführung der Prophylaxe, da diese Rückfallrisiko und Krankheitsdauer während der Schwangerschaft verringert.
Die Autoren raten daher zu einer sorgfältigeren Abwägung der Risiken und Nutzen bei der Behandlung Schwangerer mit einer bipolaren Störung.
Kommentar
In eine Nutzen-Risiko-Analyse sollten nicht nur mögliche teratogene Effekte der Behandlung eingehen, sondern auch die Folgen der Behandlung für die weitere Entwicklung des Kindes sowie die Folgen einer Erkrankung während der Schwangerschaft für Mutter und Kind. Zur Frage der weiteren Entwicklung deuten die Ergebnisse einer kleineren Studie darauf hin, dass die Behandlung mit psychotropen Medikamenten während der Schwangerschaft keine Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder hat, während psychische Erkrankungen während der Schwangerschaft das kindliche Verhalten verändern [2].
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen andere Arbeiten [3], die zeigen, dass nach depressiven Episoden während der Schwangerschaft das Risiko von Fehlgeburten und von Geburtskomplikationen ansteigt. Weiterhin ist das Geburtsgewicht erniedrigt und der Kopfumfang geringer. Die kognitive Entwicklung dieser Kinder ist verzögert und sie entwickeln vermehrt soziale Probleme und Verhaltensschwierigkeiten.
Quellen
1. Viguera AC, et al. Risk of recurrence in women with bipolar disorder during pregnancy: Prospective study of mood stabilizer discontinuation. Am J Psychiatry 2007;164:1817–24.
2. Misri S, et al. Internalizing behaviours in 4-year-old children exposed in utero to psychotropic medications. Am J Psychiatry 2006; 163:1026–32.
3. Henry AL, et al. The fetus and maternal depression: implications for antenatal treatment guidelines. Clin Obst Gynecol 2004;47:535–46.
Psychopharmakotherapie 2008; 15(02)