Dr. Annemarie Möritz, Sursee (Schweiz)
Die genauen Ursachen der multiplen Sklerose sind trotz intensiver Forschung nach wie vor unbekannt. Derzeit wird die multiple Sklerose als Autoimmunerkrankung definiert, die durch unterschiedliche, von außen einwirkende Faktoren bei einem genetisch prädisponierten Menschen entstehen kann. Es kommt zu einer T-Zell-vermittelten Entzündungsreaktion, die zur Demyelinisierung von Nervenfasern im Zentralnervensystem und damit zum Krankheitsbild der multiplen Sklerose führt.
Infektiöse Mononukleose
Das Epstein-Barr-Virus (EBV) kann eine infektiöse Mononukleose, auch Pfeiffer’sches Drüsenfieber genannt, auslösen, die meist in der Pubertät auftritt. Eine infektiöse Mononukleose wurde bisher nur in kleineren Kohortenstudien und in Fall-Kontroll-Studien mit einem erhöhten Risiko, an multipler Sklerose zu erkranken, in Verbindung gebracht. In diesen Studien konnten nicht geklärt werden, ob dieses Risiko alters- und/oder geschlechtsabhängig ist und ob der Zeitraum nach durchgemachter infektiöser Mononukleose bis zum Auftreten einer multiplen Sklerose relevant ist. In einer dänischen Kohorten-Studie wurde gezeigt, dass eine früher durchgemachte infektiöse Mononukleose das Risiko, an multipler Sklerose zu erkranken, um mehr als den Faktor 2 erhöht (Tab. 1). Das Risiko bestand noch mehr als 30 Jahre nach der infektiösen Mononukleose und war nicht von Alter oder Geschlecht abhängig. Dies weist auf eine permanente Veränderung des Immunstatus mit erhöhtem Multiple-Sklerose-Risiko für die Betroffenen hin – eine Hypothese, die nun in weiteren Studien näher zu untersuchen ist.
Tab. 1. Übersicht der beiden Studien (Design, Ergebnis) zu den Risikofaktoren infektiöse Mononukleose und niedrige Vitamin-D-Serumspiegel für eine Erkrankung an multipler Sklerose
Infektiöse Mononukleose |
Niedrige Vitamin-D-Spiegel im Serum |
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Studientyp |
Kohortenstudie |
Prospektive Fall-Kontroll-Studie |
Patienten |
25234 Patienten mit infektiöser Mononukleose, die in verschiedenen Institutionen des dänischen Gesundheitssystems serologisch getestet wurden |
515 Multiple-Sklerose-Fälle aus einer Datenbank von 7 Mio. Angehörigen der US-Streitkräfte mit jeweils zwei passenden Kontrollen („matched controls“) |
Endpunkt |
Verhältnis der beobachteten zu den erwarteten Multiple-Sklerose-Fällen in der Kohorte |
Relatives Risiko („Odds-Ratio“) für den Zusammenhang einer Erkrankung an multipler Sklerose mit den 25-Hydroxy-colecalciferol-Serumspiegeln in der gleichen ethnischen Gruppe |
Resultat |
Standardisierte Inzidenzrate: 2,27 |
Weiße Hautfarbe: Risikoreduktion von 41% pro 50 nmol/l Zunahme des 25-Hydroxy-colecalciferol-Serumspiegels; Odds-Ratio: 0,59 (95%-Konfidenzintervall: 0,36–0,97; p=0,04) |
Vitamin-D-Spiegel im Serum
Die globale Verteilung von Erkrankungen an multipler Sklerose zeigt eine deutliche Zunahme mit zunehmender Entfernung vom Äquator. Dieser Breitengradeffekt wurde beispielsweise durch Migration von Personen in weiter vom Äquator entfernte Gebiete bestätigt: Die Migranten tragen ein erhöhtes Multiple-Sklerose-Risiko. Hier könnte ein Zusammenhang mit der Vitamin-D-Versorgung bestehen. Bei ausreichender Sonnenbestrahlung kann Vitamin D vom Körper selbst produziert werden. In unseren Breiten kann die endogene Produktion allerdings unzureichend sein.
Sonnenbestrahlung sowie die Einnahme von Vitamin D als Nahrungsergänzung senken das Risiko, an multipler Sklerose zu erkranken. Untersuchungen zeigten ferner, dass Vitamin D, das hauptsächlich für die Aufrechterhaltung des Calcium- und Phosphat-Gleichgewichts im Körper verantwortlich ist, auch als potenter Immunmodulator wirkt: Das Hormon kann im Tiermodell eine experimentell erzeugte Autoimmun-Enzephalomyelitis (EAE) verhindern. In einer US-amerikanischen Fall-Kontroll-Studie wurde nun bestätigt, dass ein niedriger 25-Hydroxy-colecalciferol-Serumspiegel für Personen mit weißer Hautfarbe ein erhöhtes Multiple-Sklerose-Risiko bedeutet (Tab. 1; Abb. 1). Für Personen mit schwarzer Hautfarbe oder hispanischer Herkunft konnte in dieser Studie kein erhöhtes Risiko ermittelt werden. Weitere Studien sind notwendig, um den protektiven Effekt von Vitamin D gegenüber einer Erkrankung an multipler Sklerose sowie die optimale Dosis einer Nahrungsergänzung nachzuweisen.
Abb. 1. Relatives Risiko für eine Erkrankung an multipler Sklerose in Abhängigkeit vom 25-Hydroxy-colecalciferol-Serumspiegel [nach Munger K, et al.]
Quellen
Rasmussen Nielsen T, et al. Multiple sclerosis after infectious mononucleosis. Arch Neurol 2007;64:72–5.
Munger K, et al. Serum 25-hydroxyvitamin D levels and risk of multiple sclerosis. JAMA 2006;296:2832–8.
Psychopharmakotherapie 2007; 14(04)