Borwin Bandelow, Göttingen, Reinhard J. Boerner, Quakenbrück, Siegfried Kasper, Wien, Michael Linden, Teltow, Hans-Peter Volz, Werneck, Hans-Ulrich Wittchen, Dresden, und Hans-Jürgen Möller, München
Die vorliegende Arbeit fasst das Ergebnis einer Konsensuskonferenz von Angstexperten zusammen. Das Ziel dieser Konferenz war eine Zusammenstellung der neuesten Erkenntnisse zur Therapie der generalisierten Angststörung.
Die generalisierte Angststörung (generalized anxiety disorder; GAD) ist eine häufige und schwerwiegende Erkrankung. Zu den psychischen Angstsymptomen der Krankheit gehören Unruhe, Anspannung, Nervosität, Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, leichte Ermüdbarkeit und Schlafstörungen, zu den körperlichen Ausdrucksformen Palpitationen, Zittern, Schwindel, Schwitzen, Muskelanspannungen und andere Symptome. Die GAD wird einerseits durch übersteigerte Ängste gekennzeichnet, die ungerichtet sind („frei flottierende Angst“), zum anderen durch übersteigerte Sorgen und Vorahnungen, dass dem Betroffenen oder seinen Verwandten ein Unglück zustoßen könnte [1].
Eine Lebenszeitprävalenz von 4,3 bis 5,9% und eine 12-Monats-Prävalenz von 1,2 bis 1,9% wurden in epidemiologischen Studien festgestellt [2]. Die Angsterkrankung ist bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern. In den meisten Fällen beginnt sie nach dem 25. Lebensjahr. Bei Frauen wurde eine Zunahme der Häufigkeit nach dem 35. Lebensjahr registriert, bei Männern nach dem 45. Lebensjahr [3]. Es handelt sich um eine chronisch verlaufende Erkrankung; die meisten Patienten leiden noch sechs bis zwölf Jahre nach Diagnosestellung unter der Symptomatik [4]. Bei drei von fünf Patienten besteht eine Komorbidität mit Depression [2, 5]. Wegen einer Komorbidität von 90,4% mit anderen psychiatrischen Erkrankungen wurde diskutiert, ob es sich bei der GAD um eine eigenständige Erkrankung handelt [6].
Die Erkrankung wird in der Primärversorgung häufig unterdiagnostiziert [7]. Nur zwei von fünf betroffenen Patienten begeben sich in Behandlung [8].
Differenzialdiagnostisch müssen neben internistischen und neurologischen Erkrankungen andere psychische Störungen, vor allem andere Angststörungen abgegrenzt werden. Bei der Panikstörung tritt die Angst attackenförmig auf; sie ist häufig mit einer Agoraphobie verbunden, und die Sorgen der Patienten beziehen sich vor allem auf eine eigene befürchtete Erkrankung, nicht wie bei der GAD auf die einer anderen nahestehenden Person. Bei der sozialen Angststörung sind die Befürchtungen auf soziale Situationen beschränkt, in denen die betreffende Person sich kritisiert oder beobachtet fühlen könnte.
Wie bei anderen Angststörungen werden traumatische Lebenserfahrungen, Fehlkonditionierungen, genetische Einflüsse und neurobiologische Dysfunktionen als mögliche ätiologische Faktoren diskutiert [9]. Die GAD tritt in Familien gehäuft auf [10]. In Zwillingsstudien wurde ein moderater Erbfaktor gefunden [11–16], der geringer ausgeprägt ist als bei anderen Angsterkrankungen, beispielsweise der Panikstörung. Hinsichtlich neurobiologischer Störungen gibt es weniger Befunde als bei anderen Angsterkrankungen. Zu den vermuteten neurobiologischen Veränderungen, die im Zusammenhang mit der GAD diskutiert werden, zählen Störungen des Serotoninsystems [17–19], des adrenergen Systems [20–23] oder der GABA-Bindung [24].
Behandlung
Es gibt zahlreiche kontrollierte Studien zur medikamentösen Behandlung der generalisierten Angststörung. In der Praxis wird nicht selten beobachtet, dass die in Leitlinien empfohlenen Medikamente [25, 26] nicht immer fachgerecht eingesetzt werden.
Zu den Medikamenten der ersten Wahl zählen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) sowie der Calciumkanalmodulator Pregabalin. Für SSRI und SNRI ergaben sich Ansprechraten von 45 bis 68% (≥50%ige Symptombesserung) sowie Remissionsraten von 36 bis 73% (Hamilton-Angstskala ≤7 Punkte) [27]. Trizyklische Antidepressiva sind ebenfalls wirksam, haben jedoch insgesamt mehr Nebenwirkungen als SSRI. Das Azapiron Buspiron war in einigen Studien zur GAD wirksam, die Datenlage ist allerdings inkonsistent. Benzodiazepine haben eine gute angstlösende Wirkung, werden jedoch wegen einer möglichen Suchtgefahr nicht in der Dauerbehandlung eingesetzt. Weitere Therapieoptionen sind Opipramol und Hydroxyzin.
Die Dosierungen der Arzneistoffe sind in der Tabelle 1 zusammengestellt. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Stoffgruppen werden in Tabelle 2 gegenübergestellt.
Tab. 1. Therapieempfehlungen bei generalisierter Angststörung (Tagesdosen)
Regelbehandlung Arzneistoff (Handelsname [Beispiel]) |
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Venlafaxin* (Trevilor®) Escitalopram* (Cipralex®) Paroxetin* (Seroxat®) Pregabalin* (Lyrica®) Buspiron* (Bespar®) Imipramin (Tofranil®) Opipramol* (Insidon®) Hydroxyzin (Atarax®) |
75–225 mg 10–20 mg 20–60 mg 150–600 mg 15–60 mg, in der Regel 30 mg 75–200 mg; in der Regel 100–150 mg 100–300 mg; in der Regel 200 mg 37,5–75 mg
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In therapieresistenten Fällen |
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Wechsel der verschiedenen Substanzgruppen Augmentation einer SSRI-Behandlung mit Risperidon Off-Label-Versuch mit Moclobemid, Phenelzin (in Deutschland nur über Auslandsapotheke erhältlich), Mirtazapin, Reboxetin oder Valproinsäure |
*vom BfArM zugelassen
Tab. 2. Vor- und Nachteile von Medikamenten für die generalisierte Angststörung
Arzneistoff |
Vorteile |
Nachteile |
Mittel 1. Wahl |
||
SSRI |
Keine Abhängigkeit |
Wirkungslatenz 2–6 Wochen |
SNRI |
Keine Abhängigkeit |
Wirkungslatenz 2–6 Wochen |
Pregabalin |
Rascher Wirkungseintritt |
Benommenheit und Schläfrigkeit häufig, besonders zu Beginn der Behandlung |
Mittel 2. Wahl |
||
TZA |
Keine Abhängigkeit |
Wenige Studien zum Wirksamkeitsnachweis vorhanden; keine Langzeitstudien vorhanden |
Buspiron |
Keine Abhängigkeit |
Weniger wirksam als andere Präparate in manchen klinischen Studien |
Benzodiazepine |
Rascher Wirkungseintritt |
Abhängigkeit möglich, Sedierung, Reaktionszeitverminderung |
Hydroxyzin |
Keine Abhängigkeit |
Wenige Studien zum Wirksamkeitsnachweis vorhanden; keine Langzeitstudien vorhanden |
Opipramol |
Keine Abhängigkeit |
Kaum Studien zum Wirksamkeitsnachweis vorhanden; keine Langzeitstudien vorhanden |
TZA = trizyklische Antidepressiva; SSRI = selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; SNRI = selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
In Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudien zeigte sich die Wirksamkeit der SSRI Paroxetin [28–30], Sertralin [31, 32] und Escitalopram [33, 34]. In einer 3-Arm-Studie waren Escitalopram und Paroxetin Plazebo überlegen. In manchen Skalen zeigte sich für Escitalopram eine bessere Wirksamkeit als bei Paroxetin [35]. In einem Vergleich von Paroxetin und Sertralin waren beide Medikamente gleich wirksam und zeigten gute Verträglichkeit [36].
In einer kleinen Studie bei Kindern im Alter von 5 bis 17 Jahren war Sertralin Plazebo überlegen [37].
Im Allgemeinen sind SSRI gut verträglich. Nebenwirkungen wie Unruhe, Nervosität oder eine Zunahme der Angstsymptomatik, die in den ersten Tagen oder Wochen einer SSRI-Behandlung auftreten, können die Compliance beeinträchtigen. Sexuelle Dysfunktionen können bei längerer Behandlung ein Problem darstellen, und Absetzphänomene wurden beobachtet [38, 39]. Um nächtliche Unruhezustände und Schlaflosigkeit in der Anfangszeit der Behandlung zu vermeiden, sollten die Medikamente morgens gegeben werden.
Der anxiolytische Effekt tritt meist mit einer Latenz von zwei bis vier Wochen ein, in manchen Fällen noch später.
Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
Venlafaxin war in doppelblinden Studien wirksamer als Plazebo [40–42]. In einer Studie waren die Werte nur signifikant niedriger für den Subscore „Psychische Angst“ der Hamilton-Angstskala (HAMA) und für die Items „Ängstliche Stimmung“ und „Anspannung“, jedoch nicht für den Gesamtwert der HAMA und für Clinical Global Impression (CGI) im Vergleich zu Plazebo- Behandlungen. Auf einigen Maßen war Venlafaxin besser wirksam als Plazebo [43].
In einer Studie waren Venlafaxin und Pregabalin wirksamer als Plazebo [44].
In der Regel wird die Retardform von Venlafaxin verwendet. Zu Beginn der Therapie können Nebenwirkungen wie Übelkeit, Unruhe oder Schlafstörungen die Compliance beeinträchtigen. Die angstlösende Wirkung tritt mit einer Latenz von zwei bis vier Wochen ein, in manchen Fällen später.
Nach bisher nur als Poster veröffentlichten Daten ist auch der SNRI Duloxetin bei der GAD wirksam [45].
Trizyklische Antidepressiva (TZA)
Trizyklische Antidepressiva wurden nur in wenigen Studien bei einer generalisierten Angststörung untersucht. Das TZA Imipramin war wirksamer als Plazebo und ebenso wirksam wie Referenzsubstanzen [46, 47].
Besonders zu Beginn der Behandlung können Nebenwirkungen wie verstärkte Angst, Mundtrockenheit, orthostatische Dysregulation, Tachykardie, Sedierung, sexuelle Dysfunktionen und Beeinträchtigung der Reaktionszeit eintreten. Bei lang dauernder Behandlung kann eine Gewichtszunahme auftreten. Insgesamt sind Nebenwirkungen bei den TZA häufiger als bei moderneren Antidepressiva wie den SSRI oder SNRI. Daher sollten die TZA erst verwendet werden, wenn eine Behandlung mit den letzteren Medikamenten nicht erfolgreich war oder nicht vertragen wurde.
Die Dosis sollte langsam gesteigert werden, bis Dosierungen erreicht werden, die auch in der Depressionsbehandlung üblich sind. Die Patienten sollten darüber informiert werden, dass die Wirkung mit einer Latenz von zwei bis vier Wochen, in Einzelfällen auch später eintritt.
Buspiron
Das Azapiron Buspiron war in einigen Studien Plazebo überlegen [43, 48, 49] und ebenso wirksam wie Benzodiazepine [50–54]. Es war jedoch weniger wirksam als Venlafaxin [43] oder Hydroxyzin [55].
Für andere Angststörungen konnte keine Wirkung nachgewiesen werden.
Calciumkanalmodulator Pregabalin
Pregabalin übt seine Wirkung an der α2δ-Untereinheit spannungsabhängiger Calciumkanäle aus und beeinflusst somit Rezeptorsysteme, die mit Angstlösung in Verbindung gebracht werden, wie Noradrenalin, Substanz P oder Glutamat.
Pregabalin wurde bisher in mehreren Doppelblindstudien untersucht. In einigen Studien war es Plazebo überlegen [56–58]. Die Studie von Montgomery et al. [58] wurde als bisher einzige kontrollierte GAD-Studie explizit mit älteren Patienten (≥65 Jahre) durchgeführt.
In einer Studie wurde Pregabalin in relativ niedrigen Dosen (50 bzw. 200 mg/d) mit dem Benzodiazepin Lorazepam verglichen. Pregabalin (200 mg) und Lorazepam waren besser wirksam als Plazebo; die Drop-out-Rate war unter Lorazepam höher [59]. In einer weiteren Vergleichsstudie waren Pregabalin (150 mg/d und 600 mg/d) sowie Lorazepam (6 mg/d) signifikant wirksamer als Plazebo [56].
In einer dreiarmigen Studie wurden Patienten mit einer GAD mit Pregabalin, Alprazolam und Plazebo behandelt. Die beiden aktiven Medikamente waren besser wirksam als Plazebo. Bei einer Dosis von 300 mg/d (nicht aber bei 450 oder 600 mg/d) war Pregabalin einer Behandlung mit 1,5 mg/d Alprazolam überlegen [60].
In einer Studie wurden zwei Dosen von Pregabalin (400 und 600 mg/d) und Venlafaxin (75 mg/d) mit Plazebo verglichen. Alle drei aktiven Medikamente waren signifikant besser wirksam als Plazebo. Für Pregabalin konnte ein Wirkungseintritt bereits in der ersten Woche nachgewiesen werden, während sich Venlafaxin hier noch nicht von Plazebo unterschied [44]. Unter Pregabalin zeigte sich ein gegenüber der Plazebo-Gruppe signifikant verbesserter Schlaf, gemessen an der Verbesserung des HAMA-Items 4 (Schlafstörung).
Benommenheit und Schläfrigkeit sind häufig auftretende Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Pregabalin. In präklinischen und klinischen Studien gab es keine Hinweise für Abhängigkeit, Toleranzentwicklungen oder Absetzphänomene unter Pregabalin.
Benzodiazepine
Alprazolam zeigte in einer Vergleichsstudie mit Plazebo und Referenzsubstanzen positive Ergebnisse [46, 48, 61–63]. Auch Diazepam war im Vergleich mit Plazebo wirksam [47, 64–68], ebenso in Studien mit Vergleichssubstanzen mit etablierter Wirksamkeit [51–53, 61]. Lorazepam war in den erwähnten Vergleichen mit Pregabalin besser wirksam als Plazebo [59].
Der anxiolytische Effekt setzt nach oraler oder parenteraler Anwendung sofort ein. Insgesamt gilt die Behandlung mit Benzodiazepinen als sicher; wegen der ZNS-Dämpfung kann es allerdings zu Sedierung, Schwindel, verlängerter Reaktionszeit und anderen Nebenwirkungen kommen. Nach längerer Behandlung (also etwa 4 bis 8 Monaten) kann bei einigen Patienten eine Abhängigkeitsentwicklung eintreten [69–75], besonders bei prädisponierten Patienten [76]. Absetzphänomene sind bei Benzodiazepinen mit kurzer Halbwertszeit zwei Tage nach Beendigung der Behandlung am stärksten, bei Präparaten mit langer Halbwertszeit nach vier bis sieben Tagen [70]. Bei den meisten Fällen einer Abhängigkeitsentwicklung handelt es sich um eine „low dose dependency“; Toleranzphänomene, die sich in einer ständigen Dosissteigerung äußern würden, sind selten [77].
Daher sollte bei einer Behandlung mit Benzodiazepinen eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Analyse erfolgen. In der Regel sollten die Benzodiazepine nur in der akuten Behandlungsphase (4–8 Wochen) eingesetzt werden. Meist werden sie in der Kombination mit SSRI, SNRI oder TZA eingesetzt, um die Wirkungslatenz der Antidepressiva zu überbrücken. In bestimmten Einzelfällen, in denen andere Behandlungsmodalitäten nicht wirksam waren oder wegen Nebenwirkungen nicht toleriert wurden, mag gegebenenfalls eine längerfristige Benzodiazepin-Behandlung sinnvoll sein. Patienten mit einer Suchtanamnese sollten allerdings von der Behandlung ausgeschlossen werden.
Eine kognitive Verhaltenstherapie kann das Absetzen einer Benzodiazepin-Behandlung erleichtern [78, 79]. Benzodiazepine können zu Beginn der Behandlung zusätzlich zu Antidepressiva verwendet werden, um deren Wirkungslatenz zu überbrücken [80].
Es ist zu beachten, dass eine Behandlung der GAD mit Benzodiazepinen kaum Einfluss auf die oft bestehende depressive Begleitsymptomatik hat.
Antihistaminika
Die Wirksamkeit der Antihistaminika bei Angststörungen beruht wahrscheinlich auf einem allgemeinen ZNS-dämpfenden Effekt. Hydroxyzin, Diphenhydramin und Doxylamin werden bereits seit vielen Jahren häufig als Hypnotika und Sedativa eingesetzt. Kontrollierte Studien mit DSM-definierten Angststörungen liegen jedoch kaum vor.
Die Wirksamkeit des Antihistaminikums Hydroxyzin wurde in einer Plazebo- kontrollierten Studie nachgewiesen [81]. In einer Vergleichsstudie war nur Hydroxyzin, nicht aber Buspiron, Plazebo überlegen [55]. Wegen sedierender Effekte sollte dieses Medikament nur zum Einsatz kommen, wenn die Behandlung mit Standardmedikamenten nicht erfolgreich war. Zudem fehlen Langzeit- und Dosisfindungsstudien, so dass dieses Medikament nur als Mittel der zweiten oder dritten Wahl empfohlen werden kann.
Neuroleptika
In Europa wurden in den vergangenen Jahren im Gegensatz zu den USA häufig niedrig dosierte typische Neuroleptika wie Fluspirilen zur Behandlung von Angsterkrankungen eingesetzt. Neuroleptika-Studien mit Angstpatienten wurden vorwiegend in den 70er und 80er Jahren durchgeführt. Nur zwei Studien existieren, in denen nach den heutigen diagnostischen Kriterien definierte Patientengruppen untersucht wurden: Chlorprothixen war in einer Studie mit GAD ebenso gut wirksam wie das Benzodiazepin Bromazepam und unterschied sich signifikant von Plazebo [82]. In einer Doppelblindstudie war niedrig dosiertes Flupentixol signifikant besser wirksam als Plazebo [83].
Neben der nicht durch ausreichende Studien nachgewiesenen Wirksamkeit bezogen sich die Bedenken gegen eine Neuroleptika-Behandlung von Angststörungen hauptsächlich auf die Möglichkeit von Spätdyskinesien bei der notwendigen Langzeitbehandlung der chronischen Erkrankungen.
Atypische Antipsychotika, bei denen extrapyramidale Nebenwirkungen und somit auch tardive Dyskinesien nur eine untergeordnete Rolle spielen, könnten in der Zukunft eine mögliche Alternative in der Angstbehandlung darstellen.
Betablocker
Da Studien zur Behandlung von Patienten mit generalisierter Angst fehlen, kann die Anwendung von Betablockern nicht als gesichert gelten. In einer Studie wurden „Angstpatienten“ (nicht näher spezifiziert) mit Propranolol behandelt [84]; der Betablocker unterschied sich jedoch nicht signifikant von Plazebo.
Andere Medikamente
Das trizyklische Opipramol war in einer Studie signifikant besser wirksam als Plazebo und ebenso wirksam wie das Benzodiazepin Alprazolam [63, 85].
Für den selektiven GABA-Wiederaufnahmehemmer Tiagabin konnte kein eindeutiger Nachweis der Überlegenheit gegenüber Plazebo erbracht werden [86]. Das in der Entwicklung befindliche Deramciclan, ein Campher-Derivat, das an Serotonin-5-HT2A/2C-Rezeptoren antagonistisch wirkt, war in einer doppelblinden Plazebo-kontrollierten Studie wirksam [87].
Naturheilkundliche Mittel und Homöopathie
Für das wegen Lebertoxizität vom Markt genommene Kava-Kava konnte eine Wirkung bei der GAD nicht konsistent nachgewiesen werden [88–90]. Ein Ginkgo-biloba-Extrakt war in einer 4-wöchigen Studie besser wirksam als Plazebo; allerdings handelte es sich um eine gemischte Stichprobe mit Patienten mit einer GAD und Anpassungsstörungen [91].
In der einzig verfügbaren Doppelblindstudie zur Behandlung einer GAD mit einer homöopathischen Zubereitung konnte kein Unterschied zu Plazebo festgestellt werden [92].
Langzeitbehandlung
Wegen ihres chronischen Verlaufs erfordert die GAD oft eine Langzeitbehandlung. Bei vielen Patienten verläuft die Erkrankung schubförmig mit langen gesunden Intervallen.
Nach einer eingetretenen Remission sollte die Behandlung über mehrere Monate weitergeführt werden, um Rückfälle zu vermeiden. In Experten-Konsensuskonferenzen [25, 93] wurde empfohlen, das Medikament frühestens nach einem Jahr Symptomfreiheit abzusetzen, wenn der Patient sich stabil genug fühlt und keine Symptome von Komorbiditäten bestehen. Das Absetzen sollte graduell mit einer kleinen Dosisreduktion beginnen. In den letzten Jahren wurden einige Rückfallverhütungsstudien mit einer Studiendauer von 6 bis 12 Monaten durchgeführt, die diese Empfehlungen unterstützten, da es in den Plazebo-Gruppen signifikant häufiger zu Rückfällen kam.
Die Langzeitwirksamkeit des SSRI Paroxetin konnte in einer 24-wöchigen Plazebo-kontrollierten Studie, die von einer 8-wöchigen offenen Behandlung mit Paroxetin gefolgt wurde, gezeigt werden [29]. In einer Rückfallverhütungsstudie, in der die Patienten nach einer 12-wöchigen offenen Phase 24 bis 76 Wochen mit Escitalopram oder Plazebo behandelt wurden, war das aktive Medikament besser wirksam als Plazebo [94]. In einer 24-wöchigen Studie waren Escitalopram und Paroxetin gleich wirksam; Drop-outs wegen Nebenwirkungen waren bei Escitalopram signifikant seltener [95]. Die Wirksamkeit von Venlafaxin wurde in zwei Halbjahresstudien gezeigt [41, 96]. In einer Rückfallverhütungsstudie, bei der nach einer 8-wöchigen offenen Phase die Responder randomisiert einer Therapie mit Pregabalin oder Plazebo über 26 Wochen zugeteilt wurden, war Pregabalin signifikant besser wirksam als Plazebo [97].
Benzodiazepine werden für die Langzeitbehandlung der GAD nicht empfohlen – außer in Fällen, in denen andere Medikamente oder eine kognitive Verhaltenstherapie nicht wirksam waren.
Therapieresistente GAD
Es gibt kaum systematische Untersuchungen zu therapierefraktären Patienten mit GAD. In einer Studie war bei unzureichendem Ansprechen auf eine SSRI-Behandlung eine Augmentationstherapie mit dem atypischen Antipsychotikum Risperidon der Kombination aus SSRI und Plazebo überlegen [98].
Bevor eine medikamentöse Therapie als wirkungslos angesehen wird, sollte überprüft werden, ob die Diagnose gesichert war, die Compliance gegeben war und die verschriebene Dosis und Behandlungsdauer den Richtlinien entsprach. Durch Wechselwirkungen, beispielsweise mit Enzyminhibitoren, kann die Wirkung der Medikamente beeinträchtigt werden. Gleichzeitig bestehende psychiatrische Erkrankungen (wie Depressionen oder Suchterkrankungen) oder Persönlichkeitsstörungen sowie ungünstige psychosoziale Rahmenbedingungen können den Therapieerfolg beeinträchtigen.
Eine kognitive Verhaltenstherapie sollte in allen therapieresistenten Fällen erwogen werden.
Das Vorgehen bei Therapieresistenz ist nicht durch kontrollierte Studien abgesichert. Im Allgemeinen wird empfohlen, dass das Medikament bei Nichteintreten einer Response nach vier bis sechs Wochen gewechselt werden sollte (zur Definition von „Response“ siehe [99, 100]). Wenn allerdings ein partieller Therapieerfolg beobachtet wird, sollte ein weiterer Behandlungsversuch über vier bis sechs Wochen mit erhöhter Dosierung erfolgen. Allerdings sinkt die Chance einer erfolgreichen Therapie schon dann, wenn nach zwei Wochen keine Response zu beobachten war: In einer Analyse mehrerer GAD-Studien stellte sich bei den Patienten, die unter SSRI-Behandlung nach der zweiten Woche keine Response gezeigt hatten, diese Wirkung bis zur 8. Therapiewoche nur bei 38% der Patienten ein [101].
Auch wenn „Switching“-Studien fehlen, wird berichtet, dass therapieresistente Angststörungen sich häufig bessern, wenn eine andere Antidepressivaklasse oder ein anderer pharmakologischer Wirkungsmechanismus gewählt wird (z.B. Wechsel von SSRI zu SNRI – oder umgekehrt, oder Wechsel von Antidepressivum zu einem Calciumkanalmodulator oder umgekehrt). Zunächst sollte innerhalb der Gruppe der Standardpräparate gewechselt werden. Dann sollten Medikamente der 2. Wahl versucht werden (z.B. TZA). In der nächsten Stufe sollten Präparate gewählt werden, die bei anderen Angststörungen in Studien erfolgreich waren, aber bei der GAD noch nicht ausreichend untersucht worden waren (z.B. Moclobemid, Phenelzin [in Deutschland nur über Auslandsapotheke erhältlich], Mirtazapin, Reboxetin oder Valproinsäure) [102].
Nichtpharmakologische Behandlung
Von den Psychotherapieformen hat sich die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als wirksam bei Patienten mit einer GAD erwiesen. In einer Anzahl von Studien war die KVT einer Wartelistenbedingung überlegen [103–108]. Außerdem zeigten Vergleiche mit einem „psychologischen Plazebo“, einem Tabletten-Plazebo oder anderen vergleichbaren Kontrollgruppen, dass die KVT nicht nur unspezifische Psychotherapieeffekte vermittelt [109–113]. Eine Standard-KVT war ebenso wirksam wie andere verhaltensmodifizierende Therapien, wie die „Applied Relaxation“ [114, 115] oder das „Anxiety Management“ [103, 116]. KVT war auch einer „reinen“ Verhaltenstherapie überlegen [104]. In einem Vergleich mit psychoanalytischer Behandlung war die KVT überlegen [116]. Die Stabilität der Wirkungen konnte in einem 12-Monate-Follow-up gezeigt werden [109].
Hinsichtlich der Durchführung der Therapie sei der Leser auf Übersichten zur KVT verwiesen [117, 118].
Für die oft geäußerte Befürchtung, dass eine gleichzeitig stattfindende Pharmakotherapie die Wirkung der KVT beeinträchtigen könnte, finden sich in der Literatur keine Belege. Erfahrungen mit anderen Angststörungen lassen im Gegenteil auf eine Überlegenheit der Kombination gegenüber den Monotherapien schließen [119]. Das gilt insbesondere für die Panikstörung, für die ausreichend Studien vorliegen. In den wenigen verfügbaren Studien zur GAD konnte kein Unterschied zwischen medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung gefunden werden [55, 103, 113, 120]. In einer Studie zeigten sich keine Vorteile einer Kombination mit Buspiron und KVT [55], jedoch war die Teststärke dieser Studie möglicherweise zu niedrig. In einer anderen Studie war die Kombination von KVT und Diazepam wirksamer als Diazepam allein [113], in einer weiteren konnte kein Unterschied gefunden werden [55]. Aufgrund dieser unvollständigen Datenlage kann noch kein abschließendes Urteil zur Kombinationstherapie bei der GAD gefällt werden. Dennoch spricht außer den möglicherweise höheren Kosten nichts gegen eine Kombination, so dass sie in jedem Fall einer unbefriedigenden Besserung versucht werden sollte. In der Praxis wird häufig die Pharmakotherapie gleich begonnen, während sich bei der KVT selbst in Orten mit guter psychotherapeutische Versorgungslage oft mehrmonatige Wartezeiten ergeben.
In die Überlegungen, ob ein Patient eine psychotherapeutische oder pharmakologische Behandlung oder beides erhalten sollte, werden neben Wirksamkeitserwägungen auch die folgenden Aspekte miteinbezogen: Präferenz des Patienten, unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z.B. Abhängigkeitsentwicklung bei den Benzodiazepinen), Wirkungseintritt, Schweregrad der Erkrankung, Komorbidität, Ökonomie, Zeitfaktoren, Verfügbarkeit von Psychotherapien und Qualifizierung des Therapeuten.
Wenn GAD mit einer komorbiden Depression auftritt, was sehr häufig der Fall ist, sollte auf eine antidepressive Pharmakotherapie nicht verzichtet werden [121].
Dauer der Behandlung
Die Wirkung setzt bei den Antidepressiva nach zwei bis vier Wochen ein, bei Pregabalin kann die Wirkung bereits nach einer Woche beobachtet werden. In vielen Fällen kann nach einer dreimonatigen Behandlung durch Medikamente bereits eine deutliche oder komplette Symptomreduktion erreicht werden. Dennoch sollte die Behandlung mit Antidepressiva etwa 6 bis 12 Monate weitergeführt werden, um Rezidive zu vermeiden.
Begleitung des Patienten
Die medikamentöse Therapie sollte durch ausführliche stützende Gespräche unterstützt werden. Bei den Antidepressiva können eventuelle Nebenwirkungen gerade in den ersten Tagen der Behandlung störend wirken, während der Patient noch keinen Therapieerfolg sieht. Eine vorbeugende Aufklärung über die zu erwartenden Nebenwirkungen und gegebenenfalls die Wirkungslatenz der Antidepressiva kann die Compliance entscheidend verbessern.
Schlussfolgerungen
Die GAD ist eine häufige und schwerwiegende Erkrankung, die in der Praxis oft nicht erkannt wird. Durch psychotherapeutische Maßnahmen und eine gezielt eingesetzte Pharmakotherapie kann die Lebensqualität der betroffenen Patienten oft entscheidend verbessert werden.
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(Das ausführliche Verzeichnis finden Sie unter www.ppt-online.de beim Inhaltsverzeichnis dieses Hefts)
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Prof. Dr. med. Borwin Bandelow, Dipl.-Psych., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Göttingen, von-Siebold-Str. 5, 37075 Göttingen, E-Mail: sekretariat.bandelow@medizin.uni-goettingen.de
Dr. Dr. med. Dipl.-Psych. Reinhard J. Boerner, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Christliches Krankenhaus Quakenbrück, Goethestr. 10, 49610 Quakenbrück
O.Univ.-Prof. Dr. Siegfried Kasper, Psychiatrische Universitätsklinik, Abt. Allgemeinpsychiatrie, Allgemeines Krankenhaus Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien, Österreich Prof. Dr. Michael Linden, Reha-Klinik Seehof, Lichterfelder Allee 55, 14513 Teltow
Prof. Dr. Hans-Peter Volz, Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Schloss Werneck, Balthasar-Neumann-Platz 1, 97440 Werneck
Prof. Dr. phil. habil. Hans-Ulrich Wittchen, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Technische Universität Dresden, Chemnitzer Straße 46, 01187 Dresden
Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Nussbaumstraße 7, 80336 München
Drug treatment of generalized anxiety disorder (GAD) – a consensus statement
The present paper summarizes the results of a consensus conference of experts in the field of anxiety disorders. Generalized Anxiety Disorder (GAD) is a frequent and disabling illness, which is frequently underdiagnosed in primary care. First-line drugs for the treatment of GAD include selective serotonin reuptake inhibitors (SSRI), serotonin norepinephrine reuptake inhibitors (SNRI), and the calcium channel modulator pregabalin. Tricyclic antidepressants are equally effective, but are associated with more side effects. The efficacy of the azapirone buspirone was shown in a number of studies, however, results were inconsistent. Benzodiazepines have good anxiolytic properties, however, their use in longterm treatment is limited because of possible addiction problems. Also, cognitive behaviour therapy was shown to be effective in controlled studies.
Keywords: generalized anxiety disorder (GAD), selective serotonin reuptake inhibitors (SSRI), serotonin norepinephrine reuptake inhibitors (SNRI), pregabalin, cognitive behaviour therapy
Psychopharmakotherapie 2007; 14(04)