Epilepsie

Therapie zu oft nach „Schema F“?


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Für eine medikamentöse Epilepsie-Therapie ist heute eine breite Auswahl von Antiepileptika verfügbar. Nach den Erfahrungen von Prof. Dr. Jürgen Bauer, Bonn, verringert sich die Auswahl jedoch deutlich, wenn man für einen Patienten in einer konkreten Therapiesituation das „optimale“ Antiepileptikum sucht. Auf einer Fortbildungsveranstaltung von Janssen-Cilag im März 2007 diskutierte er Chancen und Möglichkeiten einer individualisierten Therapieentscheidung im Praxisalltag.

In der Pharmakotherapie zeigt die Epileptologie in Deutschland ein großes konservatives Beharrungsvermögen; rund zwei Drittel der verschriebenen Antiepileptika sind ältere Wirkstoffe. Neben einem – gut begründbaren – Vertrauen zu Wirkstoffen, für die ein großer Erfahrungsschatz vorliegt, besteht jedoch auch der Verdacht, dass zu oft nach „Schema F“ behandelt wird. Auch die Therapiekosten – alte vs. neue Antiepileptika – mögen eine Rolle spielen.

Für Diskussionen hat eine Metaanalyse von Kwan und Brodie (2006) gesorgt, welche die Chancen auf Anfallsfreiheit nach der Ersttherapie eher pessimistisch einschätzt. Demnach werden mit der ersten Monotherapie nur 47% der Patienten anfallsfrei, mit einer zweiten Monotherapie weitere 14%, und eine gegebenenfalls erforderliche dritte Mono- (oder Kombinations-)therapie erreicht lediglich bei weiteren 3% Anfallsfreiheit.

Einig ist man sich zwar, dass die initiale Pharmakotherapie entscheidend für die Prognose ist – diejenigen Patienten, die anfallsfrei werden, werden dies in den beiden ersten Schritten. Nach den Erfahrungen von Bauer ist der erzielbare Anteil anfallsfreier Patienten nach der Zweit- und auch nach der Dritttherapie aber höher. Abstrakte Zahlenwerte wie in der umstrittenen Metaanalyse vermitteln darüber hinaus die für ihn falsche Botschaft, dass diese Raten an Anfallsfreiheit mit jedem Antiepileptikum erreicht werden können. Die Erfolgschancen sind aber umso höher, je besser man die Medikation an das individuelle Patientenprofil anpasst. In Tabelle 1 sind die verfügbaren Antiepileptika nach Alters- und Geschlechts-Kriterien verschiedenen Patientenprofilen zugeordnet; diese Liste orientiert sich vor allem an der unterschiedlichen Verträglichkeit der verfügbaren Antiepileptika.

Tab. 1. Antiepileptika zur Monotherapie fokaler Epilepsien und idiopathischer Epilepsien mit generalisierten Anfällen (alphabetische Aufzählung) [Vorschlag Bauer, 2007]

Junge Frau

Junger Mann

Ältere Patienten

Fokale Epilepsie

Carbamazepin

Gabapentin

Gabapentin

Lamotrigin

Levetiracetam

Levetiracetam

Lamotrigin

Lamotrigin

Oxcarbamazepin

(Oxcarbamazepin)

Topiramat

Topiramat

Valproinsäure

Valproinsäure

Idiopathische Epilepsie mit generalisierten Anfällen

Lamotrigin

Lamotrigin

Lamotrigin

Topiramat

Topiramat

Valproinsäure

Valproinsäure

Monotherapie: bereits moderate Dosen sind wirksam

Eine weitere wichtige Therapieerfahrung ist die Erkenntnis, dass viele Responder initial mit niedrigeren Dosen auskommen als vielfach empfohlen. Die Notwendigkeit, das Dosierungsfenster bis an die obere Grenze auszureizen, gilt nicht in der Monotherapie, sondern in späteren Behandlungsphasen in der Kombinationstherapie. Bauer: „Eine Erhöhung der Dosis bis in Top-Bereiche bringt hier keinen Quantensprung in der Anfallsfreiheit, sondern nur eine relative Minderung der Anfallsfrequenz.“

Bei Patienten, die in der Monotherapie in dem von ihm vorgeschlagenen Dosisfenster – Carbamazepin: 400 bis 800 mg/d, Valproinsäure: 1000 bis 1500 mg/d, Lamotrigin: 150 bis 300 mg/d, Topiramat: 100 mg/d, Oxcarbamazepin: 1200 mg/d, Levetiracetam: 1000 bis 2000 mg/d – nicht anfallsfrei werden oder davon sehr deutlich profitieren, ist die Wahrscheinlichkeit unter höheren Dosierungen sehr gering.

Im Zweifelsfall langsam eindosieren

In der ambulanten Versorgung werden Antiepileptika im Regelfall langsam eindosiert, während man stationär meist versucht, bis zur Entlassung einen therapeutisch wirksamen Blutspiegel zu erreichen. Auch Bauer plädiert – nicht nur beim Lamotrigin – für ein vorsichtiges Aufdosieren, da die Patienten es besser vertragen und sich besser an die Medikation gewöhnen.

Trotzdem gibt es Situationen, in denen in der Praxis ein rasches Eingreifen angezeigt ist, beispielsweise bei repetitiven Anfällen. Hier können Levetiracetam und Topiramat „punktuell rasch“ eingesetzt werden, so Bauer. Eine neue Studie am Epilepsiezentrum Kork zeigt, dass man hier mit initial 100 mg/d Topiramat beginnen kann und die Dosis über die folgenden drei Tagen um weitere 100 mg steigern kann, ohne dass im Vergleich zu einer Niedrigdosis-Gruppe deutlich höhere Nebenwirkungen oder Abbruchraten beobachtet wurden. Zum Einsatz von Topiramat beim refraktären Status epilepticus gibt es mehrere nicht-kontrollierte Studien. Dort wurden Dosierungen zwischen 400 und 1600 mg über eine Nasen-Schlund-Sonde appliziert, die Wirkung trat innerhalb von Stunden bis Tagen ein.

Quelle

Prof. Dr. med. Jürgen Bauer, Bonn, Symposium „Impulse in der Epilepsietherapie“, Düsseldorf, 16. bis 17. März 2007, veranstaltet von Janssen-Cilag GmbH

Psychopharmakotherapie 2007; 14(03)