Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Essen
Hintergrund
Etwa zwei Drittel aller Patienten mit einer Verletzung des Rückenmarks entwickeln im Lauf der Zeit neuropathische Schmerzen, wovon ein Drittel unter ausgeprägten Schmerzen leidet. Leider gibt es bisher keine wirklich wirksame und gute Therapie für diesen Schmerz. Ein Teil der Patienten spricht auf retardierte Opioide an. In Einzelfällen wurde auch eine Wirksamkeit von Lamotrigin (z.B. Lamictal®) berichtet. Größere Plazebo-kontrollierte Studien gibt es allerdings bisher nicht. Pregabalin (Lyrica®) ist bereits für die Behandlung neuropathischer Schmerzen bei der diabetischen Polyneuropathie zugelassen.
Studiendesign
In diese Studie wurden Männer oder Frauen im Alter über 18 Jahre mit Para- oder Tetraplegie aufgenommen, wobei die Verletzung mindestens ein Jahr zurückliegen musste. Alle Patienten hatten zentrale neuropathische Schmerzen. Die Schmerzen mussten seit mindestens drei Monaten bestehen. Es handelt sich um eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte Parallelgruppen-Studie, die sich über 12 Wochen erstreckte. Zunächst wurden die Schmerzen über eine Woche erfasst. Dann erhielten die Patienten entweder Pregabalin in Dosierungen zwischen 150 und 600 mg/d oder Plazebo. Bei Unverträglichkeit konnte die Studienmedikation auch reduziert werden.
Zielkriterium war die mittlere Schmerzintensität auf einer Skala von 0 bis 10, sekundäres Zielkriterium die Schlafqualität von 0 bis 10. Die Lebensqualität wurde mit dem SFMPQ (Short form McGill pain questionnaire) gemessen. Zusätzlich verwandt wurden die Medical Outcomes Study-Sleep Scale, die Hospital Anxiety and Depression Scale und die Patient Global Impression of Change Skala.
Ergebnis
In der Ausgangssituation lag der mittlere Schmerzscore bei 6,5 in der Pregabalin- und 6,7 in der Plazebo-Gruppe. In der letzten Woche der Behandlung lag der Schmerzscore bei 4,62 in der Pregabalin- und bei 6,27 in der Plazebo-Gruppe. Der Unterschied war statistisch signifikant. Ab der 1. Woche bestanden durchgehend signifikante Unterschiede zugunsten von Pregabalin. Die mittlere eingenommene Pregabalin-Dosis betrug 460 mg/d. Pregabalin war auch signifikant besser wirksam bezogen auf den SFMPQ, verbesserte den Schlaf, wirkte sich positiv auf die Angst aus und wurde von den Patienten insgesamt als besser beurteilt. Auch die 50%-Ansprechraten waren mit 22% in der Pregabalin- und 8% in der Plazebo-Gruppe ebenfalls signifikant. Die Number needed to treat bei einer 50%igen Ansprechrate beträgt 7,1. Nebenwirkungen waren in der Pregabalin-Gruppe erwartungsgemäß häufiger. Im Vordergrund bei Pregabalin standen Benommenheit, unsystematischer Schwindel, körperliche Schwäche, Mundtrockenheit und Verstopfung.
Kommentar
Diese sehr gut durchgeführte Studie aus Australien zeigt überzeugend, dass Pregabalin bei der Behandlung von zentralen neuropathischen Schmerzen bei Rückenmarksverletzungen wirksam ist und nicht nur den Schmerz, sondern auch Lebensqualität und Schlaf bessert. Die Ansprechraten sind zugegebenermaßen nicht spektakulär, wobei aber auch zu bedenken ist, dass es ansonsten keine wirklich bewiesene Therapie in dieser Patientengruppe gibt. Unter Pregabalin traten zwar signifikant mehr Nebenwirkungen auf, dies führte aber nur bei wenigen Patienten zum Studienabbruch. Ein wesentlicher Vorteil dieser Studie war, dass es den Patienten erlaubt war, in Abhängigkeit von Wirkung und Nebenwirkung die Dosis individuell einzutitrieren. Dies entspricht auch dem üblichen klinischen Vorgehen.
Quelle
Siddall PJ, et al. Pregabalin in central neuropathic pain associated with spinal cord injury. A placebo-controlled trial. Neurology 2006;67:1792–800.
Psychopharmakotherapie 2007; 14(03)