Erstbehandlung bei Epilepsie

Monotherapie mit Levetiracetam ist Carbamazepin ebenbürtig


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

In einer Nicht-Unterlegenheitsstudie gemäß der neuen Richtlinie der europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde zeigte Levetiracetam eine vergleichbare Wirksamkeit wie verzögert freigesetztes Carbamazepin. Die Studie ist nach den Kriterien der internationalen Liga gegen die Epilepsie (ILAE) als hochwertige (Level 1) Studie einzustufen.

Die Notwendigkeit einer antiepileptischen Dauertherapie sollte stets gründlich erwogen werden. So kann es bei einem möglicherweise günstigen Spontanverlauf (z.B. Rolando-Epilepsie) durchaus gerechtfertigt sein abzuwarten. Unter Umständen genügt auch die Vermeidung individueller Auslösefaktoren, um Anfallsfreiheit zu erreichen. Auf jeden Fall muss die Diagnose einer Epilepsie gesichert sein. Andererseits gibt es eine Reihe von Faktoren, die für eine medikamentöse Therapie schon nach dem ersten Anfall sprechen (Tab. 1). Die Erstbehandlung einer Epilepsie ist eine Monotherapie. Der Wirkstoff wird dabei nach der individuellen Situation (z.B. Syndromklassifikation, Anfallsfrequenz, Intensität der Anfälle, Alter und Geschlecht des Patienten, Kinderwunsch) ausgewählt, wobei bereits auf eine mögliche spätere Kombinationstherapie Rücksicht genommen werden sollte – so sollten Enzyminduktoren eher gemieden werden. Bei unbefriedigendem Ansprechen auf eine mittlere Erhaltungsdosis sollte die Dosis zunächst bis zur individuellen Verträglichkeitsgrenze erhöht werden. Bestehen weiter Anfallsrezidive, wird auf eine Kombinationstherapie gewechselt; bei einer fokalen Epilepsie sollten in diesem Fall aber auch frühzeitig epilepsiechirurgische Maßnahmen erwogen werden.

Tab. 1. Faktoren, die für eine Antiepileptika-Therapie schon nach dem ersten Anfall sprechen [nach Steinhoff]

Hohes syndromimmanentes Rezidivrisiko
(z.B. Janz-Syndrom)

Gute Behandlungsprognose (z.B. Janz-Syndrom)

Eingeschränkte Möglichkeiten einer therapeutischen Einflussnahme durch angemessene Lebensführung

Anfall mit Bewusstseinsstörung

Pathologischer EEG-Befund

Klassifikationskonkordanter MRT-Befund

Erwachsenenalter

Hohes berufs- oder alltagsbedingtes Risiko bei Rezidivanfall

Valider Wirksamkeitsnachweis für die Monotherapie?

Für welche Antiepileptika ist die Wirksamkeit als Monotherapie in der Erstbehandlung zweifelsfrei nachgewiesen? Die Internationale Liga gegen die Epilepsie (ILAE) fordert dafür eine randomisierte, kontrollierte Studie von mindestens 48 Wochen Dauer mit einem adäquat dosierten Standardantiepileptikum als Vergleichssubstanz. Den vorliegenden Studien zufolge gilt für die Erstbehandlung erwachsener Epilepsie-Patienten die Wirksamkeit gemäß ILAE-Kriterien als gesichert für Carbamazepin und Phenytoin, als wahrscheinlich für Valproinsäure und als möglich für Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Topiramat und Vigabatrin.

Nach der neuen Richtlinie der europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde EMEA müssen für die Zulassung eines Antiepileptikums zur Monotherapie folgende Anforderungen erfüllt sein:

Nicht-Unterlegenheit gegenüber einer Standardtherapie

Vergleichssubstanz in optimaler Dosierung

Behandlungszeit 1 Jahr

Primärer Endpunkt Anfallsfreiheit > 6 Monate (nach Abschluss der Dosistitration); bei Umstellungsstudien alternativ die Retentionszeit

Unterstützende Ergebnisse aus einer Überlegenheitsstudie sind wünschenswert, aber nicht Voraussetzung.

Levetiracetam versus Carbamazepin

Gemäß dieser Richtlinie wurde nun Levetiracetam (Keppra®) im Vergleich zu retardiertem Carbamezepin (z.B. Tegretal®) untersucht. Levetiracetam ist seit August 2006 auch zur Monotherapie partieller Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Patienten ab 16 Jahren mit neu diagnostizierter Epilepsie zugelassen. An der randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudie nahmen 576 Patienten mit bisher unbehandelter Epilepsie teil. Sie hatten während des letzten Jahrs mindestens zwei Anfälle erlitten, davon mindestens einen während der letzten drei Monate. Es konnten fokale Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung oder generalisierte tonisch-klonische Anfälle ohne erkennbare fokale Ursache sein, Letztere lagen bei Randomisierung zu 20%, am Endpunkt zu 12 bis 13% vor. Die Patienten wurden während der ersten drei Wochen eingestellt auf

1000 mg/d Levetiracetam (n=285) oder

400 mg/d Carbamazepin in Retardform (n=291),

jeweils verteilt auf zwei Einzelgaben. Trat während der folgenden sechs Monate erneut ein Anfall auf, wurde die Dosis schrittweise erhöht auf 2000 mg/d Levetiracetam bzw. 800 mg/d Carbamazepin, gegebenenfalls nach einem weiteren Anfall auf 3000 mg/d Levetiracetam bzw. 1200 mg Carbamazepin.

Primärer Endpunkt war der Anteil der Patienten, die mit der letzten angewendeten Dosis sechs Monate lang anfallsfrei blieben. In beiden Gruppen waren dies etwa 73% der Patienten (Per-Protocol-Population: Levetiracetam n=237, Carbamazepin n=235). Nach Evaluation des primären Endpunkts wurden die Patienten für weitere sechs Monate doppelblind mit der erreichten Dosis behandelt. Insgesamt 12 Monate anfallsfrei blieben 57 bzw. 58% der Patienten (Per-Protocol-Population: Levetiracetam n=228, Carbamazepin n=224).

Für die Nicht-Unterlegenheitsanalyse wird die absolute Risikodifferenz zwischen beiden Behandlungsgruppen mit dem dazugehörigen 95%-Konfidenzintervall berechnet. Die untere Grenze des Konfidenzintervalls muss oberhalb einer vorab festgelegten Risikodifferenz-Grenze liegen, damit Nicht-Unterlegenheit konstatiert werden kann. Für den in dieser Studie erhobenen Endpunkt, die Anfallsfreiheit nach sechs Monaten, soll die Nicht-Unterlegenheitsgrenze nach Empfehlungen der ILAE bei 20% liegen. Levetiracetam erfüllte aber auch das für diese Studie definierte strengere Kriterium von 15% (Abb. 1).

Abb. 1. Nicht-Unterlegenheitsanalyse der Daten zur Anfallsfreiheit nach 6 Monaten (primärer Endpunkt) und 12 Monaten Behandlung mit Levetiracetam (LEV) oder Carbamazepin (CBZ) in der letzten erreichten Dosis [nach Elger]

In beiden Therapiearmen beendeten rund 54% der Patienten (Intention-to-treat-Gruppe; rund 60% der Per-Protocol-Gruppe) die Studie. Häufigster Grund für vorzeitiges Ausscheiden waren unerwünschte Wirkungen (Levetiracetam 14,7%, Carbamazepin 19,2%) oder Anfälle unter der letzten Dosis (Levetiracetam 17,5%, Carbamazepin 10,0%). Unter den unerwünschten Wirkungen traten Depression und Insomnie nummerisch häufiger bei Levetiracetam, Rückenschmerzen, und Gewichtszunahme häufiger bei Carbamazepin auf (Tab. 2). Hautreaktionen traten in der Carbamazepin-Gruppe bei 14,1%, in der Levetiracetam-Gruppe bei 7,2% der Patienten auf. Anlass für Studienabbruch oder Dosisreduktion waren unerwünschte Wirkungen bei 23,0% der Carbamazepin-Gruppe, aber nur bei 16,1% der Levetiracetam-Gruppe (p=0,046).

Tab. 2. Unerwünschte Wirkungen mit einer Inzidenz von mindestens 5% in einer Behandlungsgruppe und einem Gruppenunterschied von mindestens 3% (Intention-to-treat-Population) [nach Elger]

Unerwünschte Wirkung

Carbamazepin retard

(n=291)

[n (%)]

Levetir-
acetam

(n=285)

[n (%)]

Rückenschmerzen

20 (6,9%)

8 (2,8%)

Depression

6 (2,1%)

18 (6,3%)

Kopfschmerzen

75 (25,4%)

59 (20,7%)

Insomnie

7 (2,4%)

17 (6,0%)

Nausea

31 (10,7%)

20 (7,0%)

Gewichtszunahme

19 (6,5%)

9 (3,2%)

Die vorliegende Studie ist nach den ILAE-Kriterien als Level-1-Studie einzustufen. Sie zeigt, dass die Monotherapie mit Levetiracetam in einer individuell angepassten Dosierung bei erstmalig behandelten Epilepsie-Patienten in Bezug auf die Anfallsverhütung vergleichbar wirksam ist wie das etablierte Carbamazepin in Retardform. Levetiracetam weist eine Tendenz zu besserer Verträglichkeit auf. Aufgrund der günstigeren pharmakokinetischen Eigenschaften (v.a. geringeres Interaktionsrisiko) ist Levetiracetam möglicherweise die bessere Wahl in der Ersttherapie.

Quellen

Prof. Dr. med. Christian E. Elger, Bonn, Prof. Dr. med. Bernhard J. Steinhoff, Kehl-Kork, Satellitensymposium „Neue Möglichkeiten und Ergebnisse: Ein Update zu Levetiracetam!“, veranstaltet von UCG GmbH im Rahmen des 79. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – Neurowoche, Mannheim, 20. September 2006.

Levetiracetam ist noninferior to controlled-release carbamazepine in newly diagnosed epilepsy: presented at EFNS. www.docguide.com/news/, 5. September 2006 (Zugriff am 6.11.2006).

Psychopharmakotherapie 2007; 14(01)