Dr. Barbara Kreutzkamp, München
Hintergrund
Baroreflexe sind unerlässlich für die Stabilisierung des Blutdrucks in verschiedenen Körperpositionen. Bei einer Schädigung der neuronalen Bahnen, beispielsweise bei einer Multisystematrophie (präganglionären Schädigung) oder autonomen Neuropathien (postganglionären Schädigung), kann sich eine orthostatische Hypotonie entwickeln. Neben einer Orthostase-Reaktion zeigen die betroffenen Patienten zusätzlich eine Hypertonie im Liegen und einen Verlust der physiologischen tageszeitlichen Blutdruckvariabilität. Der Blutdruck ist beim Erwachen niedrig, fällt nach Einnahmen einer Mahlzeit ab und steigt im Laufe des Nachmittags und Abends an. Bisher ist das Alpha-Sympathomimetikum Midodrin (Gutron®) das einzige Medikament, dessen Wirksamkeit bei der neurogenen orthostatischen Hypotonie in einer verblindeten Studie belegt ist. Der Nachteil der Substanz besteht allerdings in einer Verstärkung der Hypertonie in Rückenlage und in seltenen Fällen auch in einer verstärkten Neigung zu intrazerebralen Blutungen.
Eine Alternative könnte der reversible Acetylcholinesterase-Hemmer Pyridostigmin (Kalymin®, Mestinon®) sein. Bei der efferenten Bahn des Baroreflexes handelt es sich um ein 2-Neuronen-System mit einer synaptischen Umschaltstelle am autonomen Ganglion, wo Acetylcholin als Neurotransmitter fungiert. Man geht davon aus, dass die neuronale Erregung des autonomen Systems und die Transmissionsrate im Ganglion in Liegeposition einer Person nur sehr gering sind und erst dann ansteigen, wenn die Person aufsteht („orthostatischer Stress“). Aufgrund seiner pharmakologischen Wirkung könnte Pyridostigmin die Orthostase-Reaktion vermindern, ohne den Blutdruck im Liegen wesentlich zu beeinflussen. Eine offene Studie lieferte erste positive Ergebnisse. In einer größeren Studie wurde dies nun überprüft.
Studiendesign
Die Studie war als doppelblinde, randomisierte, Vierfach-Cross-over-Studie angelegt, in die 58 Patienten mit einer neurogenen orthostatischen Hypotension einbezogen waren. Die Patienten erhielten vier verschiedene Therapieregime:
60 mg Pyridostigminbromid
60 mg Pyridostigminbromid plus 2,5 mg Midodrinhydrochlorid
60 mg Pyridostigminbromid plus 5 mg Midodrinhydrochlorid
Plazebo
Blutdruck und Herzfrequenz im Liegen und Stehen wurden sowohl unmittelbar vor der Medikamenteneinnahme und dann über sechs Stunden stündlich nach der Einnahme gemessen.
Ergebnisse
Keine signifikanten Unterschiede ergaben sich zwischen den Pyridostigmin-Gaben und Plazebo beim Blutdruck in Rückenlage – weder systolisch noch diastolisch. Dagegen war bei allen Patienten mit aktivem Behandlungsregime der Blutdruckabfall im Stehen signifikant reduziert. In verschiedenen paarweise durchgeführten Tests ergab beispielsweise eine Pyridostigmin-Monotherapie im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Reduktion des Blutdruckabfalls bei Lagewechsel (27,6 mm Hg vs. 34,0 mmHg, p = 0,04), unter Pyridostigmin plus 5 mg Midodrin betrug der Blutdruckabfall 27,2 mm Hg vs. 34,0 mmHg unter Plazebo (p = 0,002). Prädiktoren für ein besonders gutes Ansprechen ließen sich nicht erkennen, Patienten mit einer schweren neurogenen Hypotension sprachen etwas besser an als die Patienten mit einer leichteren Form.
Fazit
Mit Pyridostigmin steht eine gute Alternative zu Midodrin in der Behandlung von Patienten mit einer neurogenen orthostatischen Hypotonie zur Verfügung. Geeignet ist der Acetylcholinesterase-Hemmer vor allem für Patienten, die bei Midodrin-Gabe unter einer verstärkten Hypertension im Liegen leiden. Obwohl der Blutdruckabfall im Stehen durch Pyridostigmin nur moderat aufgefangen wird, verbessert dieser Effekt die Symptomatik der Patienten deutlich. Durch die Kombination von Pyridostigmin plus niedrig dosiertem Midodrin wird eine noch länger anhaltende verbesserte Blutdruckregulation erzielt ohne den Nachteil einer Hypertonie im Liegen.
Quelle
Singer W, et al. Pyridostigmine treatment trial in neurogenic orthostatic hypotension. Arch Neurol 2006;63:e-pub 13.02.2006.
Psychopharmakotherapie 2006; 13(04)