Dr. Barbara Kreutzkamp, München
Trauer nach dem Tod von nahen Angehörigen oder Freunden ist normal. Jeder Arzt ist aber mit Trauernden konfrontiert, die auch noch Monate nach dem Ereignis unter pathologischer Trauer leiden und offensichtlich Hilfe oder eine Behandlung benötigen. Die pathologische Trauer erinnert in ihrer Symptomatik an eine Major Depression und/oder eine posttraumatische Belastungsstörung, sollte aber von diesen Erkrankungsbildern unterschieden werden. Zwar ist die pathologische Trauer nicht als Diagnose im „Diagnostik and Statistical Manual of Mental Disorders/Forth Edition“ (DSM-IV) aufgeführt. Dennoch kann dieser Zustand als Krankheit gewertet werden, da die Betroffenen stark beeinträchtigt und gesundheitlich gefährdet sind. Die Prävalenz wird mit 10 bis 20% aller Hinterbliebenen angegeben. Zur Diagnose der pathologischen Trauer hat sich das „Inventory of Complicated Grief“ (ICG) als brauchbar erwiesen. Es sollte bei dem Trauernden frühestens sechs Monate nach dem Tod eines geliebten Menschen eingesetzt werden. Als wichtige Merkmale der pathologische Trauer gelten diesem Test zufolge
ein Nicht-Wahrhabenwollen des Todes,
Wut und Verbitterung über den Tod,
wiederkehrende Anfälle von schmerzvoll erlebten Emotionen mit einer intensiven Sehnsucht nach dem Verstorbenen,
eine übermäßige gedankliche Beschäftigung mit seiner Person sowie intrusive Gedanken, die mit seinem Tod in Verbindung stehen.
Häufig werden auch alle Situationen und Aktivitäten gemieden, die an den schmerzvollen Verlust erinnern könnten.
Die Eigenständigkeit und Abgrenzbarkeit dieses Krankheitsbilds beispielsweise gegenüber einer Major Depression zeigt sich unter anderem auch daran, dass die Patienten auf antidepressive Standardmaßnahmen nicht oder nur wenig ansprechen. Deshalb entwickelten US-amerikanische Psychiater ein spezifisch für die Behandlung der pathologischen Trauer nach dem Tod von Nahestehenden konzipiertes Therapieprotokoll (Complicated Grief Treatment, CGT). Dieser neue Therapieansatz wurde mit dem Einsatz einer interpersonellen Psychotherapie (IPT) verglichen.
In die kontrollierte, prospektive Studie waren 83 Frauen und 12 Männer im Alter zwischen 18 bis 85 Jahren eingeschlossen, die den ICG-Kriterien für pathologische Trauer entsprachen: Sie wurden randomisiert der IPT oder dem neuen Therapieprotokoll – der gezielten Intervention – zugewiesen. Die spezifische Behandlung sah unter anderem eine Aufklärung über normale und verstärkte Trauerarbeit vor und hatte wechselnde Themen wie die Verarbeitung des Verlusts und die Etablierung eines wieder als zufriedenstellend eingeschätzten Lebens zum Inhalt. Dabei wurde auch auf persönliche Lebensziele fokussiert. Als wichtiges Zusatzelement gegenüber der IPT sollten auch die Trauma-ähnlichen Symptome angesprochen werden, indem z.B. der Tod des nahestehenden Menschen (häufiger) wiedererzählt und die Konfrontation mit gemiedenen Situationen gesucht wurde. Zusätzlich wurden kognitive Techniken wie eine imaginierte Konversation mit dem Verstorbenen implementiert.
Die Interventionen fanden durch erfahrene und geschulte Kliniker sowohl an einer psychiatrischen Forschungsklinik als auch an einer angeschlossenen Klinik in einer Gemeinde von Afroamerikanern der unteren Einkommensschichten statt. Die Randomisierung wurde stratifiziert nach der Interventionsklinik und der Art des Todes (gewaltsam – Unfall, Suizid, Mord – oder nicht-gewaltsam) vorgenommen. Vorgesehen waren 16 Sitzungen über einen 16- bis 20-wöchigen Zeitraum. Die Probanden durften gleichzeitig antidepressiv wirksame Medikamente einnehmen.
Beide Behandlungen führten zu einer Verbesserung der Symptome der pathologischen Trauer, gemessen anhand der ICG-Skala und der Verbesserung des „Clinical Global Improvement-Scores“. Die Ansprechrate war unter der gezielten Intervention höher als unter der IPT (51 vs. 28%, p=0,02). Auch war die Zeit bis zum Eintreten eines Therapieeffekts unter der gezielten Intervention kürzer (p=0,02). Die „number needed to treat“ für die gezielte Intervention betrug 4,3. Patienten, die zu Behandlungsbeginn ein Antidepressivum nahmen, zeigten ein marginal besseres Therapieergebnis als Probanden ohne Medikation.
Die Autoren werten ihre Ergebnisse als ermutigend, aber sicher noch verbesserungsfähig. Zwar wurden die Aufnahmekriterien für die Studie bewusst sehr weit gefasst – und damit der Nachweis einer weiten Verbreitung der pathologische Trauer über alle Bevölkerungsschichten hin erbracht –, doch limitiert die Heterogenität auch die Aussagekraft der Studie. Die Anzahl der Studienteilnehmer – also die Stichprobe (statistische Power) – ist nicht groß genug, um Subgruppen zu identifizieren, die von der gezielten Intervention besonders profitieren. Auch konnte in dieser Studie nicht geklärt werden, inwieweit die Einnahme antidepressiv wirksamer Medikamente (diese betraf 55% der Studienteilnehmer) das Therapieresultat beeinflusst hat.
Quelle
Shear K, et al. Treatment of complicated grief. JAMA 2005;293:2601–8.
Psychopharmakotherapie 2006; 13(03)