Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. G. Laux, Wasserburg-Gabersee/München
Kurz nach Erscheinen dieses Hefts startet das „sportliche Jahrhundertereignis“, die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. Eher zufällig widmet sich das vorliegende PPT-Heft dem Themenschwerpunkt kinder- und jugendpsychiatrische Psychopharmakotherapie, vor allem depressiver Störungen. Je nach Abschneiden der deutschen Fußballnationalmannschaft könnten Zyniker dies als bemerkenswerte Konstellation interpretieren – mangelt es doch derzeit nicht an psychologischen Abhandlungen und Kommentaren zum Verhalten von Profifußballern, Fußballfans und dem Publikum. Diagnostiziert werden angesichts der zum Teil martialisch-kriegerischen Sprache infantile Regressionsmechanismen, Entwicklungsstörungen, Frustrations-Aggressions-Modelle, archaische und pubertäre Verhaltensmuster zum Beispiel zwischen Spielern und Schiedsrichtern sowie Massensuggestionsphänomene.
Vielleicht nähern wir uns mit diesen Denkassoziationen in gewissem Maße aber auch diesem Themenschwerpunktheft: Können oder sollen depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen nach Datenlage der Evidenz-basierten Medizin mit Antidepressiva behandelt werden, wenn ja, mit welchen Substanzen? Fegert et al., Ulm, schildern in ihrer ganz aktuellen Übersichtsarbeit zum auch in der Laienpresse viel diskutierten Thema SSRI bei Kindern und Jugendlichen die behördliche Prozessgeschichte, die Entwicklung der breiten Diskussion und regulatorische Konsequenzen – ein auch für die moderne Psychopharmakageschichte eindrucksvolles Lehrbeispiel.
Da nur trizyklische Antidepressiva und Johanniskraut zur Behandlung von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen derzeit in Deutschland zugelassen sind, stellt sich die Frage, ob Letztere eine Verordnungsalternative darstellen können – umso mehr, als für Trizyklika keine Wirksamkeitsbelege vorliegen. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie geben Johanniskraut als mögliche Therapieoption an. In der Arbeit von Kölch et al. werden zum einen die Verschreibungsdaten dargestellt – hiernach entfallen rund 50 % der Verordnungen auf Johanniskraut –, zum anderen kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass es nach Durchsicht der wenigen kontrollierten Studien derzeit keine Evidenzbasierung für die Behandlung jugendlicher Depressionen mit Hypericum-Extrakten gibt.
Nicht wenige der offenbar immer häufiger diagnostizierten Aufmerksamkeitdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen persistieren ins Erwachsenenalter, so dass sich hier immer häufiger die Frage nach der Pharmakotherapie stellt. Frau Sobanski von der Spezialambulanz für ADHS des ZI Mannheim gibt hierzu eine Übersicht und konstatiert, dass die Standardmedikation Methylphenidat aufgrund der Studienergebnisse fraglos impulsives Verhalten, Unruhe und Aufmerksamkeitsleistung bessert, aber derzeit in Deutschland für Erwachsene eine Off-Label-Verordnung darstellt. Inwieweit das nicht der Betäubungsmittelverordnung unterliegende, neuere Atomoxetin eine mögliche Alternative darstellt, wird in einem der nächsten Hefte durch einen weiteren speziellen Beitrag ausführlich dargestellt.
Pajonk et al., Homburg/Saar, stellen die Ergebnisse einer sechsmonatigen Vergleichsstudie Risperidon versus Olanzapin in Bezug auf Gewichtszunahme und Verträglichkeitsparameter vor. Letztere beeinflussen ohne Frage die Akzeptanz der wichtigen antipsychotischen Langzeittherapie, sind somit wichtige Compliance-Parameter. In der Sektion AMSP wird anhand einer eindrucksvollen Kasuistik auf die mögliche Interaktion zwischen Lithium und ACE-Hemmern hingewiesen.
Wie immer runden interessante Kurzberichte aus der internationalen Literatur und von Kongressen das Heft ab. Meines Erachtens verdient hier zum einen besondere Aufmerksamkeit die Arbeit von Wang et al. mit dem Ergebnis, dass typische Neuroleptika im Vergleich zu den jüngst in der Indikation bei Älteren in Verruf geratenen Atypika keinesfalls günstiger sind und deshalb von einer Umstellung abzuraten ist. Zum anderen dürfte für Klinik und Praxis die Arbeit von Leucht et al. nützlich sein: Sie gibt eine „Übersetzung“ von PANSS-Skalenwerten zu globalen klinischen Schweregraden. Auch der Hinweis auf die neue PSP-Skala zur Erfassung patientenrelevanter Endpunkte aus der Psychometrie-Forschung sei dem Leser empfohlen.
Ob Fußball-Depression oder -Euphorie – dem Leser sei eine wissenserweiternde Lektüre gewünscht.
Psychopharmakotherapie 2006; 13(03)