Geriatrie

Auch klassische Neuroleptika mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert


Susanne Wasielewski, Münster

Atypische Neuroleptika verdoppeln die Sterblichkeit älterer Demenz-Patienten annähernd, so warnte die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA. Die Ergebnisse einer retrospektiven Kohortenstudie, in der klassische mit atypischen Neuroleptika verglichen wurden, bescheinigten klassischen Neuroleptika nun sogar ein noch höheres Gefährdungspotenzial.

Neuroleptika werden älteren Menschen, vor allem Pflegeheim-Bewohnern, unverhältnismäßig häufig verordnet. Die Substanzen werden oft außerhalb der zugelassenen Indikationen eingesetzt (z.B. Demenz, Delir, Agitation).

In ihrer Verordnungshäufigkeit haben sich atypische gegenüber klassischen Neuroleptika rasch durchgesetzt. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA warnte allerdings im April 2005 davor, atypische Neuroleptika bei älteren Demenz-Patienten anzuwenden. In 17 kurzen, randomisierten, kontrollierten Studien war das Sterberisiko gegenüber Plazebo fast verdoppelt. Zur Frage, ob auch klassische Neuroleptika die Sterblichkeit bei Senioren erhöhen, fehlen klinische Studien. Deshalb wurden in einer retrospektiven Kohortenstudie bei älteren Menschen klassische mit atypischen Neuroleptika verglichen.

Die Studie erfasste 22890 Personen aus einem Unterstützungsprogramm für Ärmere im US-Bundesstaat Pennsylvania. Sie waren mindestens 65 Jahre alt und hatten zwischen 1994 und 2003 erstmals ein Rezept über ein oral einzunehmendes Neuroleptikum eingelöst. Als atypische Neuroleptika galten in Tabelle 1 aufgelistete Arzneistoffe, als klassische alle übrigen Neuroleptika. 9142 Patienten bekamen ein klassisches, 13748 ein atypisches Neuroleptikum verordnet.

Tab. 1. Atypische Neuroleptika

Arzneistoff

Handelspräparat®
(Beispiel)

Aripiprazol

Abilify

Clozapin

Leponex

Olanzapin

Zyprexa

Quetiapin

Seroquel

Risperidon

Risperdal

Ziprasidon

Zeldox

Die Patienten waren durchschnittlich 83 Jahre alt, 80% waren Frauen. 41% der Anwender eines klassischen Neuroleptikums und 53% der Anwender eines atypischen Neuroleptikums litten an einer Demenz.

Die Sterblichkeit war in den ersten 180 Tagen nach Einlösung eines Rezepts mit den klassischen Neuroleptika höher als mit den atypischen: Das Hazard-Ratio betrug 1,37 (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 1,27–1,49).

Zahlreiche mögliche Einflussfaktoren auf die Sterblichkeit wurden berücksichtigt: Kalenderjahr, Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Einnahme anderer Psychopharmaka, Zahl der eingenommenen Medikamente, Aufenthalt im Krankenhaus, Aufenthalt im Pflegeheim sowie in Tabelle 2 aufgeführte Erkrankungen.

Tab. 2. Erkrankungen, die die Sterblichkeit älterer Patienten beeinflussen und deshalb als Störfaktoren berücksichtigt wurden

Herzrhythmusstörungen

Zerebrovaskuläre Erkrankungen

Herzinsuffizienz

Diabetes mellitus

Herzinfarkt

Andere ischämische Herzkrankheiten

Andere kardiovaskuläre Störungen

Krebserkrankungen

HIV-Infektion

Demenz

Delir

Affektive Störungen

Psychotische Störungen

Andere psychiatrische Erkrankungen

Die Sterblichkeit war mit klassischen gegenüber atypischen Neuroleptika zu Beginn der Einnahme am stärksten erhöht und näherte sich dann allmählich an das Niveau bei der Therapie mit atypischen Neuroleptika (Abb. 1).

Abb. 1. Todesfälle pro Personenjahr nach Beginn einer Neuroleptika-Einnahme

Unter 40 Tagen betrug das Hazard-Ratio 1,56 (95%-KI 1,37–1,78), zwischen 40 und 79 Tagen 1,37 (1,19–1,59) und zwischen 80 und 180 Tagen 1,27 (1,14–1,41).

Es bestand eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: In Dosierungen über der medianen Tagesdosis erhöhten klassische Neuroleptika gegenüber atypischen die Sterblichkeit stärker als in Dosierungen unter der medianen Tagesdosis (Hazard-Ratio 1,73 und 1,14). Die erhöhte Sterblichkeit bestand in allen Untergruppen: Bei Patienten innerhalb und außerhalb von Pflegeheimen und bei Patienten mit und ohne Demenz.

Mit mathematischen Methoden versuchte man, systematische Fehler herauszurechnen. Dabei blieb das Risiko, innerhalb der ersten 180 Tage einer Neuroleptika-Therapie zu versterben, mit klassischen gegenüber atypischen Substanzen erhöht. Unklar ist, ob Störgrößen übersehen wurden und wie klassische Neuroleptika die Sterblichkeit heraufsetzen. Die Studie enthielt keine Angaben zu Todesursachen.

Ältere Patienten sollten aufgrund der FDA-Warnung keinesfalls von atypischen auf klassische Neuroleptika umgestellt werden. Diese scheinen die Sterblichkeit sogar noch stärker zu erhöhen als atypische Neuroleptika.

Quellen

Wang PS, et al. Risk of death in elderly users of conventional vs. atypical antipsychotic medications. N Engl J Med 2005;353:2335–41.

Ray WA. Observational studies of drug and mortality. N Engl J Med 2005;353:2319–21.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(03)