Dr. Barbara Kreutzkamp, München
Eine Prophylaxe ist bei Migränepatienten sinnvoll, die häufige oder sehr lange dauernde Migräneattacken haben. Durch die Verminderung der Anfallshäufigkeit wird die Funktionsfähigkeit im Alltag verbessert, die Lebensqualität steigt. Zudem wird auch der Gefahr vorgebeugt, durch zu häufige Einnahme von Analgetika und migränespezifischen Medikamenten wie den 5-HT1B/1D-Rezeptoragonisten einen Dauerkopfschmerz zu induzieren. Zur Vermeidung dieser Komplikation sollten Migränepatienten höchstens an zehn Tagen pro Monat und an maximal drei Tagen hintereinander Akutmedikamente verwenden. Eine Indikation für eine medikamentöse Migräneprophylaxe besteht bei
drei und mehr Attacken pro Monat
Attacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden anhalten
Attacken, die auf eine Therapie entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft nicht ansprechen, und/oder, wenn Nebenwirkungen der Akuttherapie nicht toleriert werden
bei Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerz- und Migränemitteln an mehr als zehn Tagen im Monat
bei komplizierten Attacken mit lang anhaltenden Auren
Als medikamentöse Prophylaktika der ersten Wahl galten bisher die Betablocker Metoprolol, Propranolol und Bisoprolol sowie der Calciumkanalblocker Flunarizin. Das Antikonvulsivum Valproinsäure ist ebenfalls gut wirksam, aber für diese Indikation nicht zugelassen. Zweite Wahl sind unter anderem das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin, nichtsteroidale Antirheumatika sowie hoch dosierte Magnesiumsalze, Extrakte aus Pestwurz (zugelassen für die Prophylaxe) sowie aus Mutterkraut (Zulassung beantragt). Die Wirksamkeit dieser Medikamente ist eher schwach, teilweise ist ihre Wirkung in der Migräneprophylaxe auch nicht hinreichend untersucht. Methysergid, Lisurid und Pizotifen sind in Deutschland nicht mehr verfügbar.
Mit Topiramat wurde nun ein neues Medikament in die Liste der Migräneprophylaktika der ersten Wahl aufgenommen. Es ist seit 1. August 2005 unter dem Namen Topamax® Migräne zur Prophylaxe von Migränekopfschmerzen bei Erwachsenen zugelassen, wenn eine Therapie mit Betablockern nicht indiziert ist, nicht erfolgreich war oder nicht vertragen wurde. Topiramat wird auch in der neuen Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) als Mittel der ersten Wahl in der Migräneprophylaxe aufgeführt.
Topiramat wird bereits seit längerem in der Epilepsie-Therapie eingesetzt. Die in dieser Indikation genutzten pharmakodynamischen Eigenschaften dürften zumindest zum Teil auch für die migräneprophylaktischen Eigenschaften verantwortlich sein. Unter anderem wird eine zustandsabhängige Blockade der spannungsabhängigen Natrium-Kanäle diskutiert. Außerdem antagonisiert Topiramat schwach die exzitatorische Wirkung von Glutamat und erhöht deutlich die GABA-Aktivität an bestimmten GABAA-Rezeptoren.
Diese Effekte entsprechen neuen Überlegungen zur Pathophysiologie der Migräne: Ergebnisse aktueller Studien lassen darauf schließen, dass es sich bei Migräne nicht primär um eine vaskuläre Störung handelt, sondern um eine Ionenkanalerkrankung im zentralen Nervensystem, die mit einer kortikalen Übererregbarkeit einhergeht. Durch die Übererregbarkeit des sensorischen Kortex und den temporären Ausfall schmerzhemmender Systeme im Hirnstamm kommt es über eine gesteigerte Sensibilisierung des trigemino-vaskulären Systems zu einer neurogenen Entzündung, die dann als Migräneschmerz wahrgenommen wird. Topiramat schützt den sensorischen Kortex vor übermäßiger Erregung, das trigemino-vaskuläre System wird normalisiert und dadurch die Schmerzkaskade verringert.
Studien zur Migräneprophylaxe
Wirksamkeit und Verträglichkeit von Topiramat in der Migräneprophylaxe sind in drei großen randomisierten Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudien an mehr als 1500 Patienten untersucht worden. In allen Studien wurden die Patienten über einen Zeitraum von sechs Monaten mit Topiramat in verschiedenen Dosierungen behandelt.
Ab einer Dosis von 50 mg/d ergab sich eine signifikante Reduktion der Migränehäufigkeit gegenüber Plazebo. Für die meisten Patienten stellte sich die tägliche Gabe von 100 mg als sinnvolle Zieldosis heraus. Bei dieser Dosierung war eine maximale Wirksamkeit in Form einer mindestens 50%igen Reduktion der Migränefrequenz bei rund der Hälfte Patienten zu verzeichnen bei gleichzeitig tolerablen Nebenwirkungen. Mit einer klinisch relevant gesenkten Migränefrequenz kann bereits im ersten Monat der Behandlung gerechnet werden.
Häufigste Nebenwirkung waren akrale Kribbel-Parästhesien, die sich aber durch K+-reiche Ernährung (Trockenobst, Bananen) oder entsprechende Supplementierung gut beherrschen ließen. Daneben wurden ebenfalls häufiger Müdigkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit, Ängstlichkeit sowie Gewichtsverlust verzeichnet. Bei entsprechender Aufklärung der Patienten werden diese Nebenwirkungen aber in der Regel toleriert. Bei Auftreten von Sprachstörungen (typischerweise meist Wortfindungsstörungen) sowie Konzentrationsschwierigkeiten sollte die Dosis reduziert werden – bei den meisten Betroffenen führen diese Nebenwirkungen aber zu einem Abbruch der Behandlung.
Die Reduktion des Körpergewichts, im Durchschnitt 2 bis 3%, ist eine Besonderheit von Topiramat, mit der sich die Substanz von anderen Migräneprophylaktika unterscheidet. Mit diesem Nebeneffekt, der durch eine Reduktion des Hungergefühls zustande kommt, kann man eine nicht unerhebliche Compliance-Steigerung bei übergewichtigen Patienten erzielen.
Blutdruck, Kreislauf und Potenz werden bei der Behandlung mit Topiramat nicht beeinflusst.
Die Therapie sollte in der ersten Woche mit 25 mg/d Topiramat begonnen und dann jede Woche in 25-mg-Schritten auf die individuelle Zieldosis zwischen 50 und 100 mg/d aufdosiert werden. Die Verteilung der Tagesdosis auf zwei Einzelgaben während der Aufdosierungsphase verbessert die Verträglichkeit.
Wie bei allen Migräneprophylaktika ist eine Überprüfung der Indikation nach sechs und zwölf Monaten notwendig. Ein Therapiezyklus wird am besten ausschleichend beendet, beispielsweise in Form einer Dosisreduktion alle drei bis vier Tage um ein Drittel.
Quelle
Prof. Dr. med. Hans Christoph Diener, Essen, Prof. Dr. med. Andreas Straube, München, Dr. med. Jochen Schumacher, Kassel, Einführungs-Pressekonferenz „Topamax® Migräne – Mehr migränefreie Zeit“, veranstaltet von der Firma Janssen-Cilag, München, 25. August 2005.
Psychopharmakotherapie 2006; 13(01)