Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart
Wie bei affektiven Erkrankungen hat sich inzwischen auch für die Schizophrenie die Überzeugung entwickelt, dass eine Remission grundsätzlich, wenn auch nicht bei allen Patienten, erreichbar ist. Unter Remission wird dabei nicht notwendigerweise eine vollständige Symptomfreiheit verstanden, aber doch eine Reduktion der Symptome auf ein Niveau, dass sie den Patienten in seinen Alltagsfunktionen nicht beeinträchtigen. Eine internationale Arbeitsgruppe hat unter Bezug auf verschiedene Psychopathologie-Skalen Kriterien erarbeitet, die erfüllt sein müssen, um eine Remission zu konstatieren. Die entsprechenden Kriterien der PANSS (Positive and negative syndrome scale) sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Sie dürfen auf einer Skala zwischen 1 = fehlend und 7 = extrem höchstens einen Schweregrad von 3 = leicht aufweisen, und zwar für mindestens 6 Monate.
Tab. 1. Kriterien für eine Remission bei Schizophrenie [nach Andreasen et al., 2005]
Dimension der Psychopathologie |
PANSS-Item |
Psychotische Symptome |
P1. Wahnidenn G9. Ungewöhnliche Denkinhalte P3. Halluzinationen |
Desorganisation |
P2. Formale Denkstörung G5. Manierismen und unnatürliche Körperhaltung |
Negativsymptome (psychomotorische Verarmung) |
N1. Affektverflachung N4. Sozialer Rückzug N6. Mangel an Spontanität und Sprachflüssigkeit |
Eine symptomatische Remission wird konstatiert, wenn jedes einzelne Kriterium höchstens leicht ausgeprägt ist (Schweregradkriterium), und zwar für mindestens 6 Monate (Zeitkriterium)
Diese Remissionskriterien wurden retrospektiv auf zwei offene Langzeitstudien mit der Depotformulierung von Risperidon (Risperdal® Consta®) angewendet, unter anderem auf die StoRMi-Studie (Switch to risperidone microspheres), in der psychopathologisch stabile schizophrene Patienten von ihrer antipsychotischen Medikation direkt auf langwirksames Risperidon umgestellt wurden. Nach Abschluss der ursprünglich 6-monatigen Studie konnten die Patienten bis zu weitere 6 Monate (bzw. bis zur Einführung des Handelspräparats in ihrem Land) teilnehmen. Das nahmen 715 Patienten wahr, von denen 508 (71%) auch nach 12 Monaten noch teilnahmen. Abbruchgrund war in 60 Fällen die zwischenzeitliche Markteinführung des Präparats, weitere Gründe waren unter anderem Rücknahme der Zustimmung (8,8%), Nebenwirkungen (2,8%) oder unzureichendes Ansprechen (2,7%).
Der mittlere PANSS-Score sank von 74,9±22,7 bei Studienbeginn auf 60,3±20,6 nach 6 Monaten und 57,8±20,9 nach 12 Monaten. Die eingangs als psychopathologisch stabil beurteilten Patienten (Einschlusskriterium!) erfuhren also im Verlauf der Depotbehandlung eine weitere Besserung ihres Zustands.
Die retrospektive Auswertung der 715 Datensätze ergab:
Die Schweregradkriterien für eine Remission, die zu Beginn von 209 Patienten (29%) erfüllt worden waren, erfüllten am Endpunkt 429 Patienten (60%) bzw. nach 12 Monaten 64%.
Bei 45% der Patienten galt dies am Endpunkt seit mindestens 6 Monaten.
Von den 506 Patienten, die anfangs nicht die Schweregradkriterien für eine Remission erfüllt hatten, erreichten dies 50% bis zum Endpunkt; bei 31% wurde auch das Zeitkriterium erfüllt, so dass eine Remission konstatiert werden konnte.
Analoge Ergebnisse hatte die Auswertung der 12-monatigen Studie von Fleischhacker et al. (2003), in der die Patienten erst nach einer mindestens 2-wöchigen oralen Risperidon-Behandlung auf die langwirksame Form umgestellt wurden. Auch hier galten die Patienten eingangs als psychopathologisch stabil, gemäß den Schweregradkriterien aber 394 (68%) nicht als remittiert. Von diesen Patienten erreichten 82 (20,8%) bis zum Studienende eine Remission gemäß Schweregrad- und Zeitkriterium. Diese anhaltende Besserung spiegelte sich auch in der Lebensqualität wider: Die Patienten erreichten signifikante Verbesserungen bei den Dimensionen psychische Gesundheit, emotionale Rolle, soziale Funktion und Vitalität (SF-36) und gelangten dabei in die Nähe der Durchschnittswerte der US-amerikanischen Bevölkerung.
Die Remission im Sinne der anhaltenden weitgehenden Symptomfreiheit ist demnach bei einer Schizophrenie prinzipiell erreichbar. Sie sollte insbesondere in frühen Stadien der Erkrankung angestrebt werden, um die in dieser Phase drohende progrediente Verschlechterung des psychopathologischen Zustands zu verhindern und die langfristige psychosoziale Prognose des Patienten zu verbessern (Abb. 1). Patienten und ihren Angehörigen kann damit ein Therapieziel an die Hand gegeben werden, für das einzusetzen es sich lohnt. Die Europäische Föderation von Organisationen der Angehörigen psychisch Kranker (EUFAMI) begrüßt und unterstützt deshalb das Remissionskonzept. Daneben kann das Remissionskonzept zur Qualitätssicherung in der Schizophrenietherapie dienen.
Abb. 1. Chance für eine Sekundärprävention durch frühzeitige Sicherstellung der Remission? [Nach Peuskens]
Quellen
Prof. John M. Kane, New York (USA), Satellitensymposium „Response, remission, reconnection: can we change our treatment approach in schizophrenia?“, veranstaltet von Janssen-Cilag im Rahmen des 18. ECNP Congress, Amsterdam, 23. Oktober 2005.
Prof. John M. Kane, New York (USA), Prof. Joseph Peuskens, Leuven (Belgien), Kevin Jones, Leuven (Belgien), Pressekonferenz „New beginnings: achieving remission in schizophrenia“, Amsterdam, 24. Oktober 2005, veranstaltet von Janssen Pharmaceutica.
Andreasen N, et al. Remission in schizophrenia: proposed criteria and rationale for consensus. Am J Psychiatry 2005;162:441–9.
Kissling W, et al. Direct transition to long-acting risperidone – analysis of long-term efficacy. J Psychopharmacol 2005;19(Suppl 1):15–21.
Psychopharmakotherapie 2006; 13(01)