Sertralin in der Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe unipolarer depressiver Erkrankungen


Hans-Jürgen Möller, München

Die unipolare Depression ist eine rezidivierende Erkrankung, die in den meisten Fällen einer rezidivprophylaktischen Behandlung bedarf. Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind wegen ihrer guten Verträglichkeit für die rezidivprophylaktische Erhaltungs- und Langzeittherapie gut geeignet, aber nicht für alle Substanzen dieser Gruppe liegen Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit in der Langzeittherapie vor. Nach der Erörterung methodischer Aspekte für die Durchführung von Studien zur Rezidivprophylaxe bei unipolar depressiven Patienten werden die Ergebnisse aus drei Sertralin-Rezidivprophylaxe-Studien exemplarisch dargestellt. Aus den Ergebnissen lässt sich der Schluss ziehen, dass Sertralin eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit in der rezidivprophylaktischen Erhaltungs- und Langzeittherapie hat.
Schlüsselwörter: Unipolare Depression, Rezidivprophylaxe, Erhaltungstherapie, Sertralin
Psychopharmakotherapie 2006;13:2–11.

75 bis 85% aller unipolar depressiven Patienten haben mindestens zwei depressive Episoden während ihres Lebens [6, 15] und 30 bis 50% der Patienten – mit steigendem Lebensalter sogar noch mehr – erleiden einen Rückfall innerhalb der ersten sechs Monate nach beendeter Behandlung einer depressiven Episode [21]. Mit jedem Rückfall erhöht sich die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Episoden, gleichzeitig kommt es zu einer Verkürzung des beschwerdefreien Intervalls [7, 20].

Daher empfehlen die meisten Therapierichtlinien auch bei Symptomfreiheit eine sich an die Akutbehandlung anschließende Erhaltungstherapie für mindestens 4 bis 9 Monate [2], besser für 12 Monate. Für ein solches Vorgehen konnte in einer retrospektiven Analyse an über 400 Patienten und einer Beobachtungsdauer von bis zu zwei Jahren eine signifikant geringe Rückfallwahrscheinlichkeit nachgewiesen werden [12]. Sofern die Indikation hierfür gegeben ist, schließt sich an die Erhaltungstherapie, also die Verhinderung des unmittelbaren Rückfalls (in der amerikanischen Terminologie „relapse“) in der gerade ausklingenden Episode, die Rezidivprophylaxe, der Schutz vor einer neuen Episode (in der amerikanischen Terminologie „recurrence“), an. Der Zeitpunkt, wann eine Erhaltungstherapie in die Rezidivprophylaxe übergeht, ist umstritten.

Der Nachweis der rezidivprophylaktischen Wirksamkeit ist ein wichtiger Schritt in der klinischen Evaluation eines Antidepressivums. Positive Ergebnisse geben den behandelnden Ärzten die evidenzbasierte Sicherheit, dass ein Antidepressivum, das für die Behandlung depressiver Episoden zugelassen ist, auch für die Rezidivprophylaxe indiziert ist. Während für einige in den letzten 20 Jahren zugelassene Antidepressiva Evidenzen nur aus maximal bis zu einem Jahr dauernden Erhaltungstherapie-Studien abgeleitet wurden, gibt es für andere auch Evidenzen aus länger dauernden Rezidivprophylaxe-Studien.

In der nachfolgenden Darstellung werden zunächst methodische Aspekte von Rezidivprophylaxe-Studien erörtert. Angeregt durch die Publikation [11] der aktuellen großen Sertralin-Rezidivprophylaxe-Studie folgt eine Darstellung der drei Studien zum rezidivprophylaktischen Effekt von Sertralin (z.B. Gladem®, Zoloft®) bei unipolarer Depression.

Methodische Aspekte

Gängigerweise werden für die Erhaltungstherapie in Therapie-Studien sechs Monate als ausreichend angesehen [14]. Betrachtet man die trotz moderner Behandlung oft über viele Monate dauernde unterschwellige Persistenz biologischer Veränderungen nach vollständiger oder weitgehender Symptomreduktion [19], so ist ein wahrscheinlich deutlich längerer Verlauf der akuten Erkrankungsphase anzunehmen. Realistischer erscheint es daher, die Zeitdauer der Erhaltungstherapie („relapse prevention“) auf ein Jahr zu bemessen, bevor man von Rezidivprophylaxe („recurrence prevention“) spricht [8]. Dieser Zeitpunkt wird durch eine Studie von Reimherr et al. [18] unterstützt, in der gezeigt wurde, dass sich die Häufigkeit neuer Rückfälle in einer Gruppe von Patienten, die nach Symptomremission mit Plazebo weiterbehandelt wurden, erst nach etwa einem Jahr derjenigen von mit Fluoxetin behandelten Patienten anglich. Auch die Ergebnisse einer großen naturalistischen Studie von Dawson et al. [4] belegen, dass frühestens nach acht Monaten das Risiko eines schnellen Rückfalls bei Absetzen der Medikation sinkt. Patienten mit mehr als fünf Episoden in der Vorgeschichte hingegen weisen noch länger ein erhöhtes Risiko auf.

Die Ergebnisse von Studien zur Erhaltungstherapie beziehungsweise Rezidivprophylaxe werden zum Beispiel durch Patientenauswahl, Fallzahl, Studiendauer, Rückfallkriterien beeinflusst [13]. Wichtig ist, dass auch bei Studien zur Erhaltungstherapie/Rezidivprophylaxe grundsätzlich die gleichen methodischen Gesichtspunkte zu beachten sind wie bei Akuttherapie-Studien, also unter anderem (Re-)Randomisierung der Patienten auf verschiedene verblindete Behandlungsbedingungen, Prüfung gegen Plazebo und zusätzliche Prüfung gegen eine Standardmedikation.

Oft wird, insbesondere bei Studien zur Erhaltungstherapie aus pragmatischen Gründen gegen diese methodischen Aspekte verstoßen. So wird in vielen Studien den Patienten, die in der Akuttherapiephase auf die Behandlung ansprachen, ohne (Re-)Randomisierung ein Antidepressivum oder Plazebo für mehrere Monate weiter gegeben. Dieses Studiendesign („placebo controlled extension study“) führt aus verschiedenen Gründen, unter anderem wegen der unterschiedlichen Therapieabbruchraten und damit unterschiedlicher Selektionsprozesse in der Akuttherapiephase zu schwer interpretierbaren Ergebnissen und ist deshalb nicht empfehlenswert.

Bei Rezidivprophylaxe-Studien sind noch mehr als bei Akuttherapie-Studien die Einschluss- und gegebenenfalls Stratifikationskriterien vorab genau zu überlegen, da es deutliche Unterschiede des Rückfallrisikos in Abhängigkeit von der Anzahl der vorausgegangenen Episoden oder dem Geschlecht gibt [7]. Ein wichtiger Aspekt ist, ob die Patienten am Ende der Akutbehandlung remittiert sind und ob gegebenenfalls diese Remission selbst im Rahmen einer dann folgenden längeren Plazebo-Behandlungsphase (zwei Monate und mehr) bzw. Antidepressiva-freien Phase stabil bleiben. Nur in letzterem Fall kann man sicher sein, dass die vorherige Phase abgeklungen ist und man in der Rezidivprophylaxe-Studie wirklich die Frage der Verhinderung des Wiederauftretens einer neuen depressiven Episode untersucht.

Für Studien zur Rezidivprophylaxe ist in Abhängigkeit von dem zu erwartenden Rückfallrisiko eine mindestens einjährige Studiendauer, noch besser zwei Jahre, zu fordern. Allerdings sind 2-Jahres-Studien so schwer durchzuführen, dass man sich wohl in der Regel mit einer einjährigen oder mehr als einjährigen Studiendauer begnügen muss. Diese Studiendauer ist von der zeitlichen Ausdehnung geeignet, um über die eigentliche Phase der Erhaltungstherapie hinauszuführen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, ob lediglich Responder auf ein bestimmtes Antidepressivum mit dem gleichen Antidepressivum in der Erhaltungstherapie/Rezidivprophylaxe untersucht werden, oder ob das zur Response/Remission führende Antidepressivum unterschiedlich ist zu dem, das als Rezidivprophylaktikum geprüft werden soll. Im ersten Fall relativiert sich, bei strenger Interpretation, die rezidivprophylaktische Aussage auf Patienten, die auf das gleiche Antidepressivum in der Akuttherapie angesprochen haben. Im anderen Fall ist die rezidivprophylaktische Aussage genereller.

Auf berühmte Prüfmodelle, wie beispielsweise die 2-Jahres-Doppelblindprüfung Lithium versus Imipramin versus Plazebo [16] und die zu einem späteren Zeitpunkt in ähnlicher, aber noch weiter differenzierter Versuchsanordnung durchgeführte analoge 2-Jahres-Studie von Prien et al. [17] sei verwiesen.

Diese Gesichtspunkte finden auch in den CHMP-Guidelines (Committee for medicinal products for human use der EMEA, revidierte Fassung von 2002) ihren Niederschlag. Für die Erhaltungstherapie/Rezidivprophylaxe wird der folgende methodische Standard gefordert:

“For licensing it should be shown that a short-term effect can be maintained during the episode. For this a randomised withdrawal study, also called a relapse prevention study, is probably the best design. In this design, responders to treatment of sufficient duration, with the test product, are (re-)randomised to test product or placebo. In the first period, the test product is usually given open, uncontrolled. The duration of either treatment phase is hugely variable in the literature. It will depend among others on the type of patients included and on the time of inclusion. The optimal duration is not known at the moment, but a duration of e.g., 8 to 12 weeks for the first period appears acceptable, whereas the period after (re-) randomisation usually has a duration of up to six months. For such study, the protocol must include specific measures to prevent complication of the disease (especially risk of suicide), like close monitoring and the possibility to use rescue medication or to switch deteriorating patients to appropriate treatment.

A placebo-controlled extension study is less advisable, as there is a risk, that the results will be ambiguous, due, for example, to a differential drop-out in the first few weeks, the fact that placebo responders may continue to be responders, the patients groups are not comparable anymore or the possibility that after a certain time the time-effect curves may become parallel.

Prevention of the next episode(s) or recurrence prevention is not an obligatory part of a registration package. When a claim is made, specific studies are needed. In non-manic depressive patients, definitive comparisons of the test substance should be performed versus a placebo. For prevention in bipolar patients, the relevant guidelines should be consulted.

For a given patient, the duration of treatment depends on the rate of his/her recurrences. Patients with a history of several depressive episodes should be included and the recent recurrence rate should be taken into account when powering the study.

As a general principle, the duration of such studies is at least one year, although 2 years or more may be necessary. This will depend on the recurrence rate in the population.”

Rezidivprophylaxe bei remittierten Patienten mit häufig wiederauftretender Major Depression

Schon vor der genaueren Darstellung dieser Studie soll betont werden, dass es sich um eine im Gesamtumfeld der modernen Antidepressiva besonders wichtige Studie in der Prüfung der Wirksamkeit und Verträglichkeit eines selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) in der Erhaltungstherapie/Rezidivprophylaxe depressiver Erkrankungen handelt, insbesondere aufgrund

der (Re-)Randomisierung,

der mit 18 Monaten langen Behandlungsdauer und

der Tatsache, dass nur remittierte Patienten, die während einer Plazebo-Phase von zwei Monaten stabil remittiert blieben, eingeschlossen wurden.

Die Studie ist so methodisch anderen Studien zur Wirksamkeit von SSRI in der Langzeitbehandlung überlegen und greift in der methodischen Qualität das Niveau der weiter oben erwähnten modellhaften Studien von Prien et al. zur rezidivprophylaktischen Relevanz von Lithium und Imipramin wieder auf.

Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit und Sicherheit einer 18-monatigen rezidivprophylaktischen Langzeitbehandlung mit Sertralin in zwei verschiedenen Dosen (50 oder 100 mg) in einem randomisierten Kontrollgruppeneinsatz gegen Plazebo zu untersuchen.

Die eingeschlossenen, über 18-jährigen Patienten mussten innerhalb der letzten vier Jahre vorher wenigstens drei depressive Episoden durchgemacht haben. Dieses anamnestische Kriterium führt zu einer Selektion von Patienten, die besonders rückfallgefährdet sind. Die letzte depressive Episode musste mindestens sechs Monate vor dem Studienbeginn begonnen haben, und der Patient musste mindestens vier Monate behandelt worden sein. Auch durfte die Behandlung nicht länger als zwei Monate vorher beendet worden sein. Bei der Auswahlvisite für die Untersuchung musste der Patient in Remission sein, was definiert wurde durch zwei Kriterien:

nicht mehr als zwei Depressionssymptome gemäß Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) und

nicht mehr als den Wert 2 für die Summe der zwei ersten Items der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS).

Um sicherzustellen, dass nur Patienten, die von der letzten Depression geheilt waren, in die Langzeituntersuchung eingeschlossen wurden, wurde eine zweimonatige Plazebo-Behandlung vorgeschaltet, und nur Patienten, die auch dann noch depressionsfrei blieben, wurden in die Langzeittherapie-Studie aufgenommen.

Die erste Periode der Behandlung unter Studienbedingungen war eine zweimonatige Plazebo-Behandlung, in der sichergestellt werden sollte, dass die Patienten auch nach Absetzen der Verum-Medikation unter Plazebo-Bedingungen stabil in einem remittierten Zustand blieben. Ihr folgte die zweite Periode (18 Monate), in der die drei Behandlungskonditionen täglich 50 mg Sertralin, 100 mg Sertralin oder Plazebo unter Doppelblindbedingungen verglichen wurden. Für die Patienten der Sertralin-100-mg-Gruppe wurde die Dosierung über zwei Wochen mit 50 mg/d eingeschlichen, dann erst auf 100 mg gesetzt (Abb. 1).

Abb. 1. Studiendesign

Es handelt sich um eine multizentrische Studie, die in Frankreich bei ambulanten von Psychiatern behandelten Patienten durchgeführt wurde.

Die Compliance wurde durch „pill counting“ an mehreren Untersuchungszeitpunkten kontrolliert. Auf dieser Basis wurde die Compliance als hoch eingeschätzt, mit einem Mittelwert von 98 bis 100% in den drei Behandlungsgruppen.

Wie bei einer Stichprobe unipolar depressiver Patienten zu erwarten, waren die Frauen in der Überzahl (70% der Stichprobe). Es handelte sich um eine Stichprobe mittelalter Patienten (durchschnittlich 45±10 Jahre). Die Patienten hatten den für derartige Studien üblichen Ein- und Ausschlusskriterien, auch in Bezug auf relevante körperliche Komorbidität, zu entsprechen. Die relevanten Daten der Krankheitsvorgeschichte können aus der Tabelle 1 entnommen werden. Insgesamt handelte es sich um eine Gruppe von Patienten mit eher schwerem Verlauf der Erkrankung, unter anderem definiert durch mehrere Krankheitsepisoden in der Vorgeschichte. Die Vorbehandlung der Patienten bestand im Wesentlichen aus verschiedenen Antidepressiva sowie Benzodiazepinen.

Tab. 1. Demographische und klinische Merkmale der remittierten Patienten mit häufig wiederauftretender Major Depression, die randomisiert einer doppelblinden prophylaktischen Behandlung mit Sertralin (50/100 mg/d) oder Plazebo zugeteilt wurden [nach 11]

Merkmal

Gruppe

Analyse

Plazebo (n=99)

Sertralin 50 mg (n=95)

Sertralin 100 mg (n=94)

Durchschnitt

SD

Durchschnitt

SD

Durchschnitt

SD

Fd

df

p

Alter [Jahre]

45,5

10,5

47,3

11,3

48,0

11,2

1,31

2

0,28a

n

%

n

%

n

%

χ2e

df

p

Weiblich

73

73,7

57

60,0

73

77,7

0,77

1b

0,39

Anzahl früherer depressiven Episode

2,35

4

0,68

3–5
6–10
>10

48
35
16

48,5
35,4
16,2

48
37
10

50,5
39,0
10,5

48
37
9

51,1
39,4
9,6

Median

Streubreite

Median

Streubreite

Median

Streubreite

Hc

df

p

Alter bei der ersten Episode [Jahre]

30

12–63

32

16–66

32,5

15–61

3,66

2

0,17

Zeit zwischen Indexepisode und Randomisierung [Tage]

328

233–1066

320

207–790

305,5

206–815

4,29

2

0,12

MADRS-Gesamtscore bei Randomisierung

4

0–15

3

0–10

4

0–15

3,37

2

0,19

n

%

n

%

n

%

Hc

df

p

CGI-Score bei Randomisierung

1,28

2

0,53

Normal (Score=1)

55

55,6

56

59,0

45

47,9

Mögliche leichte Störung (Score=2)

24

24,2

24

25,3

36

38,3

Leichte Störung (Score=3)

18

18,2

14

14,7

11

11,7

Mäßige Störung (Score=4)

2

2,0

1

1,1

2

2,1

a Varianzanalyse, b Sertralin-Gruppen gepoolt für die Analyse, c Kruskal-Wallis One-way-Varianzanalyse, d Fischer-Exakt-Test, e Chi(χ)2-Test, SD=Standardabweichung, df=Freiheitsgrade

Als Komedikation oder Kotherapie waren Benzodiazepine (außer Alprazolam) in maximaler Dosierung von 10 mg Diazepam-Äquivalent pro Tag erlaubt, und zwar als anxiolytische Medikation oder als Schlafmedikation. Eine Vorbehandlung mit Anxiolytika, die über diese Dosis hinausging, musste lege artis auf diese Dosis reduziert werden. Im Fall eines drohenden Rezidivs konnte die Benzodiazepin-Dosis auf maximal 30 mg Diazepam-Äquivalent pro Tag für eine Maximalperiode von drei Wochen erhöht werden. Falls eine längere Benzodiazepin-Medikation in dieser Höhe erforderlich war, musste der Patient aus der Studie herausgenommen und als Rezidiv bewertet werden.

Antidepressiva waren während der gesamten Studienperiode nicht erlaubt. Im weiteren Verlauf wurden noch weitere Psychopharmaka „als Schlafmedikation“ zugelassen: unter anderem Levomepromazin 25 Tropfen/d und Thioridazin 25 mg/d. Eine über ein stützendes Vorgehen hinausgehende spezifische Psychotherapie war während der gesamten Studiendauer nicht erlaubt. Alle Komedikationen mussten dokumentiert werden.

Als primäres Wirksamkeitskriterium wurde das Auftreten eines depressiven Rezidivs innerhalb der 18-monatigen Behandlungsperiode definiert, also:

das Auftreten von Symptomen, welches für den behandelnden Arzt eine Antidepressiva-Medikation erforderte (definiert über die Skalen DSM-IV, MADRS und Clinical Global Impressions [CGI]) oder

das Auftreten einer depressiven Episode nach DSM-IV-Kriterien.

Als sekundäre Wirksamkeitskriterien wurden die Scores der MADRS und der CGI-Severity gewählt. Außerdem wurde die „quality of life“ mit dem SF 36 (Short-Form-36 Health Survey) untersucht. Für die Beurteilung der Sicherheit wurden das Auftreten und die Schwere spontan beobachteter unerwünschter Ereignisse erfasst.

In der statistischen Analyse wurde die Häufigkeit von Rezidiven zwischen den Gruppen mit dem Chi(χ)2- bzw. Fisher-Exact-Test verglichen, als relevantes Signifikanzlevel wurde das 5%-Niveau gewählt. Dabei wurden zunächst beide Sertralin-Gruppen zusammen mit der Plazebo-Gruppe verglichen. In einem zweiten Schritt wurde dann jede der Sertralin-Gruppen mit den jeweils anderen Gruppen verglichen. Außerdem wurde zusätzlich zu dieser Auswertungsstrategie die Zeit bis zum Rückfall im Rahmen eines Kaplan-Meier-Survival-Ansatzes verglichen und mit dem Log-Rank-Test auf statistische Signifikanz geprüft, wobei ebenfalls eine 5%-Signifikanzschwelle zugrunde gelegt wurde.

Insgesamt wurden 371 Patienten für die Studie ausgewählt. Nach der zweimonatigen Plazebo-Behandlung konnten 310 Patienten randomisiert in die drei Studienarme eingeschlossen werden. Für die statistischen Analysen wurden neben der Per-Protokoll-Stichprobe zwei Intent-to-treat-Stichproben definiert. Die Per-Protokoll(PP)-Stichprobe enthält alle Patienten, die wenigstens eine Studienmedikation nach Randomisierung bekommen haben und die während der gesamten Studie keine gröbere Protokollverletzung gezeigt haben. Der „complete full analysis set“ (FASc) schließt alle Patienten ein, die nach der Randomisierung wenigstens eine Dosis der Studienmedikation bekommen haben. Der „full analysis set“ (FAS) wurde analog zu dem FASc definiert, aber mit der Zusatzbedingung, dass die Patienten keine Protokollverletzung während der zweimonatigen Plazebo-Behandlungsphase aufwiesen. Die PP-Stichprobe betrug 286 Patienten, die FASc-Stichprobe 299 und die FAS-Stichprobe 288 Patienten.

Teilergebnisse dieser Studie wurden in Postern auf verschiedenen Kongressen vorgestellt, ein umfangreiches Manuskript wurde kürzlich publiziert [1, 3, 11].

Die Studie wurde bei 139 der 310 randomisierten Patienten nicht zu Ende geführt, darunter 56 Patienten der Plazebo-Gruppe, 40 Patienten der 50-mg-Sertralin-Gruppe und 43 Patienten der 100-mg-Sertralin-Gruppe.

171 Patienten schlossen die Studie ab. Die Gründe für einen Therapieabbruch in der randomisierten Stichprobe von 310 Patienten (unter Einschluss der Zentren 9 und 15, die später ausgeschlossen wurden) ergeben sich aus Abbildung 2.

Abb. 2. Flow-Chart – Studienverlauf

In der Plazebo-Gruppe war der Prozentsatz der wegen Mangel an Wirksamkeit ausfallenden Patienten doppelt so hoch wie bei den mit Sertralin behandelten Patienten. Unerwünschte Begleitwirkungen sind häufiger der Grund für einen Therapieabbruch in den Sertralin-Gruppen, als bei den Plazebo-behandelten Patienten.

Die Ergebnisse dieser Studie weisen die rezidivprophylaktische Wirksamkeit von Sertralin nach (Tab. 2). Im Folgenden werden hierzu nur Hauptanalysen und Hauptergebnisse vorgestellt. In der Intent-to-treat-Analyse („full analysis set“) ergab sich die folgende Häufigkeitsverteilung für die Rezidivhäufigkeit:

Plazebo-Gruppe 33,3%

50-mg-Sertralin-Gruppe 16,8%

100-mg-Sertralin-Gruppe 16%

Beide Sertralin-Gruppen zusammen 16,4%

Tab. 2. Unterschiede zwischen den Rezidivraten [nach 11]

Δ Rezidivrate

Analyse

Gruppenvergleich

Prozentpunkte

KI

χ2 (df=1)

p

Plazebo- vs. gepoolte Sertralin-Gruppe

16,4

6,0 bis 27,2a

10,0

0,002

Plazebo- vs. 50-mg-Sertralin-Gruppe

16,5

1,5 bis 30,5b

7,0

0,008

Plazebo- vs. 100-mg-Sertralin-Gruppe

16,3

1,3 bis 30,3b

6,8

0,009

50-mg- vs. 100-mg-Sertralin-Gruppe

–0,2

–13,4 bis 13,0b

0,001

0,97

a KI=zweiseitiges 95%-Konfidenzintervall, Alpha=0,05 b KI=zweiseitiges 98,33%-Konfidenzintervall, Alpha=0,0167

Der Unterschied zwischen den beiden Sertralin-Gruppen zusammen gegenüber der Plazebo-Gruppe in der Rezidivhäufigkeit war mit p=0,002 statistisch hochsignifikant, ebenso der Unterschied zwischen der 50-mg-Sertralin- und der Plazebo-Gruppe (p=0,008), und der Unterschied zwischen der 100-mg-Sertralin- und der Plazebo-Gruppe (p=0,009). Zwischen den beiden Sertralin-Gruppen (50 und 100 mg Sertralin) ergaben sich praktisch keine nummerischen Häufigkeitsunterschiede, und somit erst recht keine statistische Signifikanz der Unterschiede.

Es zeigte sich für jede Gruppe, dass die Survival-Kurven abnahmen, da neue depressive Episoden während der 18 Monate auftraten. Rezidive waren häufiger in der Plazebo-Gruppe als in beiden Sertralin-Gruppen zusammen oder in der 50- und 100-mg-Sertralin-Gruppe allein. Basierend auf den Kaplan-Meier-Survival-Analysen (Abb. 3) zeigte sich, dass die zeitliche Verzögerung des Rezidivs durch Sertralin (beide Gruppen zusammengefasst) sich deutlich gegenüber Plazebo unterschied, erwartungsgemäß zugunsten von Sertralin (p=0,006). Für die gesamte Sertralin-Gruppe betrug der durchschnittliche Zeitraum für das Auftreten eines Rezidivs bei 10% der Patienten 200 Tage, für die Plazebo-Gruppe dagegen 70 Tage. Aufgrund der Kaplan-Meier-Analysen ließ sich errechnen, dass Patienten mit Plazebo insgesamt ein 2,3fach höheres Risiko für ein Rezidiv hatten als unter Sertralin. Für die 50-mg- und die 100-mg-Sertralin-Gruppe ergaben sich analoge Ergebnisse auf der Basis der Kaplan-Meier-Analysen.

Abb. 3. Zeit bis zum Wiederauftreten der Depression in den Sertralin-Gruppen und der Plazebo-Gruppe (FAS, n=288) [nach 11]

Die Daten der Intent-to-treat-Analyse (full analysis set) und der Per-Protokoll-Analyse sind sehr ähnlich, so dass eine weitere differenzierte Darstellung nicht sinnvoll erscheint.

Für die sekundären Wirksamkeitsparameter MADRS-Score, DSM-IV-Score und CGI-Schweregrad zu den einzelnen Visitenzeitpunkten bildeten sich ebenfalls Veränderungen ab. Verschlechterungen traten in der Plazebo-Gruppe häufiger (bei kategorialer Auswertung) bzw. ausgeprägter (bei Mittelwertsanalyse) auf als in der Sertralin-Gesamtgruppe bzw. jeder einzelnen Sertralin-Gruppe. Als Beispiel sei auf den tabellarischen Verlauf der Depressionsscores der MADRS verwiesen (Tab. 3).

Tab. 3. Sekundäre Wirksamkeitskriterien (MADRS-Gesamtscore pro Untersuchungszeitpunkt, Mittelwert±Standardabweichung); n=Zahl der Patienten, für die Werte vorlagen

Untersuchungszeitpunkt*

Plazebo

Sertralin 50 mg

Sertralin 100 mg

n

MADRS

n

MADRS

n

MADRS

Einschluss

99

4,2±3,6

95

3,6±2,8

94

4,5±3,2

M3

91

5,0±5,3

88

3,8±3,9

83

4,7±4,4

M4

85

4,6±4,7

77

3,2±3,0

76

4,1±3,8

M5

73

5,2±6,8

67

3,9±4,0

66

4,6±4,6

M8

70

4,2±3,5

73

3,8±3,6

66

4,0±4,1

M11

60

4,7±4,8

65

3,3±4,6

63

3,6±3,6

M14

56

4,2±4,3

59

4,2±4,5

62

4,7±6,4

M17

50

4,0±4,0

61

4,0±4,8

54

4,1±5,6

M20

43

4,5±3,5

54

3,6±5,0

51

3,5±4,0

LOCF

94

9,9±10,0

89

5,9±8,0

89

7,4±9,5

* M=Monat; während der ersten 2 Monate erhielten alle Patienten Plazebo (Pfizer Study N°STL-F-94-001)

Die Daten zur Lebensqualität, die mit der SF-36 erhoben wurden, zeigten unter anderem in der Analysemethode „area under the curve“ eine Tendenz zur Besserung im Verlauf. Statistisch ergaben sich keine signifikanten Unterschiede, bedingt durch die hohe Variabilität.

Die Verträglichkeit wurde bei allen 299 Patienten untersucht (einschließlich den 11 Patienten, die Protokollverstöße in Phase I hatten). Im Vergleich zu der 50-mg-Sertralin- (76%) und der Plazebo-Gruppe (71%) erlitt ein etwas höherer Anteil der Patienten in der 100-mg-Sertralin-Gruppe (80%) unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Die Mehrzahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen wurden als leicht (47%) bis mäßig (42%) und als nicht mit der Studienbehandlung in Zusammenhang stehend (71%) eingestuft. Ferner waren fast alle unerwünschten Arzneimittelwirkungen (94%) bei Studienende nicht mehr vorhanden.

Lediglich 9% der unerwünschten Arzneimittelwirkungen führten zum Studienabbruch. Im Vergleich zu Plazebo (1,9% [n=2 von 103]) brach ein signifikant größerer Anteil der Patienten in der 100-mg-Sertralin-Gruppe (15,3% [n=15 von 98]) die Studie wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen vorzeitig ab. Bei der Anzahl der Patienten, die die Behandlung wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen abbrachen, gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen der 50-mg-Sertralin- (9,2% [n=9 von 98]) und der Plazebo-Gruppe (p=0,054, Fisher’s Exact Test).

Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Angst, Grippe-ähnliche Symptome und Schlaflosigkeit. Paarweise Vergleiche der drei Behandlungsgruppen zeigten keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit von unerwünschten Arzneimittelwirkungen.

Insgesamt 26 schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden von 20 Patienten berichtet (Plazebo-Gruppe: n=6; 50-mg-Sertralin-Gruppe: n=5; 100-mg-Sertralin-Gruppe: n=9). Für keine der schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen wurde ein Bezug zu der Studienmedikation festgestellt. Eine Patientin der 100-mg-Sertralin-Gruppe ist durch Ertrinken gestorben. Dies war anscheinend ein Suizid und geschah elf Tage nach der 3-Monats-Untersuchung. Es gab keine Anzeichen einer Überdosis [11].

Insgesamt belegen die dargestellten Daten zur Wirksamkeit eindeutig den rezidivprophylaktischen Effekt von Sertralin im Vergleich zu Plazebo. Wirksamkeitsunterschiede zwischen der täglichen Dosierung von 50 oder 100 mg waren nicht nachweisbar. Besonders zu betonen ist, dass die in die Langzeittherapiephase eingeschlossenen Patienten voll und stabil (zweimonatige Plazebo-Behandlungsphase!) remittiert waren. Das heißt, es wurde wirklich die Frage der Beeinflussung des Wiederauftretens einer neuen depressiven Episode untersucht. Es handelt sich somit um eine Rezidivprophylaxe-Studie im strikten Sinn.

Akut- und Erhaltungstherapie bei Patienten mit Major Depression

Bei dieser von Doogan und Caillard [5] publizierten Studie handelt es sich um ein zweiphasiges Studiendesign.

Zunächst wurden Patienten mit der DSM-III-Diagnose einer Major Depression, die einen Wert auf der Hamilton Depression Scale (HAMD) von mindestens 17 hatten, unter offenen Bedingungen mit Sertralin in einer frei zu wählenden Dosierung zwischen 50 und 200 mg behandelt. Der Verum-Akutphase wurde eine einwöchige Plazebo-Behandlungsphase vorgeschaltet, nach der Plazebo-Responder ausgeschlossen wurden. Die Responder aus der Akutbehandlung mit Sertralin („sehr viel gebessert“ und „viel gebessert“ gemäß CGI) wurden am Ende der achtwöchigen Behandlungsperiode randomisiert auf einen Sertralin- und einen Plazebo-Arm (2:1-Randomisierung). In den folgenden 44 Behandlungswochen wurde geprüft, ob Sertralin besser als Plazebo den erreichten Behandlungserfolg aufrechterhalten kann. Es war eine freie Dosierung im Bereich von 50 bis 200 mg Sertralin/Tag unter Doppelblindbedingungen möglich.

Bei der Stichprobe handelte es sich um Patienten im Alter zwischen 19 und 78 Jahren (Mittelwert 51 Jahre), die die DSM-III-Diagnose (21 Patienten hatten eine bipolare Verlaufsform der Erkrankung) einer „major depressive disorder“ erfüllten und einen HAMD-Score von wenigstens 17 hatten. Die Patienten wurden ambulant von Psychiatern behandelt. Der Großteil der Patienten litt unter einer rekurrenten depressiven Erkrankung. Weibliche Patienten waren, wie in Untersuchungen an Depressiven üblich, überrepräsentiert (74% in der Open-Label-Phase, 69% in der Doppelblindphase). Die für solche Studien üblichen Ein- und Ausschlusskriterien wurden berücksichtigt, unter anderem Ausschluss relevanter körperlicher Komorbidität.

Während der Erhaltungstherapiephase (Woche 9 bis 52) konnten die behandelnden Ärzte die Dosierung in dem angegebenen Dosisrahmen (50 bis 200 mg Sertralin/Tag) je nach den klinischen Notwendigkeiten wählen. Wenn der psychische Befund des Patienten sich verschlechterte, konnte die Dosis auf die Maximaldosis erhöht werden. Wenn das nicht ausreichend wirksam war, fiel der Patient aus der Studie heraus.

457 Patienten wurden in die offene Behandlungsphase eingeschlossen, 295 Patienten wurden unter Doppelblindbedingungen behandelt und 144 der Patienten schlossen diese Phase ab.

Die mittlere wöchentliche Dosis während der doppelblinden Behandlungsphase entsprach für Sertralin zwischen 69 und 82 mg täglich. 67% der Patienten in der Sertralin- und 65% in der Plazebo-Gruppe erhielten Komedikationen, meist im Sinn einer Schlafmedikation mit Benzodiazepinen.

Während der doppelblinden Behandlungsphase brachen 14 der 185 Sertralin-Patienten (7,6%) die Therapie wegen Ineffektivität ab, in der Plazebo-Gruppe 45 von 110 Patienten (41%).

Als Rezidiv wurde gewertet, wenn ein Patient von der CGI-Schweregradkategorie „nicht krank“ (Score 1, 2 oder 3) in die Kategorie „krank“ (Score 4, 5, 6, 7) überging. Unter Verwendung dieser Definition gab es in der Sertralin-Gruppe bei 13% der Patienten ein Rezidiv, in der Plazebo-Gruppe bei 46% der Patienten (Tab. 4). Dieser Unterschied ist hoch signifikant.

Tab. 4. Anzahl Patienten, die in der Doppelblindphase in Woche 44 unter Sertralin oder Plazebo ein Rezidiv aufwiesen (Last Observation Carried Forward): (a) bei allen Patienten, (b) bei Patienten mit einem durchschnittlichen HAMD-Score <10 am Anfang der Doppelblindphase und (c) bei Patienten mit einem durchschnittlichen HAMD-Score >10 am Anfang der Doppelblindphase [aus 5]

Sertralin [n (%)]

Plazebo [n (%)]

(a) Alle Patienten

Rezidiv

24 (13,0)

48 (45,7)

p<0,001

Kein Rezidiv

160

57

(b) HAMD <10

Rezidiv

10 (18,8)

23 (39,7)

p<0,001

Kein Rezidiv

103

35

(c) HAMD >10

Rezidiv

14 (20)

25 (66,8)

p<0,001

Kein Rezidiv

56

19

Rezidiv wird definiert als Wiederauftreten der Erkrankung während der Langzeitstudie oder Fortbestehen der Erkrankung während der Studie, aber nicht unbedingt Studienabbruch

Eine ergänzende Analyse zeigte, dass der HAMD-Score bei Beginn der doppelblinden Behandlungsphase, kategorisiert in einen HAMD-Score unter 10 und über 10, für die Häufigkeit von Rezidiven in der Sertralin-Gruppe keine wesentliche prädiktive Bedeutung hatte, sehr wohl aber für die Plazebo-Gruppe, und zwar in dem Sinn, dass die Patienten mit einem HAMD-Score über 10 wesentlich häufiger Rezidive hatten und dadurch der Unterschied in den Rezidiven zwischen Sertralin und Plazebo in dieser Subgruppe noch ausgeprägter war.

Die Kaplan-Meier-Analyse der Rezidive zeigte ebenfalls die überlegene Wirksamkeit der Sertralin-Behandlung (Abb. 4). Bei genauerer Betrachtung zeigen die Kurven, dass die Plazebo-Patienten kontinuierlich während der gesamten Laufzeit der Studie durch Rückfall aus der Studie ausgeschlossen wurden (und nicht nur nach dem Umsetzen der Sertralin- in die Plazebo-Behandlung am Ende der offenen Therapiephase).

Abb. 4. Überlebensschätzungen (Patienten ohne Rezidiv) und 95%-Konfidenzintervalle [aus 5]

Die Plazebo-Verum-Differenzen sind in dieser Studie ausgeprägter als in der bereits vorgestellten Studie. Dies könnte unter anderem damit zusammenhängen, dass in die anderen Studien voll und stabil Remittierte (zweimonatige Plazebo-Behandlung) eingeschlossen wurden, während als Einschlusskriterien für diese Studie lediglich eine Besserung auf die Akutbehandlung gefordert wurde und somit das Risiko für einen Rückfall viel größer war.

In den sekundären Effizienzparametern (HAMD-, CGI-Score) zu den einzelnen Visitenzeitpunkten, insbesondere am Ende der Doppelblindphase, zeigten sich ebenfalls Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen zum Vorteil von Sertralin. Allerdings waren diese Unterschiede nicht so ausgeprägt, unter anderem bedingt dadurch, dass schon bei Studienbeginn nur ein geringer Ausprägungsgrad von psychopathologischer Symptomatik vorlag, und obendrein dadurch, dass die Woche 44 in der Regel nicht den Höhepunkt eines eventuell zwischenzeitlich stattgefundenen depressiven Rezidivs abgreift. Die Unterschiede zwischen den Patienten der Sertralin- und den Patienten der Plazebo-Gruppe in der Woche 44 kommen nur in einem geringen Maße durch eine leichte durchschnittliche Verbesserung der Sertralin-Patienten zustande, sondern vielmehr durch eine durchschnittliche Verschlechterung der Plazebo-Patienten.

Sertralin wurde insgesamt gut vertragen. Es traten die für Sertralin und andere SSRI typischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen häufiger in der Sertralin-Gruppe als in der Plazebo-Gruppe auf, wie beispielsweise Übelkeit, Verdauungsbeschwerden, Magenbeschwerden.

Während der Doppelblindphase schieden 4% der Sertralin- und 2% der Plazebo-Patienten wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen aus. In den Laborparametern ergaben sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Gleiches gilt für die Gewichtsveränderungen. In beiden Gruppen kam es zu einer Gewichtszunahme, in der Sertralin-Gruppe um etwa 1,6 kg, in der Plazebo-Gruppe um etwa 1,8 kg.

Diese schon in der frühen klinischen Entwicklungsphase von Sertralin durchgeführte Studie ist wegen der Therapiedauer von „nur“ 44 Wochen als Erhaltungstherapie-Studie zu klassifizieren, insbesondere wenn man die CHMP-Guidelines zugrunde legt, die für Rezidivprophylaxe-Studien mindestens eine Therapiedauer von einem Jahr verlangen. Sie ist vergleichbar mit anderen Erhaltungstherapie-Studien, wie sie für andere SSRI im Verlauf des letzten Jahrzehnts durchgeführt worden sind. Sie folgt im Gegensatz zu dem rezidivprophylaktischen Untersuchungsdesign der oben dargestellten Studie einem typischen Erhaltungstherapiedesign. Depressive Patienten, die im Rahmen einer achtwöchigen offenen Behandlungsphase als Responder eingestuft wurden, wurden dann randomisiert für die 44 Wochen folgende Doppelblind-Behandlungsphase auf einen Sertralin-Arm und einen Plazebo-Arm. Das heißt, in dieser Studie wurde im Gegensatz zu dem eindeutig rezidivprophylaktischen Ansatz der oben dargestellten Studie geprüft, ob bei Patienten, die auf Sertralin angesprochen haben, auch weiterhin der Therapieerfolg aufrechterhalten bleibt und Frührezidive verhindert werden können. Sowohl im Häufigkeitsvergleich der Rückfälle wie in der Survival-Analyse nach Kaplan-Meier ergaben sich klinisch relevante und statistisch hochsignifikante Unterschiede zu Gunsten von Sertralin.

Rezidivprophylaxe bei Patienten mit chronischer Major Depression oder„double depression“

In der Studie von Keller et al. [9] wurde der Fokus auf eine besonders problematische Gruppe von Patienten mit „chronic major depression“ (mindestens zweijährige Dauer der depressiven Symptomatik) oder Dysthymia mit gleichzeitiger „major depression“ (double depression) gelegt. Die Diagnose wurde gemäß DSM-III-R gestellt.

Da es sich um eine besondere Patientenselektion handelt, sind diese Daten nicht voll übertragbar auf die übliche Gesamtpopulation depressiver Patienten. Andererseits ist die Fokussierung auf dieses besonders ungünstige Spektrum depressiver Erkrankungen von großer Wichtigkeit und unterstreicht in besonderem Maß den therapeutischen Wert einer Rezidivprophylaxe [9].

Die Patienten, die in diese Studie eingeschlossen wurden, hatten nach einer einwöchigen Plazebo-Phase eine 12-wöchige Akutbehandlungsphase unter Doppelblindbedingungen durchlaufen. In dieser Akutbehandlungsphase wurde entweder mit Sertralin oder mit Imipramin (z.B. Tofranil®) behandelt (2:1-Randomisierung). Die Dosierung war flexibel gemäß den klinischen Bedürfnissen. Sertralin konnte in einer Dosierung von täglich 50 bis 200 mg gegeben werden.

Nach dieser 12-wöchigen Akutbehandlungsphase folgte eine viermonatige „continuation phase“ für die Patienten, die entweder eine Vollremission (HAMDGesamtscore <7 und einen CGI-Besserungsscore von 1 oder 2) oder die ein befriedigendes Ansprechen erreicht hatten (50% Reduktion des HAMD-Eingangsscores und ein Score bei Therapieende von 15 oder weniger sowie ein CGI-Besserungsscore von 2 oder weniger und einen CGI-Schweregradscore von 3 oder weniger).

Von den Patienten, die mit Sertralin in der Akutphase behandelt wurden (n=426), beendeten 209 (49%) die 12-wöchige Behandlungsphase und erfüllten das Kriterium „full remission response“ oder „satisfactory response“. Diese 209 Patienten wurden dann in der viermonatigen „continuation phase“ weiter behandelt. Von diesen 209 Patienten konnten am Ende dieser Phase 169 in die doppelblinde rezidivprophylaktische Therapiephase überführt werden. 77 Patienten wurden der Sertralin-Gruppe zugeordnet, 84 der Plazebo-Gruppe. Die doppelblinde rezidivprophylaktische Behandlung wurde für die Dauer von 76 Wochen durchgeführt. Die Studie wurde an insgesamt zwölf akademischen ambulanten Behandlungszentren durchgeführt.

Die Rezidivrate wurde als Haupteffizienzkriterium untersucht. Das Rezidiv wurde anhand mehrerer Kriterien definiert:

Vorliegen der DSM-III-R-Kriterien für Major Depression für wenigstens vier Wochen,

CGI-Schweregradscores von 4 und mehr,

CGI-Besserungsscore von 3 oder mehr und

Anstieg des HAMD-Scores um 4 Punkte.

Zusätzlich wurden noch zwei weitere nicht so stringente Endpunkte, die einen deutlichen Behandlungsbezug aufwiesen, ex post festgelegt, unter anderem Auftreten klinisch signifikanter depressiver Symptomatik sowie Auftreten erster Symptome einer Depression.

Sowohl in den Haupteffizienzkritierien wie auch in den beiden zusätzlichen zeigte sich ein deutlicher und statistisch hochsignifikanter Vorteil für Sertralin (Tab. 5). So betrug im Haupteffizienzkriterium (Rezidiv im engeren Sinne) die Rezidivrate in der Sertralin-Gruppe 6%, in der Plazebo-Gruppe 23%. Selbst bei dieser auf Grund ihrer Krankheitsvorgeschichte eher ungünstig einzuschätzenden Patientenstichprobe konnte der rezidivprophylaktische Effekt von Sertralin belegt werden.

Tab. 5. Häufigkeit von Major Depression während Erhaltungstherapie* [aus 9]

Sertralin
(n=77)

Plazebo
(n=84)

Log-Rank p+

Rezidiv gemäß strengen Kriterien des Studienprotokolls [n (%)]

5 (6)

19 (23)

0,002

Erneutes Auftreten der Depression
(Beurteilung durch Konsens) [n (%)]

20 (26)

42 (50)

0,001

Erste Symptome eines Wiederauftretens der Depression (Beurteilung durch Konsens) [n (%)]

26 (34)

50 (60)

0,001

* Prozentzahlen basieren auf der Anzahl der Patienten, die zu jeder Behandlung randomisiert wurden. + p-Werte basieren auf Log-Rank-Tests für Vergleiche der Fehler-Verteilung für die Zeit-bis-zum-Ereignis-Daten, stratifiziert für Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs

Insgesamt wurde Sertralin gut vertragen. Die Auflistung der unerwünschten Arzneimittelwirkungen zeigt ein für SSRI typisches Profil, wobei die einzelnen Begleitwirkungen eine relativ geringe Häufigkeit hatten.

In einer weiteren Analyse [10] von Studiendaten aus dieser Untersuchung wurden verschiedene Aspekte sozialer Funktionen und Lebensqualität untersucht. Ohne im Detail darauf einzugehen, kann zusammenfassend gesagt werden, dass in der Gruppe der Plazebo-Patienten im Vergleich zu der Gruppe der Sertralin-Patienten eine Verschlechterung des psychosozialen Funktionsniveaus stattfand, meist zusammenhängend mit Rezidiven der Erkrankung und einem Wiederauftreten depressiver Symptomatik.

Zusammenfassung

Fasst man die Wirksamkeitsergebnisse aller drei Studien zusammen, so ergibt sich ein eindeutiges und in allen Studien konsistentes Ergebnis:

Die Langzeitbehandlung mit Sertralin kann die im Rahmen einer Akutbehandlung mit Sertralin erreichte Response oder Remission klinisch relevant und im Vergleich zu Plazebo statistisch hochsignifikant besser sichern und stabilisieren.

Bei Patienten, die voll und selbst unter Plazebo stabil über einen längeren Zeitraum remittiert waren, kann das Risiko des Wiederauftretens neuer depressiver Phasen der Erkrankung durch Sertralin im Vergleich zu Plazebo erheblich besser und statistisch hochsignifikant reduziert werden.

Insgesamt zeigte Sertralin in den drei erwähnten Studien, wie auch aus den Phase-III- und Phase-IV-Studien zur Akutbehandlung der Depression bekannt, ein sehr gutes Verträglichkeitsprofil. Im Wesentlichen traten die für die Klasse der SSRI typischen unerwünschten Begleitwirkungen auf. Andere, über dieses Spektrum hinausgehende unerwünschte Begleitwirkungen, insbesondere gravierender Art, waren auch unter den Langzeitbedingungen dieser drei Studien nicht aufgetreten. Auch unter dem Aspekt von Suizidalität erscheint Sertralin sicher und unbedenklich, und zwar in doppelter Hinsicht: Es gibt keine Hinweise für die Induktion von Suizidalität durch Sertralin. Wenn Sertralin im Rahmen einer suizidalen Handlung in Überdosis eingenommen wird ist es viel sicherer als beispielsweise klassische Trizyklika. Manien wurden nicht induziert.

Verträglichkeit ist gerade unter Langzeittherapiebedingungen von großer Wichtigkeit, nicht nur, um so weit wie möglich die Compliance der Patienten zu erhalten, sondern auch um gravierende Beeinträchtigungen des Patienten und damit eine Reduktion seiner Lebensqualität zu vermeiden, schlussendlich natürlich auch um medizinische Risiken schwerer Art, wie sie von den Trizyklika, insbesondere im Falle von Intoxikation bekannt sind (z.B. Kardiotoxizität), auszuschließen.

Die Ergebnisse zur Wirksamkeit sind eindeutig, klinisch relevant und in allen drei Studien konsistent. Dem klinischen Nutzen steht wegen der sehr guten Verträglichkeit von Sertralin ein außerordentlich geringes Risiko gegenüber. Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das Kosten-Nutzen-Risiko sehr günstig ist.

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Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller, Psychiatrische Klinik und Poliklinik der LMU, Nussbaumstraße 7, 80336 München, E-Mail: Hans-Juergen.Moeller@med.uni-muenchen.de

Sertraline in the maintenance therapy and relapse prevention of unipolar depressive diseases

Unipolar depression is a relapsing disorder which normally requires relapse prophylactic treatment. Thanks to their good tolerability, selective serotonin reuptake inhibitors are a good choice for maintenance and long-term treatment to prevent relapse, although data are not available on the efficacy and tolerability of all substances. Subsequent to a discussion of the methodological aspects relevant for the performance of relapse prophylactic studies in unipolar depressive patients, the results of three relapse prophylactic studies with sertraline are presented. These results allow the conclusion to be drawn that sertraline shows good efficacy and tolerability in maintenance and long-term treatment to prevent relapse.

Keywords: Unipolar depression, relapse prevention, maintenance therapy, sertraline

Psychopharmakotherapie 2006; 13(01)