Dr. Barbara Kreutzkamp, München, Dr. med. Michael Riedel, München
Viele Patienten mit einer schweren Demenz entwickeln eine (behandlungsbedürftige) Agitation. In der Regel werden dann – häufig über einen längeren Zeitraum – Antipsychotika gegeben. Der erwünschte dämpfende Effekt ist bei diesen Patienten allenfalls in moderater Ausprägung vorhanden, wird aber häufig von relevanten Nebenwirkungen begleitet. In einer Beobachtungsstudie beispielsweise verschlechterten sich die kognitiven Fähigkeiten von Demenz-Patienten unter der Einnahme von klassischen Antipsychotika. Außerdem stehen die Atypika Risperidon (Risperdal®) und Olanzapin (Zyprexa®) im Verdacht, Schlaganfälle auszulösen. Klinische Studien mit anderen Atypika bei Demenz-Kranken fehlen bisher, ein publizierter Abstract weist auf einen therapeutischen Effekt von Quetiapin (Seroquel®) bei agitierten Demenz-Patienten hin. Auch Acetylcholinesterasehemmer können möglicherweise Agitationen bei den verwirrten Patienten verhindern.
Diese beiden positiven Berichte waren Anlass für eine randomisierte, doppelblinde Plazebo-kontrollierte Studie mit 93 in Heimen untergebrachten Patienten mit einer meist schweren Demenz und einer seit mindestens 6 Wochen bestehenden klinisch relevanten Agitation. Die Patienten erhielten entweder über mindestens 6 Wochen
Quetiapin plus ein Rivastigmin-Plazebo oder
ein Quetiapin-Plazebo plus Rivastigmin (Exelon®) oder
ausschließlich Plazebo (Double-Dummy-Verfahren).
Die Zieldosierungen lagen bei 25–50 mg Quetiapin zweimal täglich und 3–6 mg Rivastigmin zweimal täglich in Woche 12 und 50 mg Quetiapin und mehr als 9 mg Rivastigmin jeweils zweimal täglich zwischen Woche 12 und 26.
Die Agitation wurde anhand des Cohen-Mansfield Agitation Inventory (CMAI) und die kognitiven Fähigkeiten anhand der Severe Impairment Battery (SIB) zu Behandlungsbeginn sowie nach 6 und 26 Wochen gemessen. Jeder Gruppe wurden 31 Patienten zugeteilt; tatsächlich begonnen wurde die Behandlung im Rivastigmin-Arm bei 25 Patienten, im Quetiapin-Arm bei 26 und im Plazebo-Arm bei 29 Patienten. Rund 90% der Patienten in jeder Gruppe tolerierten die maximal vorgesehene Dosierung.
Beim primären Studienendpunkt, der Agitation nach 6 Wochen, ergab sich kein Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen, ebenso wenig nach 26 Wochen.
56 der 93 Patienten hatten bei der Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten zu Studienbeginn einen Wert von mehr als 10 in der Severe Impairment Battery (Tab. 1), 46 (82%) von ihnen konnten nach 6 Wochen noch einmal getestet werden, 49 nach 26 Wochen. Es zeigte sich eine deutliche Verschlechterung unter der Quetiapin-Behandlung (Tab. 1). Die Werte in dem Kognitionstest waren bei den Quetiapin-behandelten Patienten nach 6 Wochen durchschnittlich um 14,6 Punkte niedriger als in der Plazebo-Gruppe (p=0,009) und in Woche 26 um 15,4 Punkte niedriger (p=0,01). Die durchschnittlichen Veränderungen unter Rivastigmin gegenüber Plazebo betrugen nach 6 Wochen –3,5 Punkte (p=0,5) und nach 26 Wochen –7,5 Punkte (p=0,3).
Tab. 1. Ergebnisse zur kognitiven Funktion (Severe Impairment Battery [SIB; max. 100 Punkte bei guter kognitiver Funktion]); in Klammern Zahl der evaluierten Patienten
Rivastigmin |
Quetiapin |
Plazebo |
|
SIB-Score zu Beginn |
65,1 (n=20) |
66,6 (n=17) |
71,6 (n=19) |
Veränderung des SIB-Scores nach 6 Wochen vs. Beginn |
+1,8 (n=14) |
–10,5 (n=14) |
+3,2 (n=18) |
Veränderung des SIB-Scores nach 26 Wochen vs. Beginn |
–3,1 (n=15) |
–11,3 (n=15) |
+3,3 (n=19) |
Verglichen mit Plazebo kam es damit unter Quetiapin zu keiner Verbesserung der Agitation, jedoch zu einer deutlichen Verschlechterung der kognitiven Funktionen. Dieses Ergebnis stimmt mit den Resultaten anderer Studien überein. Als Mechanismus wird eine Suppression des Brain-derived neurotrophic Factor (BDNF) diskutiert, wodurch sich vermehrt Alzheimer-typische pathologische Substanzen in den Neuronen anhäufen können. Möglicherweise ist die Kognitions-Verschlechterung teilweise auch auf die antimuscarinergen Effekte von Quetiapin zurückzuführen. Die in Studien an Schizophrenie-Patienten beschriebenen Kognitions-verbessernden Effekte von Quetiapin stehen zu diesen Ergebnissen nicht im Widerspruch, da die Verschlechterung kognitiver Fähigkeiten bei Patienten mit Psychosen auf anderen Pathomechanismen als bei Patienten mit Alzheimer-Demenz beruht.
Quelle
Ballard C, et al. Quetiapine and rivastigmine and cognitive decline in Alzheimer’s disease: randomised double blind placebo controlled trial. BMJ 2005;330:874–7.
Kommentar
Die Ergebnisse der Studie sind sehr kritisch zu hinterfragen. Zum einen ist das Studiendesign diskussionswürdig, da Patienten von der Studienteilnahme ausgeschlossen wurden, die in der Vorgeschichte auf die Gabe von Rivastigmin oder Antipsychotika angesprochen hatten. Es ist deshalb mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass hier eine Negativselektion stattfand, das heißt, es wurden bewusst Patienten in die Studie aufgenommen, von denen schon im Vorfeld bekannt war, dass sie nicht oder nur unzureichend auf Cholinesterasehemmer oder Antipsychotika respondierten. Zum anderen ist die Interpretation der Ergebnisse auf Grund der geringen Fallzahl schwierig. Nur für 14 Patienten des Quetiapin-Studienarms lagen Testergebnisse zur Kognition vor. Diese Testergebnisse wiesen zudem eine weite Streuung auf. Ferner stehen die Ergebnisse dieser Studie im Gegensatz zu denen, die beispielsweise von Zhong et al. (2004) publiziert wurden: Dort wirkte sich Quetiapin bei 219 Studienteilnehmern nicht nachteilig auf die Kognition aus.
Psychopharmakotherapie 2006; 13(01)