Dr. Thomas Meißner, Erfurt
Esketamin Nasenspray (Spravato®) ist seit März 2023 auch für die ambulante Behandlung erwachsener Patienten mit therapieresistenter Major Depression (TRD) zugelassen, und zwar in Kombination mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI). Als therapieresistent gelten jene Patienten mit mittelgradiger bis schwerer depressiver Episode, die auf mindestens zwei unterschiedliche Therapien nicht angesprochen haben. Bislang konnten sie lediglich im stationären Bereich mit dem neuen Arzneimittel behandelt werden [2].
Bereits seit Ende 2019 ist Esketamin-Nasenspray in der Europäischen Union bei Erwachsenen mit TRD zugelassen, 2021 kam die Zulassung zur akuten Kurzzeitbehandlung zur raschen Verringerung depressiver Symptome, die nach klinischem Ermessen einen psychiatrischen Notfall darstellen, hinzu [2]. 2022 wurde Esketamin-Nasenspray in die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) „Unipolare Depression“ (Version 3.0) aufgenommen [5]. „Ich freue mich sehr, diese Therapiemöglichkeit nun auch für meine Patienten im ambulanten Bereich zur Verfügung zu haben“, erklärte Prof. Dr. Andreas Reif von der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main bei einer Pressekonferenz. Der neue pharmakologische Wirkansatz sei eine Chance für viele schwer betroffene TRD-Patienten, für die es bislang nur wenig Behandlungsoptionen gebe.
Langzeitdaten aus Head-to-Head-Studie
Reif verwies auf aktuelle Daten der Head-to-Head-Studie ESCAPE-TRD, der ersten randomisierten Studie, in der Esketamin-Nasenspray direkt mit dem atypischen Antipsychotikum Quetiapin – jeweils in Kombination mit einem SSRI/SNRI – über insgesamt 32 Wochen verglichen worden war [4] (Tab. 1).
Tab. 1. Studiendesign von ESCAPE-TRD
Erkrankung |
Therapieresistente Depression (TRD) |
Studienziel |
Remission und langfristiger Remissionserhalt |
Studientyp/-phase |
Head-to-Head-Studie/Phase IIIb |
Studiendesign |
Multizentrisch, offen, randomisiert, aktiv kontrolliert, |
Patienten |
676 |
Intervention |
|
Dosierungen |
|
Primärer Endpunkt |
Remissionsrate in Woche 8 (MADRS ≤ 10) |
Sekundärer Endpunkt |
Remission in Woche 8 und Rezidiv-freier Remissionserhalt bis Woche 32 |
Sponsor |
Janssen-Cilag International NV |
Studienregisternummer |
NCT04338321 (ClinicalTrials.gov) |
MADRS: Montgomery-Asberg Depression Rating Scale; NS: Nasenspray; SSRI: selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehmmer; SNRI: Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer; XR: extended release
In der Phase-IIIb-Studie mit 676 Patienten mit TRD war nachgewiesen worden, dass mit dem in der Psychiatrie neuen pharmakologischen Wirkprinzip innerhalb von acht Wochen signifikant häufiger eine Remission erreicht werden kann als mit der Vergleichssubstanz. Jene Patienten, die in Remission kamen, blieben zum größten Teil auch langfristig rezidivfrei.
So erreichten 27,1 % der mit Esketamin-Nasenspray behandelten Patienten in Woche 8 die Remission im Vergleich zu 17,6 % im Kontrollarm der Studie. Dies entspricht einer um 74 % größeren Wahrscheinlichkeit, die Remission bis Woche 8 zu erreichen (p = 0,003). Als Remission definiert war das relativ strenge Kriterium des Erreichens eines MADRS(Montgomery-Asberg depression rating scale)-Scores von ≤ 10. Insgesamt 21,7 % der mit Esketamin-Nasenspray behandelten Patienten, waren in Woche 8 in Remission und blieben rückfallfrei bis Woche 32, im Kontrollarm waren es 14,1 % (p = 0,008). Insgesamt 80 % jener Patienten, die bis Woche 8 die Remission erreichten, blieben auch bis Woche 32 rückfallfrei [4]. Es kann sich also lohnen, nach Erreichen der Remission mit Esketamin-Nasenspray weiter zu behandeln.
Nach 32 Wochen jeder Zweite in Remission
Außerdem kann selbst bei zunächst ausbleibender vollständiger Besserung und Fortsetzung der Behandlung über Woche 8 hinaus noch bei vielen Patienten mit einer Remission gerechnet werden. So erreichten in ESCAPE-TRD insgesamt 55 % der Patienten im Esketamin-Nasenspray-Arm bis Woche 32 die Remission im Vergleich zu 37 % im Quetiapin-Arm (p < 0,001). Dabei erwies sich Esketamin-Nasenspray bereits ab Woche 2 gegenüber der Quetiapin-Behandlung hinsichtlich des Ansprechens und der Remission als überlegen. Dies entspricht dem auch in vorangegangenen Studien beobachteten raschen Wirkungseintritt [4].
Esketamin-Nasenspray ist bislang in sechs klinischen Studien bei mehr als 2100 erwachsenen Patienten mit TRD geprüft worden. In ESCAPE-TRD wurden im Vergleich zu vorangegangenen Untersuchungen keine neuen Sicherheitssignale registriert. Häufige Nebenwirkungen sind Schwindel, Dissoziation, Übelkeit und Kopfschmerzen, die innerhalb kurzer Zeit verschwinden [4].
Esketamin ist ein Antagonist des NMDA(N-Methyl-D-aspartat)-Glutamatrezeptors. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Substanz die bei Depression beeinträchtigte Neuroplastizität verbessert, indem vermehrt neuronale Wachstumsfaktoren (BDNF [Brain-derived neurotrophic factor]) freigesetzt werden. Dies stößt womöglich neuronale Neuverknüpfungen an und verbessert die synaptische Funktionalität [1, 3].
Quelle
Dipl.-Med. Ralf Bodenschatz, Mittweida, Prof. Dr. med. Andreas Reif, Frankfurt/M., Pressekonferenz „Esketamin Nasenspray (SPRAVATO®) – Update 2023: Verfügbarkeit in der ambulanten Behandlung und aktuelle Evidenz für die therapieresistente Depression“, 9. März 2023 (online), veranstaltet von Janssen-Cilag GmbH.
Literatur
1. Duman RS. Ketamine and rapid-acting antidepressants: a new era in the battle against depression and suicide. F1000Res.2018;7:F1000 Faculty Rev-659.
2. Fachinformation Spravato®.
3. Qiao H, et al. Dendritic spines in depression: What we learned from animal models. Neural Plast 2026;2016: 8 056 370.
4. Reif A, et al. DGPPN-Kongress 2022; Poster P-01–04.
5. S3-Leitlinie Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Despression, AWMF-Register-Nr. nvl-005 (Zugriff am 08.05.2023).
Psychopharmakotherapie 2023; 30(03):100-105