Desvenlafaxin


Hans-Peter Volz, Würzburg

Desvenlafaxin ist ein selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), dessen Affinität für den Serotonin- bzw. Noradrenalin-Transporter etwas ausgeglichener ist als bei Venlafaxin. Die Substanz wird über das Cytochrom-P450-(CYP-)Isoenzymsystem kaum verstoffwechselt, im Gegensatz zu Venlafaxin, sodass keine Dosisanpassung bei CYP2D6-Poor- oder Ultrarapid-Metabolizern vorgenommen werden muss.
Die Wirksamkeit zeigt keine Dosisabhängigkeit im Bereich von 50 bis 400 mg/Tag, wohl aber eine Zunahme der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), sodass die empfohlene Dosis 50 bzw. 100 mg/Tag ist. Zwischen Venlafaxin und Desvenlafaxin konnten (in indirekten Metaanalysen) keine Wirksamkeitsunterschiede gezeigt werden. Die Wirksamkeit in der Erhaltungstherapie ist Placebo überlegen. Die Substanz weist ähnliche Nebenwirkungen wie Venlafaxin auf, tendenziell zeigen sich aber Verträglichkeitsvorteile im Vergleich zu Venlafaxin bei gastrointestinalen UAW.
Insofern steht ein weiterer SNRI mit einer geringeren Interaktionslast und tendenziell besserer Verträglichkeit im Vergleich zu Venlafaxin nun auch in Deutschland zur Verfügung.
Schlüsselwörter: Selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), Desvenlafaxin, Pharmakologie, Wirksamkeit, Verträglichkeit
Psychopharmakotherapie 2023;30:82–7.

Desmethyl-Venlafaxin (Desvenlafaxin) ist der pharmakodynamisch aktive Metabolit von Venlafaxin (Strukturformeln Abb. 1) und gehört zu den selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI). Im Körper entsteht Desvenlafaxin durch die Metabolisierung von Venlafaxin mittels CYP2D6 und in geringem Umfang über CYP2C19 (Abb. 2). Diese Substanz ist 2008 von der FDA in den USA für die Behandlung der Majoren Depression zugelassen worden, seit einiger Zeit steht sie auch in Deutschland in derselben Indikation zur Verfügung. In der folgenden Übersicht sollen die wichtigsten pharmakologischen und klinischen Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit dargestellt werden.

Abb. 1. Strukturformeln von Venlafaxin und Desvenlafaxin.

Abb. 2. Metabolismus von Venlafaxin und Desvenlafaxin (nach [https://www.pharmgkb.org/pathway/PA166014758]; Zugriff am 01.03.2023) ABCB1: P-Glykoprotein (P-gp); SLC6A2: Noradrenalin-Transporter; SLC6A4: Serotonin-Transporter (Solute Carrier Family 6 Member 4 gene)

Pharmakologie

Pharmakodynamik

Desvenlafaxin hemmt den Serotonin- und Noradrenalin-Transporter in der Präsynapse; hierdurch wird die Konzentration von Serotonin und (in geringerem Umfang, s. u.) von Noradrenalin im synaptischen Spalt erhöht. Die Affinität für den Serotonin-Transporter ist circa 11-mal höher als für den Noradrenalin-Transporter [9]; für Duloxetin beträgt dieses Verhältnis 9 und für Venlafaxin 30 [11]. Verglichen mit der Muttersubstanz Venlafaxin ist die Affinität von Desvenlafaxin zum Noradrenalin-Transporter höher, zum Serotonin-Transporter niedriger, sodass der Selektivitätsquotient aus der Affinität zum Serotonin-Transporter und der Affinität zum Noradrenalin-Tranporter sich jenem von Duloxetin annähert [3, 9, 14]. Diese Daten beruhen auf In-vitro-Untersuchungen mit unterschiedlichen Assays, müssen also mit der notwendigen Vorsicht interpretiert werden. Die Substanz bindet nicht oder nicht relevant an muskarinerge, cholinerge, H1-histaminerge oder alpha-1-adrenerge Rezeptoren, sodass Nebenwirkungen, die über die Blockade dieser Rezeptoren ausgelöst werden können, nicht zu erwarten sind [9].

Tabelle 1 zeigt einen Vergleich der wichtigsten Parameter zwischen Desvenlafaxin und Duloxetin.

Tab. 1. Vergleich pharmakologischer Daten von Duloxetin und Desvenlafaxin (modifiziert nach [28])

Desvenlafaxin

Duloxetin

Zugelassene Indikationen in Deutschland

Depression

Depression, Generalisierte Angststörung, Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie

Dosierungen

50 bis 200 mg

30 mg, 60 mg

Empfohlene Dosis bei Depressionen

50 mg/Tag

60 mg/Tag

Gabe/Tag

Einmal täglich

Einmal täglich

tmax [h]

7,5

6

Verteilungsvolumen [l/kg]

3,4

1640

t1/2 [h]

11

12

Zeit bis zum Steady State [Tage]

4–5

3

Bioverfügbarkeit [%]

80

50

Plasma-Protein-Bindung [%]

30 (unabhängig von der Desvenlafaxin-Plasma-Konzentration)

> 90

CYP450-System

Metabolisiert über CYP3A4, Beteiligung des CYP 2D6-Wegs

v. a. über CYP 2D6 und CYP1A2 metabolisiert; CPY 2D6 wird moderat durch die Substanz gehemmt

Einfluss gleichzeitiger Nahrungsaufnahme

Kein Einfluss

Kein Einfluss

t½: Halbwertszeit; tmax: mittlere Zeit bis zur maximalen Plasmakonzentration

Pharmakokinetik

Desvenlafaxin wird kaum über das CYP450-Isoenzymsystem abgebaut und zeigt keine oder nur minimale Interaktionen mit CYP2D6-Substraten [30]. Die Substanz ist zwar ein Substrat von CYP3A4, der primäre Eliminationsweg ist aber die direkte Konjugation durch die Glucuronyltransferasen UGT1A1, 1A3, 2B4 und 2B15 [13] (Abb. 2). Aus diesem Grund gibt es auch wenig Interaktionen mit CYP3A4-Inhibitoren, wobei allerdings CYP3A4-Induktoren in geringem Ausmaß den Desvenlafaxin-Spiegel erniedrigen können. Evidenzen liegen vor, dass die Plasmakonzentration von Desvenlafaxin kaum vom genetischen Polymorphismus von CYP2D6 abhängt [30, 24, 26], also bei Poor und Ultrarapid Metabolizern von CYP2D6 in unveränderter Dosis gegeben werden kann; hingegen ist nach Gabe von Venlafaxin bei CYP2D6-Poor-Metabolizern die Plasma-Konzentration von Venlafaxin höher, jene von Desvenlafaxin niedriger als bei Extensive Metabolizern. Desvenlafaxin ist weder ein Substrat, noch ein Hemmer des P-Glykoprotein-Transporters (P-gp) [21], was bedeutet, dass die Pharmakokinetik von Desvenlafaxin weder von P-gp-Inhibitoren beeinflusst wird, noch dass Desvenlafaxin den Metabolismus von P-gp-Substraten beeinflusst [21]. Venlafaxin ist dagegen ein P-gp-Induktor [1] (Abb. 2).

Somit zeigt sich, dass Desvenlafaxin in Bezug auf CYP450-Isoenzyme und P-gp weitgehend inert ist.

Die Dosis-Plasma-Beziehung von Desvenlafaxin ist linear, die Halbwertszeit beträgt ungefähr 11 Stunden, ein Steady-State wird nach vier bis fünf Tagen erreicht [26]. Die Aufnahme der Substanz ist unabhängig von gleichzeitiger Nahrungsmittelaufnahme [25]. Für Patienten mit leichteren Formen der Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung notwendig, bei moderater renaler Insuffizienz (24 h CrCl [Creatinin-Clearance] 30–50 ml/min) sollte die Dosis auf 50 mg/Tag begrenzt werden, während Patienten mit schwerer renaler Insuffizienz (24 h CrCl < 30 ml/min) nicht mehr als 50 mg jeden zweiten Tag einnehmen sollten. Bei schwereren Formen der Leberinsuffizienz sollten nicht mehr als 100 mg/Tag eingenommen werden [33]. In der Fachinformation findet sich hier eine weniger strikte Empfehlung: bis 200 mg/Tag sei keine Dosisanpassung notwendig [23].

Klinische Wirksamkeit

Die Effektivität und Verträglichkeit von Desvenlafaxin wurden in einer Reihe von Kurzzeitstudien (acht Wochen) untersucht, die randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert mit fixen [2, 10, 20, 32] und flexiblen [12, 18, 19] Dosen durchgeführt wurden. Der Hauptwirksamkeitsparameter war die 17-Item-Hamilton-Depressionsskala (HAMD17). In den Studien mit fixen Dosen wurden Desvenlafaxin-Dosen von 50, 100, 200 und 400 mg/Tag untersucht. Insgesamt zeigte sich eine Überlegenheit über Placebo; allerdings waren die Ergebnisse uneinheitlich, wobei die höheren Dosen nicht effektiver waren als die 50-mg/Tag-Dosis. In den Studien mit flexiblen Dosen konnte keine Überlegenheit von Desvenlafaxin über Placebo nachgewiesen werden.

Alle Studienergebnisse, die im Studienpaket zur FDA-Zulassung berücksichtig waren, wurden einer gepoolten Metaanalyse unterzogen [34]. Es zeigte sich eine Überlegenheit von Desvenlafaxin (n = 1805) über Placebo (n = 1108): Die Abnahme des HAMD17-Gesamtwerts betrug in der Venlafaxin-Gruppe 11,2, in der Placebo-Gruppe 9,4. Dies ist zwar ein statistisch signifikanter Unterschied, ob diese Differenz von 1,8 Punkten im Gesamtwert der HAMD17 aber klinisch relevant ist, soll später in der Diskussion etwas näher betrachtet werden. Die Ergebnisse der Response und Remission sind in Tabelle 2 dargestellt. Da die höheren Dosen keine bessere Wirksamkeit zeigten, ist die empfohlene Tagesdosis 50 oder 100 mg. Es liegen allerdings keine Daten vor, die darüber Aufschluss geben, ob nach einer Non- oder Teil-Response auf eine niedrige Desvenlafaxin-Dosis eine Dosiserhöhung wirksam ist; auch fehlen systematische Daten zur Korrelation der Wirksamkeit mit dem Desvenlafaxin-Blutspiegel.

Tab. 2. Übersicht über die Response- (≥ 50 % Abnahme des HAMD17-Werts im Vergleich Ausgangs- zu Endwert) und Remissionsraten (HAMD17 < 7) in der Pooled-Analyse von Thase et al. [35]

Response [%]

Remission [%]

50 mg Desvenlafaxin

60

30

100 mg Desvenlafaxin

56

36

200 mg Desvenlafaxin

52

33

400 mg Desvenlafaxin

51

32

Desvenlafaxin gesamt

53

32

Placebo

41

23

Carrasco et al. [4] schlossen in ihre Metaanalyse neun Placebo-kontrollierte Akutstudien mit fixen Dosen von 50 und 100 mg/Tag ein. Insgesamt konnten so 4279 Patienten für die Effektivitätsauswertungen berücksichtigt werden. Die Hauptergebnisse sind in Abbildung 3 und Abbildung 4 dargestellt. Wiederum zeigt sich, dass nahezu keine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht, weder, was die Reduktion der depressiven Symptomatik (HAMD17) noch die Response- oder Remissionsrate betrifft.

Abb. 3. Mittelwertsveränderungen in Studien mit fixen Dosierungen (50 und 100 mg Desvenlafaxin/Tag) im Vergleich zu Placebo; a) gesamte Änderung im Vergleich zum Ausgangswert (LOCF[last observation carried forward]-Analyse); b) im Verlauf (MMRM [mixed effects model for repeated measures]) (nach [4]); HAMD17: Hamilton Depression Score, 17 items

Abb. 4. Response und Remission unter 50 und 100 mg Tagesdosen von Desvenlafaxin im Vergleich zu Placebo (LOCF[Last observation carried forward]-Analyse) (nach [4]). HAMD17: Hamilton Depression Score, 17 items

Die Diskussion, ob Desvenlafaxin ebenso effektiv ist wie andere Antidepressiva, vor allem andere SNRI, ist nicht entschieden, wobei es Hinweise gibt [32], dass Desvenlafaxin schwächer wirksam sein könnte; dafür gibt es auch Belege aus der großen Netzwerk-Metaanalyse von Cipriani et al. [5], bei der Desvenlafaxin in einem Vergleich von 21 Antidepressiva auf dem 20. Platz in Bezug auf die Akutwirksamkeit lag.

Die Kernfrage in Bezug auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit ist meines Erachtens, ob Desvenlafaxin im Vergleich zu Venlafaxin effektiver und/oder besser verträglich ist. Dieser Frage sind Poitras und Visintini [29] nachgegangen. Sie analysierten systematische Reviews, die eine Aussage zur vergleichenden Effektivität zuließen. Zwei systematische Reviews [7, 17] erfassten die antidepressive Wirksamkeit. Insgesamt ließen sich hier keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen diesen beiden Substanzen nachweisen. In dieser Arbeit wurde nicht die Verträglichkeit erfasst.

Die Wirksamkeit in der Relapse-Prävention wurde mit einem konventionellen Design geprüft (offene achtwöchige Behandlung mit Desvenlafaxin [50 mg/Tag]), Responder mit einer stabilen Response für weitere 20 Wochen wurden dann randomisiert auf die Weiterbehandlung mit Desvenlafaxin oder Placebo und für sechs Monate beobachtet. Hier zeigte sich eine überlegene Relapse-Prävention von Desvenlafaxin [31]. Am Ende der sechsmonatigen, doppelblinden Behandlungsphase betrug das geschätzte Relapse-Risiko für Placebo 30,2 %, für Desvenlafaxin 14,3 %. Diese gute Wirksamkeit in der Relapse-Prävention bestätigte sich auch in einer kürzlich publizierten Meta-Netzwerkanalyse [16], in der Desvenlafaxin einen Risikoquotienten (RR) für einen Rückfall von 0,527 (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,347–0,787) im Vergleich zu Placebo zeigte. Am schlechtesten schnitt hier Sertralin (RR 0,165; 95%-KI 0,083–0,305), am besten von den in Deutschland verfügbaren Antidepressiva Milnacipran (RR 0,719; 95%-KI: 0,331–1,545) ab.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Das Auftreten dieser UAW zeigte eine Dosisabhängigkeit, was – neben dem Gesichtspunkt der niedrigen Dosis an sich – die Empfehlung, mit niedrigen Desvenlafaxin-Dosen zu behandeln, auf eine rationale Grundlage stellt.

Tab. 3. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) in den Kurzzeitstudien mit Desvenlafaxin (nach [4]), die mit einer Inzidenz > 5 % auftraten, Angaben in n (%)

UAW

Desvenlafaxin 50 mg/Tag

(n = 1727)

Desvenlafaxin 100 mg/Tag

(n = 883)

Placebo

(n = 1707)

Obstipation

114 (7)

59 (7)

59 (4)

Verminderter Appetit

90 (5)

69 (8)

39 (2)

Durchfall

138 (8)

78 (9)

121 (7)

Mundtrockenheit

191 (11)

137 (1)

127 (7)

Müdigkeit

90 (5)

58 (7)

47 (3)

Kopfschmerzen

245 (14)

171 (19)

228 (13)

Schwitzen

64 (4)

68 (8)

40 (2)

Schlafstörungen

104 (6)

90 (10)

66 (4)

Nasopharyngitis

82 (5)

39 (4)

81 (5)

Übelkeit

314 (18)

198 (22)

135 (8)

Benommenheit

86 (5)

67 (8)

59 (4)

Infektionen der oberen Atemwege

79 (5)

42 (5)

79 (5)

Clayton et al. [6] zeigten in einer weiteren Metaanalyse von neun Studien (vier mit flexiblen, fünf mit einem fixen Dosierungsschema) diesen Dosis-abhängigen Effekt für Abbruchraten wegen UAW allgemein und speziell für Übelkeit (Abb. 5 und Abb. 6).

Abb. 5. Abbruchraten wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) in Studien mit fixen Dosierungen von Desvenlafaxin im Vergleich zu Placebo (nach [6])

Abb. 6. Abbruchraten wegen Übelkeit in Studien mit fixen Dosierungen von Desvenlafaxin im Vergleich zu Placebo (nach [6])

In Bezug auf das differenzielle Nebenwirkungsprofil von Desvenlafaxin und Venlafaxin konnten Coleman et al. [7] mit einem indirekten Vergleich zeigen, dass zwar in Bezug auf die Gesamtinzidenz von UAW kein Unterschied zwischen Desvenlafaxin und Venlafaxin in den von ihnen eingeschlossenen Studien bestand (relatives Risiko [RR] 1,01; 95%-KI 0,96–1,06; p = 07; Risk difference [RD] –0,01, 95%-KI –0,05 bis 0,03; p = 0,59), aber ein Trend für ein geringeres Auftreten von Übelkeit (RR 0,97; 95%-KI 0,77–1,22; p = 0,80; RD –0,07; 95%-KI –0,12 bis 0,01; p = 0,02) und für Abbrecher wegen Nebenwirkungen (RR 0,86; 95%-KI 0,58 bis 1,29; p = 0,48; RD –0,04; 95%-KI –0,08 bis 0,00; p = 0,06).

Was Blutdruckeffekte betrifft, so fasst Shelton [33] zusammen, dass mit Dosen zwischen 50 und 100 mg Desvenlafaxin/Tag kaum Blutdrucksteigerungen zu gewärtigen seien (was auf eine geringe Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmung in diesem Dosisbereich hinweise), während eine mildere Blutdruckerhöhung in Dosen von 200 mg/Tag oder darüber auftreten könne [33, 35]. Bei den empfohlenen Dosen von 50 bis 100 mg/Tag sei eine regelmäßige Blutdruckkontrolle nicht notwendig.

In Bezug auf gastrointestinale Nebenwirkungen ist eine Metaanalyse von Oliva et al. [27] erwähnenswert. Hier wurden insgesamt 304 Studien eingeschlossen. In Relation zu den anderen in Deutschland verfügbaren SNRI zeigte Desvenlafaxin eine geringere Rate an Übelkeit und Erbrechen, während Obstipation und Gewichtsabnahme etwas höher ausgeprägt waren (Tab. 4). In der indirekten Metaanalyse von Coleman et al. [7] war bereits ein leichter Vorteil von Desvenlafaxin im Vergleich zu Venlafaxin für Übelkeit festgestellt worden.

Tab. 4. Gastrointestinale Nebenwirkungen (UAW) von Desvenlafaxin, Venlafaxin und Duloxetin (Daten aus [27])

UAW

Odds-Ratio (95%-KI) im Vergleich zu Placebo*

Desvenlafaxin

Venlafaxin

Duloxetin

Übelkeit und Erbrechen

3,51 (2,53–4,88)

3,52 (2,91–4,26)

4,33 (3,32–5,64)

Obstipation

3,41 (2,39–4,86)

2,45 (1,97–3,05)

2,58 (2,05–3,25)

Gewichtsabnahme

4,80 (2,49–9,25)

4,68 (3,54–6,18)

4,18 (3,13–5,58)

* für alle Werte p < 1e–5

Nach dem Absetzen von Desvenlafaxin kann es zu Absetzsyndromen kommen. Die kumulierte Datenbasis legt aber nahe, dass diese Absetzsyndrome bei einer Dosis von 50 bis 100 mg/Tag selten und milde sind; in höheren Dosen nehmen sie zu, besonders bei längerer Anwendungsdauer [15, 22, 33].

Desvenlafaxin scheint bei Überdosierung relativ sicher zu sein [8, 33]. Es zeigten sich Bewusstseinstrübungen, meist leichter Art, Bluthochdruck und Tachykardie bei einem Teil der Betroffenen. Unter 182 Patienten, die zwischen 250 und 3500 mg eingenommen hatten, trat ein Fall eines Serotonin-Syndroms auf. Auch bei Mischintoxikationen (mit anderen Arzneimitteln und/oder Alkohol) bestätigte sich dieses Bild.

Diskussion/Fazit

Mit Desvenlafaxin steht ein weiterer SNRI zur Verfügung, der im Vergleich zu dem ansonsten sehr ähnlichen Venlafaxin kaum über das CYP450-Isoenzym verstoffwechselt wird. In den klinischen Zulassungsstudien war die Überlegenheit über Placebo zwar statistisch signifikant, aber absolut war der Unterschied von zwei HAMD17-Punkten eher marginal. Dieser Befund wird allerdings durch das Ergebnis indirekter Metaanalysen im Vergleich zu Venlafaxin relativiert; hier konnten keine Effektivitätsunterschiede gefunden werden. Die Wirksamkeit in der Erhaltungstherapie ist sehr gut. Da tendenziell die Verträglichkeit etwas besser ist als unter Venlafaxin, steht nun auch in Deutschland eine sinnvolle weitere Antidepressivum-Option zur Verfügung.

Interessenkonflikterklärung

HPV gibt folgende potenziellen Interessenkonflikte an: Beraterhonorare von Lundbeck GmbH, Pifzer Pharma GmbH, Dr. Willmar-Schwabe GmbH & Co. KG, Bayer vital GmbH, Janssen-Cilag GmbH, Otsuka Pharma Deutschland, neuraxpharm GmbH, Recordati Pharma GmbH; Vortragshonorare von Lundbeck GmbH, AstraZeneca GmbH, Pfizer Pharma GmbH, Dr. Willmar-Schwabe GmbH & Co. KG, Bayer vital GmbH, Lilly Deutschland GmbH, Janssen-Cilag GmbH, Servier Deutschland GmbH, Dr. Pfleger Arzneimittel, Das Fortbildungskolleg, Medical Tribune, Holsten, derCampus GmbH; Aktien: Novartis, Roche

Literatur

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Prof. Dr. Hans-Peter Volz, Postfach 25 01 21, 97044 Würzburg, E-Mail: gutachten-volz@outlook.de

Desvenlafaxine

Des(methyl)venlafaxine is a selective serotonin and noradrenaline reuptake inhibitor (SNRI) with – compared to venlafaxine – a more balanced affinity to the serotonin resp. noradrenaline transporter. Since the compound is only minimally metabolized via the CYP450 isoenzyme system, in contrast to venlafaxine, no dose adjustment in CYP2D6 slow or ultrarapid metabolizers is necessary.

Since the efficacy is not dose dependent in a range between 50 and 400 mg/day, but adverse events (AE) show such a dose-dependency, the recommended dose is 50 and 100 mg/day. Between venlafaxine and desvenlafaxine no efficacy differences could be shown (in indirect meta-analyses). The efficacy in the maintenance therapy is good. The compound shows a similar AE-profile as venlafaxine, however with slightly less gastrointestinal AEs.

Thus, another SNRI with a reduced interaction potential in comparison and slightly improved tolerability compared to venlafaxine is now also available in Germany.

Key words: Selective serotonin and noradrenaline reuptake inhibitor (SNRI), desvenlafaxine, pharmacology, efficacy, tolerability

Psychopharmakotherapie 2023; 30(03):82-87