Schubförmige multiple Sklerose

Weniger Rezidive und Hirnläsionen durch Ublituximab im Vergleich mit Teriflunomid


Dr. Alexander Pensler, Braunschweig

Mit einem Kommentar von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Bei Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose hatte der neue monoklonale Anti-B-Zell-Antikörper Ublituximab in einer Placebo-kontrollierten Phase-II-Studie zu verringerten Rückfallraten geführt. In zwei identischen Phase-III-Studien wurde jetzt die Wirksamkeit und Sicherheit von Ublituximab im Vergleich mit dem oral eingenommenen Immunsuppresivum Teriflunomid untersucht.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch verlaufende Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems, die durch eine entzündliche Demyelinisierung der Markscheiden von Axonen des Nervensystems gekennzeichnet ist [1]. Eine MS-Behandlung erfolgt, neben hochdosierten Glucocorticoiden im akuten Schub, durch eine verlaufsmodifizierende Therapie mit Immunmodulatoren oder Immunsuppressiva. Insbesondere monoklonale Antikörper, die das B-Zell-Antigen CD20 zum Ziel haben, sind eine neuere Therapie der schubförmig verlaufenden MS [2].

Ublituximab ist ein chimärer monoklonaler Anti-CD20-Antikörper, der an ein anderes Epitop des B-Zell-Antigens bindet als die bereits therapeutisch eingesetzten Substanzen. Zudem ist bei Ublituximab die Fc-Region durch Glycoengineering verändert (Verringerung des Fucose-Anteils); daraus resultiert u. a. eine besonders ausgeprägte Fähigkeit, natürliche Killerzellen zu aktivieren.

In einer kleinen Placebo-kontrollierten Phase-II-Studie bei Patienten mit schubförmiger MS hatte Ublituximab eine rasche, nahezu vollständige und anhaltende B-Zell-Depletion erzielt. Über 48 Wochen war die Rückfallrate deutlich verringert, ebenso die Zahl der Hirnläsionen. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Ublituximab wurde nun in zwei Phase-III-Studien im Vergleich zu Teriflunomid untersucht.

Studiendesign

Im Rahmen der zwei multizentrischen, doppelblinden, im Double-Dummy-Verfahren durchgeführten Phase-III-Studien ULTIMATE I und ULTIMATE II wurden insgesamt 1094 Patienten randomisiert zwei Gruppen zugeteilt (Tab. 1). Die Teilnehmer erhielten entweder intravenös Ublituximab in einer Dosis von 150 mg an Tag 1, gefolgt von 450 mg an Tag 15 und in den Wochen 24, 48 und 72, oder einmal täglich 14 mg Teriflunomid oral.

Tab. 1. Studiendesign [nach Steinman et al. 2022]

Erkrankung

Multiple Sklerose (MS)

Studienziel

Wirksamkeit und Sicherheit von Ublituximab im Vergleich mit Teriflunomid

Studientyp

Interventionsstudie

Studiendesign

Zwei identische multizentrische, doppelblinde, Double-Dummy, randomisierte Phase-III-Studien (ULTIMATE I und ULTIMATE II)

Patienten

549 in ULTIMATE I und 545 in ULTIMATE II

Intervention

  • Ublituximab i. v., 150 mg an Tag 1, 450 mg an Tag 15 und in den Wochen 24, 48, 72; dazu täglich Placebo oral
  • Teriflunomid oral, 14 mg täglich; dazu Placebo-Infusionen nach dem Ublituximab-Dosierungsschema

Primärer Endpunkt

Annualisierte Rückfallrate der MS

Sekundäre Endpunkte

  • Gesamtzahl Gadolinium-aufnehmender Hirnläsionen in der Magnetresonanztomographie (MRT) nach 96 Wochen
  • Behinderungsprogression

Sponsor

TG Therapeutics

Studienregisternummer

NCT03277261 und NCT03277248 (ClinicalTrials.gov)

Der primäre Endpunkt war die annualisierte klinische Rückfallrate. Sekundäre Endpunkte beinhalteten unter anderem die Anzahl der Gadolinium-aufnehmenden Hirnläsionen im MRT und die Erfassung der Zunahme der Behinderung im Studienverlauf.

Studienergebnisse

Sowohl in der ULTIMATE-I- als auch in der ULTIMATE-II-Studie war die Rückfallrate unter Ublituximab ungefähr halb so hoch wie in der Teriflunomid-Gruppe (Tab. 2). Die Anzahl der Rückfälle war allerdings in beiden Gruppen relativ niedrig. Die mittlere Rate der Gadolinium-aufnehmenden Hirnläsionen war im Ublituximab-Studienarm ebenfalls deutlich niedriger als in der Teriflunomid-Gruppe.

Tab. 2. Ergebnisse der ULTIMATE-I- und -II-Studie [nach Steinman et al. 2022]

Endpunkt

Ublituximab

Teriflunomid

Statistische Auswertung

Anzahl der Rückfälle

[Vorfälle je Teilnehmer/Jahr]

0,08 (ULTIMATE I)

0,09 (ULTIMATE II)

0,19 (ULTIMATE I)

0,18 (ULTIMATE II)

ULTIMATE I: Rate-Ratio 0,41; p < 0,001

ULTIMATE II: Rate-Ratio 0,51; p = 0,002

Hirnläsionen bis Woche 96

[mittlere Anzahl je Teilnehmer]

0,02 (ULTIMATE I)

0,01 (ULTIMATE II)

0,49 (ULTIMATE I)

0,25 (ULTIMATE II)

ULTIMATE I: Rate-Ratio 0,03; p < 0,001

ULTIMATE II: Rate-Ratio 0,04; p < 0,001

Behinderungsprogression, bestätigt nach 12 Wochen (Anteil der Teilnehmer; gepoolt)

5,2 %

5,9 %

Hazard-Ratio 0,84; p = 0,51

Infusion-bezogene Reaktionen

(Anteil der Teilnehmer)

44,0 % (ULTIMATE I)

51,5 % (ULTIMATE II)

6,9 % (ULTIMATE I)

17,6 % (ULTIMATE II)

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse

(Anteil der Teilnehmer)

11,4 % (ULTIMATE I)

10,3 % (ULTIMATE II)

6,9 % (ULTIMATE I)

7,7 % (ULTIMATE II)

Schwerwiegende Infektionen (Anteil der Teilnehmer)

5,5 % (ULTIMATE I)

4,4 % (ULTIMATE II)

2,2 % (ULTIMATE I)

3,7 % (ULTIMATE II)

Die Behinderungsprogression verhielt sich in der Ublituximab-Gruppe und der Teriflunomid-Gruppe ähnlich.

Durch i. v.-Infusion hervorgerufene Reaktionen waren in der Ublituximab-Gruppe häufig. Diese Reaktionen betrafen etwa die Hälfte der Teilnehmer dieses Studienarms, waren in der Regel leicht und besserten sich mit weiteren intravenösen Gaben des Arzneistoffs.

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse einschließlich schwerer Infektionen traten in der Ublituximab-Gruppe ebenfalls deutlich gehäufter auf als in der Teriflunomid-Gruppe. Insgesamt gab es zudem drei Todesfälle unter Ublituximab-Therapie, von denen für einen ein möglicher Zusammenhang mit der Studienmedikation diskutiert wurde.

Detaillierte numerische Daten können Tabelle 2 entnommen werden.

Fazit der Studienautoren

  • Für Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose waren die annualisierte Rückfallrate und Gehirnläsionen im MRT im Ublituximab-Studienarm der ULTIMATE-I- und -II-Studien niedriger als in der Teriflunomid-Gruppe.
  • Die Verschlechterung der Behinderung war in beiden Studiengruppen ähnlich.
  • Die Ublituximab-Behandlung ging mit infusionsbezogenen Reaktionen einher.
  • Weitere Studien sind notwendig, um Aussagen zur Wirksamkeit von Ublituximab im Vergleich mit potenteren MS-Therapeutika als Teriflunomid, insbesondere mit anderen B-Zell-supprimierenden Arzneistoffen treffen zu können.

Kommentar

Für die Prophylaxe der schubförmigen MS stehen in der Zwischenzeit viele Substanzen zur Immunsuppression und Immunmodulation zur Verfügung. Generell kann davon ausgegangen werden, dass Substanzen und Therapieansätze, die etwas weniger wirksam sind, auch weniger unerwünschte Arzneimittelwirkungen haben und besser toleriert werden. In den beiden ULTIMATE-Studien wurde Teriflunomid, eine Substanz, die die Funktion von Lymphozyten hemmt, mit Ublituximab, einem Antikörper, der spezifisch CD20 in B-Lymphozyten hemmt, verglichen. In den letzten Jahren gibt es eine zunehmende wissenschaftliche Evidenz, dass monoklonale Antikörper, die sich gegen das B-Zell-Antigen CD20 richten – wie Rituximab, Ocrelizumab und Ofatumumab –, bei der schubförmigen MS hoch wirksam sind. Rituximab ist hierfür in Deutschland nicht zugelassen.

Die beiden ULTIMATE-Studien zeigen für klinisch relevante Endpunkte in MS-Studien, eine Reduktion der Schubrate und neuer Entzündungsherde in der Kernspintomographie, eine Überlegenheit von Ublituximab im Vergleich zu Teriflunomid. Erwartungsgemäß waren unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei der spezifischeren Therapie häufiger als bei Teriflunomid. Enttäuschend war die Beobachtung, dass sich für den Endpunkt, der für Patienten am relevantesten ist, nämlich eine Zunahme des Behinderungsgrads durch die MS, kein wesentlicher Unterschied fand. Im Moment ist sehr schwer einzuschätzen, welche Rolle Ublituximab bei der Prophylaxe der schubförmiger MS im Vergleich zu Ocrelizumab und Ofatumumab spielen kann.

Quelle

Steinman A, et al. Ublituximab versus teriflunomide in relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2022;387:704–14.

Literatur

1. McGinley MP, et al. Diagnosis and treatment of multiple sclerosis: A review. JAMA 2021;325:765–79.

2. Wiendl H, et al. Multiple Sclerosis Therapy Consensus Group (MSTCG): position statement on disease-modifying therapies for multiple sclerosis (white paper). SAGE 2021;14:17562864211039648.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(06):230-239