Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Myasthenia gravis geht mit belastungsabhängigen Paresen von Augenmuskeln oder Extremitätenmuskeln einher. Der Mechanismus ist eine Blockade der neuromuskulären Überleitung durch Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor. Bei Diagnosestellung erfolgt die Therapie zunächst mit Glucocorticoiden. Wenn diese nicht ausreichend wirksam sind oder auf Dauer eine zu hohe Dosis notwendig wird, erfolgt eine Immunsuppression zum Beispiel mit Azathioprin, Ciclosporin, Methotrexat oder Tacrolimus (s. Kasten). Ein wesentlicher Nachteil dieser Immunsuppressiva ist aber ihre Wirklatenz. Rituximab ist bisher eine empirisch belegte Option der dritten Wahl zur Eskalationstherapie bei refraktärer generalisierter Myasthenia gravis. Ob Rituximab bei einer neu aufgetretenen Myasthenia gravis wirkt, ist bisher unbekannt. Ziel der RINOMAX(Rituximab in new onset generalized myasthenia gravis)-Studie war daher die Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit von Rituximab im Vergleich zu Placebo als Zusatztherapie zur Standardbehandlung des frühen Stadiums einer Myasthenia gravis (MG).
Es stand in der PPT
Myasthenie – was steckt hinter den schwachen und müden Muskeln? Psychopharmakotherapie 2022;29:169–80.
Studiendesign
Die randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie wurde an sieben regionalen Kliniken in Schweden durchgeführt. Die wichtigsten Einschlusskriterien waren ein Alter von mindestens 18 Jahren, das Auftreten von generalisierten Symptomen einer MG vor höchstens zwölf Monaten und ein QMG(Quantitative myasthenia gravis)-Score von 6 oder mehr. Zu den wichtigsten Ausschlusskriterien gehörten eine rein okuläre MG, der Verdacht auf ein Thymom, eine frühere Thymektomie und eine vorherige Behandlung mit Nicht-Glucocorticoid-Immunsuppressiva oder hochdosierten Glucocorticoiden. Die Teilnehmer wurden im Verhältnis 1 : 1 auf eine einzelne intravenöse Infusion von 500 mg Rituximab oder ein entsprechendes Placebo randomisiert.
Wirksamkeits- und Sicherheitsparameter wurden beim Screening, vor der Infusion sowie 16, 24, 36 und 48 Wochen nach Infusion der Studienmedikation erhoben. Der primäre Endpunkt war eine minimale Krankheitsmanifestation nach 16 Wochen, definiert als ein QMG-Score von 4 oder weniger unter einer Prednisolon-Tagesdosis von höchstens 10 mg und ohne Behandlungsnotwendigkeit einer myasthenen Krise ab Woche 9.
Ergebnisse
Von 87 gescreenten Patienten wurden 47 in die Studie aufgenommen und erhielten nach Randomisierung als Studienmedikation
- Rituximab (n = 25; mittleres Alter 67,4 Jahre; 7 Frauen),
- Placebo (n = 22; mittleres Alter 58 Jahre; 7 Frauen).
Im Vergleich zu Placebo erreichte ein größerer Anteil der mit Rituximab behandelten Patienten den primären Endpunkt: 71 % (17 von 24) in der Rituximab-Gruppe gegenüber 29 % (6 von 21) in der Placebo-Gruppe Die statistische Analyse mit dem Test nach Fisher ergab ein einen Wahrscheinlichkeitsquotienten von 2,48 (95%-Konfidenzintervall 1,20–5,11; p = 0,007).
Bei den sekundären Endpunkten
- Veränderungen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens bei Myasthenia gravis nach 16 Wochen
- Veränderungen bei der MG-bezogenen Lebensqualität nach 16 Wochen
- Veränderungen des QMG-Scores nach 24 Wochen
gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen, wenn studienplangemäß eine Per-Protocol-Analyse erfolgte, bei der Patienten mit einer Notfallbehandlung unberücksichtigt blieben. In einer Post-hoc-Analyse fielen die Ergebnisse jedoch zugunsten der aktiven Behandlung aus, wenn die Notfallbehandlungen – mit dem schlechtesten Rang – in die Berechnung einbezogen wurden (Intention-to-treat-Ansatz). Kriseninterventionen waren in der Placebo-Gruppe ebenfalls häufiger, sie erfolgten hier bei acht Patienten, in der Rituximab-Gruppe bei einem Patienten. Ein Patient im Placebo-Arm erlitt einen Myokardinfarkt mit Herzstillstand, und ein Patient im aktiven Arm erlitt ein tödliches kardiales Ereignis.
Kommentar
In der hier vorliegenden randomisierten Studie aus Schweden wurde zum ersten Mal der Einsatz einer B-Zell-gerichteten Therapie bei Patienten im initialen Stadium der Myasthenia gravis untersucht. Eine einmalige Gabe von 500 mg Rituximab zeigte bessere Ergebnisse als Placebo. Zu dieser Thematik lagen bisher nur offene Beobachtungsstudien vor. Ein Problem der Studie ist die relativ geringe Patientenzahl mit Ungleichgewichten für bestimmte biologische Parameter in der Baseline. Weitere, größere Studien sind erforderlich, um Wirksamkeit und Sicherheit von Rituximab bei früher Myasthenia gravis zu evaluieren. Einschränkend muss angemerkt werden, dass Rituximab in Deutschland nicht zur Behandlung der Myasthenia gravis zugelassen ist.
Quelle
Piehl F, et al. Efficacy and safety of rituximab for new-onset generalized myasthenia gravis: The RINOMAX randomized clinical trial. JAMA Neurology. Published online 2022 September 19. DOI: 10.1001/jamaneurol.2022.2887
Psychopharmakotherapie 2022; 29(06):230-239