Valentin Popper, Wien, Sermin Toto, Hannover, Renate Grohmann, München, Dominik Dabbert, Bremen, Ulrich Rabl und Richard Frey, Wien
Kasuistik
Eine Patientin im mittleren Lebensalter wurde aufgrund einer gemischten Angst- und depressiven Störung (ICD-10: F41.2) in der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, AKH Wien, stationär aufgenommen. Die Universitätsklinik ist Teil des Pharmakovigilanz-Projekts „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) [9]. Zusätzlich zur psychiatrischen Symptomatik litt die Patientin an einer spasmodischen Dysphonie (unwillkürliche Verengung der Kehlkopfmuskulatur, ICD-10: G24.8) und einer arteriellen Hypertonie, die mit Bisoprolol und Valsartan behandelt wurde.
Im Vorfeld der Aufnahme erhielt die Patientin von ihrem niedergelassenen Allgemeinmediziner eine Therapie mit Escitalopram 5 mg täglich. Hierunter kam es zu einer hypertensiven Krise sowie zu einer Diarrhö, sodass die Medikation von der Patientin selbstständig abgesetzt wurde. Bei der stationären Aufnahme berichtete die Patientin über große Ängste bezüglich weiterer unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Zudem war es ihr ein besonderes Anliegen, langfristig keine Medikation zu erhalten, die sedierend wirkt oder die Verkehrstüchtigkeit einschränkt, da sie im öffentlichen Verkehrswesen tätig ist und diese Arbeit in jedem Fall weiter ausüben wollte.
Zu Beginn wurde eine schlaffördernde Medikation mit Trazodon in niedriger Dosierung etabliert (25 mg) und schließlich auf eine Abenddosis von 200 mg gesteigert. Unter dieser Dosis kam es allerdings zu einem Überhang und vermehrter Tagesmüdigkeit, sodass die Therapie auf 150 mg allabendlich reduziert wurde. Die Patientin berichtete hierbei bereits über einen Rückgang der Angstsymptomatik sowie über eine Verbesserung der Schlafqualität. Zusätzlich wurde die bereits ambulant etablierte Therapie mit Lavendelöl 80 mg unverändert fortgeführt.
Da die Patientin im weiteren Verlauf offener bezüglich einer antidepressiven Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) war, wurde eine Therapie mit Fluoxetin 10 mg täglich etabliert und bei guter Verträglichkeit bereits nach fünf Tagen auf 20 mg täglich gesteigert. Die Patientin entwickelte 14 Tage nach Dosissteigerung des Fluoxetins einen beidseitigen, rechtsbetonten Haltetremor der oberen Extremitäten. Dieser belastete die Patientin so stark, dass sie unter anderem nicht mehr imstande war, an der Ergotherapie teilzunehmen, da sie die dort gestellten Anforderungen nicht mehr erfüllen konnte.
Es fand ein neurologisches Konsil statt. Hierbei zeigten sich, abgesehen vom Haltetremor, keine Auffälligkeiten. Der Tremor war in der neurologischen Untersuchung im Arm-Vorhalteversuch ablenkbar. Da ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Dosissteigerung von Fluoxetin und dem Auftreten des Haltetremors bestand, wurden keine weiteren diagnostischen Schritte veranlasst. Als Konsequenz wurde die Dosis von Fluoxetin wieder auf 10 mg Tagesdosis reduziert. Etwa zur selben Zeit wurde die antihypertensive Therapie mit Bisoprolol aufgrund von erhöhten Blutdruckwerten von 5 mg auf 7,5 mg täglich gesteigert. Zehn Tage nach Dosisreduktion des Fluoxetins sistierte der Haltetremor.
Durch das Auftreten des Haltetremors und die Reduktion der Fluoxetin-Dosis kam es im weiteren Verlauf zu einer Aggravierung des psychiatrischen Zustandsbildes der Patientin, vor allem die Angstsymptomatik wurde deutlich verstärkt. Die Aufenthaltsdauer der Patientin verlängerte sich dadurch um über eine Woche, außerdem wurde Pregabalin bis zu einer Tagesdosis von 200 mg etabliert. Unter der psychopharmakologischen Medikation mit Pregabalin, Trazodon und Fluoxetin konnte schließlich eine Remission der Angst- und depressiven Symptomatik erzielt werden.
Diskussion
Das Symptom des Tremors geht für die Betroffenen mit einem großen Leidensdruck sowie mit sozialer Stigmatisierung einher. So konnte in Studien an Patienten mit essentiellem Tremor und Patienten mit Morbus Parkinson gezeigt werden, dass durch den Tremor nicht nur die motorischen Alltagsfähigkeiten eingeschränkt waren, sondern auch psychosoziale Effekte beobachtet werden konnten. Hierzu zählen Probleme in persönlichen Beziehungen, ein negatives Selbstbild, Scham, Angst vor dem Tremor und das Gefühl der sozialen Isolation [14]. Eine weitere Untersuchung zeigte, dass Patienten mit essentiellem Tremor oder Morbus Parkinson signifikant öfter an einer Depression oder Sozialphobie litten. Dabei korrelierte die Intensität des Tremors zwar nicht mit der Ausprägung der Depression, jedoch mit der Schwere der sozialen Phobie [16]. Zudem konnte bei Parkinson-Patienten eine Assoziation zwischen Stigmatisierung und dem Tremor-dominanten Parkinson-Subtyp gezeigt werden [12].
Auch die Patientin in diesem Fall zeigte sich durch den neu aufgetretenen Haltetremor stark belastet. Es kam zu einer Einschränkung der Alltagsfähigkeiten, einem Abbruch indizierter Therapien (Ergotherapie), einer Exazerbation der Angstsymptomatik und somit zu einer Verlängerung des Krankenhausaufenthalts.
Bezüglich der Genese des Tremors in diesem Fall sind drei Möglichkeiten zu diskutieren.
- Initial litt die Patientin an einer ausgeprägten Angstsymptomatik, die mit innerer Unruhe einherging. Der Tremor könnte also als motorischer Ausdruck der inneren Unruhe gewertet werden. Allerdings trat der Tremor erst gegen Ende des Aufenthalts auf; zu diesem Zeitpunkt war die psychische Belastung der Patientin weit geringer als in den Wochen davor, in denen keine Tremor-Symptomatik beobachtet werden konnte.
- Ein weiterer interpersoneller Faktor kann aufgrund der Diagnose der spasmodischen Dysphonie diskutiert werden. Eine Studie an 128 Patienten mit spasmodischer Dysphonie beschrieb bei 21 % der Patienten eine Tremorsymptomatik; das Auftreten war jedoch nicht signifikant häufiger als in einer Kontrollgruppe [17].
- Im vorliegenden Fall diagnostizierten die behandelnden Ärzte einen medikamenteninduzierten Tremor.
In der Literatur ist der Tremor eine häufig beschriebene UAW von SSRI. In einer klinischen Studie mit 145 depressiven Patienten entwickelte sich unter Fluoxetin bei etwa 20 % der Patienten ein Tremor [7]. Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen der Dosiserhöhung von Fluoxetin auf 20 mg und dem Beginn des Tremors spricht dafür, dass Fluoxetin im vorliegenden Fall das auslösende Agens war. 10 Tage nach Reduktion der Fluoxetin-Dosis auf 10 mg bildete sich der Tremor vollständig zurück. Zum selben Zeitpunkt wurde auch die Therapie mit Bisoprolol gesteigert, dies könnte zum relativ raschen Abklingen des Tremors beigetragen haben [2, 10].
Auch Trazodon könnte für die Ausbildung des Tremors ursächlich sein, jedoch hatte die Patientin unter höheren Dosen Trazodon noch ohne Fluoxetin keine motorischen UAW. Zudem zeigte eine Untersuchung an 126 depressiven Patienten, dass ein Tremor signifikant öfter unter Fluoxetin als unter Trazodon auftrat [3]. Daher ist ein Kausalzusammenhang mit der Fluoxetin-Gabe als wahrscheinlicher anzusehen, ein Summationseffekt ist jedoch möglich.
Eine Überprüfung auf mögliche Interaktionen zwischen Fluoxetin und der restlichen Medikation der Patientin erbrachte keine Ergebnisse [1]. Es ist lediglich anzumerken, dass Bisoprolol teilweise über das Enzym Cytochrom P450 abgebaut wird, dieses wird durch Fluoxetin inhibiert [8, 11, 15]. Eine klinische Konsequenz für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus nicht. Das Auftreten der UAW unter der eher niedrigen Tagesdosis von 20 mg kann auf ein individuell hohes UAW-Risiko der Patientin hindeuten.
Letztlich muss bei Auftreten eines Tremors bei Patienten, die mit einem SSRI behandelt werden, auch immer an ein potenzielles Serotonin-Syndrom, respektive beim Auftreten nach Dosisreduktion an Absetzphänomene eines SSRI gedacht werden [5, 6, 13]. In dem vorliegenden Fall trafen beide Konditionen nicht zu. Der Tremor könnte zwar aufgrund einer serotonergen Überstimulation aufgetreten sein, das Vollbild eines Serotonin-Syndroms war jedoch nicht gegeben (Bewusstseinsveränderungen, Verwirrung, Agitation, Tachykardie, Hypertonus, Hyperhidrose, Dyspnoe, Diarrhö, andere neuromuskuläre Störungen).
Zusammenfassend zeigt sich, dass in diesem Fall wahrscheinlich Fluoxetin für die Ausbildung des Tremors verantwortlich war, Trazodon hat hierbei jedoch möglicherweise auch zur Genese beigetragen. Ein genauer Mechanismus hinter der Induktion dieser unerwünschten Wirkung durch SSRI ist derzeit nicht bekannt. Da dieses Symptom von den Betroffenen allerdings als sehr belastend wahrgenommen wird, ist weitere Forschung auf diesem Gebiet wünschenswert.
Für die Praxis ergibt sich, dass auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen von SSRI geachtet werden muss, da diese oftmals sehr belastend für die Betroffenen sind und gegebenenfalls zu einem Therapieabbruch im extramuralen Setting führen können.
Interessenkonflikterklärung
V. Popper, D. Dabbert, R. Grohmann, U. Rabl: Keine Interessenkonflikte
S. Toto: Vortragshonorare von Janssen-Cilag GmbH, Otsuka/Lundbeck, Recordati Pharma und Servier; Advisory Board Otsuka und Janssen-Cilag GmbH
R. Frey: Vortragshonorare von Janssen, LivaNova und Lundbeck; Beraterhonorare von Janssen und LivaNova
Literatur
1. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 11. Auflage. https://www.elsevier.com/books/allgemeine-und-spezielle-pharmakologie-und-toxikologie/9783437425233 (Zugriff am 5.10.2021).
2. Bazroon AA, Alrashidi NF. Bisoprolol. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK551623/ (Zugriff am 28.9.2021).
3. Beasley CM, Dornseif BE, Pultz JA, Bosomworth JC, Sayler ME. Fluoxetine versus trazodone: efficacy and activating-sedating effects. J Clin Psychiatry 1991;52:294–9.
4. Benfield P, Heel RC, Lewis SP. Fluoxetine. A review of its pharmacodynamic and pharmacokinetic properties, and therapeutic efficacy in depressive illness. Drugs 1986;32:481–508.
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7. Diaz-Martinez A, Benassinni O, Ontiveros A, Gonzalez S, Salin R, Basquedano G, et al. A randomized, open-label comparison of venlafaxine and fluoxetine in depressed outpatients. Clin Ther 1998;20:467–76.
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9. Grohmann R, Engel RR, Rüther E, Hippius H. The AMSP drug safety program: methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4–11.
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17. White L, Klein A, Hapner E, Delgaudio J, Hanfelt J, Jinnah HA, et al. Co-prevalence of tremor with spasmodic dysphonia: a case-control study. Laryngoscope 2011;121:1752–5.
Dr. med. univ. Valentin Popper, Dr. med. univ. Ulrich Rabl, Dr. med. univ. Richard Frey, Allgemeines Krankenhaus Wien, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien, E-Mail: valentin.popper@meduniwien.ac.at
Dr. med. Sermin Toto, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
Dr. med. Renate Grohmann, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität München, München
Dr. med. Dominik Dabbert, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Bremen-Ost, Bremen
Position tremor under fluoxetine, a case report
The symptom tremor is a frequent side effect of selective serotonin reuptake-inhibitors. This undesirable effect has clinical relevance, due to a severe psychological strain in sufferers. In the present case the genesis of a tremor during treatment with fluoxetine, in a patient with mixed fear- and depression is presented.
Key words: tremor, selective serotonin reuptake-inhibitors, SSRIs, psychotropic drugs, drug safety, fluoxetine
Psychopharmakotherapie 2021; 28(06):271-273