Alzheimer-Krankheit

Keine präventive Wirkung von Pioglitazon bei Menschen mit erhöhtem Alzheimer-Risiko


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-III-Therapiestudie konnte Pioglitazon das Auftreten einer leichten kognitiven Beeinträchtigung (MCI) bei Personen mit erhöhtem Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung nicht verhindern. Ein Biomarker-Algorithmus zeigte ein 3-faches Risiko für MCI in der Hochrisiko-Placebo-Gruppe im Vergleich zur Niedrigrisiko-Placebo-Gruppe, erreichte aber nicht die vorspezifizierte Signifikanzschwelle. Die Studie konnte nicht wie geplant abgeschlossen werden.

Die Identifizierung von Personen mit dem Risiko einer kognitiven Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) ist wichtig für die Rekrutierung von Probanden für Studien zur frühen Therapie der Alzheimer-Krankheit. Die Tatsache, dass alle bisherigen Therapiestudien zum M. Alzheimer negativ waren, beruht wahrscheinlich darauf, dass in einem Stadium, in dem die Erkrankung symptomatisch wird, eine Therapie zu spät kommt und nicht mehr wirksam ist. Es gibt eine Reihe von Biomarkern, die ein erhöhtes Risiko für eine zukünftige Alzheimer-Erkrankung voraussagen können. Zu diesen zählt unter anderem APOE ε4 und TOMM40, ein Marker für mitochondriale Funktionen. Mithilfe dieser beiden Biomarker wurde ein Algorithmus zur Biomarker-gestützten Risikoermittlung (Biomarker risk assessment algorithm [BRAA]) entwickelt, für den nur eine einmalige Blutentnahme notwendig ist. Ziel der Studie war es, diesen Biomarker-Risikozuweisungs-Algorithmus bei Personen zu testen, die ein Risiko haben, innerhalb von fünf Jahren eine leichte kognitive Beeinträchtigung aufgrund einer beginnenden Alzheimer-Krankheit zu entwickeln. Außerdem sollte die Sicherheit und Wirksamkeit von niedrig dosiertem Pioglitazon zur Verzögerung des Auftretens einer leichten kognitiven Beeinträchtigung bei diesen Risikopatienten untersucht werden.

Studiendesign

In diese multizentrische, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Parallelgruppen-Phase-III-Studie wurden kognitiv gesunde, zu Hause lebende Teilnehmer im Alter von 65 bis 83 Jahren eingeschlossen, die von 57 akademischen und privaten Forschungseinrichtungen in Australien, Deutschland, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den USA rekrutiert wurden. Mithilfe des BRAA-Algorithmus wurden die Teilnehmer in Gruppen mit hohem Risiko oder niedrigem Risiko für MCI eingeteilt. Teilnehmer mit hohem Risiko wurden im Verhältnis 1 : 1 randomisiert und erhielten entweder orales retardiertes Pioglitazon (0,8 mg/Tag) oder Placebo. Alle Teilnehmer mit niedrigem Risiko erhielten Placebo (Tab. 1). Die Prüfärzte, das Personal des Prüfzentrums, der Sponsor und die Studienteilnehmer waren hinsichtlich Genotyp, Risikozuweisung und Behandlungszuweisung verblindet. Die geplante Studiendauer war die Zeit bis zum Erreichen von 202 Ereignissen einer leichten kognitiven Beeinträchtigung (MCI), auf die halbjährlich geprüft wurde. Die primäre Analyse umfasste alle Teilnehmer, die randomisiert wurden, mindestens eine Dosis des Studienmedikaments erhielten und mindestens eine gültige Nachuntersuchung hatten. Die Sicherheitsanalyse schloss alle Teilnehmer ein, die mindestens eine Dosis des Studienmedikaments erhalten hatten. Eine Analyse der Wirksamkeit war geplant, wenn etwa 33 % der erwarteten Ereignisse in der Hochrisikogruppe aufgetreten waren.

Tab. 1. Studiendesign von TOMMORROW [nach Burns et al.]

Erkrankung

Leichte kognitive Beeinträchtigung (MCI) als Frühstufe einer Alzheimer-Demenz

Studienziel

  • Nutzen eines Biomarker-gestützten Algorithmus (BRAA) zur Vorhersage des MCI-Risikos
  • Sicherheit und Wirksamkeit von Pioglitazon zur Verzögerung der MCI bei Menschen mit erhöhtem Risiko

Studientyp

Phase-III-Interventionsstudie

Studiendesign

Multizentrisch, randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert, parallel

Eingeschlossene Probanden

3494 Männer und postmenopausale Frauen im Alter von 65 bis 83 Jahren und mit einem MMSE(Mini-mental state examination)-Score ≥ 25,

davon 3061 mit hohem und 433 mit niedrigem MCI-Risiko gemäß BRAA

Intervention

  • Pioglitazon 0,8 mg/Tag (n = 1545 Probanden mit hohem MCI-Risiko)
  • Placebo (n = 1516 Probanden mit hohem Risiko und alle Probanden mit niedrigem MCI-Risiko)

Primäre Endpunkte

  • Zeit bis zur MCI-Diagnose bei hohem Risiko gemäß BRAA
  • Zeit bis zur MCI-Diagnose bei Placebo-behandelten Probanden mit hohem vs. niedrigem Risiko gemäß BRAA

Sponsor

Takeda, Zinfandel Pharmaceuticals

Studienregister-Nr.

NCT01931566 (ClinicalTrials.gov)

Ergebnisse

Von August 2013 bis Dezember 2015 wurden 3494 Teilnehmer rekrutiert und gemäß Studienprotokoll randomisiert (Tab. 1). 1104 Teilnehmer beendeten die Behandlung vorzeitig (464 in der Pioglitazon-Gruppe, 501 in der Placebo-Hochrisikogruppe und 139 in der Placebo-Niedrigrisiko Gruppe). In die Wirksamkeitsanalyse wurden 3399 Teilnehmer eingeschlossen, die mindestens eine Dosis der Studienmedikation eingenommen und an mindestens einer Nachuntersuchung nach der Baseline teilgenommen hatten. Die Sicherheitsanalyse umfasste 3465 Teilnehmer.

Die Studie wurde im Januar 2018 abgebrochen, nachdem der vorab definierte Schwellenwert für die Wirksamkeit nicht erreicht wurde (futility). Zu diesem Zeitpunkt hatten die Teilnehmer ihre Studienmedikation im Durchschnitt knapp zweieinhalb Jahre lang eingenommen.

Eine leichte kognitive Beeinträchtigung aufgrund einer vermuteten Alzheimer-Krankheit fand sich

  • bei 46 (3,3 %) von 1406 Teilnehmern mit hohem Risiko, die Placebo erhielten, gegenüber
  • vier (1,0 %) von 402 Teilnehmern mit niedrigem Risiko, die Placebo erhielten (Hazard-Ratio [HR] 3,26; 99%-Konfidenzintervall [KI] 0,85–12,45; p = 0,023)

und unter den Teilnehmern mit hohem Risiko

  • bei 39 (2,7 %) der 1430 Teilnehmer, die Pioglitazon erhielten, gegenüber
  • 46 (3,3 %) von 1406 Teilnehmern, die Placebo erhielten (HR 0,80; 99%-KI 0,45–1,40; p = 0,307).

Während der Studie starben von den Teilnehmern mit hohem MCI-Risiko sieben (0,5 %) von 1531 Teilnehmern unter Pioglitazon gegenüber 21 (1,4 %) von 1507 Teilnehmern unter Placebo. Die Sicherheitsanalyse ergab keine weiteren Unterschiede bei den unerwünschten Ereignissen zwischen den beiden Gruppen.

Kommentar

Die hier referierte Studie ist in allen Aspekten gescheitert. Der Versuch, mithilfe von zwei Biomarkern die Verschlechterung kognitiver Funktionen bei gesunden älteren Probanden vorauszusehen, war nicht erfolgreich. In der Zwischenzeit liegen aber sehr viel empfindlichere Biomarker sowohl im Liquor wie im Serum vor, die auch in aktuellen Studien zur frühen Therapie der Alzheimer-Erkrankung benutzt werden [1]. Das Amyloid-PET war zu der Zeit, als die Studie begonnen wurde, noch nicht weit verbreitet.

Auch der Therapieteil der Studie war nicht erfolgreich und die Studie musste wegen mangelnder Wirksamkeit von Pioglitazon vorzeitig beendet werden. Die biologische Basis auf der Pioglitazon, ein Antidiabetikum, für die Indikation Alzheimer-Erkrankung untersucht werden sollte, war spärlich. Es gibt keine guten präklinischen Modelle, die eine Wirksamkeit von Pioglitazon zur Prävention kognitiver Störungen bei Menschen ohne Diabetes mellitus voraussagen würden.

Quelle

Burns DK, et al. Safety and efficacy of pioglitazone for the delay of cognitive impairment in people at risk of Alzheimer’s disease (TOMMORROW): a prognostic biomarker study and a phase 3, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2021;20:537–47.

Literatur

1. Zetterberg H, et al. Biomarkers for Alzheimer’s disease – preparing for a new era of disease-modifying therapies. Mol Psychiatry 2021;26: 296–308.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(05):216-226