Sabine M. Rüdesheim, Frechen
Die Ergebnisse der beiden Zulassungsstudien TEMSO [6] und TOWER [4] belegten einen signifikanten Einfluss von Teriflunomid (Aubagio®) auf den Krankheitsverlauf: Die NNT (Number needed to treat), um einen Schub zu verhindern, lag bei 5,9 bzw. 5,6, die NNT zur Verhinderung einer Behinderungsprogression bei 13,7 bzw. 17,1 [4, 6].
Prädiktiver Faktor Hirnatrophie
Allerdings reflektieren Schübe und Läsionen den Erkrankungsprozess bei MS nur partiell – auch Hirnatrophie ist ein Hinweis auf die Krankheitsaktivität. Zwar verlieren auch gesunde Menschen im Laufe des Lebens Hirnvolumen, dieser ist jedoch bei MS-Patienten deutlich ausgeprägter. Ein über das altersnormale Maß hinausgehender Hirnvolumenverlust kann zur Krankheitsprogression mit Behinderung führen bzw. sich auf viele Lebensbereiche auswirken und zur Beeinträchtigung von Arbeitsfähigkeit sowie Lebensqualität führen.
Neben der in Studien dokumentierten Reduktion der jährlichen Schubrate sowie der Behinderungsprogression reduziert Teriflunomid signifikant den jährlichen Hirnvolumenverlust vs. Placebo über zwei Jahre, wie die SIENA-Analyse der TEMSO-MRT-Daten zeigte: –36,9 % im ersten Jahr und –30,6 % im zweiten Jahr [7]. Der Hirnvolumenverlust nach zwei Jahren erklärt 51,3 % des Effekts von Teriflunomid auf die Behinderungsprogression [8]. Die Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass der Effekt von Teriflunomid auf die Behinderungsprogression überwiegend durch den Schutz des Hirnvolumens vermittelt wird.
Die Daten der amerikanischen Real-World-Studie TERI-RADAR untermauern den effektiven Schutz des Hirnvolumens unter Teriflunomid: Gegenüber Dimethylfumarat (DMF) wurde eine signifikant geringere jährliche prozentuale Änderung des Hirnvolumens festgestellt. Zudem war im Teriflunomid-Arm der Anteil Patienten mit neuen und bzw. oder sich vergrößernden T2- oder Gadolinium-aufnehmenden T1-Läsionen numerisch geringer als in der DMF-Gruppe. Darüber hinaus wurde eine numerisch geringere Volumenänderung der lateralen Ventrikel unter Teriflunomid gegenüber Patienten unter DMF festgestellt [9].
Langzeitdaten belegen Wirksamkeit und Sicherheit
Der Immunmodulator überzeugt nach Langzeitdaten darüber hinaus mit einem langfristig konsistenten Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil – weltweit wurden etwa 100 000 Patienten mit Teriflunomid behandelt (Stand Januar 2019); dies entspricht einer „Real-World“-Exposition von etwa 285 800 Patientenjahren (Stand September 2019). So wurden während der Langzeitbehandlung in den Extensionsstudien über bis zu 13 Jahre keine neuen oder unerwarteten unerwünschten Ereignisse beobachtet. Aufgetretene unerwünschte Ereignisse waren meist von milder bis moderater Stärke, die sich im Allgemeinen unter der Therapie zurückbildeten und selten einen Behandlungsabbruch begründeten [6]. Fälle von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie, die auf die Therapie mit Teriflunomid zurückgeführt werden konnten, wurden nicht beobachtet.
Darüber hinaus wird über einen Beobachtungszeitraum von bis zu 12 Jahren eine anhaltend niedrige Schubrate sowie ein im Mittel über den gesamten Zeitraum stabiler Wert der Expanded Disability Status Scale dokumentiert [5].
Wirkungsmechanismus Stoffwechselbremse
Teriflunomid wirkt auf aktivierte T- und B-Zellen, indem selektiv und reversibel Dihydroorotat-Dehydrogenase (DHODH) gehemmt wird. Das Enzym ist in der Mitochondrienmembran lokalisiert und mit der De-novo-Synthese von Pyrimidin und der Atmungskette verbunden, auf die besonders proliferierende Zellen angewiesen sind. Nach aktuellen Forschungsarbeiten werden jedoch nicht alle Lymphozyten gleich angesprochen, sondern bevorzugt die hochaffinen autoreaktiven T-Zellen gehemmt, während die übrigen Immunzellen nicht beeinträchtigt werden. So bleibt sowohl die Grundfunktion der Immunabwehr unter einer Teriflunomid-Behandlung unangetastet, als auch die Immunantwort auf Impfstoffe erhalten, inklusive Grippeimpfung [1, 2] bzw. Impfungen mit inaktivierten Neo- oder Recall-Antigenen [1]. Ebenso zeigte sich die durchschnittliche Lymphozytenanzahl über mehr als zehn Jahre stabil, ohne dass ein erhöhtes Infektionsrisiko verzeichnet wurde [3].
Quelle
Prof. Dr. med. Till Sprenger, Wiesbaden, Dr. med. Stefan Ries, Erbach; digitale Fach-Pressekonferenz „Weniger Hirnatrophie bei MS: Mit Teriflunomid frühzeitig vor Krankheitsprogression schützen“, 15. April 2021, veranstaltet von Sanofi Genzyme.
Literatur
1. Bar-Or A, et al. Randomized study of teriflunomide effects on immune responses to neoantigen and recall antigens. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm 2015;2:e70.
2. Bar-Or A, et al. Teriflunomide effect on immune response to influenza vaccine in patients with multiple sclerosis. Neurology 2013;81:552–8.
3. Comi G, et al. Characterizing lymphocyte counts and infection rates with long-term teriflunomide treatment: Pooled analysis of clinical trials. Mult Scler 2020;26:1083–92.
4. Confavreux C, et al. Oral teriflunomide for patients with relapsing multiple sclerosis (TOWER): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Neurol 2014;13:247–56.
5. Freedman MS, et al. Comparing outcomes from clinical studies of oral disease-modifying therapies (dimethyl fumarate, fingolimod, and teriflunomide) in relapsing MS: Assessing absolute differences using a number needed to treat analysis. Mult Scler Relat Disord 2016;10:204–12.
6. O’Connor P, et al. Randomized trial of oral teriflunomide for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2011;365:1293–303.
7. Radue EW, et al. Teriflunomide slows BVL in relapsing MS: A reanalysis of the TEMSO MRI data set using SIENA. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm 2017;4:e390.
8. Sprenger T, et al. Association of brain volume loss and long-term disability outcomes in patients with multiple sclerosis treated with teriflunomide. Mult Scler 2020;26:1207–16.
9. Zivadinov R, et al. Comparative effectiveness of teriflunomide and dimethyl fumarate in patients with relapsing forms of MS in the retrospective real-world Teri-RADAR study. J Comp Eff Res 2019;8:305–16.
Psychopharmakotherapie 2021; 28(04):172-183