Psychische Gesundheit, Angstzustände und Stress während der Covid-19-Pandemie


Zuzanna Tkaczynska und Andreas J. Fallgatter, Tübingen

Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie wurde in mehreren Ländern eine deutlich zunehmende Verschlechterung der psychischen Gesundheit/des psychischen Wohlbefindens der Bevölkerung beobachtet. In China, Deutschland, England, Japan, Spanien und den USA konnten seit Beginn des Jahres 2020 hohe Raten von Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Stress festgestellt werden [1, 5, 10–14].

In einem Rapid Review [2] wurden die psychischen Belastungen von Personen, bei denen Quarantäne angeordnet wurde, mit denjenigen verglichen, die nicht unter Quarantäne gestellt wurden. Die Befragten mit Quarantäneanordnung berichteten signifikant häufiger über Erschöpfung, Einsamkeit, Angstzustände, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche, Entscheidungsunfähigkeit und Verschlechterung der Arbeitsleistung. Vor allem unter Jugendlichen und Kindern [9] wurde eine erhöhte Prävalenz von Angstsymptomen und eine signifikant beeinträchtigte Lebensqualität festgestellt. Seit dem Ausbruch des Covid-19-Virus wurden Bemühungen unternommen, den Zusammenhang zwischen Pandemie, Quarantäne und psychischer Gesundheit besser zu verstehen. Insbesondere wurde der Einfluss der veränderten Umstände auf die psychische Gesundheit untersucht, um mögliche Interventionen entwickeln zu können.

In einer Online-Umfrage, die im Mai 2020 an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Tübingen durchgeführt wurde, wurden über 2000 Menschen zum Thema der psychischen Gesundheit in Bezug auf Pandemie und soziale Schutzmaßnahmen befragt. In die endgültige Auswertung flossen Daten von über 1500 Personen ein. Fast die Hälfte aller Befragten bejahte, dass der Alltag durch die Pandemie stressiger wurde und berichteten psychische Belastungen. Etwa ein Viertel der Befragten machte sich in den ersten Wochen der Pandemie finanzielle Sorgen und von einem kleineren Teil wurden Symptome berichtet, die einer schweren oder mittelschweren depressiven Episode entsprechen. Ähnlich stark ausgeprägt waren die Angstsymptome. Bei etwa einem Viertel aller Befragten wurden auffällige Symptome beobachtet (*Studie im Reviewprozess).

Studien, die engmaschig die Entwicklung der psychischen Belastungen seit Beginn der Pandemie beobachtet haben, konnten zeigen, dass sich die Symptome von Angststörungen, Depressionen und Stress auch verbessern oder stabilisieren können und nicht kontinuierlich verschlechtern [3, 4, 7, 8]. Diese Studien weisen jedoch häufig methodische Probleme auf. Studien aus früheren Pandemien deuten darauf hin, dass bis zu drei Jahren nach Abklingen der Pandemie/Beendigung der Quarantäne erhöhte Inzidenzen von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD), Stress und Depressionen in der Bevölkerungsgruppe, die der Quarantäne ausgesetzt war, gezeigt werden können [2].

Bezüglich Patienten mit chronischen psychischen Erkrankungen wurde in einer Längsschnittstudie aus den Niederlanden der Einfluss der Covid-19-Pandemie auf psychische Gesundheit untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, oft nur eine minimale oder keine Verschlechterung des psychischen Zustands in Bezug auf Angstzustände, Einsamkeit oder Stress erleben. Dagegen berichten zuvor gesunde Personen eine starke Verschlechterung der psychischen Gesundheit [6]. Es scheint also, dass psychisch erkrankte Menschen über Strategien verfügen, die eine Auseinandersetzung mit Lebenskrisen erleichtern würden. Außerdem hat diese Gruppe in der Regel aufgrund ihrer Grunderkrankung einen schon bestehenden Zugang zu psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Behandlungsangeboten, was einen stabilisierenden Einfluss auf die psychische Gesundheit haben könnte.

Obwohl es nicht überraschend sein mag, dass Covid-19-Erfahrungen und damit verbundener Stress mit ausgeprägter Angst, Depression und Funktionsstörung zusammenhängen, sind die großen und breiten Auswirkungen bemerkenswert. Die meisten Länder haben sich verständlicherweise auf die Förderung des Infektionsschutzes durch Abstandsmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen konzentriert, was wiederum erwartungsgemäß eine Zunahme von subjektivem Angstempfinden und erlebtem Stress verursachte. Durch solche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus können möglicherweise die typischen Bewältigungsmechanismen behindert werden, weil dadurch auch der Zugang zu sozialer Unterstützung und öffentlichen Freizeitaktivitäten eingeschränkt wurde. Außerdem ist in Anbetracht der hohen Zahl an Todesfällen durch Covid-19 und der stark eingeschränkten Möglichkeiten, sterbende Angehörige zu begleiten, mit einer Zunahme an komplizierten Trauerreaktionen zu rechnen, da der normale Trauerprozess gestört wird. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und ihrer Bekämpfungsmaßnahmen auf stress-assoziierte Erkrankungen werden auch ein wichtiges Thema beim nächsten Onsite-Kongress der WASAD (World Association for Stress-related and Anxiety Disorders) am 20. bis 22. September in Wien sein (siehe Kasten).

WASAD Congress 2021

3rd International Congress of the World Association for Stress Related and Anxiety Disorders (WASAD), Wien, 20. bis 22. September 2021

Zur Kongresswebsite

Die derzeitige Covid-19-Pandemie betrifft zum ersten Mal Menschen weltweit und stellt uns deswegen vor eine Herausforderung, die mit keiner anderen Pandemie verglichen werden kann. Die öffentlichen Ressourcen für psychische Gesundheit sind begrenzt, und es erscheint fraglich, ob die derzeit verfügbaren Strukturen und Kapazitäten im Bereich der psychischen Gesundheit den zukünftigen aufkommenden Anforderungen gerecht werden können.

Obwohl sich mit Maßnahmen der physischen Distanzierung und der Kontaktbeschränkung die Ausbreitung von Covid-19 wirksam verringern lässt, können die psychologischen Auswirkungen der Pandemie an sich und ihrer Bekämpfungsmaßnahmen in naher Zukunft zu einem erhöhten Ausmaß an psychischen Gesundheitsproblemen führen und dürfen nicht vernachlässigt werden.

Literatur

1. Afonso P. [The impact of the COVID-19 pandemic on mental health]. Acta Med Port 2020;33:356–7.

2. Brooks SK, Webster RK, Smith LE, et al. The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence. Lancet 2020;395:912–20.

3. Chandola T, Kumari M, Booker CL, Benzeval M. The mental health impact of COVID-19 and lockdown-related stressors among adults in the UK. Psychol Med 2020:1–10; doi: 10.1017/S0033291720005048.

4. Fancourt D, Steptoe A, Bu F. Trajectories of anxiety and depressive symptoms during enforced isolation due to COVID-19 in England: a longitudinal observational study. Lancet Psychiatry 2021;8:141–9.

5. Garcia-Fernandez L, Romero-Ferreiro V, Lopez-Roldan PD, et al. Mental health impact of COVID-19 pandemic on Spanish healthcare workers. Psychol Med 2020:1–3.

6. Kuan-Yu Pan P, Almar A L Kok P, Merijn Eikelenboom L, et al. The mental health impact of the COVID-19 pandemic on people with and without depressive, anxiety, or obsessive-compulsive disorders: a longitudinal study of three Dutch case-control cohorts. Lancet Psychiatry 2021;8:129–9.

7. O’Connor RC, Wetherall K, Cleare S, et l. Mental health and wellbeing during the COVID-19 pandemic: longitudinal analyses of adults in the UK COVID-19 Mental Health & Wellbeing study. Br J Psychiatry 2021;218:326–33.

8. Pan KY, Kok AAL, Eikelenboom M, et al. The mental health impact of the COVID-19 pandemic on people with and without depressive, anxiety, or obsessive-compulsive disorders: a longitudinal study of three Dutch case-control cohorts. Lancet Psychiatry 2021;8:121–9.

9. Ravens-Sieberer U, Kaman A, Erhart M, Devine J, et al. Impact of the COVID-19 pandemic on quality of life and mental health in children and adolescents in Germany. Eur Child Adolesc Psychiatry 2021.

10. Sediri S, Zgueb Y, Ouanes S, et al. Women‘s mental health: acute impact of COVID-19 pandemic on domestic violence. Arch Women Ment Hlth 2020;23:749–56.

11. Shigemura J, Kurosawa M. Mental health impact of the COVID-19 pandemic in Japan. Psychol Trauma 2020;12:478–9.

12. Tsamakis K, Rizos E, Manolis AJ, et al. COVID-19 pandemic and its impact on mental health of healthcare professionals. Exp Ther Med 2020;19:3451–3.

13. Xiong J, Lipsitz O, Nasri F, et al. Impact of COVID-19 pandemic on mental health in the general population: A systematic review. J Affect Disord 2020;277:55–64.

14. Zhang Y, Ma ZF. Impact of the COVID-19 pandemic on mental health and quality of life among local residents in Liaoning Province, China: a cross-sectional study. Int J Environ Res Public Health 2020;17:2381.


Prof. Dr. med. Andreas J. Fallgatter, Department of Psychiatry and Psychotherapy, Tübingen Center for Mental Health, University of Tübingen und German Center for Neurodegenerative Disorders, Tübingen, E-Mail: Andreas.Fallgatter@med.uni-tuebingen.de

Dr. Zuzanna Tkaczynska, Department of Psychiatry and Psychotherapy, Tübingen Center for Mental Health, University of Tübingen

Psychopharmakotherapie 2021; 28(04):168-169