Spinale Muskelatrophie

Erste orale Therapie zur Behandlung der SMA zugelassen


Dr. Katrin Wolf, Eitorf

Am 26. März hat die Europäische Kommission Risdiplam für die Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie (SMA) bei Patienten ab einem Alter von zwei Monaten, mit einer bis vier Kopien des SMN2-Gens oder einer klinisch diagnostizierten Typ-1-, Typ- 2- oder Typ-3-SMA in Europa zugelassen. Die zugrunde liegenden Studienergebnisse wurden bei einer virtuellen Pressekonferenz vorgestellt.

Ursache der seltenen, autosomal rezessiv vererbten SMA ist eine Mutation oder Deletion des „Survival-Motor-Neuron-1-Gens“ (SMN1), die zu einem Mangel an funktionsfähigem SMN-Protein führt. Dieses ist wichtig für die Funktion und das Überleben der Motoneuronen. Wird es nicht in ausreichendem Maß gebildet, kommt es unbehandelt zu einer selektiven Degeneration der Alpha-Motoneuronen im Vorderhorn des Rückenmarks mit progredienter Denervierung der Skelettmuskulatur und damit einem zunehmenden Verlust motorischer Funktionen bis hin zu chronischem Bedarf für Atemsupport [3]. Risdiplam (Evrysdi®), ein oral verfügbarer Spleißmodifikator aus der Klasse der niedermolekularen Arzneistoffe („small molecules“), erhöht die Bildung von funktionsfähigem SMN-Protein auf Basis des SMN2-Gens. SMA ist die führende genetische Ursache der Kindersterblichkeit. Dabei werden fünf verschiedene klinische Klassifikationen der SMA unterschieden (Typ 0 für die schwerste Verlaufsform mit einer Lebenserwartung < 6 Monate bis Typ 4 mit sehr langsam progredienter Muskelschwäche und normaler Lebenserwartung). SMA-Patienten sind kognitiv nicht eingeschränkt und ihre intellektuelle Entwicklung verläuft normal.

Einmal tägliche Gabe

Die Zulassung von Risdiplam beruht unter anderem auf den Ergebnissen der FIREFISH-Studie. In der offenen, zweiteiligen klinischen Studie bei Säuglingen mit SMA Typ 1 im Alter von ein bis sieben Monaten wurden Wirksamkeit, Sicherheitsprofil und Dosierung über 24 Monate untersucht, gefolgt von einer offenen Verlängerungsphase. Nach 12 Monaten waren 41 % der Säuglinge (7/17) in der Lage, mindestens 5 Sekunden ohne Unterstützung zu sitzen, nach weiteren 12 Monaten sogar 59 % (10/17) [1]. Unbehandelt können die betroffenen Kinder mit im Säuglingsalter beginnender Typ-1-SMA dagegen in der Regel niemals frei sitzen. Nach 24 Monaten waren noch 88 % der Säuglinge am Leben und ereignisfrei, das heißt, sie benötigten keine permanente Beatmung [1]. Arzneimittelbedingte Sicherheitsergebnisse, die zum Behandlungsabbruch führten, traten nicht auf.

Die ebenfalls zulassungsrelevante doppelblinde, randomisierte, Placebo-kontrollierte SUNFISH-Studie schloss symptomatische Kinder und Jugendliche (n = 51) im Alter zwischen 2 und 25 Jahren mit bestätigter Diagnose einer SMA Typ 2 oder 3 ein [4, 5]. Unter Risdiplam kam es innerhalb von 12 Monaten zu einer signifikanten Verbesserung der motorischen Funktionen um 1,55 Punkte gemessen anhand der MFM-32-Gesamtpunktzahl (Motor Function Measure, 32 Items; p = 0,0156), sodass die Placebo-kontrollierte Phase abgebrochen wurde und alle Patienten Risdiplam erhielten. Die Behandlung über weitere 12 Monate steigerte die motorischen Fähigkeiten in beiden Gruppen stetig, wobei die ehemalige Placebo-Gruppe jedoch nicht das Niveau der Patienten erreichte, die von Anfang an Risdiplam erhalten hatten. Zudem erhöhte Risdiplam die Unabhängigkeit bei Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Essen einer Mahlzeit mit Händen, Gabel oder Löffel oder Zähneputzen, beurteilt mit der SMA Independence Scale (SMAIS).

„Risdiplam stellt auch für Patienten mit SMA Typ 2 und 3 eine sinnvolle Therapieoption dar“, so Dr. med. Bianca Dräger, Steinfurt. Zudem können ältere Patienten davon profitieren, wie die Sicherheitsdaten der JEWELFISH-Studie mit vorbehandelten Patienten bis 60 Jahre belegen [2].

Quelle

Dr. med. Cornelia Köhler, Bochum; Dr. med. Bianca Dräger, Steinfurt; virtuelle Launch-Pressekonferenz „Konstant und hoch wirksam: Wie Evrysdi® (Risdiplam) die SMA-Therapie bei Erwachsenen, Jugendlichen, Kindern und Säuglingen wandelt“, 14. April 2021, veranstaltet von Roche Pharma.

Literatur

1 Baranello G, et al. FIREFISH Part 1: 24-month safety and exploratory outcomes of risdiplam (RG7916) in infants with type 1 spinal muscular atrophy (SMA) Poster P.259, präsentiert auf dem 25. Internationalen Jahreskongress der World Muscle Society 2020.

2 Chiriboga C. JEWELFISH: Safety and pharmacodynamic data in non-naive patients with SMA receiving treatment with risdiplam. Präsentiert auf der Cure SMA Virtual Conference 2020.

3 D’Amico A, et al. Spinal muscular atrophy. Orphanet J Rare Dis 2011;6:71.

4 Mercuri E, et al. SUNFISH Part 2: Efficacy and safety of risdiplam (RG7916) in patients with type 2 or non-ambulant type 3 spinal muscular atrophy (SMA). Neurology 2020;94(Suppl 15):1260.

5. Servais L, et al. FIREFISH Part 2: Efficacy and safety of risdiplam (RG7916) in infants with type 1 spinal muscular atrophy (SMA). Neurology 2020;94(Suppl 15):1302.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(04):172-183