Dr. med. Peter Stiefelhagen, Starnberg
Intrakranielle Blutungen treten unter einem DOAK (auch NOAK [nicht-Vitamin-K-antagonistisches orales Antikoagulans]) deutlich seltener auf als unter einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Trotz des geringeren Risikos kann es unter einer Therapie mit einem Faktor-Xa-Inhibitor wie Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban zu einem solchen potenziell fatalen Ereignis kommen. Dies erfordert neben einer sofortigen Blutdrucksenkung ein rasches effektives Gerinnungsmanagement, um das Hämatomwachstum zu verhindern. Die Verhinderung eines Hämatomwachstums ist der einzige modifizierbare Prognoseparameter.
Die Blutdrucksenkung auf einen Wert ≤ 140/90 mm Hg ist bei tiefen zerebralen Blutungen von Vorteil. Das gilt vor allem bei Stammganglienblutungen; bei Thalamus-Blutungen konnte kein sicherer Effekt dokumentiert werden. Ein intensives Blutdruckmanagement ist insbesondere innerhalb von zwei Stunden nach Symptombeginn wirksam. Was das neurochirurgische Vorgehen betrifft, so konnten bisher insgesamt keine eindeutigen positiven Effekte nachgewiesen werden, wobei jedoch durch minimalinvasive Verfahren eine günstige Wirkung erzielt werden könnte. Wichtig ist aber eine rasche Fiebersenkung, da eine solche das Perifokalödem mindern kann und dies mit einem besseren Outcome einhergeht.
Hämostatisches Management
Für das Gerinnungsmanagement bei intrakraniellen Blutungen konnte für VKA gezeigt werden, dass eine rasche Senkung des INR-Werts das Outcome verbessert, wobei Prothrombin-Komplex-Konzentrate (PPSP) effektiver sind als Fresh-Frozen-Plasma (FFP). Zusätzlich empfiehlt die Leitlinie 10 mg Vitamin K i. v. Auch wenn ein solches Gerinnungsmanagement intuitiv sicher sinnvoll erscheint, so konnte bisher kein eindeutiger Effekt auf Mortalität und Morbidität nachgewiesen werden. Für Blutungen unter dem Thrombin-Inhibitor Dabigatran steht seit einigen Jahren mit Idarucizumab ein spezifisches Antidot zur Verfügung. Mit Andexanet alfa (Ondexxya®) gilt dies jetzt auch für Faktor-Xa-Inhibitoren wie Apixaban und Rivaroxaban. Damit wird eine wichtige Versorgungslücke geschlossen.
Klinische Daten
Andexanet alfa ist ein modifiziertes humanes Faktor-Xa-Molekül, das biotechnologisch hergestellt wird. Es hat selbst keinen Einfluss auf die Blutgerinnung, sondern fängt Apixaban und Rivaroxaban ab.
Im Rahmen der ANNEXA-4-Zulassungsstudie wurde bei 352 Patienten, die unter der Behandlung mit einem Faktor-Xa-Hemmer eine schwere Blutung erlitten, die Wirksamkeit von Andexanet alfa untersucht. Die Mehrheit der Patienten (64 %) hatte eine intrakranielle Blutung, wobei diese meist klein (< 10 cm3) waren. Am Ende der Bolusgabe von Andexanet alfa war die Anti-F-Xa-Aktivität um 92 % gesunken. Am Ende der zweistündigen Infusion betrug die Reduktion noch 32 bis 42 %. Bei 82 % der Patienten wurde zwölf Stunden nach der Behandlung eine sehr gute bis gute Blutstillung erreicht [2].
Bezüglich des intrakraniellen Hämatomwachstums konnten die Daten von 71 Patienten ausgewertet werden. 56 Patienten zeigten ein Hämatomwachstum von ≤ 35 % nach einer Stunde. Von denen wiederum fand sich bei 55 (98 %) keine zusätzliche Hämatomausdehnung nach 12 Stunden. Eine Progression zeigte sich bei 16 Patienten (22,6 %) und die Rate an thrombotischen Komplikationen (Schlaganfall, Myokardinfarkt, Lungenembolie, Thromboembolie) lag innerhalb von 30 Tagen bei 9,7 % [1, 2].
Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren leichte oder moderate infusionsbedingte Reaktionen wie Hitzewallungen, Wärmegefühl, Husten, Geschmacksstörungen und Dyspnoe.
Eine zusätzliche Option
Nach diesen Ergebnissen sieht die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) in Andexanet alfa eine zusätzliche therapeutische Option, die eine Therapie mit Faktor-Xa-Inhibitoren sicherer macht. Beobachtungsstudien zeigen, dass durch Andexanet alfa die Hämatomprogression günstiger als mit PPSB beeinflusst werden kann. Diese Daten deuten auch darauf hin, dass hierdurch die Frühletalität reduziert werden könnte. Die aktuelle Datenlage erlaubt jedoch noch keine abschließende Beurteilung der klinischen Sicherheit und Wirksamkeit. Auch ist derzeit nicht geklärt, ob Andexanet alfa der bisherigen Standardtherapie überlegen ist. Die bisherige Datenqualität ist nicht ausreichend, um beurteilen zu können, ob ein klinischer Netto-Nutzen vorliegt.
Fazit
Andexanet alfa ist ein Antidot bei Patienten mit schweren Blutungen unter einem der Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban und Apixaban, bisher aber nicht Edoxaban, zum Einsatz unter stationären Bedingungen. Die Substanz zeigte in der ANNEXA-4-Zulassungsstudie eine rasche fast vollständige Inaktivierung der Faktor-Xa-Aktivität. Auch wenn die Daten aus Beobachtungsstudien für eine günstige Wirkung auf die Hämatomprogression im Gehirn mit konsekutiver Abnahme der Frühletalität sprechen, so ist angesichts der aktuellen Studienlage noch keine abschließende Bewertung der Substanz auch im Vergleich mit der bisherigen Standardtherapie möglich. Entsprechend hat der Gemeinsame Bundesausschuss in seinem Beschluss vom 20. Februar 2020 mangels Daten keinen Zusatznutzen erkennen können.
Quelle
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Stefan Schwab, Erlangen, Prof. Dr. med. Dr. Hagen Huttner, Erlangen, Dr. Katharina Althaus, Ulm; digitales Symposium „Aktuelle Strategien zum Management intrakranieller Blutungen unter FXa-Inhibition“, veranstaltet von Portola im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 5. November 2020.
Literatur
1. Connolly SJ, et al. Andexanet alfa for acute major bleeding associated with factor Xa inhibitors. N Engl J Med 2016;375:1131–41.
2. Connolly SJ, et al. Full study report of andexanet alfa for acute major bleeding associated with factor Xa inhibitors. N Engl J Med 2019;380:1326–35.
Psychopharmakotherapie 2021; 28(01):40-49