Lennox-Gastaut- und Dravet-Syndrom

Reduktion der Anfallshäufigkeit für Stürze und Krämpfe durch Add-on-Therapie mit Cannabidiol


Sabine M. Rüdesheim, Frechen

Vier klinische Studien und erste Erfahrungen aus der Praxis belegen, dass Cannabidiol (CBD) zusammen mit Clobazam zur adjuvanten Behandlung die Häufigkeit von Sturz- bzw. Krampfanfällen im Zusammenhang mit Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) oder dem Dravet-Syndrom (DS) reduziert.

Vor etwa einem Jahr erhielt eine flüssige Formulierung von CBD, einem nicht psychoaktiven Cannabinoid, als erstes und bisher einziges aus Cannabispflanzen gewonnenes Fertigarzneimittel (Epidyolex®) die Zulassung für den europäischen Markt. Seither kann CBD, zusammen mit Clobazam, bei Patienten ab zwei Jahren für die adjuvante Behandlung von Krampfanfällen im Zusammenhang mit LGS oder DS angewendet werden.

Das Lennox-Gastaut-Syndrom ist eine schwere, seltene und therapieresistente Form der Epilepsie. Als Behandlungsziele nannte Professor Bernhard Steinhoff, Kehl, neben der Reduktion von Anfallsfrequenz und -intensität die Vermeidung medikationsbedingter Störwirkungen und einer Verschlechterung der Komorbiditäten. Eine komplette Anfallskontrolle sei dagegen unrealistisch. Da die Behandlungsoptionen begrenzt sind und keine antiepileptische Therapie als besonders wirksam identifiziert wurde, begrüßte Steinhoff CBD als Add-on-Therapieoption.

Studien belegen Reduktion der Anfallshäufigkeit

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von CBD als Zusatztherapie bei Krampfanfällen im Zusammenhang mit LGS wurde in den zwei zulassungsrelevanten, randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Parallelgruppenstudien GWPCARE3 und -4 untersucht. Der Wirksamkeitsnachweis gelang in den Subgruppen der Patienten, die gleichzeitig Clobazam einnahmen (ca. 50 % der Studienpopulation).

Wie die betreffende Subgruppenanalyse der Studie GWPCARE4 zeigte, führten 20 mg CBD/kg Körpergewicht (KG) pro Tag als antiepileptische Zusatztherapie zu Clobazam bei LGS-Patienten zu einer Reduktion der monatlichen Häufigkeit von Sturzanfällen gegenüber dem Ausgangswert um 62,4 % im Vergleich zu 30,7 % in der Placebo-Gruppe [1]. In der GWPCARE3-Studie wurde eine Reduktion von 64,3 % in der 20-mg-CBD-Gruppe, 45,6 % in der 10-mg-CBD-Gruppe und 22,7 % unter Placebo beobachtet [1]. Der Unterschied zu Placebo war in allen CBD-Gruppen statistisch signifikant.

Die Gabe von CBD zu Clobazam ging zudem mit einer signifikanten Verbesserung der Ansprechrate einher. Eine Verringerung der Häufigkeit von Sturzanfällen um mindestens 50 % erreichten in der GWPCARE4-Studie 54,8 % der Patienten unter 20 mg CBD/kg KG pro Tag vs. 28,6 % unter Placebo. In der GWPCARE3-Studie waren es 55,6 % bei 20 mg, 40,5 % bei 10 mg und 21,6 % unter Placebo.

Eine Reduktion der Sturzanfallhäufigkeit um mindestens 75 % wurde bei 31 % der Patienten unter 20 mg vs. 7 % unter Placebo in der GWPCARE4-Studie beziehungsweise bei 36 % unter 20 mg, 11 % unter 10 mg und 3 % unter Placebo in der GWPCARE3-Studie beobachtet [1, 2]. Zudem profitieren LGS-Patienten unter 10- bzw. 20-mg-CBD-Zusatz von einem Plus von 3,3 bzw. 5,5 bis 7,6 sturzanfallsfreien Tagen pro Monat im Vergleich zum Placebo-Arm, wie eine Subgruppenanalyse der zulassungsrelevanten GWPCARE3/4-Studien zeigte [1].

Eine offene Langzeitstudie unterstützt die Ergebnisse: 88 % der Patienten bzw. Betreuer berichten eine generelle Verbesserung des Gesamtzustands des Patienten nach 48 Wochen [3].

Signifikante Reduktion von Krampfanfällen

Das Dravet-Syndrom ist eine schwere frühkindliche und sehr therapieresistente Epilepsieform, die häufig mit einer Genmutation im Natriumkanal einhergeht. Die Erstmanifestation erfolgt im ersten Lebensjahr von bisher gesunden und normal entwickelten Kleinkindern, so Professor Gerhard Kurlemann, Lingen. Die Wirksamkeit von CBD als Zusatztherapie bei Krampfanfällen im Zusammenhang mit DS wurde in zwei randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Parallelgruppenstudien (GWPCARE2 und GWPCARE1) bewertet.

Auch bei DS-Patienten führte CBD als antiepileptische Zusatztherapie zu Clobazam zu einer Placebo überlegenen Wirksamkeit: In der GWPCARE1-Studie wurde die Häufigkeit von Krampfanfällen unter 20 mg CBD/kg KG pro Tag signifikant um 53,6 % vs. 18,9 % (Placebo) gesenkt. In der GWPCARE2-Studie wurde eine Reduktion um 56,8 % unter 20 mg CBD, 60,9 % unter 10 mg bzw. 37,6 % unter Placebo beobachtet [1].

Die Ansprechrate (mindestens 50%ige Reduktion der Häufigkeit von Krampfanfällen) betrug in der GWPCARE1-Studie 47,5 % bei Patienten unter 20 mg CBD/kg KG pro Tag vs. 23,7 % unter Placebo und in der GWPCARE2-Studie 62,5 % bei 20 mg, 55,6 % bei 10 mg und 36,6 % unter Placebo.

Eine mindestens 75%ige Verringung des Häufigkeit von Krampfanfällen erzielten bei einer Verabreichung von 20 mg CBD/kg KG pro Tag in der GWPCARE1-Studie 25 % im Vergleich zu 13 % unter Placebo; in der GWPCARE2-Studie betrug diese Ansprechrate ebenfalls 25 %. Unter 10 mg CBD/kg KG/Tag sprachen 36 % der Patienten und im Placebo-Arm 10 % an [1, 2].

Die häufigsten, allerdings gut beherrschbaren unerwünschten Ereignisse bei den Patienten in den CBD-Gruppen waren Somnolenz, verminderter Appetit und Durchfall. Diese Ereignisse traten mit 94 % in der Gruppe mit höheren Dosen häufiger auf als bei der niedrigen Dosierung (84 %) und in der Placebo-Gruppe (72 %) [4]. Als häufigster Studienabbruchgrund wurden erhöhte Leberenzymwerte dokumentiert.

Dass sich die positiven Ergebnisse unter kontrollierten Studienbedingungen auch in den klinischen Alltag übertragen lassen, zeigten die Experten anhand von aktuellen Kasuistiken auf.

Quelle

Prof. Dr. Bernhard Steinhoff, Kehl; Univ.-Prof. Dr. Gerhard Kurlemann, Lingen; virtuelles Pressebriefing „1 Jahr EPIDYOLEX® in Deutschland“, 15. Oktober 2020, veranstaltet von GW pharmaceuticals.

Literatur

1. Epidyolex®, Fachinformation. Stand: 07/2020.

2. GW Pharmaceuticals. Daten im Archiv: VV-MED-06681 (v1), 2019.

3. Thiele E, et al. Cannabidiol in patients with Lennox-Gastaut syndrome: Interim analysis of an open-label extension study. Epilepsia 2019;60:419–28.

4. Devinsky O, et al. Effect of cannabidiol on drop seizures in the Lennox-Gastaut Syndrome. N Engl J Med 2018;378:1888–97, DOI: 10.1056/NEJMoa1714631.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(06):314-321