Alzheimer-Erkrankung

Nilotinib, ein innovativer Therapieansatz bei M. Alzheimer


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Nilotinib ist ein Tyrosinkinasehemmer, der in präklinischen Modellen der Alzheimer-Erkrankung die Akkumulation von pathologischen Proteinaggregaten im Gehirn verhindert. In einer kleinen Studie zeigte sich eine potenzielle Wirkung von Nilotinib auf Biomarker der Alzheimer-Erkrankung und in der Amyloid-Positronen-Emissions-Tomographie.

Bei der Alzheimer-Erkrankung lassen sich pathologische Eiweißablagerungen und Aggregate im Gehirn nachweisen. Extrazellulär findet sich Beta-Amyloid und intrazellulär in Neuronen Tauprotein. Bisher ist allerdings nicht geklärt, ob es sich hier nur um Biomarker handelt oder ob diese fehlgefalteten Proteinaggregate eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung spielen. Nilotinib ist ein Tyrosinkinasehemmer, der für die Behandlung der Philadelphia-Chromosom-positiven chronisch myeloischen Leukämie zugelassen ist. Die Substanz kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und führt zu einem Abbau von Amyloid beta und Tauprotein in Tiermodellen der Neurodegeneration. Zudem hemmt Nilotinib Discoidin-Domain-Rezeptoren (DDR), die im Hirn von Alzheimer-Kranken erhöht gefunden wurden. In einer kleinen Phase-II-Studie sollte jetzt geklärt werden, ob die Substanz einen möglichen Einfluss auf Biomarker der Alzheimer-Erkrankung bei Menschen und die Konzentration von Beta-Amyloid im Gehirn hat.

Studiendesign

Es handelte sich um eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-II-Studie zur Sicherheit und Verträglichkeit sowie der Pharmakokinetik von Nilotinib bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Demenz aufgrund einer Alzheimer-Krankheit. Außerdem wurden Biomarker gemessen und eine Amyloid-Positronen-Emissions-Tomographie (PET) durchgeführt. Nilotinib wurde in einer Dosis von 150 mg oral über 26 Wochen mit Placebo verglichen eingenommen. Für weitere 26 Wochen wurden dann 300 mg Nilotinib täglich eingesetzt.

Ergebnisse

Von den 37 untersuchten Patienten waren 27 Frauen und das mittlere Alter betrug 70,7 Jahre. Je drei Patienten in jeder Therapiegruppe brachen die Behandlung vorzeitig ab. Der MMSE(Mini-mental state examination)-Wert zum Zeitpunkt des Studienbeginns betrug 19,5. Nilotinib wurde gut vertragen. Alle schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen traten in der Placebo-Gruppe auf. Nilotinib ließ sich sowohl im Serum als auch im Liquor dosisabhängig nachweisen.

Im Amyloid-PET war in der Nilotinib-Gruppe die Amyloid-Belastung im Frontallappen im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert. Der Liquor-Aβ40-Spiegel wurde nach sechs Monaten und der von Aβ42 nach 12 Monaten unter Nilotinib im Vergleich zur Placebo-Gruppe reduziert. In der Kernspintomographie war der Volumenverlust im Hippocampus nach 12 Monaten unter Verum geringer als unter Placebo. Phospho-tau-181 im Liquor war in der Nilotinib-Gruppe nach sechs Monaten und 12 Monaten reduziert.

Kommentar

Diese kleine Phase-II-Studie an Patienten mit Alzheimer-Erkrankung legt nahe, dass Nilotinib einen positiven Einfluss auf Biomarker der Alzheimer-Erkrankung hat und die Degeneration des Hippocampus verlangsamt. Nilotinib wurde insgesamt gut vertragen. Ähnlich wie in den Studien zur myeloischen Leukämie wurden allerdings vermehrt Stimmungsschwankungen registriert, die wahrscheinlich auf einen Anstieg von Dopamin im Gehirn zurückzuführen sind. Bisher gibt es keine kausale Therapie des Morbus Alzheimer. Alle Therapieansätz,die derzeit zugelassen sind, haben lediglich eine symptomatische Wirkung. Im nächsten Schritt müssen jetzt größere Placebo-kontrollierte Studien durchgeführt werden. Die jetzt durchgeführte Studie war zu klein, um Unterschiede zwischen Verum und Placebo in neurokognitiven Funktionen nachzuweisen.

Quelle

Turner RS, et al. Nilotinib effects on safety, tolerability, and biomarkers in Alzheimer’s disease. Ann Neurol 2020;88:183–94.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(06):314-321