Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Schizophrenie hat eine weltweite Prävalenz von 1 %. Nachdem 1952 die antipsychotische Wirkung von Chlorpromazin entdeckt worden war, kam der Durchbruch für die Therapie der Schizophrenie mit der Entwicklung von Haloperidol durch Paul Janssen in Belgien.
Die klassischen Antipsychotika wirken als Antagonisten am Dopamin-D2-Rezeptor. Sie haben eine gute Wirkung auf Halluzinationen und positive psychotische Symptome. Allerdings haben sie nur eine geringe Wirkung auf die Negativsymptome wie Apathie und die verminderte emotionale Expressivität. Viele Vertreter der zweiten Generation der Antipsychotika haben zusätzlich eine antagonistische Wirkung am Serotonin-5-HT2A-Rezeptor. Antipsychotika der zweiten Generation unterscheiden sich von denen der ersten Generation durch eine geringere Rate an extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen, bringen aber zum Teil neue Nebenwirkungen mit sich.
Ein Vergleich von 32 oral verfügbaren Antipsychotika für die akute Behandlung von Erwachsenen mit einer Schizophrenie zeigte keine großen Wirksamkeitsunterschiede der untersuchten Substanzen [1]. Die wesentlichen Unterschiede zeigten sich bei den unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Es besteht aber weiterhin ein großer Bedarf für neue antipsychotisch wirksame Arzneimittel mit einem verbesserten Nebenwirkungsprofil.
SEP-363856 ist eine neu entwickelte Substanz, die nicht auf Dopamin-D2-Rezeptoren wirkt, sondern eine agonistische Aktivität am TAAR1-Rezeptor (Trace amine-associated receptor 1; Kasten) und am 5-HT1A-Rezeptor aufweist.
TAAR1 – Trace amine-associated receptor 1
TAAR1 ist der erste und bislang am besten charakterisierte Vertreter einer Familie von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, die nach seiner hohen Affinität für „trace amines“ benannt wurde, also für biogene Amine, die im Gewebe nur in sehr geringer Konzentration vorkommen (z. B. p-Tyramin, Beta-Phenylethylamin, Tryptamin). Nicht alle später beschriebenen Vertreter weisen hohe Affinität für diese biogenen Amine auf, deshalb wurde die ursprüngliche Bezeichnung „trace amine receptor“ (TAR) zu „trace amine-associated receptor“ (TAAR) erweitert [2].
Zu den Funktionen von TAAR1 gehört die Modulation der dopaminergen, serotonergen und glutamatergen Neurotransmission [3].
Studiendesign
In einer randomisierten, kontrollierten Phase-II-Studie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von SEP-363856 bei Erwachsenen mit einer akuten Exazerbation einer Schizophrenie untersucht. Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip im Verhältnis 1 : 1 zugeteilt und erhielten einmal täglich über vier Wochen SEP-363856 oral oder Placebo. Die Dosierung des Studienmedikaments war flexibel: An Tag 1 bis 3 erhielten die Patienten 50 mg; an Tag 4 und bei den folgenden Visiten (Woche 1 bis 3) konnte die Dosis nach Ermessen des Arztes auf 75 mg erhöht bzw. auch wieder auf 50 mg reduziert werden.
Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Gesamtpunktzahl auf der Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS) in Woche 4 gegenüber dem Ausgangswert. Es wurden acht sekundäre Endpunkte definiert, darunter die Veränderungen in der CGI-S-Skala (Clinical global impression of severity) und der BNSS (Brief negative symptom scale).
Ergebnisse
Insgesamt wurden 120 Patienten in die SEP-363856-Gruppe und 125 in die Placebo-Gruppe randomisiert. Die Patienten waren im Mittel 30 Jahre alt und zwei Drittel waren männlichen Geschlechts. Die schizophrene Erkrankung bestand im Mittel seit 5,4 Jahren. Der Ausgangswert des PANSS-Scores betrug rund 100 Punkte.
In beiden Gruppen beendeten nahezu 80 % der Patienten die vierwöchige Doppelblindphase. Mehr als zwei Drittel der Verum-Patienten nahmen die 75-mg-Dosis ein.
Am Ende von Woche 4 betrug die mittlere Veränderung des PANSS –17,2 Punkte in der Verum- und –9,7 Punkte in der Placebo-Gruppe (mittlere Differenz –7,5 Punkte; 95%-Konfidenzintervall –11,9 bis –3,0; p = 0,001). Die Reduktionen der Punktwerte der CGI-S- und BNSS-Scores in Woche 4 zeigten in die gleiche Richtung wie das Primärergebnis.
Zu den unerwünschten Arzneimittelwirkungen unter SEP-363856 zählten Somnolenz und gastrointestinale Symptome. Ein plötzlicher Herztod bei Lungenembolie trat in der SEP-363856-Gruppe auf. Die Inzidenz von extrapyramidalen Symptomen war in den beiden Therapiegruppen ähnlich.
Kommentar
SEP-363856 ist eine neue antipsychotische Substanz mit einem Wirkungsmechanismus, der sich von den bisherigen Antipsychotika unterscheidet. Die kleine, randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie bei Patienten mit einer akuten Exazerbation ihrer Schizophrenie belegt eine therapeutische Wirksamkeit im Vergleich zu Placebo. Die Beobachtungszeit von vier Wochen war allerdings relativ gering. Ein statistisch bedeutsamer therapeutischer Unterschied stellte sich auch erst nach drei Wochen ein. Kritikpunkt an der Studie ist die Tatsache, dass SEP-363856 nur gegen Placebo und nicht gegen ein etabliertes Antipsychotikum verglichen wurde. Interessant ist die Beobachtung, dass es im 4-wöchigen Beobachtungszeitraum unter aktiver Substanz nicht zu mehr extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen kam als unter Placebo. In Zukunft sind jetzt größere randomisierte Studien im Vergleich zu klassischen oder atypischen Neuroleptika notwendig, um die Wirksamkeit von SEP-363856 zu belegen und nachzuweisen, dass die Substanz auch jenseits von vier Wochen wirksam ist. Ein endgültiges Urteil über mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen ist auch erst dann möglich, wenn die Substanz über längere Zeiträume eingenommen wird.
Quelle
Koblan KS, et al. A non-D2-receptor-binding drug for the treatment of schizophrenia. N Engl J Med 2020;382:1497–506.
Literatur
1. Huhn M, et al. Comparative efficacy and tolerability of 32 oral antipsychotics for the acute treatment of adults with multi-episode schizophrenia: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2019;394:939–51.
2. Maguire JJ. International Union of Pharmacology. LXXII. Recommendations for trace amine receptor nomenclature. Pharmacol Rev 2009;61:1–8.
3. Revel FG, et al. TAAR1 activation modulates monoaminergic neurotransmission, preventing hyperdopaminergic and hypoglutamatergic activity. PNAS 2011;108:8485–90.
Psychopharmakotherapie 2020; 27(03):163-167