Cannabisabhängigkeit

Weniger Cannabiskonsum durch unterstützende Gabe von Nabiximols


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Mit einem Kommentar der Autorin
Für entwöhnungswillige Cannabiskonsumenten ist die kontrollierte Anwendung eines Cannabinoids in Verbindung mit psychosozialen Interventionen möglicherweise ein erfolgversprechender Ansatz. Darauf deuten die Ergebnisse einer Phase-III-Studie, in der durch hoch dosierte Anwendung von Nabiximols zumindest der illegale Cannabiskonsum reduziert wurde. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer schieden jedoch vor Ende der 12-wöchigen Studie aus.

Häufiger Cannabiskonsum kann zu einer psychischen Abhängigkeit führen. Bei der Entwöhnung stehen verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund. Für eine medikamentöse Unterstützung gibt es noch keine zugelassenen Wirkstoffe.

Bei der Raucherentwöhnung ist die unterstützende Nicotin-Substitution (z. B. mit Nicotin-Kaugummi oder -Pflaster) ein bekanntes Prinzip. Analog prüften australische Forscher bei entwöhnungswilligen Cannabisabhängigen nun die kontrollierte Gabe eines Cannabinoids in Form von Nabiximols-Oromukosalspray. Nabiximols ist ein standardisierter Dickextrakt aus Cannabis sativa, der als Spray mit einem Gehalt von 2,7 mg Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und 2,5 mg Cannabidiol pro 0,1 ml verabreicht wird. Nabiximols ist zur Behandlung von mittelschweren oder schweren Spastiken im Rahmen einer multiplen Sklerose zugelassen, und zwar in einer Tageshöchstdosis von 32,4/30 mg (12 Sprühstöße). Für die vorliegende Studie wurden höhere Dosen verwendet; zulässig waren gemäß Studienprotokoll bis zu 32 Sprühstöße pro Tag (86,4/80,0 mg), aufgeteilt auf vier Gaben.

Studiendesign

Für die randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie wurden in vier ambulanten Suchtzentren in Australien erwachsene Patienten rekrutiert, die eine Cannabisabhängigkeit gemäß ICD-10 aufwiesen und bereits vergeblich versucht hatten, ihren Cannabiskonsum einzustellen. Während der 12-wöchigen Studie konnten die Patienten an insgesamt sechs Beratungsgesprächen nach einem verhaltenstherapeutischen Konzept teilnehmen. Unterstützend erhielten sie Nabiximols oder ein entsprechendes Placebo. Die Dosis wurde in den ersten drei Tagen auftitriert. Das Studienmedikament wurde jeweils als Wochenration ausgehändigt, dabei wurde nach Bedarf die Dosis angepasst.

Zu Beginn und dann alle vier Wochen wurden die Patienten befragt, an wie viel Tagen in den vergangenen vier Wochen sie illegales Cannabis konsumiert hatten (und in welcher Menge). Primärer Endpunkt war die Gesamtzahl dieser Tage von Studienbeginn bis Woche 12.

Studienergebnisse

An der Studie nahmen 128 Patienten teil (Nabiximols: n = 61; Placebo: n = 67). In den vier Wochen vor Studienbeginn hatten sie im Durchschnitt an 25,7 Tagen jeweils 2,3 g Cannabis konsumiert, überwiegend in Form von Bongs (73,4 %) oder Joints (23,4 %).

Von ihrem Studienmedikament verwendeten die Patienten in Woche 2 bis 12 in der Placebo-Gruppe durchschnittlich 18,5 Sprühstöße täglich, in der Nabiximols-Gruppe 17,6 Sprühstöße (47,5 mg THC/44,0 mg CBD).

Nur jeweils 30 Patienten blieben bis zum Ende der Studie dabei, wobei die Teilnehmerzahl in beiden Gruppen gleichmäßig über die Zeit abnahm.

Illegalen Cannabiskonsum während der 84 Studientage berichteten die Teilnehmer der

  • Placebo-Gruppe für 53,1 (± 33,0) Tage,
  • Nabiximols-Gruppe für 35,0 (± 32,4)Tage.

Unter Berücksichtigung des anfänglichen Cannabiskonsums entspricht dies einer Differenz von 18,6 Tagen (95%-Konfidenzintervall 3,5–33,7 Tage; p = 0,02; modifizierte Intention-to-treat-Analyse, d. h. alle Teilnehmer, die mindestens einmal die Studienmedikation genommen hatten).

Unter den Teilnehmern, die für das Abschlussinterview zur Verfügung standen, zeigte sich in der Nabiximols-Gruppe ein größerer Anteil mit mindestens 50%iger Abnahme des Cannabiskonsums als in der Placebo-Gruppe (54 % vs. 29 %; Odds-Ratio 0,35; p = 0,03). In Bezug auf Cannabis-Abstinenz ergab sich kein signifikanter Unterschied.

In Bezug auf die Verträglichkeit der Studienmedikation gab es keine signifikanten Gruppenunterschiede. Die häufigste Nebenwirkung waren Kopfschmerzen (Nabiximols 8,2 %; Placebo 3,0 %).

Die Verblindung war allerdings nur unvollständig gelungen: In der Nabiximols-Gruppe schätzten 82 % ihre Gruppenzuteilung richtig ein, in der Placebo-Gruppe nur 49 % (p = 0,001).

Fazit der Autoren

Die Gabe eines Cannabinoidagonisten wie Nabiximols ist vermutlich nicht für alle Cannabis-Entwöhnungswilligen geeignet, wenn man sich die hohe Studienabbruchquote vor Augen hält. Dennoch könnte es im Rahmen einer stufenweisen Therapie ein erfolgversprechender Ansatz für solche Patienten sein, die mit Beratung allein keine Reduktion ihres illegalen Cannabiskonsums erreichen.

Kommentar

Eine Cannabisentwöhnung mit Nabiximols unterstützen zu wollen, ist ein grundsätzlich plausibler, wenn auch kostspieliger Ansatz. Die Ergebnisse der vorgelegten Studie helfen bei der Bewertung jedoch kaum weiter. Ein Wirkungsvorteil von Nabiximols gegenüber Placebo zeigte sich nur bei dem recht weichen, fehleranfälligen primären Endpunkt, den Angaben der Studienteilnehmer zu ihrem Cannabiskonsum in den jeweils vergangenen vier Wochen. Eine Validierung der Angaben durch Messung von THC-Markern im Urin wurde zwar in der Placebo-Gruppe durchgeführt, war in der Verum-Gruppe aber sinnlos, deshalb wurde die Messung hier unterlassen. Cannabisabstinenz wurde in der Nabiximols-Gruppe nicht häufiger erreicht als mit Placebo.

Wie von den Studienautoren diskutiert, mag ein gewisser Teil der Cannabisabhängigen von dem unterstützenden Einsatz von Nabiximols profitieren. Offen ist noch, wie lange bei diesen die Anwendung fortgesetzt werden sollte beziehungsweise wie lange eine gegebenenfalls erreichte Abstinenz anhält. Um dies zu klären, sind – auch angesichts der hohen Abbruchquote – größere und vor allem längere Studien nötig.

Quelle

Lintzeris N, et al. Nabiximols for the treatment of cannabis dependence. A randomized clinical trial. JAMA Intern Med 2019;179:1242–53.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(01):33-40