Prof. Dr. med. Jürgen Fritze, Pulheim
„Die Frage, ob die in Studien beschriebenen Wirksamkeitsraten von Antidepressiva auch in der Routinepraxis erzielt werden können und ob sich Wirksamkeitsunterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffgruppen nachweisen lassen, ist von hoher klinischer Relevanz.“ So läuten Heimsoth, Distler und Laux sehr zutreffend ihre Originalarbeit „Wirksamkeit von Antidepressiva in der stationären Depressions-Therapie“ ein. Und sie hatten sich tatsächlich einer Herkules-Aufgabe gestellt: Randomisierung der Patienten auf pharmakodynamisch definierte Gruppen von Antidepressiva. Letztlich ist die Rekrutierung gemäß Randomisierungsplan infolge der Widrigkeiten des Alltags unvollständig geblieben, weshalb Gruppenvergleiche nicht konfirmatorisch erfolgen konnten. Aber die Autoren hatten sich noch mehr vorgenommen: Überprüfung der Grenzwerte verschiedener Skalen als Indikator für Remission.
Dietmaier und Laux setzen die Serie „Weiterbildungs-Curriculum Psychopharmakologie/Pharmakotherapie“ mit dem Thema „Nebenwirkungen und Intoxikationen“ und deren Pharmakodynamik – was das Verständnis deutlich erleichtert – fort; die synoptischen Tabellen visualisieren bestens die Botschaften.
Die PPT ist das Mitteilungsblatt unter anderem der GESENT. Die GESENT hat jüngst einen parlamentarischen Abend mit Abgeordneten des Bundestages veranstaltet und lässt in dieser PPT darüber berichten. Sehr zu Recht wird ein Innovationsmangel in der Psychopharmakotherapie beklagt. Es sei dem Verfasser dieses Editorials der Hinweis nachgesehen, dass er in den Jahren 1994 bis 1996 in der PPT eine Serie „Klinische Forschung in der Psychopharmakologie“ (zuletzt über Phasenprophylaktika) publizieren durfte, in der er inbrünstig Innovationsmangel beklagte und Forschungsbedarfe identifizierte [2]. Dies vor dem Hintergrund dessen, was er als Medical Director eines pharmazeutischen Unternehmens hatte lernen und erfahren dürfen. Sehr viel Innovation ist seither nicht zu verzeichnen. Die erfolgten Neuentwicklungen mussten sich im Wesentlichen auf bekannten Pfaden bewegen (also sog. Schrittinnovationen insbesondere durch Molekülmodifikationen). GESENT propagiert letztlich die Meinung, die Nutzenbewertung gemäß AMNOG mit darauf basierend ausgehandelten Preisen stelle ein Innovationshemmnis dar. Wie sich dies an konkreten Wirkstoffen darstellt, wurde 2015 in der PPT analysiert [3]. Umsätze in den Pharmamärkten 2018: USA 485 Mrd. US-Dollar, China 134 Mrd. US-Dollar, Japan 85 Mrd. US-Dollar, Deutschland 52 Mrd. US-Dollar. Wird der in Deutschland erzielbare Preis international agierende Pharmakonzerne in ihren Forschungsinvestitionen bedeutsam beeinflussen können? Wird Lundbeck angesichts der jüngsten Gesetzesänderung Vortioxetin (das Trigger der Gesetzesänderung gewesen sein dürfte) wieder dem deutschen Markt zur Verfügung stellen? Was die Nutzenbewertung bisher (und voraussichtlich auch künftig) mangels geeigneter Studien nicht würdigen kann: Kann schlicht eine größere Anzahl verfügbarer Psychopharmaka einen patientenrelevanten Zusatznutzen bedeuten, indem mehr Patienten eine Chance finden zu profitieren? Oder müssen wir auf weitere möglicherweise innovative Entdeckungen wie Ketamin oder – jüngst – Lumateperon [1] geduldig warten?
Seifert et al. schildern für das AMSP-Projekt am Beispiel eines Olanzapinpamoat-Post-Injektionssyndroms die mutmaßlichen Mechanismen dieser spezifischen, lebenbedrohlichen Komplikation. Petri setzt seine bewährte und praxisrelevante Serie über CYP450-Wechselwirkungen – hier bezüglich Anxiolytika – fort.
Bruhn berichtet über eine Expertendiskussion des Unfallrisikos bei erwachsenen ADHS-Patienten.
Verschiedene Cannabis-Zubereitungen wurden in Deutschland ja durch den Gesetzgeber letztlich unter Außerkraftsetzen arzneimittelrechtlicher Voraussetzungen den Patienten zugänglich gemacht. Indem Cannabinoide also verkehrsfähig sind, könnten sie auch Gegenstand von Off-Label-Use sein. Oberpichler-Schwenk fasst eine jüngste Metaanalyse zum Off-Label-Use bei verschiedenen psychischen Störungen zusammen – woraus sich großer Forschungsbedarf ergibt. Aber auch eine Innovation ist zu vermelden: Seit 15. Oktober 2019 ist Cannabidiol (Epidyolex®) zur Behandlung des Dravet-Syndroms zugelassen.
Oberpichler-Schwenk berichtet zudem über eine randomisierte kontrollierte Studie zum Off-Label-Use von Nabiximols (Pflanzenextrakt als Sativex® zugelassen zur Behandlung von Spastik bei MS) als unterstützende Therapie bei Cannabis-Abhängigkeit – mit erstaunlich uneindeutigen Resultaten.
Christ berichtet über die Botschaften eines Pressegesprächs beim DGN-Kongress 2019, wonach sich Innovationen in der Behandlung von Chorea Huntington, Parkinson und progressiver supranukleärer Blickparese abzeichnen.
Christ berichtet auch über ein Satelliten-Symposium beim DGN-Kongress 2019 zur jüngsten Innovation in der Parkinson-Therapie: Safinamid (Xadago®) ist verfügbar, obwohl der G-BA 2015 keinen Zusatznutzen zugebilligt hat.
Reisdorf berichtet über die Botschaften eines Pressegeprächs beim DGN-Kongress 2019, wonach die Therapietreue unter Eslicarbazepinacetat beachtlich zu sein scheint.
Literatur
1. Correll CU, et al. Efficacy and safety of lumateperone for treatment of schizophrenia – A randomized clinical trial. JAMA Psychiatry 2019, doi:10.1001/jamapsychiatry.2019.4379.
2. Fritze J. Klinische Forschung in der Psychopharmakologie. lV. Erreichte Qualität der Psychopharmakotherapie und Bedarf an Innovation: Phasenprophylaktika affektiver Psychosen. Psychopharmakotherapie 1996;3:131–7.
3. Fritze J. Frühe Nutzenbewertung gemäß AMNOG: Rekapitulation und Update. Psychopharmakotherapie 2015;22:47–58.
Psychopharmakotherapie 2020; 27(01)